Kurt Pätzold kam 1945 mit seiner Familie nach Thüringen. Er studierte von 1948 bis 1953 Geschichte, Philosophie und politische Ökonomie an der Universität Jena und wurde dort 1963 mit der Arbeit Der Zeiss-Konzern in der Weltwirtschaftskrise zum Dr. phil. promoviert. 1973 habilitierte er sich an der Humboldt-Universität zu Berlin mit der Promotion BAntisemitismus und Judenverfolgung (Januar 1933 bis August 1935). Eine Studie zur politischen Strategie und Taktik des faschistischen deutschen Imperialismus.[1] Nach der Wende wurde er im Zuge der Abwicklung der Sektion Geschichte 1992 entlassen. Das Procedere seiner Entlassung bezeichnet der frühere langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, in einem Nachruf als „skandalös“ und unwürdig.[2]
Jüngeren, regimekritischen Historikern wie Wolfram Brandes galt Pätzold indes „als harter Gefolgsmann der SED“.[3] Bereits im April 1946 war er der KPD (später SED) beigetreten, für die er an der Universität Jena von 1954 bis 1960 auch hauptamtlich arbeitete, darunter zwei Jahre als Sekretär der SED-Parteileitung. Nach der Friedlichen Revolution von 1989 wurde ihm vor allem die aktive Beteiligung an der politischen Verfolgung kritischer Wissenschaftler und Studenten zum Vorwurf gemacht, so geschehen in den Jahren von 1956 bis 1958 an der Universität Jena, ebenso wie 1968, 1971/72 und 1976 an der Humboldt-Universität Berlin. 1990 entschuldigte sich Kurt Pätzold dafür.[1] Nach dem Ende der DDR wurde er zu einem der Sprecher des als linksextremistisch eingestuften Marxistischen Forums der PDS.
Pätzold schrieb regelmäßig für die Junge Welt und war Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehörten die Geschichte des Faschismus und der NSDAP, Entwicklungen im Bereich des Geschichtsrevisionismus sowie die Geschichte des Antisemitismus und der Judenverfolgung. Dabei setzte er Wolfgang Benz zufolge mit seiner Arbeit Faschismus, Rassenwahn, Judenverfolgung (1975) ein „bedeutsames Zeichen der marxistischen Antisemitismus- und Faschismusforschung“. Aber auch seine Studien zum Nationalsozialismus als deutsche Variante des Faschismus und zur Geschichte der NSDAP seien beachtliche Forschungsleistungen. Zudem habe Pätzold mit seinen biografischen Arbeiten zu Adolf Hitler, Rudolf Heß, Julius Streicher und dem Transportoffizier Adolf Eichmanns, Franz Novak, teilweise Neuland betreten und „neue Perspektiven eröffnet“. Pätzold sei über den materialistisch-dialektisch orientierten Kreis hinaus auch für die Historikerzunft insgesamt ein „bedeutende[r] Kollege“ gewesen.[2]
Kurt Pätzold war Vater dreier Kinder. Er erlag im August 2016 einem Krebsleiden.[4]
Publikationen
Als Autor:
Der Zeiss-Konzern in der Weltwirtschaftskrise [1929–1933]. Jena 1963 DNB481922504 (Dissertation Universität Jena, Philosophische Fakultät, 22. Februar 1963, 271 Seiten).
Faschismus, Rassenwahn, Judenverfolgung. Eine Studie zur politischen Strategie und Taktik des faschistischen deutschen Imperialismus 1933–1935. Berlin 1975.
mit Manfred Weißbecker: Hakenkreuz und Totenkopf. Die Partei des Verbrechens. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (DDR) 1981. Im gleichen Jahr in der BRD erschienen als Geschichte der NSDAP 1920–1945. Pahl-Rugenstein Verlag 1981, Köln 1981.
Adolf Hitler. Das faschistische Kabinett wird gebildet. In: Helmut Bock/Wolfgang Ruge/Marianne Thoms (Hrsg.): Sturz ins Dritte Reich. Historische Miniaturen und Porträts 1933/35. Urania-Verlag, Leipzig/Jena/Berlin 1983, S. 79–86.
Julius Streicher. Herrenrasse formiert sich. In: Helmut Bock/Wolfgang Ruge/Marianne Thoms (Hrsg.): Sturz ins Dritte Reich. Historische Miniaturen und Porträts 1933/35. Urania-Verlag, Leipzig/Jena/Berlin 1983, S. 290–296.
Antikommunismus und Antibolschewismus als Instrumente der Kriegsvorbereitung und Kriegspolitik. In: Norbert Frei, Hermann Kling: Der nationalsozialistische Krieg. Frankfurt am Main 1990, S. 122 ff.
mit Erika Schwarz: Tagesordnung: Judenmord. Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942. Eine Dokumentation zur Organisation der „Endlösung“. Berlin 1992.
Kurzfassung: „Die vorbereitenden Arbeiten sind eingeleitet.“ Die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942. In: Antisemitismus und Massenmord. Beiträge zur Geschichte der Judenverfolgung (= Texte zur politischen Bildung. Bd. 16). Rosa-Luxemburg-Verein Sachsen, Leipzig 1994, ISBN 3-929994-14-3, S. 31–51.
mit Erika Schwarz: „Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof“. Franz Novak. Der Transportoffizier Adolf Eichmanns. Berlin 1994.
mit Manfred Weißbecker: Adolf Hitler. Eine politische Biographie. Leipzig 1995.
mit Peter Black: Stufen zum Galgen. Lebenswege vor den Nürnberger Urteilen. Leipzig 1996.
mit Manfred Weißbecker: Geschichte der NSDAP 1920–1945. Papyrossa Verlag, Köln 1998, ISBN 978-3-89438-134-9. (Überarbeitete Fassung des 1981 bei Pahl-Rugenstein erschienenen Werks, 2009 in erweiterter und überarbeiteter Neuauflage)
„Ihr waret die besten Soldaten.“ Ursprung und Geschichte einer Legende. Militzke Verlag, Leipzig 2000, ISBN 3-86189-191-3.
Stalingrad und kein Zurück. Wahn und Wirklichkeit. Militzke Verlag, Leipzig 2002.
Red.: Möglichkeiten politischer Gegenmacht heute.Marxistisches Forum, Beratung am 30. April 2004, GNN, Schkeuditz 2004.
Der Führer ging, die Kopflanger blieben. Ein historisches Finale und aktuelle Kontroversen. Köln 2005.
Red.: Zu Ursachen des Scheiterns des europäischen Sozialismus. Thesen von Debatten, die das Marxistische Forum Sachsen und Leipzig sowie der RotFuchs-Verein Leipzig im Oktober und November 2004 führten. Schkeuditz 2005.
Red.: Die sozialistische Linke in Deutschland 1989 bis 2004. Kolloquium des Marxistischen Arbeitskreises zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der PDS und der Marx-Engels-Stiftung der DKP. GNN, Schkeuditz 2005.
Im Rückspiegel: „Nürnberg“. Der Prozeß gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher 1945–1946. PapyRossa, Köln 2006, ISBN 3-89438-355-0.
Die Geschichte kennt kein Pardon. Erinnerungen eines deutschen Historikers. Edition Ost, Berlin 2008, ISBN 978-3-360-01087-2.
Red.: Erinnerungsschlacht. Arbeitskonferenz des Marxistischen Forums Sachsen, Leipzig 8. November 2008. GNN, Schkeuditz 2009, ISBN 978-3-89819-316-0.
Pätzold, Kurt. In: Collegium Politicum an der Universität Hamburg. Arbeitsgruppe Historiographie (Hrsg.): Geschichtswissenschaftler in Mitteldeutschland. Ferd. Dümmerls Verlag, Bonn, Hannover, Hamburg, München 1965, S. 73.
Christiane Lahusen: Zukunft am Ende. Autobiographische Sinnstiftungen von DDR-Geisteswissenschaftlern nach 1989 (= Histoire. Band 52). Transcript, Bielefeld 2013, ISBN 978-3-8376-2585-1 (zugleich: Berlin, Humboldt-Universität, Dissertation, 2013).
Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. Biographien und Bibliographien zu den Geschichtswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik. Saur, München 2006, ISBN 3-598-11673-X, S. 472 f.
Gestorben. Kurt Pätzold, 86. In: Der Spiegel. Nr.35, 2016, S.125 (online).
↑ abWolfgang Benz: Kurt Pätzold, 3. Mai 1930 – 18. August 2016. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 64, 2016, S. 796–798.
↑Wolfram Brandes: Gralshüter kämpfen um die Macht. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. September 1990; Nachdruck in: Krise – Umbruch – Neubeginn. Eine kritische und selbstkritische Dokumentation der DDR-Geschichtswissenschaft 1989/90. Hg. von Rainer Eckert, Wolfgang Küttler und Gustav Seeber, ISBN 3-608-91368-8, Klett-Cotta, Stuttgart 1992, S. 438.