Norman Lloyd wurde im November 1914 in eine jüdische Familie aus New York geboren. Dank seiner theaterinteressierten Mutter stand er bereits in seiner Kindheit als Sänger und Tänzer auf der Bühne. Nach dem Besuch der Highschool begann er ein Studium an der New York University, das er aber nach dem zweiten Studienjahr abbrach. Seine professionelle Schauspielkarriere begann er 1932 bei Eva Le GalliennesCivic Repertory Theatre. Er etablierte sich inmitten der Great Depression als Teil des politisch und sozial engagierten Theaters am Broadway.[3]
Anschließend schloss Lloyd sich dem legendären Mercury Theatre von Orson Welles an.[3] Unter Welles’ Regie spielte er beispielsweise 1937 den Dichter Cinna in dessen gefeierter und einflussreicher Bühnenproduktion von Shakespeares Julius Caesar. Auch im Radio trat er häufiger als Hörspielsprecher auf, ebenfalls für das Mercury Theatre. Als Welles in Hollywood von RKO Pictures unter Vertrag genommen wurde, um dort Citizen Kane zu drehen, gehörte Lloyd wie viele weitere Mercury-Schauspieler ursprünglich zu der geplanten Besetzung des Filmes und war wohl für die Rolle des Mr. Bernstein angedacht – doch da Lloyd eine junge Familie zu versorgen hatte und die Wartezeit bis zum Drehbeginn von Citizen Kane sich als zu lang herausstellte, kehrte er zum Broadway zurück.[4][5] 1938 wirkte er in der Titelrolle des Johnny Appleseed in dem gleichnamigen Musical mit; für diesen Auftritt erhielt er hervorragende Kritiken. Er spielte außerdem in mehreren Stücken unter Regie von Elia Kazan.[6] 1939 hatte er einen Auftritt in The Streets of New York, dem wahrscheinlich ersten amerikanischen Fernsehfilm überhaupt.[7][6]
Im Jahr 1941 kam Lloyd nach Hollywood. Dort spielte er in seinem ersten Film Saboteure unter der Regie von Alfred Hitchcock den amerikanischen Nazi-Spion Frank Fry, der in der wohl berühmtesten Szene des Filmes von der Freiheitsstatue in den Tod stürzt. Zwischen Hitchcock und Lloyd entwickelte sich eine lange Freundschaft.[8] 1945 hatte er in Hitchcocks Ich kämpfe um dich an der Seite von Ingrid Bergman und Gregory Peck eine Nebenrolle als Sanatoriumspatient mit Schuldkomplexen. Im selben Jahr spielte er in Jean Renoirs Filmklassiker Der Mann aus dem Süden. In Hollywood wurde der mit 1,65 Metern relativ schmächtige Lloyd nur in Nebenrollen besetzt. 1948 übernahm er seine erste Aufgabe hinter der Kamera: Als Regieassistent von Lewis Milestone beim Filmmelodram Triumphbogen.[8] Er arbeitete jedoch auch weiterhin als Darsteller, unter anderem in M (1951), einem US-amerikanischen Remake von Fritz Langsgleichnamigem deutschen Filmklassiker. In Charlie Chaplins Tragikomödie Rampenlicht (1952) verkörperte er die Rolle des Ballettdirektors Bodalink.
Während der 1950er-Jahre, in der McCarthy-Ära, geriet Lloyd durch seinen linksliberalen politischen Aktivismus in den Verdacht, ein Kommunist zu sein. Er kam auf eine Graue Liste, eine Art Verdächtigenliste und Vorstufe der „Schwarzen Liste“, woraufhin er in Hollywood kaum noch Arbeit finden konnte.[9][10] Sein Freund Hitchcock beschäftigte ihn schließlich von 1957 bis 1965 als Regisseur, ausführenden Produzenten und gelegentlichen Schauspieler in seiner populären Fernsehserie Alfred Hitchcock Presents (1957–1965). In Zusammenarbeit mit der Produzentin Joan Harrison, die als Hitchcocks rechte Hand galt, koproduzierte Lloyd 1968 die britische Anthologie-SerieReise ins Ungewisse(Journey to the Unknown). In den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren setzte er seine Arbeit als Regisseur und Produzent von Fernsehserien und Fernsehfilmen fort. Unter anderem fungierte er als Produzent der ersten Staffel von Roald Dahls Fernsehserie Tales of the Unexpected.
Anfang der 1990er-Jahre veröffentlichte Lloyd seine Autobiografie Stages of Life in Theatre, Film and Television.[12] Bis zu seinem Tod trat Lloyd immer wieder bei Retrospektiven alter Filme sowie als Interviewpartner für Dokumentationen auf. 2020 erhielt er einen Ehrenpreis der Los Angeles Film Critics Association in der neugegründeten Kategorie Legacy Award.[13] In dem Kinofilm Ich & Orson Welles (2008), den Lloyd selbst nicht leiden konnte, wurde er als historische Figur von dem Schauspieler Leo Bill verkörpert.[14]
Privatleben
Am 29. Juni 1936 heiratete Lloyd die zwei Jahre ältere Broadwayschauspielerin Peggy Craven, die er kennengelernt hatte, als sie gemeinsam unter Regie von Elia Kazan in dem Stück Crime spielten. Sie bekamen zwei Kinder, den Sohn Michael und die selbst als Schauspielerin arbeitende Tochter Josie Lloyd (1940–2020). Peggy verstarb am 30. August 2011 im Alter von 98 Jahren.[15] Die 75 Jahre dauernde Ehe galt als eine der längsten in Hollywood.
Lloyds größtes Hobby war Tennis, das er noch bis zum Jahr 2015 zweimal wöchentlich spielte. Charlie Chaplin war lange dreimal die Woche sein Tennispartner, über ihn äußerte Lloyd später: „Er war ziemlich gut, sehr leistungsfähig. Eine Freude. Aber er wollte seine Brille nicht tragen, deswegen konnte er am Netz den Ball nie wirklich sehen …“.[16][14] Er pflegte ebenfalls Freund- oder Bekanntschaften mit deutschsprachigen Exilanten wie Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht, Arnold Schönberg und Hanns Eisler.[17]
Lloyd starb am 11. Mai 2021 im Alter von 106 Jahren in seinem Haus in Brentwood, einem Stadtteil von Los Angeles.[1][2]
↑Norman Lloyd: Stages of Life in Theatre, Film, and Television. Limelight Editions, 1993, ISBN 978-0-87910-166-4 (google.de [abgerufen am 13. Mai 2021]).
↑Meet Norman Lloyd, the 100-year-old star of Trainwreck. In: The Telegraph. 26. August 2015, ISSN0307-1235 (telegraph.co.uk [abgerufen am 2. Juli 2020]).