Karl Amadeus Hartmann war der jüngste Sohn des Lehrers und Malers Friedrich Richard Hartmann und dessen Frau Gertrud Hartmann. Er wuchs in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus auf. Der älteste seiner drei Brüder war der Porträtmaler Adolf Hartmann.
1919 begann er eine Lehrerausbildung in Pasing, die er jedoch nach drei Jahren abbrach. Schon damals war die Musik sein eigentlicher Berufswunsch. Zwischen 1924 und 1929 studierte Hartmann an der Staatlichen Akademie der Tonkunst in München Posaune und Komposition bei Joseph Haas. Erste Werke stellte er ab 1928 im Rahmen des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper und in Konzerten der „Juryfreien“ einem größeren Publikum vor. Experimente mit dadaistischen und vom Jazz beeinflussten Kompositionen fielen ebenfalls in diese Zeit. Jedoch vernichtete Hartmann diese Werke später. Darüber hinaus lernte er Hermann Scherchen kennen, der zu einem Vorbild werden sollte und den er auch während des Zweiten Weltkrieges mehrfach in der Schweiz traf.
Im Jahr 1934 heiratete er Elisabeth Reussmann, die er im Kreis der Juryfreien kennengelernt hatte. Im folgenden Jahr kam sein Sohn Richard zur Welt.
Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten zog er sich laut Fred K. Prieberg „nach Kempfenhausen am Starnberger See zurück und boykottierte – obwohl Mitglied der RMK – das NS-Regime, indem er seine Arbeiten vom deutschen Markt fernhielt und im Ausland platzierte, begünstigt durch eine Lücke in der Kulturkammer-Gesetzgebung, weshalb die RMK nicht einschreiten konnte“.[1] Ab 1933 komponierte er sein 1935 anlässlich der XIII. Weltmusiktage der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (ISCM World Music Days) in Prag uraufgeführtes Orchesterwerk Miserae, das er als Ausdruck des Protests gegen den Nationalsozialismus verstand. Er widmete es „Meinen Freunden, die hundertfach sterben mußten, die für die Ewigkeit schlafen, wir vergessen Euch nicht. Dachau 1933/34“.[2] Weitere Aufführungen an den ISCM Weltmusiktagen erfuhr er 1938 (Streichquartett), 1950 (Symphonie Nr. 4), 1957 (Symphonie Nr. 6), 1960 (Symphonie Nr. 7), 1963 (Symphonie Nr. 8) und 1966 (Gesangsszene).[3][4]
Bis zum Ende des Nationalsozialismus 1945 wurden seine Stücke, mit Ausnahme einer Bühnenmusik zu ShakespearesMacbeth (1942),[5] nicht in Deutschland aufgeführt. Hartmann selbst wurde nicht verfolgt, hatte sich aber in die „innere Emigration“ zurückgezogen, komponierte meist „für die Schublade“ und lebte vor allem von der Unterstützung durch seine Schwiegereltern. In diese Zeit fiel unter anderem die Komposition des 1. Streichquartetts „Carillon“ (1933), der 1. Sinfonie (1935/1936) und des Concerto funèbre (1939). Einigen Einfluss auf sein weiteres Werk hatte ein kurzer Unterricht bei Anton Webern in Maria Enzersdorf bei Wien im November 1942.
Nach dem Krieg tilgte er die meisten politischen Bezüge aus seinem Werk und versöhnte sich nach anfänglichen Auseinandersetzungen mit den während der Zeit des Nationalsozialismus aktiv gebliebenen Komponisten Carl Orff und Werner Egk. Obwohl er der Restauration in der Bundesrepublik kritisch gegenüberstand, schlug er eine Einladung des Staates DDR zur Übersiedlung aus.
Mit der steigenden Anzahl von Aufführungen seiner Werke stieg auch seine Anerkennung, die sich in vielen Ehrungen ausdrückte.
Am 5. Dezember 1963 starb Karl Amadeus Hartmann an den Folgen einer Krebserkrankung. Er wurde auf dem Münchner Waldfriedhof beerdigt. An seinem Wohnhaus an der Schwabinger Franz-Joseph-Straße ist eine Gedenktafel angebracht.
Kompositionen (Auswahl)
Bühnenwerke
Wachsfigurenkabinett (1929/30). 5 kleine Opern. Libretti: Erich Bormann
Ein zeitgeschichtliches Dokument, dem Hartmann folgende Worte voransetzte: „Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein Menschenstrom von Dachauer ‚Schutzhäftlingen‘ an uns vorüber – unendlich war der Strom – unendlich war das Elend – unendlich war das Leid – “
Von dieser Sonate existieren zwei Manuskripte.
2. Streichquartett (1945/46)
Satzfolge: 1. Langsam – äußerst lebhaft und sehr energisch – 2. Andantino – 3. Presto
„Offenheit, Treue, Brüderlichkeit …“ Karl Amadeus und Elisabeth Hartmann im Briefwechsel mit Hans Werner Henze. Briefe und Dokumente, hrsg. v. Andreas Hérm Baumgartner und Wolfgang Rathert unter Mitarbeit von Vinzenz Wolf. Allitera, München 2022 [Schriftenreihe Karl Amadeus Hartmann, Bd. 1], ISBN 978-3-96233-304-1.
Über Karl Amadeus Hartmann:
Karl Amadeus Hartmann und das Streichquartett – Mit historischen und neuen Sprachaufnahmen der Familie Hartmann. 3 SACDs mit historischen Sprachaufnahmen von Karl Amadeus Hartmann, Ulrich Dibelius im Gespräch mit Karl Amadeus Hartmanns Frau Elisabeth, Mirjam Wiesemann im Gespräch mit Karl Amadeus Hartmanns Sohn Richard. Cybele Records, Edition Künstler im Gespräch, 2009, ISBN 978-3-937794-06-8.
Carola Arlt: Von den Juryfreien zur musica viva – Karl Amadeus Hartmann und die Neue Musik in München. Peter Lang, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-60308-6.
Ulrich J. Blomann: Karl Amadeus Hartmann am Scheideweg – Ein deutscher Komponist zwischen demokratischer Erneuerung und Kaltem Krieg 1945–1947. Dortmund, Techn. Univ., Diss., 2009 (Zusammenfassung in: https://www.liquidmusicology.org/publikationen/hermand-vorwort/).
Ulrich Dibelius: Karl Amadeus Hartmann. Komponist im Widerstreit. Bärenreiter-Verlag, Kassel 2004.
Norbert Götz: Gegenaktion – Karl Amadeus Hartmann. Ausstellungskatalog zur Hartmann-Ausstellung im Stadtmuseum München. Edition Minerva, Wolfratshausen 2005.
Inga Mai Groote (Hrsg.): Karl Amadeus Hartmann: Komponist zwischen den Fronten und Zeiten. Schneider, Tutzing 2010, ISBN 978-3-86296-009-5.
Constantin Grun: Richard Strauss und Karl Amadeus Hartmann – zwei Münchner zwischen Krieg und Frieden. In: Die Musikforschung. 62. Jg. (2009), Heft 3, ISSN0027-4801, S. 251–261.
Barbara Haas: Zeitzeugen und Dokumente – zum 100. Geburtstag des Komponisten. Vorwort von Joachim Kaiser. Heinrichshofen 2004 (mit über 111 Zeitzeugen im Gespräch).
Barbara Haas: Die Münchner Komponisten Trias Hartmann-Orff-Egk. In: Ulrich Dibelius (Hrsg.): Karl Amadeus Hartmann. Komponist im Widerstreit. Kassel 2003.
Werner Heister: Ich sitze und schaue auf alle Plagen der Welt… – Karl Amadeus Hartmanns Komponieren gegen Faschismus und Krieg. In: Lück und Senghaas: Vom Hörbaren Frieden. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-12401-3.
Jost Hermand: Hermann Scherchen, Wolfgang Petzet und Karl Amadeus Hartmann: Simplicius Simplicissimus (1934/35) – Die Oper als politisches Schaugerüst. In: Ders.: Glanz und Elend der deutschen Oper. Böhlau, Köln 2008, ISBN 978-3-412-20098-5.
Andreas Jaschinski: Karl Amadeus Hartmann – Symphonische Tradition und ihre Auflösung. Musikverlag Emil Katzbichler, München 1982, ISBN 3-87397-118-6.
Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 2869–2884. online
Ulrich Tadday (Hrsg.): Karl Amadeus Hartmann. Simplicius Simplicissimus (= Musik-Konzepte. Heft 147). edition text und kritik, München 2010, ISBN 978-3-86916-055-9.
Jürgen Schläder (Hrsg.): Wie man wird, was man ist. Die Bayerische Staatsoper vor und nach 1945. Henschel, Leipzig 2017, ISBN 978-3-89487-796-5, Karl Amadeus Hartmann, S.310f.
Raphael Woebs: Die Politische Theorie in der Neuen Musik. Karl Amadeus Hartmann und Hannah Arendt. Wilhelm Fink Verlag, München 2010, ISBN 978-3-7705-4936-8.
↑Anton Haefeli: Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik – Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart. Zürich 1982, S. 480ff
↑Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 2870
↑Jürgen Schläder (Hrsg.): Wie man wird, was man ist. Die Bayerische Staatsoper vor und nach 1945. Henschel, Leipzig 2017, ISBN 978-3-89487-796-5, Karl Amadeus Hartmann, S.310f.