LudologieLudologie (lateinisch ludus ‚Spiel‘ und griechisch λόγος lógos, deutsch ‚Lehre‘, ‚Sinn‘, ‚Rede‘, ‚Vernunft‘[1]) ist die „Lehre“ und Wissenschaft vom Spielen: Gesellschaftsspiel, analoges Spiel und digitales Spiel. BegriffDie Ludologie bearbeitet einen Teilbereich der Spielwissenschaft. Im Unterschied zu der älteren, breiter angelegten Spielwissenschaft fokussiert sich das Interesse der aus dem angelsächsischen Bereich transferierten Disziplin Ludologie vornehmlich auf das digitale Spiel. Sie bezeichnet den noch jungen, transdisziplinären Forschungszweig, der sich an der Schnittstelle von Kultur- und Strukturwissenschaften mit den ästhetischen, kulturellen, kommunikativen, technischen und strukturellen Aspekten des Phänomens „Spiel“ auseinandersetzt. Den Schwerpunkt der Betrachtung bilden dabei Geschichte, Entwicklung, Analyse und Theorie digitaler Spiele. Der Begriff ist vor allem im angelsächsischen Sprachraum gebräuchlich und wird meist synonym zum Terminus (Video-)Spieltheorie verwendet. In Deutschland wird dieser Begriff zumeist umfassender im Wortsinne „der Lehre vom Spiel“ verstanden in der Bedeutung des kulturbezogenen Menschenbildes des Homo ludens von Johan Huizinga.[2] Im engeren Kontext der „Ludologie versus Narratologie“-Debatte dagegen bezeichnet Ludologie das Paradigma, in dem das Prinzip der Simulation als das Kernkonzept des Spiels aufgefasst wird. Aus diesem Grund findet alternativ der neutrale Begriff Spieleforschung (englisch Game Studies) Verwendung. Der engere Spielbegriff der Ludologie zeigt sich auch in der Reduzierung auf das historische Wort Ludus, wohingegen die „Spielwissenschaft“ den gesamten Phänomenkomplex umfasst und erforscht, der sich nach der von ihr erarbeiteten Systematik über die Kategorien ludus (Regelspiele, Sportspiele im Gegensatz zum freien Spiel, Brettspiel), Agon (= Kampfspiel, Sportspiel), Alea (Glücksspiel, Hasardspiel), Mimikri (Maskenspiel, Marionettenspiel), Circenses (Zirkusspiele, Schauspiel) und Ilinx-( = Ritual-)Spiele erstreckt (vgl. Roger Caillois).[3] Eine weitere Orientierung zum Begriff Ludologie ergibt sich aus der Kategorisierung des amerikanischen Entwicklungspsychologen Uri Bronfenbrenner (1917–2005).[4] Er unterteilt folgende fünf Entwicklungsstufen: Explorationsspiele, Phantasiespiele, Rollenspiele, Konstruktionsspiele und Regelspiele. Als Kind muss sich der Mensch erst unterschiedliche Spielkompetenzen erwerben, bis er so etwas Komplexes wie ein Regelspiel, eine erfundene Ordnung mit regulativen Ideen, mit Freude bewältigen kann. Deutsche Spielwissenschaftler reduzieren die Ludologie nicht allein auf digitale Regelspiele, sondern beziehen diese entwicklungspsychologischen Grundlagen in ihr Erfahrungsobjekt Spiel und ihr Erkenntnisobjekt Spielen mit ein. GeschichteNachdem bereits die Philanthropen mit GutsMuths oder Basedow im 18. Jahrhundert systematische spielwissenschaftliche Forschung betrieben und Forscher unterschiedlicher Disziplinen wie Herbert Spencer (1865), Moritz Lazarus (1883), Karl Groos (1899) oder Jean Piaget (1975) sich im 19. und 20. Jahrhundert intensiv mit dem Phänomen Spiel auseinandergesetzt hatten, erreichte die Spielwissenschaft mit den Analysen und Erkenntnissen von Friedrich Schiller, Johan Huizinga oder Frederik Jacobus Johannes Buytendijk erste Höhepunkte der wissenschaftlichen Spieltheorie. Daran konnte die mit dem Aufkommen der Videospiele und des Computerzeitalters entstandene Ludologie anknüpfen und ihren Schwerpunkt im Bereich des digitalen Spiels finden. Gegen Ende der 1990er-Jahre häuften sich Veröffentlichungen zur Thematik, und es formierte sich eine neue wissenschaftliche Disziplin. Dies war maßgeblich der zunehmenden Etablierung digitaler Spiele, ihren Auswirkungen auf die Gegenwartskultur sowie ihrer wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung zu verdanken. Die Bezeichnung „Ludologie“ wurde 1999 durch einen Artikel von Gonzalo Frasca einem breiteren Fachpublikum bekannt. Im Wintersemester 2015/2016 führte die Universität Bayreuth erstmals in Deutschland den Masterstudiengang Computerspielwissenschaften ein. Lern- und Forschungsschwerpunkte liegen hierbei in den Bereichen Game Studies, Medienwissenschaft, Kulturwissenschaft und Informatik.[5][6][7] Im Bachelorstudiengang der Medienwissenschaft und Medienpraxis lässt sich der Fokus auf Computerspiele legen.[8] Seit 2018 besteht an der design akademie berlin, SRH Hochschule für Kommunikation und Design der Bachelorstudiengang Game Studies.[9] StatusDie Ludologie als eigenständiger, transdisziplinärer Forschungszweig befindet sich noch im Frühstadium. Sie befasst sich in weiten Teilen zunächst mit Fragen der Kanonbildung und der Einigung auf grundlegende Begrifflichkeiten und Kategorien. Schwierig gestaltet sich dies nicht nur durch die teils hohe Interdisziplinarität, sondern auch aufgrund der vielfältigen Ausprägungen bereits fest im Alltagsgebrauch verschiedener Sprachen verankerter Termini, deren Bedeutung im wissenschaftlichen Kontext neu festgelegt werden muss. Als prägnantes Beispiel dafür mag der Begriff „Spiel“ selbst dienen, über dessen klare Abgrenzung man sich alles andere als einig ist. Wesentliche Beiträge zur Klärung der Definitionsfrage haben 2003 Salen/Zimmerman und Jesper Juul (nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter) geleistet. Jens Junge schlägt die Orientierung an der historischen Menschheitsentwicklung sowie dem englischen Sprachgebrauch für eine Abgrenzung vor.[10]
Der wissenschaftliche Diskurs wird derzeit überwiegend von Akademikern aus angelsächsischen und den nordischen Ländern dominiert. Insbesondere sind deren Bemühungen, für sowohl Forschung als auch Lehre und die Industrie geeignete Institutionen zu schaffen und zu koordinieren, bereits weit fortgeschritten. Neben der hohen Anzahl spielespezifischer Studiengänge, vornehmlich in Großbritannien und den USA, ist dabei vor allem die Einrichtung des Center for Computer Games Research der IT-Universität Kopenhagen (ITU) zu erwähnen, das als Denkfabrik der europäischen Ludologie fungiert.[11] In Deutschland liefert der game - Verband der deutschen Games-Branche seit 2018 mit der gamesmap.de einen Überblick zu allen Akteuren der Branche.[12] Darüber hinaus sind sämtliche in Deutschland von Hochschulen angebotenen Studiengänge rund um die Game-Entwicklung sowie die Ausbildungsangebote der Berufsfachschulen im Ausbildungskompass-Games enthalten.[13] Im deutschsprachigen Raum ist die Selbstorganisation der Spieleforscher bisher noch eher unverbindlich und multidisziplinär strukturiert. Auch gibt es weniger fundierte Industriekontakte, und die Wirkungsforschung besitzt aus politischen Gründen einen höheren Stellenwert als im Ausland. Die Formierung der AG Computerspiele der Gesellschaft für Medienwissenschaft e. V. ist allerdings ein Anzeichen dafür, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. Erste deutsche Professuren mit entsprechendem Schwerpunkt wurden im Dezember 2002 am Institut für Simulation und Grafik der Universität Magdeburg und im März 2006 auch am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Ilmenau besetzt. Das Institut für Ludologie wurde an der SRH Berlin School of Design and Communication im Oktober 2014 gegründet.[14] Die Medien greifen inzwischen das menschliche Grundphänomen Spielen häufiger auf, um es zu hinterfragen und nach Erklärungsansätzen zu suchen.[15][16] ForschungsinhaltePrimärer Fokus der Ludologie sind die digitalen Spiele, wofür es neben deren Status als massenkulturellem Phänomen auch prinzipielle Gründe gibt: Der Computer gilt als Universalmedium. Das hat zur Folge, dass nicht nur beliebige traditionelle Spiele auf ihm umgesetzt, simuliert oder computergestützt gespielt werden können, sondern auch eine ganze Reihe von neuartigen Spielen, teils in Kombination mit Inhalten und Techniken anderer Medienformen (z. B. Literatur und Film), nur so möglich wird. Diese Konvergenzentwicklung macht digitale Spiele zum idealen Anschauungsobjekt, um allgemeine Erkenntnisse über das Spielen zu gewinnen, wobei die elementaren Grundlagen des freien Spiels und der Brett- und Kartenspiele als solche identifiziert werden können. Relevante Fragestellungen befassen sich dabei unter anderem mit folgenden Bereichen:
Ludologie vs. NarratologieZu Beginn leistete sich die Spielforschung eine hitzig geführte Grundsatzdebatte, deren Auswirkungen in Form von ideologischen Grabenkämpfen teilweise immer noch spürbar sind. NarratologenAusgangspunkt war der Ansatz einiger Literatur- und Medienwissenschaftler, wie Janet Murray und Celia Pearce, ihr traditionelles Instrumentarium zur Analyse von Texten auf diejenige digitaler Spiele zu übertragen. Zu diesem Zweck werden Spiele als eine weitere Form von Text deklariert, die dann den bekannten Gesetzmäßigkeiten folgt. „Text“ wird hierbei als kommunikatives Generalkonzept verstanden, als universelles Mittel zur „Konstruktion von Sinn“ und umfasst somit auch Theater, Film und beliebige andere Erzählformen; selbst ein Spiel wie Schach wird in diesem Paradigma als Erzählung angesehen. LudologenDies wurde von der wachsenden Gruppe von Ludologen um Espen Aarseth kategorisch als unzutreffend abgelehnt; sie setzten stattdessen auf das Prinzip der Simulation, des Agierens „als ob“, als Kern des Spiels an sich:
– Aarseth, 2004 Jedes Spiel zeichnet sich danach durch folgende Elemente aus: Regeln (das explizite Regelwerk, aber auch implizite Regeln der Spielmechanik), die Spielwelt (ein materielles/semiotisches System) und das Gameplay (die Ereignisse, welche sich aus der Anwendung der Regeln auf die Spielwelt und die Aktionen der Spieler ergeben). DiskursDie Heftigkeit der ursprünglichen Debatte erklärt sich in erster Linie aus ihrer Wahrnehmung als Schlüsselkonflikt um die Deutungshoheit des Phänomens „Spiel“. Die Position der Narratologen wurde von den Ludologen als Okkupationsversuch durch das Überstülpen unzulässig verallgemeinerter Konzepte eines fremden Fachgebiets angesehen, was in der Folge zu einer bewussten Radikalisierung und Polemisierung auch der Argumentation einiger Simulationisten führte. Exemplarisch hierfür ist ein in diesem Kontext zu relativer Berühmtheit gelangtes Zitat von Markku Eskelinen:
– Markku Eskelinen Vorherrschend in der internationalen Spielforschung ist mittlerweile eine gemäßigte ludologische Sichtweise. Diese erkennt neben der Simulation als Grundprinzip des Spiels die Nützlichkeit einer traditionell textuellen Analyse von Spielinhalten zwar durchaus an, allerdings nur dann, wenn auch originär narrative Elemente vorhanden sind, was für viele Spiele, wie z. B. Schach oder Tetris, verneint wird. Siehe auchLiteratur
Aufsätze
WeblinksWiktionary: Ludologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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Forschungsinstitute
BlogsLiteraturarchive
Einzelnachweise
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