Paul Ott, der eigentlich die Käserei seines Vaters übernehmen sollte, entschied sich lieber für eine Schreinerlehre. Anschließend ließ er sich von 1928 bis 1929 bei der Oettinger Firma Steinmeyer zum Orgelbauer ausbilden. Als Mitglied der Singbewegung bekam er Kontakt zu Karl Vötterle und Christhard Mahrenholz und konnte zunächst auf dem Gelände der Firma Giesecke in Göttingen selbständig arbeiten. Da ihm jedoch der Aufbau einer eigenen Werkstatt finanziell noch nicht möglich war, war Ott auch bei der Firma Hermann Eule in Bautzen beschäftigt.
Bereits 1930 fertigte Ott sein erstes Positiv für die Göttinger Marienkirche, eine eigene Werkstatt konnte er aber erst 1932 eröffnen. Als einer der wenigen Orgelbauer, die zu dieser Zeit bereits wieder die Prinzipien des vorromantischen Orgelbaus (z. B. Verwendung der Schleiflade) berücksichtigten, erhielt er bald weitere wichtiger Aufträge für Kleinorgeln, darunter eine Hausorgel für Hugo Distler (1938).[1]
1937 erhielt Ott den Meisterbrief. Bald begann er mit der Restaurierung historischer Orgeln in Norddeutschland, die als bedeutend erkannt wurden, so Stade, St. Wilhadi und Cappel. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch, in den 1950er Jahren, gab es auch Aufträge für größere Instrumente. Der erste dreimanualige Neubau Otts war die Orgel der Christuskirche in Wolfsburg (1951). Weitere Restaurierungen betrafen Lemgo, Borgentreich, Norden und Stade, St. Cosmae. Der wirtschaftliche Höhepunkt der Werkstatt Ott lag in den 1960er und 1970er Jahren, als zahlreiche Instrumente für Kunden in Deutschland und darüber hinaus in mehreren europäischen Ländern und in Übersee[2] gebaut wurden.
1980 musste die bisher als Kommanditgesellschaft geführte Firma Konkurs anmelden. Auftragszusagen aus dem In- und Ausland ermöglichten die Gründung der Paul Ott GmbH in Bovenden als Auffanggesellschaft. Paul Otts Sohn Dieter Ott (* 13. Juni 1934; † 24. August 2010) übernahm die Göttinger Werkstatt, in der Paul Ott bis zu seinem Tod weiterarbeitete. Er führte sie nach der Auflösung der Paul Ott GmbH am 16. Juli 1990 zunächst mit dem im Jahr zuvor als Einzelfirma gegründeten Unternehmen Paul Ott Orgelpflegedienst weiter. Mit Dieter Otts Tod kam die Orgelbautradition der Göttinger Werkstatt Ott zu ihrem Ende.
Anfang 2011 wurde das Firmenarchiv der Werkstatt Ott dem Niedersächsischen Wirtschaftsarchiv Braunschweig übergeben. Es umfasst etwa 1400 Archivalien und ist inzwischen erschlossen.[3] 2021 begann das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv, die Pläne und Zeichnungen zu mehr als 1.100 Orgelbauprojekten zu restaurieren.[4]
Bewertung
Das historische Verdienst Paul Otts war es, der erste Orgelbauer zu sein, der die Ideen der Orgelbewegung auch in technischer Hinsicht umsetzte. Vor allem ist hier die Rückbesinnung auf die Schleiflade mit mechanischer Traktur zu nennen. Die Verwendung niedrigen Winddrucks und die Orientierung der Disposition an norddeutschen Barockorgeln, oft in überspitzter Form, führten jedoch – nachträglich beurteilt – zu Entstellungen etlicher historischer Orgeln bei Restaurierungen. Der sorglose Umgang mit historischem Material war für den Orgelbau der damaligen Zeit jedoch typisch. Er resultierte daraus, dass dem Idealbild des Neobarock mehr Bedeutung zugemessen wurde, als dem tatsächlich erkennbaren historischen Zustand einer Orgel.[5] Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Orgelbauer als Restaurator historischer Instrumente in erster Linie die Arbeitsvorgaben der beteiligten Sachverständigen umsetzt. Die Orgelbauer Jürgen Ahrend und Rudolf Janke, beide ehemalige Schüler von Ott, haben sich von seiner Konzeption und Vorgehensweise distanziert und restaurierten etliche von Ott veränderte Orgeln.[6]
Werkliste (Auswahl)
Die unvollständige Liste führt einige Orgelneubauten und bedeutende Restaurierungen an. Die Größe der Instrumente ist mit der Zahl der Manuale (römisch) und Zahl der klingenden Register (arabisch) angegeben. Ein selbstständiges Pedal wird durch „P“ angezeigt, ein angehängtes Pedal durch ein „p“.
Otts Meisterstück, ohne Pedal, ursprünglich mit Windschöpf-Fußbetrieb (heute Motor), alle Register in Bass/Diskant geteilt, die mittels Schiebern und nicht Zügen geschaltet werden; Regal 8′ heute ersetzt durch Sesquialtera
bis 2017 stillgelegt in Göttingen erhalten, aber nicht spielbar. Im Januar 2017 Transferierung nach Ichenhausen-Oxenbronn, St. Blasius, durch Orgelbau Geßner (Weißenhorn), dabei auch Umdisponierung. Gehäuseentwurf: Julius Ott, Harleshausen → Orgel
Neubau im Mittelschiff vor der Westwand; Prospektentwurf von Julius Ott, Harleshausen; 1964 umgebaut durch Paul Ott; 1984 überholt durch Karl Schuke Berliner Orgelbauwerkstatt
Neubau der Chororgel unter Wiederverwendung von Gehäuseoberteil und HW-Windlade einer Orgel des Johann Andreas Zuberbier (ursprünglich I/9) sowie Neubau eines Orgelpositivs auf der Musikempore (I/5)[7]
Bis 2016 waren nur 12 von 27 geplanten Registern fertiggestellt (Brustwerk und Rückpositiv waren vakant). 2016 Erweiterung der Orgel und Vervollständigung der fehlenden Register durch Orgelbau Bosch (III/P/28). → Orgel
Erbaut in 2 Abschnitten: 1956 Hauptwerk, Brustwerk und Pedal, 1963 Rückpositiv und einige weitere Register. Orgelgehäuse im Stil der 1950er Jahre von Jan Wilhelm Prendel. 2012 durch Neubau ersetzt, Verkauf nach Frankreich.
Die Orgel wurde ursprünglich in der Emmauskirche in Kassel aufgestellt. Im Jahr 2001 wurde sie der Lutherischen Kirche in Jaroslawl gespendet und dort 2015 installiert.[9]
→Orgel 1970 Einbau eines Schwellers durch Ott für das Burstwerk, 1996 abgebaut durch Rösel&Hercher und 2004 in etwas verkleinerter Form, dabei auch Dispositionsänderung in Gera, St. Elisabeth aufgebaut (III/P/40) →Orgel
Erweiterung der Orgel von Johann Dietrich Kuhlmann (1825) um ein Rückpositiv mit 5 Registern. Dieser Umbau wurde inzwischen wieder rückgängig gemacht; das Rückpositiv wurde zu einem selbständigen Positiv umgebaut und in Herzberg/Harz aufgestellt.
Nach dem ersten Umbau von Ott 1937 stand das Hinterwerk (diatonisch) auf der Empore mit einem Freipfeifenprospekt. Nach dem zweiten Umbau durch Ott wurde es als Rückpositiv mit einem Barockprospekt (aber in falschen Proportionen) in die Brüstung gestellt.
Karl Heinz Bielefeld: Orgeln und Orgelbauer in Göttingen. Pape Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-921140-75-8.
Uwe Pape: Paul Ott – Protagonist des Baus von Schleifladenorgeln zwischen den beiden Weltkriegen. In: Alfred Reichling (Hrsg.): Aspekte der Orgelbewegung. Merseburger, Berlin/Kassel 1995, ISBN 3-87537-261-1, S. 263–298.
Uwe Pape: Paul Ott und die Anfänge der Orgelbewegung. Pape, Berlin 1979. (Beiheft zur Schallplattenkassette Hugo Distler – Das Komponistenportrait 1001).
↑ abDietrich Wölfer: Die Hausorgel von Hugo Distler. Die Chronik einer Odyssee und ihre zeitgeschichtlichen Hintergründe. Schmidt-Römhild, Lübeck 2008, ISBN 978-3-7950-1284-7.