Die Kölner Gruppe ist ein loser Zusammenschluss unabhängiger Filmemacher aus und in Köln, der seit den 1990er Jahren besteht.
Die Bezeichnung ‘Kölner Gruppe’ prägte der Autor und Filmkritiker Peter Nau im Jahre 1997, als er eine Reihe unabhängiger Kölner Filmemacher aus dem Umfeld des Filmclubs 813 und des Kölner Filmhauses nach Berlin ins Arsenal-Kino zu einer Werkschau einlud. Sein formulierter Wunsch war, sich anonym in die Filmgeschichte einzuschreiben, als 'Vorausahner' einer Welle, eines Stils, einer kinematographischen Einheit, die er bewusst zu Ästhetik und Filmschaffen der 'Neuen Münchener Gruppe' der 1960er Jahre in Bezug setzte.[1] Seitdem entstanden innerhalb der Kölner Gruppe eine Vielzahl von Kurzfilmen und einige Langfilme. Der Filmkritiker Hans Schifferle zählt zum harten Kern der Kölner Gruppe die Filmemacher Bernhard Marsch, Rainer Knepperges, Markus Mischkowski, Kai Maria Steinkühler und Christian Mrasek. Der Filmwissenschaftler Marco Abel zählt darüber hinaus den Filmemacher und Filmeditor Jukka Schmidt sowie die Filmemacher und Schauspieler Piet Fuchs und Jakob Hüfner zum 'core' der Kölner Gruppe.[2]
Die Mitglieder der Kölner Gruppe folgen keiner gemeinsam formulierten ästhetischen oder inhaltlichen Programmatik in ihrem Filmschaffen. Anders als bei der Berliner Schule existiert auch kein Diskurs, der das Filmschaffen kontinuierlich publizistisch begleitet, deutet oder wertet. Dennoch lassen sich in den Filmen der Kölner Gruppe vielerlei gemeinsame Aspekte in ästhetischer, inhaltlicher und herstellungstechnischer Hinsicht erkennen:
der gemeinsame geographische Bezug zu Köln und Umgebung als Drehort und filmischer Ort.[3]
eine gemeinsame Haltung zu Dramaturgie und Figurenführung: Kölner Gruppe-Filme sind in der Regel antipsychologisches Kino. Es handelt von Figuren ohne backstories, ohne innere Konflikte, ohne familiäre und soziale Bindungen und Verbindlichkeiten.[4]
die besondere Bedeutung der Sprache und die außergewöhnliche Verwendung von Sprache durch die Darsteller: Sprache wird nicht eingesetzt, um Informationen für den Zuschauer zu transportieren oder den Plot voranzutreiben, sondern komödiantisch nutzbar gemacht als Sprachspiel. Amateurhaftes Sprechen, spontanes Sprechen, „Sprechen als frohe Tätigkeit“ (Knepperges)[5] oder Nichtsprechen und falsches, vorgefertigtes, hölzernes Sprechen in Sprachhülsen aufgegriffener Diskurse (Westendfilme) prägen viele Filme der Kölner Gruppe. Für die Figuren bildet nicht Vergangenheit oder Erinnerung (backstory) das identitätsstiftende Moment, sondern die Gegenwärtigkeit der Sprache als geltender Diskurs, dem sie mehr oder weniger ausgeliefert sind. Mit der Forderung nach „Ferien für die Sprache als Bedeutungsträger“[5] geht die Aufforderung an den Zuschauer nach Bewusstwerden und utopischem Ausbruch aus dem Diskursgefängnis der Sprache einher, eine Position, die im Kurzfilm Tour Eifel (2000) auf die Spitze getrieben wird.[6]
die Einrichtung der Arbeit bei der Filmherstellung, die branchenüblichen Prämissen der Drehorganisation und Arbeitsteilung zuwiderläuft. Wichtige Aufgabenbereiche und Rollen werden mit Freunden und Bekannten, statt mit „Profis“ besetzt, damit einhergehend wird auf eingespielte, vertraute und erfahrene Teamarbeit gesetzt. So arbeiten in vielen Positionen dieselben Filmschaffenden seit vielen Jahren zusammen. Der Kameramann und Filmeditor Kawe Vakil sowie der Fotograf und Kameramann KaPe Schmidt (DGPh) zeichnen seit Anfang der 1990er Jahre für die Bildgestaltung zahlreicher Kölner Gruppe-Filme verantwortlich. Die Filmemacher der Kölner Gruppe übernehmen zum Teil selbst Rollen in ihren eigenen Filmen, sowie in Filmen von Kollegen. Befreundete Schauspieler spielen dieselbe Figur in verschiedenen Filmen, oder tauchen, über viele Jahre hinweg, in Filmen in unterschiedlichen Rollen auf.
die bewusste Vermischung, Auflösung oder Verschiebung von Autorenschaft und Drehbucharbeit in die Bereiche Regie, Produktion, Schauspiel[7]. Die Filmemacher agieren als Produzenten- und Autorenfilmer, ihre Filmgeschichten und -dramaturgien entstehen oftmals während der konkreten Einrichtung der Arbeit vor und während der Produktion, bei Auswahl der Motive, Schauspieler, Kostüme, Autos etc. und entwickeln sich während der Dreharbeiten.
das Beharren auf künstlerische Unabhängigkeit. Alle bisherigen Produktionen entstanden ohne Senderbeteiligung mit relativ geringem Budget, mitunter gefördert von kulturellen Filmförderungen des Landes Nordrhein-Westfalen und anderer Förderinstitutionen.
Ästhetischer Anspruch
Die Filmemacher der Kölner Gruppe eint eine skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der Arbeitsweise und Ästhetik aktueller deutscher Mainstream-Kino- und TV-Produktionen. Im bewussten Kokettieren mit Amateur-, Trash- und Retro-Ästhetiken, verbunden mit reflektierter cineastischer Haltung und fundiertem Filmwissen, loten sie ein subversives Potential aus, das, im Zusammenspiel mit stilisierter Außenseiter- und Desperado-Attitude, dem aktuellen Kino verloren gegangene schöpferische Kraft und transgressive Wirkung wiedergeben soll.[9]
Auswertung der Filme und Rezeption
Die Filme der Kölner Gruppe laufen regelmäßig auf deutschen und internationalen Filmfestivals, sowie, durch die Filmemacher selber ausgewertet, in Zusammenschauen in Programmkinos und Filmmuseen (Ramsch-Rolle von Bernhard Marsch, Westend-Zyklus von Markus Mischkowski/Kai Maria Steinkühler sowie wechselnde aktualisierte Kölner Gruppe-Kurzfilmprogramme). Einzelne Kurzfilme werden von der KurzFilmAgentur Hamburg vertrieben und sind als Kino-Vorfilme entleihbar. Neben zahlreichen Kurzfilmen entstanden innerhalb und im Umfeld der Kölner Gruppe bislang mehrere lange Spielfilme, die im Kino ausgewertet wurden und auf DVD veröffentlicht wurden, so Happy Weekend (Eddi Herzog, 1996), Westend (Markus Mischkowski/Kai Maria Steinkühler 2001), Kein Science Fiction (Franz Müller, 2003), Die Quereinsteigerinnen (Rainer Knepperges/Christian Mrasek, 2005). Der Spielfilm Hans Dampf von Jukka Schmidt und Christian Mrasek kam Mitte 2013 in die deutschen Kinos (Verleih: realFiction).
Der US-amerikanische Filmwissenschaftler Marco Abel ordnet das Filmschaffen der Kölner Gruppe dem 'underground film', bzw. dem 'minor cinema' im Sinne Gilles Deleuze zu, wissend, dass sich die Mitglieder der Gruppe selbst weder im Sinne einer Avantgarde-Bewegung verstehen noch ästhetische oder politische Strategien des 'underground' verfolgen.[10]
Trivia
Maskottchen der Kölner Gruppe ist „Haralt, das Schaf“, ein ausgestopftes Schaf, das von dem Kölner Filmkritiker und -kurator Hans-Dieter Delkus („Der Mann mit dem Schaf“) in einer Vielzahl Kölner Gruppe-Filme durch das Bild getragen wird. Ebenso taucht die Nummer 813, in Anspielung an François Truffauts Lieblingsbuch '813 – Das Doppelleben des Arsène Lupin' und dem Kölner Filmclub 813, in zahlreichen Filmen in einer Szene auf.
In einigen Kurzfilmen der frühen 2000er Jahre taucht zu Beginn ein Kölner-Gruppe-Logo auf, das auf einer Zeichnung von Rainer Knepperges basiert.
Zitate
„Seit beinahe 25 Jahren gibt es in Köln eine Filmszene, die zu den schönsten und vitalsten in Deutschland zählt. In dieser Szene, die sich hauptsächlich um den schon legendären Filmclub 813 gebildet hat, aber auch schon manchen Studenten der Kunsthochschule für Medien beeinflusst hat, durchdringen sich wie einst bei der Nouvelle Vague alle Aspekte des Cineastentums.“[11]
„Wir sind ein paar Bewohner der Schachtelkinos. Erst das eigene Kino (der Filmclub 813 in Köln) klärte uns auf, dass wir keine Einzelfälle sind. Seitdem erwarten wir von Filmen – ganz egal ob alt oder neu, dass sie verloren geglaubte Möglichkeiten zeigen. Die aktuelle Brisanz von Sujets lässt uns fast so kalt wie die Reinheit künstlerischen Ausdrucks. Das ist natürlich auch von Max Zihlmann, von Howard Hawks und von Waldfreibädern stark beeinflusst. Wir wollen ein unreines Kino, ungezierten Revolutionsersatz, eine Illusion von Action. Gemeinsam mit Marsch, Mischkowski und einigen anderen wurden wir von Peter Nau ‚Kölner Gruppe‘ getauft.“[12]
Filmographie
Die Filmographie ist entnommen der Auflistung von Abel 2010, S. 106: „In this task I let myself be guided by my desire to be inclusive, trying to account for the cinematic activities of both the indisputable core members of the group and those who may be considered more peripheral to the group.“ Die Liste ist ergänzt um die Filme seit 2011. Langfilme sind unterstrichen.
2006: Come to my House oder: Der Untergang des Hauses Apern. Dir. Dr. Frank Blum.
2006: Der Hahn ist tot. Dir. Dejan Rakas.
2006: K40 Adé. Dir. Marcel Belledin and Dejan Rakas.
2006: Die brachliegenden Gefilde der eigenen Ideen. Dir. Rainer Knepperges.
2007: Inside Lemke. Dir. Markus Mischkowski.
2007: Zwei Goldfische. Dir. Marcel Belledin.
2007: Waldmeister. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2008: Erich Lusmann. Dir. Rainer Knepperges.
2008: Marran Gosov zu Besuch im Filmclub 813. Dir. Markus Mischkowski.
2009: Amigo a gogo. Dir. Bernhard Marsch.
2009: Die Liebe der Kinder. Dir. Franz Müller.
2010: Wellenreiter. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2010: Vielfalt erforschen. Dir. Katrin Leuthe and Rainer Knepperges.
2010: Warteschleifen. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2010: Underground Odyssey. Dir. Christos Dassios, Uli Grohs, Robert Nacken.
2010: Nackt am See. Dir. Bernhard Marsch.
2010: 24h Marrakech. Dir: Christian Mrasek, Narjisse Tahiri, Daniel Gräbner, Munir Abbar, Franz Müller & Mohamed Oumai.
2010: Leichtmatrosen. Dir. Franz Müller.
2011: L'échappée Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2012: Wolkenheime. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2012. Café Kontakt. Dir. Bernhard Marsch.
2012: 50 Jahre Oberhausener Missverständnis. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2012: Leichtmatrosen II. Dir. Franz Müller.
2013: Der Pitch. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2013: Hans Dampf. Dir. Christian Mrasek and Jukka Schmidt.
2013: Adam & Omar. Dir. Piet Fuchs, Marcel Belledin, Franz Müller & Rainer Knepperges.
2014: Wettbewerber. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2014: Worst Case Scenario. Dir. Franz Müller.
2014: Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang. Dir. Franz Müller.
2015: Happy Hour. Dir. Franz Müller.
2015: On Air. Dir. Robert Nacken.
2015: Weiße Ritter. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2016: Der Wechsel. Dir. Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler.
2018: Was du teilst gehört uns. Dir. Mi Steinbach.
2018: Ösen-Tösen. Dir. Anna C. Wagner.
2021: Impflinge. Dir. Markus Mischkowski.
Auszeichnungen (Auswahl)
2003 FBW-Prädikat „Besonders wertvoll“ für den Kurzfilm Tour Eifel von Rainer Knepperges und
2004 FBW-Prädikat „Wertvoll“ für den Kurzfilm Wohnhaft von Bernhard Marsch
2010 FBW-Prädikat „Besonders wertvoll“ und Bundeskurzfilmpreis in Gold für den Kurzfilm Underground Odyssey von Christos Dassios, Uli Grohs und Robert Nacken
2017 FBW-Prädikat „Besonders wertvoll“ für den Kurzfilm Der Wechsel von Markus Mischkowski und Kai Maria Steinkühler
2017 1. Preis im NRW-Wettbewerb der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen für den Kurzfilm Der Wechsel von Markus Mischkowski und Kai Maria Steinkühler
Quellen
Marco Abel: Underground Film Germany in the Age of Control Societies: The Cologne Group. In: Quarterly Review of Film and Video. 27: 2, S. 89–107. Routledge, London 2010.
Marco Abel: Markus Mischkowski and Kai Maria Steinkühler's „Westend“ series: Independent german filmmaking in the age of neoliberalism. Handzettel zur Werkschau „The 'Westend' Films“ in Lincoln/Nebraska, 28. Okt. – 2. Nov. 2011. Hrsg. v. UNL / Cinema 'The Ross' 2011.
Christa Aretz, Irene Schoor: „Wir wollen Kino machen!“ – Die Kölner Gruppe und die Kölner Filmhochschulen. In: Köln im Film – Filmgeschichte(n) einer Stadt. S. 343–348. Emons Verlag, Köln 2004. ISBN 3-89705-344-6.
↑Vgl. Abel 2010, S. 91: "The Kölner Gruppe filmmakers seem to engage in a practice of filmmaking that we might consider an example of what it means to implement Deleuze’s suggestion that in the age of communication driven control societies “we’ve got to hijack speech” because “speech and communication have been corrupted. They’re thoroughly permeated by money – and not by accident but by their very nature”. […] Instead of adding more talk and thus abide by neoliberalism’s imperative to communicate, the “key thing may be to create vacuoles of noncommunication, circuit breakers, so we can elude control”. (Deleuze, Gilles: Control and Becoming. Negotiations 1972–1990. Trans. Martin Joughin. New York: Columbia University Press, 1995:169–176. p. 175)
↑Der Filmemacher Klaus Lemke spielt eine Gastrolle in dem Film Die Quereinsteigerinnen (2005); ferner ist er in der Kurz-Hommage Inside Lemke (2007) als eingeladener Gast des Filmclubs 813 porträtiert. Werner Enke ist auf der Tonspur des Kurzfilms Wohnhaft (2004) als Kommentator zu hören.
↑Vgl. Abel 2010, S. 92, Hummel 2006. Die Filmemacher der Kölner Gruppe sind fast ausschließlich Autodidakten, die keine Filmhochschule besucht haben.