Jean Giono, Sohn eines Schusters und einer Büglerin, wuchs in Armut auf. Während seiner Schulzeit erkrankte sein Vater schwer, sodass er früh die Schule verließ und Geld verdienen musste. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er unter dem Eindruck des Soldatentodes seines Freundes Louis David als Pazifist zurück. Neben seiner Erwerbsarbeit in einer Bank versuchte er sich als Romancier. Um 1930 debütierte er mit den Romanen Colline und Naissance de l’Odyssée(Die Geburt der Odyssee), die auf Anhieb Erfolg hatten. Die Verkaufserlöse versetzten ihn in die Lage, in Manosque ein Haus zu erwerben, Lou Paraïs genannt, und sich von da an ganz der Schriftstellerei zu widmen.[1]
Im Jahr 1935 bildete sich bei einem Landaufenthalt um Giono und seinen Freund Lucien Jacques ein Gesprächskreis naturverbundener pazifistisch gesinnter Menschen, der die Cahiers du Contadour veröffentlichte. In dieser Zeit entdeckte Giono den amerikanischen Schriftsteller Herman Melville für den französischen Buchmarkt.[2] Gemeinsam mit Jacques übersetzte Giono das Werk Moby Dick ins Französische. Das Buch erschien 1941 bei Gallimard. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 bedeutete das Ende der Jahrestreffen der Contadoureans.
Giono begegnete in Manosque während des Krieges der aus Köln emigrierten deutsch-jüdischen Schriftstellerin und Journalistin Luise Straus-Ernst, die einen Teil seines Romans Triomphe de la vie ins Deutsche übersetzte.[3] Im Gegenzug gab er ihr den Rat, ihre Autobiographie, an der sie damals schrieb, Nomadengut (statt Laut gedacht) zu nennen.[4] Sein Verhältnis zu Juden blieb dennoch zwiespältig, wie besonders aus seinem Journal de l'Occupation hervorgeht.[5]
Schon vor dem Krieg als angeblicher Sympathisant hoher NS-Funktionäre, die seine naturverbundene Literatur schätzten, vorübergehend inhaftiert und von Angehörigen der Résistance persönlich attackiert,[6] kam Giono nach der Befreiung Frankreichs (1944) wegen des Verdachts auf Kollaboration mit den deutschen Besatzern erneut für fünf Monate in Haft. Anklage wurde nie erhoben, gleichwohl erschien Gionos Name auf der Schwarzen Liste, sodass er bis 1947 der Möglichkeit zu publizieren beraubt war. 1954 wurde er schließlich in die renommierte Académie Goncourt aufgenommen.
Neben Jacques war Giono mit dem Essayisten Jean Guéhenno, dem Maler Georges Gimel und dem Schriftsteller André Gide befreundet, der ihn einmal den Vergil der Provence nannte.[7] Von den Kriegsjahren 1914–1918 abgesehen lebte Giono stets in seiner provenzalischen Heimat. Ein Parisaufenthalt 1929 konnte ihn darin nur bestärken.[8] Er liebte die Natur, entsprechend pries er in seinen Werken, die häufig in der Haute Provence spielen, neben der antiken Mythologie das schlichte Leben der erdverbundenen Bauern und Hirten. Mit seiner poetisch-pantheistischen Botschaft gewann er in den 1930er Jahren besonders unter der Jugend zahlreiche Anhänger.[9]
Gionos Roman Que ma joie demeure(Bleibe, meine Freude), 1935 erschienen, sei damals „eher als philosophisches Handbuch für eine neue Lebenskunst denn als literarisches Werk aufgenommen“ worden, erklärt Kindlers Neues Literaturlexikon. „Aus diesem Grund kam es zu manchen Konflikten zwischen Giono und seinem begeisterten Publikum, denn der Autor mußte viele Leser enttäuschen, die sich ratsuchend an ihn wandten.“[7]
Im Ton nüchterner, dafür von komplizierterer Bauart waren Gionos Nachkriegswerke, in denen nun, statt der Natur, der Mensch im Vordergrund stand. Die Literaturkritik spricht diesbezüglich von seiner Stendhal-Periode. Das stärkste Echo erzielte er mit dem Roman Le Hussard sur le toit(Der Husar auf dem Dach) von 1951, der mehrmals verfilmt wurde.
Nachleben
Nach Jean Giono ist der Literaturpreis Prix Jean Giono benannt.
Werke
Ernte. Aus dem Französischen übersetzt von Ferdinand Hardekopf. Fischer, Berlin 1931
Der Hügel. Rütten & Loening, Frankfurt am Main 1931
Deutsche Ausgabe: Die große Herde. Aus dem Französischen übersetzt von Ferdinand Hardekopf. Fischer, Berlin 1932
Der Berg der Stummen. Aus dem Französischen übersetzt von Käthe Rosenberg. Fischer, Berlin 1933
Jean le bleu. 1932
Deutsche Ausgabe: Der Träumer. Aus dem Französischen übersetzt von Käthe Rosenberg. Fischer, Berlin 1934
Einsamkeit des Mitleids. Erzählungen. Aus dem Französischen übersetzt von Ferdinand Hardekopf. Fischer, Berlin 1934
Le Chant du monde. Gallimard, Paris 1934
Deutsche Ausgabe: Das Lied der Welt. Aus dem Französischen übersetzt von Ruth Gerull-Kardas. Fischer, Berlin 1935
Lebendige Wasser. Fischer, Berlin 1935
Die Geburt der Odyssee. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Walter und Ruth Gerull-Kardas. Fischer, Berlin 1936
Le Serpent d'étoiles.
Deutsche Ausgabe: Die Sternenschlange. Erzählung. Aus dem Französischen übersetzt von Ruth und Walter Gerull-Kardas. Fischer, Berlin 1937
Taube Blüten. Novellen. Aus dem Französischen übersetzt von Ruth und Walter Gerull-Kardas. Bermann-Fischer, Wien 1937
Que ma joie demeure. Éditions Grasset & Fasquelle, Paris 1990
Deutsche Erstausgabe: Bleibe, meine Freude. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ruth und Walter Gerull-Kardas. Bermann-Fischer, Wien 1937
Deutsche Neuausgabe: Bleibe, meine Freude. Roman. Matthes & Seitz, München 1994, ISBN 3-88221-794-4.
Vom wahren Reichtum. Aus dem Französischen übersetzt von Ruth und Walter Gerull-Kardas. Mit 112 Photos von Gerull-Kardas. Büchergilde Gutenberg, Zürich/Wien/Prag 1937
Deutsche Ausgabe: Bergschlacht. Roman. Übersetzung von Ruth und Walter Gerull-Kardas. Bermann-Fischer, Stockholm 1939[2]
Pour saluer Melville.
Deutsche Ausgabe: Melville zum Gruß. Vision einer Begegnung. Aus dem Französischen übersetzt von Walter Gerull-Kardas. Goverts, Hamburg 1944 (Auslandsauflage)[10]
Triumph des Lebens. Roman eines Films. Aus dem Französischen übersetzt von Hety Benninghoff und Ernst Sander. Bachmair, Stöcking 1949
Les Âmes fortes.
Deutsche Ausgabe: Die starken Seelen. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Richard Herre. Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin 1957
Die große Meeresstille. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Hety Benninghoff und Ernst Sander. Bachmair, Söcking 1949
Die Nonna. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Richard Herre. Cotta, Stuttgart 1950
Andrea Beate Bantel: Jean Giono in Deutschland 1929–1945. Ein französischer Schriftsteller im Spiegel & Zerrspiegel seiner deutschen Leser. Röhrig, St. Ingbert 1992 (= Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft, Bd. 29), ISBN 3-924 555-81-8.
Ralf Nestmeyer: Französische Dichter und ihre Häuser. Insel, Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-458-34793-3. Darin das Kapitel Der Vergil der Provence. Jean Giono in Manosque, S. 221–238.
Ein provencalischer Pan. Der Schriftsteller Jean Giono. Deutsche TV-Dokumentation von Vera Botterbusch, 45 Minuten, BR 1989.
Le Mystère Giono. Dokumentation von Jacques Mény, 1995.
Features
Sabine Korsukéwitz: Das wilde Herz der Provence. Die Haute Provence bei Jean Giono und Pierre Magnan. Deutschlandradio Kultur, 14. Juni 2005.
Einzelnachweise
↑Ralf Nestmeyer: Französische Dichter und ihre Häuser. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2005. Darin das Kapitel Der Vergil der Provence. Jean Giono in Manosque, S. 221–238.
↑ abcAnne-Margret Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich. Saur, München 2007, S. 337
↑Vgl. dazu Eva Weissweiler: Notre Dame de Dada - Luise Straus-Ernst - Das dramatische Leben der ersten Frau von Max Ernst, Köln 2016, S. 359
↑Vgl. dazu Eva Weissweiler: Notre Dame de Dada - Luise Straus-Ernst - Das dramatische Leben der ersten Frau von Max Ernst, Köln 2016
↑Jean Giono: Journal de l'Occupation, in: Jean Giono: Journal, poèmes, essais. Hg. von Pierre Citron, Paris 1995