Ernst WiechertErnst Wiechert (* 18. Mai 1887 in Kleinort, Kreis Sensburg, Masuren; † 24. August 1950 in Uerikon im Kanton Zürich, Schweiz) war ein deutscher Lehrer und Schriftsteller. Von Anfang der 1930er bis weit in die 1950er Jahre hinein war er einer der meistgelesenen deutschen Autoren. Er zählt zu den Schriftstellern der Inneren Emigration im Nationalsozialismus. LebenErnst Wiechert war einer von drei Söhnen des Försters Emil Martin Wiechert und der Henriette Wiechert geb. Andreae. Er wuchs im Forsthaus Kleinort (heute Piersławek) in der Johannisburger Heide in den masurischen Wäldern Ostpreußens auf. Nach dem Studium an der Albertus-Universität Königsberg wirkte er ab 1911 als Studienrat am Königlichen Hufengymnasium in Königsberg. Bereits während des Ersten Weltkriegs begann er mit dem Schreiben von Romanen und Erzählungen. 1912 heiratete Wiechert Meta Mittelstädt (1890–1929). 1914 meldete er sich als freiwilliger Kriegsteilnehmer, wurde jedoch wenig später wegen einer Nierenerkrankung entlassen. 1915 kam er schließlich an die Front und wurde im selben Jahr mit dem EK II ausgezeichnet. Später erhielt er auch das EK I. 1916 wurde er zum Offizier ausgebildet und später zweimal durch Granatsplitter verwundet. Während des Krieges wurde 1917 Wiecherts einziges Kind Ernst-Edgar geboren. Es wurde nur einen Tag alt. Wiechert verlor sowohl seine Mutter (im Jahr 1912) als auch seine Frau Meta (im Jahr 1929) durch Suizid. 1930 übersiedelte er von Königsberg nach Berlin, wo er als Studienrat am Kaiserin-Augusta-Gymnasium tätig war. Seine zweite Frau wurde 1932 Paula Marie „Lilje“ Junker geb. Schlenther (1889–1972). Im April 1933 gab er den Lehrerberuf auf, zog ins oberbayerische Ambach und arbeitete als freier Schriftsteller. Seine ersten belletristischen Buchpublikationen kamen im Regensburger Verlag Habbel & Naumann heraus. Von 1936 bis 1948 lebten die Wiecherts im neu erbauten Hof Gagert in Wolfratshausen. Schon seit 1934 stand Wiechert insgeheim unter Gestapoaufsicht.[1] Während eines Aufenthaltes in der Schweiz im Oktober 1937 wurde ihm von Hermann Hesse und Max Picard nahegelegt, nicht nach Deutschland zurückzukehren.[2] Seine Lesungen wurden durch bestellte Störer behindert. Auf Einladung einzelner örtlicher Buchhändler konnte Wiechert im November 1937 letztmals in Stuttgart, Bonn, Essen und Köln aus seinen Werken lesen. Eine Vortragsreise in die Schweiz wurde ihm untersagt.[3] 1938 erhielt er ein Ausreiseverbot. Nach einer Stellungnahme für den inhaftierten Pastor Martin Niemöller, einen führenden Vertreter der Bekennenden Kirche, und der Weigerung, an der „Volksabstimmung über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ teilzunehmen, wurde er am 8. Mai 1938 verhaftet. Ein Brief, den Wiechert zufolge verschiedener Quellen im Dezember 1937 an den Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, dem auch die Reichsschrifttumskammer unterstellt war, die die „Gleichschaltung“ der deutschen Autoren betrieb, geschrieben haben soll, trug möglicherweise auch zur Verhaftung bei. Daraus dieses Zitat: „Ich bin überzeugt, daß der einfachste Hütejunge aus meiner Heimat mehr Takt und Kultur gezeigt haben würde als die Beamten der höheren Kulturbehörde des Dritten Reiches.“[4] Nach mehreren Wochen im Polizeigefängnis München wurde er am 4. Juli in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Am 4. August 1938 schrieb Goebbels in sein Tagebuch: „Vernehmungsprotokoll von dem sogen. Dichter Wiechert gelesen. So ein Stück Dreck will sich gegen den Staat erheben. 3 Monate Konzentrationslager. Dann werde ich ihn mir persönlich kaufen.“[5] Doch Wiechert wurde nach Protesten im In- und Ausland schon nach zwei Monaten entlassen[6] und direkt nach Berlin zu Goebbels gebracht. Über das Gespräch notierte der Propagandaminister am 30. August 1938 in seinem Tagebuch:
– Joseph Goebbels[7] Unmittelbar danach musste Wiechert auf Verlangen Goebbels’ am ersten Weimarer Dichtertreffen teilnehmen, einer propagandistischen Tagung für die Elite des nationalsozialistischen Literaturbetriebs, die unter dem Thema Die Dichtung und die Wirklichkeit des Volkes in Weimar stattfand. Wiechert fühlte sich, wie er später in seiner Autobiografie schrieb, als „Plakat“ missbraucht, „das man aushängen konnte, damit jedermann sehe, wie großmütig das Dritte Reich war.“[8] Wiechert wurde erlaubt, weiter zu veröffentlichen unter der Bedingung, dass seine Arbeiten strikt unpolitisch blieben. Bis zum Ende der Zeit des Nationalsozialismus wurde Wiechert von der Gestapo überwacht. Als unerwünschter Autor in einer der verschiedenen Literatur-Verbotslisten wurde er nicht registriert. Er durfte publizieren, doch war es dem Verlag verboten, seinen Namen im Verlagsprospekt zu erwähnen oder die Auflagenhöhe seiner Bücher anzugeben. Buchhandlungen durften seine Werke nicht im Schaufenster präsentieren. Ungeachtet dessen blieb er der meistgelesene deutsche Autor seiner Zeit. Im Juni 1948 übersiedelte Wiechert in die Schweiz, wo er sich auf dem Rütihof in Uerikon-Stäfa am Zürichsee niederließ; seine Ehefrau Paula blieb in Deutschland. Am 24. August 1950 erlag er im Alter von 63 Jahren einem Krebsleiden. In Stäfa fand er seine letzte Ruhestätte. Wiechert hinterließ 13 Romane und etwa 50 Novellen und Erzählungen. WerkRomane und Erzählungen vor 1938Wiecherts erster Roman Die Flucht erschien 1916 in Berlin, anfänglich unter dem Pseudonym Ernst Barany Bjell. In den folgenden Romanen Der Wald (1922) und Der Totenwolf (1924) entwickelt Wiechert die Leitmotive, die sein weiteres Werk durchziehen: die Einsamkeit der masurischen Natur und die Schwermut der dunklen Wälder, seine Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg und seine Stadt- und Zivilisationskritik. In Der Totenwolf spielt Wiechert mit ausgeprägt antichristlichem, blutrünstig-völkischem Gedankengut. Das Buch spiegelt die Geisteshaltung der nationalen Rechten in den frühen 1920er Jahren. Bei Wiechert markierte der Roman eine frühe Phase seiner persönlichen Entwicklung, die binnen weniger Jahre von einem tief verwurzelten christlichen Humanismus abgelöst werden sollte. In der Abschiedsrede an die Abiturienten 1929 in Königsberg zeigte sich bereits der geläuterte Schriftsteller der reifen Jahre. In seiner Autobiographie Jahre und Zeiten bezeichnete Wiechert die Romane Der Wald und Der Totenwolf später als „unheilvollen Rausch“ und als „Spiegelbilder eines Lebens, das [nach dem Weltkrieg] noch keinen neuen Grund gefunden hatte“.[9] Auch verfügte Wiechert, dass seine fünf ersten Romane nicht mehr als Einzelausgaben erscheinen dürfen.[10] In einem Brief an Emil Stumpp vom 4. November 1940 schrieb er: „Die Flucht will ich nicht mehr auflegen lassen. Der Totenwolf kommt mir vor, als sei er von einem Fremden geschrieben. Also, ich habe lange gebraucht, um den Weg zu mir selbst zu finden.“[11] Nach einer Reihe von Sammelbänden mit Erzählungen und einigen kleineren Romanen verschaffte ihm 1932 Die Magd des Jürgen Doskocil den literarischen Durchbruch und begründete seine Popularität. Es folgten produktive Jahre mit der Veröffentlichung von Romanen, Schauspielen und Erzählungen, wobei die 1936 erschienene Autobiographie seiner frühen Jahre Wälder und Menschen herausragt. Die 1937 entstandene und von Wiechert mehrfach öffentlich vorgetragene Legende Der weiße Büffel, oder Von der großen Gerechtigkeit wurde vom Verlag Langen Müller aus Angst vor dem Zensor erst nach Kriegsende gedruckt. Sie bildet den Höhepunkt von Wiecherts literarischem Widerstand, eine Metapher in Form einer indischen Sage, in der die Vergötzung und der Totalitätsanspruch des Staates sowie die Missachtung des Rechts offen angeprangert werden. Die Verweigerung des Grußes vor dem Götzenbild des Herrschers, die Hinrichtung der „Staatsverbrecher“, die Gott mehr gehorchen als den Menschen, und schließlich deren Sieg über den König enthielten hinreichende Bezüge auf die Verhältnisse im Land. Nach Haft und KonzentrationslagerIn den Jahren nach seiner zweimonatigen KZ-Haft im Lager Buchenwald 1938 entstanden Wiecherts bedeutendste Werke, von denen lediglich Das einfache Leben (1939) noch vor Kriegsende veröffentlicht wurde. Im Zentrum des Romans steht der Korvettenkapitän Thomas v. Orla, der Anfang der 1920er Jahre, inspiriert von einem Vers des 90. Psalms (Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz), seine Familie in der Großstadt verlässt und sich auf einer einsamen Insel inmitten der masurischen Seenlandschaft als Fischer verdingt. Das einfache Leben ist Wiecherts Apotheose seiner Ablehnung der Stadt und der Moderne – ein stilistisch brillantes Gegenmodell aus Zivilisationsflucht und Naturverbundenheit:
– Ernst Wiechert: Das einfache Leben[12] Das einfache Leben wurde ein regelrechter Bestseller. Schon 1942 waren 260.000 Exemplare verkauft. Dabei hatte der Roman nur aufgrund von Missverständnissen erscheinen können, da die ablehnenden Stellungnahmen der NS-Zensurbehörden den Verlag nicht rechtzeitig erreichten. Außer Das einfache Leben veröffentlichte Wiechert bis Kriegsende keine neuen Werke. Es erfolgten lediglich Neuauflagen einiger Bücher.[13] Der 1939 niedergeschriebene Bericht über Wiecherts Hafterlebnisse im Münchener Polizeigefängnis und im KZ Buchenwald, die er aus Sicht der fiktiven Gestalt des Johannes schildert, lag bis Kriegsende in einem Blechkasten vergraben im Garten des Gagerthofs. Das Manuskript erschien 1946 in Zürich unter dem Titel Der Totenwald und ist bis heute Wiecherts bekanntestes Werk. Vom Erlös der Erstausgabe stiftete Wiechert drei Glocken für die katholische Kirche St. Michael in Degerndorf. Die Jerominkinder (zwei Bände 1945 und 1947) folgen dem klassischen Motiv des deutschen Bildungsromans. Der junge Jons Ehrenreich Jeromin ist der erste aus dem ostpreußischen Walddorf Sowirog, der je eine höhere Schule und eine Universität besucht. Wiechert schildert seinen Werdegang ebenso wie den des Dorfes, das bei aller Abgeschiedenheit den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts nicht entgeht. Indem Jons Jeromin eine vielversprechende Medizinerkarriere in der Stadt ausschlägt und als Armenarzt nach Sowirog zurückkehrt, erfüllt sich in ihm Wiecherts Hoffnung, die Menschen möchten „die Gerechtigkeit auf den Acker bringen“ (Jesaja 32,16). Doch mit Bangen sehen die Bewohner von Sowirog einer verhängnisvollen Zukunft entgegen; der Roman endet mit einem Ausblick auf die furchtbaren Verheerungen des Krieges. Den ersten Band des Romans hatte Wiechert schon 1940/41 verfasst. Wie Der Totenwald überdauerte das Manuskript die Naziherrschaft vergraben im Wolfratshausener Garten. Von den nach Kriegsende entstandenen Werken sind der zweite Teil der Autobiographie (Jahre und Zeiten, 1948) und der Roman Missa sine nomine (1950) hervorzuheben. In Missa sine nomine treffen sich drei Brüder aus dem Memelland, Angehörige einer freiherrlichen Familie, nach Vertreibung und Verlust der Heimat auf einem Familienbesitz in der Hohen Rhön. Einer von ihnen, der Freiherr Amadeus, kommt direkt aus dem Konzentrationslager. Mit einem Kutscher zieht er in einen abgelegenen Schafstall, nicht ins Familienschloss. Unter den Dorfleuten glimmen der Hass auf die amerikanische Besatzungsmacht und die Ressentiments der Kriegsverlierer. Der Roman dreht sich um die Überwindung des Nationalsozialismus, die Auseinandersetzung mit dem Bösen und mit der Schuld sowie die Suche nach einem ethisch fundierten Neubeginn für das geschlagene Deutschland. Reden an die deutsche JugendAm 6. Juli 1933 hielt Wiechert die erste seiner viel beachteten Reden an die deutsche Jugend im Auditorium maximum der Münchener Universität: Der Dichter und die Jugend. Noch war die Kritik an den neuen Verhältnissen im Lande verschleiert, und die Machthaber ließen ihn keine zwei Jahre später, am 16. April 1935, an gleicher Stelle erneut sprechen, dieses Mal unter dem Titel Der Dichter und die Zeit:
– Ernst Wiechert: Der Dichter und die Zeit[14] Die Rede an die deutsche Jugend am 11. November 1945 im Münchner Schauspielhaus war Wiecherts Abrechnung mit dem Ungeist des Nationalsozialismus:
– Ernst Wiechert: Rede an die deutsche Jugend[15] RezeptionBis 1945Unbestritten ist Wiecherts Wirkung unter dem breiten Publikum bis weit in die Nachkriegsjahre hinein. Seit Anfang der 1930er Jahre gehörte er zu den meistgelesenen Autoren deutscher Sprache, seine Werke erreichten Millionenauflagen. Allein 1940 wurden 200.000 Bücher von ihm aufgelegt, und lange Jahre gehörten seine Werke zum deutschen Schulbuchkanon. Gespaltener war das Echo bei Schriftstellerkollegen und Rezensenten. Schon in den 1920er Jahren trennte ein tiefer Graben die nationalkonservativen Autoren – denen Wiechert weltanschaulich nahestand – und die Autoren der urbanen Moderne, die von ihren Gegnern als „Asphaltliteraten“ geschmäht wurden.[16] Die Nationalsozialisten hatten Wiechert intensiv umworben. Einige seiner Äußerungen nach der Machtergreifung 1933 machen deutlich, dass er anfangs durchaus kompromissbereit war. So bei einer Lesereise nach Skandinavien im Dezember 1933, wo er auf positive Seiten des Nationalsozialismus verwies und vehement bestritt, dass Deutschland auf einen Krieg hinarbeite: „Und wenn man im Auslande etwas anderes erzählt, so ist das falsch und tendenziös.“[17] Wiechert war nicht direkt Widerständler, aber er wandelte sich rasch zum Widerstehenden.[18] Spätestens nach seiner zweiten Rede an die deutsche Jugend im Frühjahr 1935 war den Herrschenden klar, dass sie ihn nicht für sich gewinnen konnten. Unangenehmer noch war ihnen Wiecherts Talent, den Unmut der vielen Schweigenden im Land zu mobilisieren, ohne in offene Opposition zu treten. Eine Lesung in Köln aus Der weiße Büffel am 18. November 1937 wurde demonstrativ beklatscht und daraufhin von der Gestapo unterbrochen (auch andere Lesungen des Weißen Büffel wurden gewaltsam gestört[1]).[19] Die Kölnische Zeitung schrieb später, im Saal habe eine „beklommene Spannung“ geherrscht. Sie nannte Wiechert einen Dichter, der
– Kölnische Zeitung v. 21. November 1937[20] In einem staatlichen Gutachten zum Manuskript des Romans Das einfache Leben aus dem Jahr 1939 heißt es:
– Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums bei dem Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP[21] Von den Exilliteraten wurde Wiecherts Werdegang während der Jahre vor 1945 trotz seines Verbleibs in der Heimat überwiegend positiv beurteilt. So schrieb etwa Carl Zuckmayer in seinem Geheimreport 1943/44, Wiechert sei
– Carl Zuckmayer[22] Seine Rede an die deutsche Jugend von 1935 fand, in einem Laib Brot eingebacken, den Weg nach Moskau und wurde dort 1937 in der Exilzeitschrift Das Wort veröffentlicht. In den in Santiago de Chile herausgegebenen Deutschen Blättern wurde 1943 sein Kinderkreuzzug abgedruckt. Erste NachkriegsjahreWiecherts offen eingestandene Freude darüber, dass das Dritte Reich den Krieg verloren hatte, stieß vielen seiner Zeitgenossen übel auf. Wir hatten einmal ein Vaterland, das hieß Deutschland – mit diesem Satz begann seine Rede an die deutsche Jugend im November 1945.[23] Für seine konservativen Zuhörer, für die eine nationalistische oder doch immerhin patriotische Geisteshaltung noch selbstverständlich war, stellte Wiecherts Abrechnung mit dem überkommenen Heldenbegriff einen Affront dar:[24]
– Ernst Wiechert: Rede an die deutsche Jugend[15] Kaum eine andere öffentliche Äußerung jener ersten Monate nach der Stunde Null rief ähnlich starken Widerspruch hervor wie Wiecherts Rede November 1945 vor dem voll besetzten Münchner Schauspielhaus. Der politisch rechts stehende Teil der Kriegsgeneration fand sich in Wiecherts Sprache und seinem moralisch-religiösen Duktus nicht wieder. Seitens der Linken wiederum bemängelte man Wiecherts Verzicht auf die Diskussion ökonomischer und politischer Faktoren und damit auf eine gesellschaftskritische Faschismusanalyse.[24] In einem unveröffentlichten Manuskript kritisierte Erika Mann, dass Wiechert „die menschliche Art“ an sich und nicht die Deutschen für die Verbrechen in den Konzentrationslagern verantwortlich mache.[25] Während Wiechert beim lesenden Publikum Kultstatus genoss, gingen unter den Autoren viele auf Distanz.[26] Der Schriftsteller August Scholtis glossierte schon im März 1946: „Dieser Dichter quält sich ab mit der Demut und der Buße. Na klar, denke ich. Lasst uns alle miteinander demütig sein und büßen, wir habens nötig.“[27] Die Ablehnung war vor allem im Umfeld der späteren Gruppe 47 ausgeprägt. Im August 1946 druckte die von Alfred Andersch herausgegebene Literaturzeitschrift Der Ruf, eine Wegbereiterin der deutschen Nachkriegsliteratur, die anonyme Parodie 500. Rede an die deutsche Jugend … frei nach Ernst Wiechert.[28] Und im Mai 1947 folgte unter dem Pseudonym Alexander Parlach, wieder in Der Ruf, eine weitere Parodie: Die erste und einzige Rede deutscher Jugend an ihren Dichter. Der wirkliche Autor war Erich Kuby, der Wiechert in dem Beitrag als eitlen, geschwätzigen und weinerlichen alten Mann abtat.[29] Oskar Maria Graf formulierte in einem Brief an Hans Brandenburg im Frühjahr 1949: Den standhaften Wiechert kann ich beim besten Willen nicht als etwas Außerordentliches finden, ich habe immer den Eindruck von schrecklicher Egozentrik und Manieriertheit bei ihm![30] Schon gleich nach der Veröffentlichung 1946 war auch Der Totenwald zum Gegenstand der Auseinandersetzung geworden. Der Schweizer Max Frisch urteilte über das Buch, es handle sich um eine „Ausflucht ins Pathos“ im „Selbstgenuß der Trauer“.[31] Interessant ist die Würdigung des Totenwald durch den sowjetischen Germanisten Ilja Fradkin als Schilderung des einfachen Menschen im KZ:
– Ilja Fradkin[32] Wie sehr das Publikum und große Teile der künstlerischen Prominenz Wiechert weiterhin zugetan waren, belegt ein Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel über seinen 60. Geburtstag 1947:
– Der Spiegel v. 24. Mai 1947[33] Eine weitere Einschätzung stammt von dem ungarischen Philosophen und Literaturwissenschaftler Georg Lukács, der 1956 in einer Betrachtung über das Preußentum schrieb:
– Georg Lukács[34] Wiecherts Übersiedelung in die Schweiz im Frühsommer 1948 war schließlich auch das Eingeständnis, dass sich ihm im Literaturbetrieb und in der intellektuellen Landschaft der im Entstehen begriffenen beiden deutschen Staaten keine Perspektive bot. In den Folgejahren verschwanden seine Texte nach und nach aus den Schulbüchern. Seitdem ist es still geworden um den Autor. GegenwartIn einer Rezension der Süddeutschen Zeitung anlässlich der Neuauflage des Totenwald[35] steht auch 2008 noch der Vorwurf im Mittelpunkt, dass Wiechert trotz aller persönlichen Erfahrungen an einem positiven Bild von Deutschland festhielt:
Weder Wiecherts Motive noch seine Hoffnungen passen zum heutigen Zeitgeist, in dem die beiden Antithesen zu seinem Werk und seinem Denken, Urbanität und Moderne, den zentralen Platz einnehmen. Weder seine philosophischen Einsichten noch seine Sprachkunst, die Schönheit der Naturbeschreibungen oder die mächtigen Wortbilder scheinen der Gegenwart von Belang. Der Kritiker Marcel Reich-Ranicki erinnerte sich 2007: Wir fanden diese Literatur sentimental, wehmütig und weltfremd. Auch die späteren Bücher Wiecherts haben mich nicht ernsthaft interessieren können.[37] Anhänger findet Wiechert weiterhin unter den Skeptikern der Moderne und den Kulturpessimisten der westlichen Zivilisation. Der Autor einer Würdigung zu Wiecherts 125. Geburtstag 2012 stellte die Frage, ob der Schriftsteller sich auch in ein Morgen hinein deuten lasse:
In Polen ist Wiechert mit zahlreichen Übersetzungen seiner Werke präsent und gehört als völkerverbindender masurischer Autor inzwischen zum polnischen Kulturerbe. Außer in seinem Geburtshaus gibt es Wiechert-Museen im Rathaus von Mrągowo (Sensburg) sowie im russischen Kaliningrad (Königsberg) im Stadtmuseum und im ehemaligen Hufengymnasium. Internationale Ernst-Wiechert-GesellschaftSeit 1989 erforscht die Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft e. V. (IEWG) Werk und Wirken des Schriftstellers. Eine wichtige Rolle spielt inzwischen die Mitarbeit polnischer und russischer Germanisten. In regelmäßiger Folge publiziert die IEWG verschiedene wissenschaftliche Schriftenreihen. Sie veranstaltet Tagungen, Vorträge, Lesungen, Exkursionen und Ausstellungen. WerkeRomane, Erzählungen und Lyrik
Reden
Ehrungen
Literatur
WeblinksCommons: Ernst Wiechert – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Ernst Wiechert – Zitate
Einzelnachweise
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