Liepāja (deutschLibau, livischLīepõ, russischЛиепая, Либава) ist eine Hafenstadt an der Ostsee im Westen Lettlands. Mit 67.591 Einwohnern (Stand: 1. Januar 2022) ist sie die drittgrößte Stadt des Landes.[2]
Die Stadt entstand aus einem kleinen kurischen Dorf an der Mündung der Lyva. Erstmals erwähnt wird der Ort als „Lyva“ im Jahre 1253.[3] Als kleiner unbefestigter Hafenort im Staatsgebilde des Livländischen Ordens wurde Liwa (diese Schreibweise hatte sich im 14. Jahrhundert durchgesetzt) mehrmals von den Litauern niedergebrannt, unter anderem 1418.[4] Im Hafen von Liwa wurden im 15. Jahrhundert Holz, Fleisch, Fisch und Butter umgeschlagen. Doch blieb Liwa hinter den konkurrierenden Häfen Memel und Windau zurück.[5]
Frühe Neuzeit
Infolge der Reformation entstanden in Libau zwei lutherische Gemeinden. Die eine Gemeinde (St. Anna) bildeten die Evangelischen lettischer Sprache, die andere (Trinitatis) die Evangelischen deutscher Sprache.[6] 1560 wurde Libow als Teil der Komturei Grobiņa für fast 50 Jahre (bis 1609) an Preußen verpfändet.[7] In dieser Zeit stieg die Bevölkerungszahl unter anderem durch Zuwanderung aus Deutschland. Die Verleihung des Stadtrechts erfolgte 1625 durch Herzog Friedrich von Kettler von Kurland und Semgallen.[8] König Sigismund III. Wasa von Polen-Litauen bestätigte als Suzerän des Herzogs die städtischen Rechte im Jahr darauf.
Von 1697 bis 1703 wurde der Handelskanal zum Libauer See in Betrieb genommen. Der Hafen befindet sich bis heute an der verbreiterten Mündung des Kanals und war ab 1730 auch für große Schiffe befahrbar.
19. Jahrhundert
Libau fiel 1795 mit dem Herzogtum Kurland an das Russische Kaiserreich und gehörte fortan zum Gouvernement Kurland. Für Russland hatte die Stadt wegen ihres eisfreien Hafens große militärische und wirtschaftliche Bedeutung. In ihr lebten damals 4548 Einwohner. Nach mehr als hundert Friedensjahren waren es 1914 bereits 94.000. Im 19. Jahrhundert bekam Libau einen Eisenbahnanschluss (1869/1876) und wurde ein bedeutendes Industriezentrum. Ab 1899 fuhr hier die erste elektrische Straßenbahn im Baltikum. In diesem Jahr wurde auch mit dem Ausbau des Kriegshafens (siehe Karosta) als strategische Flottenbasis begonnen. Von 1906 bis 1914 bestand direkter Schiffsverkehr nach New York. Den Hafen Libaus nutzten unter anderem mehrere hunderttausend Auswanderer.
20. Jahrhundert
Der Erste Weltkrieg begann für die Libauer am 2. August 1914 mit der Beschießung des Hafens durch ein deutsches Kriegsschiff. Am 8. Mai 1915 besetzten deutsche Truppen Libau infolge der Schlacht um Schaulen.[11] Seit Kriegsbeginn hatte sich die Einwohnerzahl der Stadt durch Zwangsevakuierungen ins innere Russland und wirtschaftlichen Niedergang auf 43.600 im Jahr 1915 verringert. Nach dem Kriegsende besetzten die Roten Lettischen Schützen und die Rote Armee fast das ganze lettische Territorium und gründeten die Lettische Sozialistische Räterepublik mit Pēteris Stučka an der Spitze. Die lettische provisorische Regierung, die vom Volksrat in Riga proklamiert worden war, floh Anfang 1919 nach Libau, wo Schiffe der britischen Flotte ankerten. Außerdem befanden sich noch die Vertreter der Entente sowie der Soldatenrat und das Generalkommando der deutschen Truppen in der Stadt. Am 16. April 1919 fand hier ein Putschversuch einer kleinen Einheit der Baltischen Landeswehr statt, in dessen Folge ein Regierungskabinett mit dem protestantischen Pastor Andrievs Niedra als Ministerpräsidenten gebildet wurde. Der Ministerpräsident der provisorischen Regierung Kārlis Ulmanis lebte daraufhin bis zum 27. Juni 1919 auf dem Schiff „Saratow“, das unter englischem Schutz im Hafen ankerte. 1935 lebten in der Stadt rund 4500 Deutschbalten.
Der Verkehr im Hafen sank nach 1920 auf ein Zwölftel des früheren Umfangs. Von wirtschaftlicher Bedeutung waren die Anbindung an die Eisenbahnstrecke nach Jelgava (1929) und die Gründung des Freihafens (1931). Es entstanden auch kulturelle Einrichtungen wie Oper (1922) und Philharmonie (1927).
In Folge des Hitler-Stalin Paktes wurde am 30. Oktober 1939 der Vertrag zur Umsiedlung lettischer Bürger deutscher Volkszugehörigkeit ins Deutsche Reich veröffentlicht. Die Aussiedlung von 51.000 Deutschbalten ins Deutsche Reich erfolgte kurzfristig. Im Frühjahr 1941 gab es noch eine sogenannte „Nachumsiedlung“ von ca. 10.500 Deutschbalten. Damit endete 1941 die 750-jährige deutschbaltische Geschichte einer gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch dominierenden Bevölkerungsschicht. Die Libauer Bevölkerungsstruktur wurde dadurch wesentlich verändert.
Anfang 1940 wurden in Liepāja 15.000 Soldaten der Roten Armee stationiert. Im Sommer folgte die förmliche Besetzung des Landes. Allein am 14. und 15. Juni 1941 wurden um die 2000 Stadtbewohner nach Sibirien deportiert. Nach der Eroberung Liepājas durch deutsche Truppen am 29. Juni 1941 war die Stadt bis zum 9. Mai 1945 deutsch besetzt. Die meisten der über 7000 jüdischen Einwohner wurden bei den Massakern in Liepāja durch Wehrmacht und SS bei sogenannten Geiselerschießungen umgebracht, über 3000 davon vom 15. bis 17. Dezember 1941 in Šķēde.[12]
Bis 1974 hatte die Stadt wieder 100.000 Einwohner. Von diesen waren mehr als die Hälfte aus der Sowjetunion angeworbene Familien.
21. Jahrhundert
Liepāja wird 2027 zusammen mit der portugiesischen Stadt ÉvoraKulturhauptstadt Europas[15]. Nach 2014 mit der Hauptstadt Riga ist Liepāja die zweite lettische Kulturhauptstadt Europas.[16]
Sehenswürdigkeiten
Sehenswert sind die Innenstadt mit dem alten Speicherviertel, der breite und feinsandige Dünenstrand an der Ostsee sowie
die evangelischeDreifaltigkeitskathedrale (Einweihung 1758) in der Nähe des Rosenplatzes. Die Orgel der Dreifaltigkeitskirche war nach dem Umbau im Jahre 1885 durch Barnim Grüneberg bis 1912 die größte der Welt mit 131 Registern, vier Manualen und mehr als 7000 Pfeifen und gehört auch heute noch zu den größten in Europa.
die evangelische St.-Anna-Kirche (Einweihung 1587) mit einem monumentalen holzgeschnitzten Altaraufsatz von 1697, einem Meisterwerk der Barockzeit
die evangelische Martin-Luther-Kirche, erbaut von 1914 bis 1934[17]
die katholischeSt.-Josef-Kathedrale in der Nähe des Alten Marktplatzes, Erstbau von 1762, heutige neuromanische Basilika 1894–1900
die orthodoxe Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, erbaut 1867
die orthodoxe St.-Alexey-Kirche, erbaut von 1905 bis 1907
dem historischen Militärgefängnis, das über hundert Jahre von den wechselnden Landesherren genutzt wurde. Das Gebäude beinhaltet heute ein Museum und eine Herberge. Alle Räume sind im Originalzustand erhalten oder werden nach und nach wieder instand gesetzt.
der Festung (neun Teile, zwei davon am Kriegshafen)
der Manege
zahlreichen seit dem Abzug des sowjetischen Militärs leerstehenden alten Gebäuden
der Konzertsaal Großer Bernstein (Lielais dzintars), Eröffnung im Jahr 2015
das Museum Liepāja zur Stadtgeschichte von der Steinzeit bis zum 19. Jahrhundert
die Markthalle Pētertirgus wurde 1910 im Jugendstil errichtet
Seit dem 31. Juli 2023 besteht auf der Eisenbahnstrecke nach Riga täglicher Personenverkehr.
Der europäische Radwanderweg EV10 verläuft durch Liepāja, in wenigen Abschnitten auf einem straßenbegleitenden Radweg.[19]
Die Straßenbahn Liepāja besteht aus einer Linie, die im Mai 2013 in den Bezirk Ezerkrasts 2 verlängert wurde.
Der Flughafen Liepāja (LPX) liegt 8 km östlich der Stadt auf einem 217 ha großen Gelände und ist seit dem 26. Mai 2016 nach Renovierung wieder geöffnet.[20] Die Abmessung des Runway ist 2002 × 40 m. Seit 2017 bietet Air Baltic regelmäßige Flüge zwischen Liepāja und Riga an.
Wirtschaft
Hauptexportgüter sind Stahlwaren, Möbel und Textilien. Von Bedeutung ist der Dienstleistungssektor.
Der Hafen von Liepāja steht beim Güterumschlag an dritter Stelle der lettischen Häfen (hinter Riga und Ventspils). Im Jahre 2016 wurden in Liepāja 9 % der lettischen Importe und Exporte über See umgeschlagen.[21]
Die Kunstgewerbeschule von Liepāja gehört zu den wenigen Ausbildungsstätten weltweit, an denen Wissen über die künstlerische Verarbeitung von Bernstein vermittelt wird. Auch einige der an der Rekonstruktion des Bernsteinzimmers im Katharinenpalast in Puschkin beteiligten Kunsthandwerker und Künstler haben diese Schule besucht.
Sigurds Rusmanis, Ivars Vīks: Kurzeme. In: Izdevniecība Latvijas Enciklopēdija, Riga 1993, ISBN 5-89960-030-6, S. 22–34 (Stadtgeschichte und Erläuterungen zu zahlreichen Sehenswürdigkeiten, lettisch).
Arthur Hoheisel: Die Libauer Ratslinie von 1597 bis 1889. In: Baltische Ahnen- und Stammtafeln. Sonderheft 18. Köln 1998. S. 29–58.
Edward Anders: Jews in Liepaja, Latvia, 1941–1945. A memorial book. Anders Press, Burlingame 2001.
Uļa Gintnere: Liepāja laikmetu dzirnavās. Kurzemes Vārds, Liepāja 2005, ISBN 9984-9190-4-8.
↑Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus. Böhlau, Köln 2007, S. 4.
↑Hans Feldmann, Heinz von zur Mühlen (Hrsg.): Baltisches historisches Ortslexikon, Bd. 2: Lettland (Südlivland und Kurland). Böhlau Verlag, Köln 1990, S. 344.
↑Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus. Böhlau, Köln 2007, S. 6.
↑Hans Feldmann, Heinz von zur Mühlen (Hrsg.): Baltisches historisches Ortslexikon, Bd. 2: Lettland (Südlivland und Kurland). Böhlau Verlag, Köln 1990, S. 346.
↑Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus. Böhlau, Köln 2007, S. 8–9.
↑Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus. Böhlau, Köln 2007, S. 9.
↑Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus. Böhlau, Köln 2007, S. 22.
↑Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus. Böhlau, Köln 2007, S. 23.
↑Michael Garleff: Die Deutschbalten als nationale Minderheit in den unabhängigen Staaten Estland und Lettland. In: Gert von Pistohlkors (Hrsg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. Baltische Länder. Siedler, Berlin 1994, ISBN 3-88680-214-0, S. 451–550, hier S. 452.
↑Margers Vestermanis: Ortskommandantur Libau, erschienen in Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, Zweitausendeins, 1995, ISBN 3-86150-198-8, S. 241 ff.
↑Kurt W. Böhme: Die deutschen Kriegsgefangenen in sowjetischer Hand. Eine Bilanz (= Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges, herausgegeben von Erich Maschke, Bd. 7). Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1966, S. 79.
↑Andreas Oeding, Broder Schwensen, Michael Sturm: Flexikon. 725 Aha-Erlebnisse aus Flensburg! Flensburg 2009, Artikel: Bunker