Die Geschichte des Islam in den Vereinigten Staaten beginnt noch vor der Unabhängigkeitserklärung. Seit der kolonialen Ära, als schätzungsweise 200.000 muslimische Afrikaner über den Atlantik als Sklaven verkauft wurden, über das beginnende 20. Jahrhundert, als sich Zehntausende islamischer Emigranten aus Europa, dem Nahen Osten und weiteren Teilen Asiens in den Vereinigten Staaten niederließen, ist der Islam bis in die Gegenwart ein wesentlicher Teil der US-amerikanischen Geschichte. Seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 hat sich die Schere zwischen erfolgreich integrierten muslimischen Amerikanern und solchen am Rande der Gesellschaft bedeutend erweitert.
Der Islam ist nach dem Christentum und dem Judentum die drittgrößte Religion in den Vereinigten Staaten.[1] Nach einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center aus dem Jahre 2017 leben momentan in den USA knapp 3,5 Millionen Muslime, die 1,1 % der Gesamtbevölkerung ausmachen.[2] Die genaue Anzahl der Muslime in den Vereinigten Staaten ist unbekannt, weil das US Census Bureau im Sinne der Religionsfreiheit in den USA keine Angaben zur Religionszugehörigkeit erhebt. Entsprechende Schätzungen schwanken zwischen einer und sieben Millionen Muslimen in den USA.[3] 2009 erhielten über 115.000 muslimische Einwanderer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in den USA.[4] Fast ein Viertel der Muslime in den USA ist zum Islam konvertiert.[5]
Chronologie
16. bis 19. Jahrhundert
Als erster Muslim, dessen Anwesenheit in Nordamerika dokumentiert ist, gelangte der marokkanische Sklave Estevanico 1528 schiffbrüchig an den Ort des heutigen Galveston in Texas.
1856 wurde der türkische Konvertit Hadschi Ali bzw. Hi Jolly von der US-Kavallerie als Kameltreiber in Arizona und Kalifornien angestellt. Er änderte später seinen Namen zu Philip Tedro und starb 1903.
1888 konvertierte der Schriftsteller und Konsul Alexander Russell Webb (1846–1916) als erster Prominenter in den USA zum Islam. Webb war 1893 am ersten Weltparlament der Religionen der erste muslimische Vertreter.
Zwischen 1869 und 1898 wanderten 20.690 Asian Turks („Asiatische Türken“, d. h. Immigranten aus dem türkischen und arabischen Raum) legal in die USA ein.[6]
20. Jahrhundert
Nachdem das Gesetz zum Ausschluss der Chinesen von 1882 chinesischen Migranten die Zuwanderung in die USA untersagt hatte, wurde dieses Verbot mit dem Einwanderungsgesetz (Immigration Act) von 1917 auf Immigranten aus Arabien, Süd-, Zentral- und Südostasien ausgedehnt.
Im Ersten Weltkrieg wurden ab 1917 in den American Expeditionary Forces fast 14.000 Soldaten syrischer Herkunft, darunter zahlreiche Muslime, auf europäischem Boden eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg dienten ab 1941 mindestens 1500 muslimische Amerikaner von arabischer, afrikanischer und südasiatischer Herkunft in der US-Army.
Keith Ellison wurde 2006 der erste muslimische US-Kongressabgeordnete. Er legte seinen Amtseid nicht auf die Bibel, sondern auf eine englische Koranübersetzung ab, was in den USA zu einer heftigen Kontroverse führte. Als zweiter muslimischer Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus wurde André Carson 2008 gewählt.
Muslime in den USA sind friedlicher eingestellt als solche von außerhalb der USA
52 %
7 %
Muslime in den USA werden durch polizeiliche Maßnahmen benachteiligt
38 %
52 %
Gegen Massenverhaftungen von Muslimen
60 %
25 %
Bin der Meinung, dass die meisten Muslime Immigranten sind
52 %
Würde meinen Kindern ein Date mit einem Muslim erlauben
64 %
Muslimische Studentinnen sollten ein Kopftuch tragen dürfen
69 %
23 %
Würde für einen qualifizierten Muslim als politischen Amtsträger stimmen
45 %
45 %
Erfolgreiche Muslime
Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Newsweek aus dem Jahre 2007 repräsentieren muslimische Amerikaner „die wohlhabendste, am meisten integrierte und politisch engagierte muslimische Gemeinschaft in der westlichen Welt.“[8] Dieser finanzielle und soziale Erfolg steht in engem Zusammenhang mit der steigenden Mobilität von Einwanderern aus Ost- und Südasien, die seit 1965 in die USA gelangten, nachdem Präsident Johnson den Hart-Celler Act unterzeichnet hatte, mit dem die bisherige Quotenregelung der Einwanderung abgelöst und durch teils liberalere Bestimmungen ersetzt wurde. Um 1990 waren Immigranten von südasiatischer Herkunft bezüglich Einkommen und abgeschlossener Ausbildung anderen Gruppen deutlich voraus, wobei ein überdurchschnittlicher Anteil unter ihnen in leitenden Funktionen und freien Berufen tätig war. Obwohl aus Südasien wahrscheinlich weniger muslimische Immigranten als solche mit einem Hindu- oder Sikh-Hintergrund in die USA gelangten, wies die Anthropologin Karen Leonard 2004 in einem Referat an der Stanford University darauf hin, dass sie in einer allgemein herrschenden Sichtweise als „besonders privilegierte Gruppe“ mit einem Ruf als „Modellimmigranten“ eingeschätzt werden.[9]
Islam im staatlichen Strafsystem
Selbstverständlich lässt sich dieses generell rosige Bild nicht verallgemeinern. Am unteren Ende des sozialen Spektrums wird davon ausgegangen, dass von den rund 2,3 Millionen Strafgefangenen in den USA etwa 350.000 bzw. 15 % Muslime sind, ein vielfacher Prozentsatz im Vergleich zu ihrem Gesamtanteil an der Bevölkerung.[10] Zu den US-Prominenten, die im Gefängnis zum Islam konvertiert sind, gehören Malcolm X, der Gangster Jeff Fort, der Wrestler Montel Vontavious Porter sowie die Boxer Bernard Hopkins und Mike Tyson.[11] In amerikanischen Gefängnissen erfolgen 80 % aller religiösen Übertritte zum Islam.[12]
Umfrageresultate
In einer Newsweek-Umfrage unter nicht-muslimischen US-Amerikanern waren 46 % der Befragten der Meinung, dass die USA zu viele Einwanderer aus islamischen Ländern in die USA einreisen lasse. 52 % der Befragten erklärten sich mit der Überwachung von Moscheen durch das FBI einverstanden. 36 % der Befragten gaben an, einen in den USA lebenden Angehörigen des Islams persönlich zu kennen. 52 % der Befragten war bekannt, dass Muslime in den USA mehrheitlich Immigranten sind, während 19 % glaubten, die meisten unter ihnen seien in den USA geborene Konvertiten.
Untergruppen
Nach einer Schätzung aus dem beginnenden 21. Jahrhundert lebten damals 786.000 Schiiten in den USA. Sie sind von unterschiedlicher geographischer und soziokultureller Herkunft und führen einen Dachverband namens North American Shia Ithna-Asheri Muslim Communities (NASIMCO). Das Islamic Center of America in Dearborn, Michigan steht unter schiitischer Leitung.[13] Die Präsenz der Ahmadiyya-Bewegung geht in den USA auf die frühen 1920er-Jahre zurück, als Mufti Muhammad Sadiq den Bau der al-Sadiq-Moschee in Chicago initiierte.
Der Sufismus begann sich in den USA im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu entwickeln, sowohl infolge von Einwanderung als auch von Glaubensübertritten. An Orten in verschiedenen Teilen des Landes wurden Sufi-Gruppen gebildet, oft am Grab einer Gründerpersönlichkeit als Ausgangspunkt. So finden sich beispielsweise Anhänger von Bawa Muhaiyaddeen in der Gegend von Philadelphia, wo die Bawa Muhaiyaddeen Fellowship angesiedelt ist, während die Anhänger von Murshid Samuel Lewis (1896–1971) den Ort Abiquiú in New Mexico als das geistliche Zentrum ihrer Organisation Sufi Islamia Ruhaniat Society ansehen. Einige Gruppen identifizieren sich als Zweige größerer Sufi-Orden, die aus ihren ursprünglichen Gegenden „verpflanzt“ wurden. So bestehen an verschiedenen Orten Zentren der Naqschbandīya, der Halveti sowie der Dscherrahi. Eine Gruppe bezeichnet sich als Sufi-Orden des Westens und befolgt die Lehren von Hazrat Inayat Khan, der nach seiner Einwanderung in die USA 1910 einen Zweig des Chishtiyya-Ordens gründete. Aus Marokko gelangte 1973 ein Zweig der Schādhilīya in die USA. In New Mexico ist zudem die Sufi Foundation of America angesiedelt, in Texas der Zahra Trust, in San Rafael (Kalifornien) das Zentrum der School of Islamic Sufism.[17]
Moscheen
Die Anzahl der Moscheen in den USA wächst seit Ende des 20. Jahrhunderts schnell, zwischen 1990 und 2000 stieg ihre Anzahl um 42 Prozent.[18]
Zu den ältesten Moscheen landesweit gehört die al-Sadiq-Moschee in Chicago. Sie wurde 1922 von Mufti Muhammad Sadiq, dem ersten muslimischen Missionar in den USA und Anhänger der Ahmadiyya, gegründet und mit Geldern aus Indien finanziert. Das Islamic Center of Washington war ab 1944 in Planung und wurde 1957 durch Präsident Dwight Eisenhower eingeweiht. Unter Federführung des ägyptischen Botschafters in den USA erfolgte die Finanzierung mit Beiträgen aus der islamischen Welt. Das Islamic Cultural Center of New York, das ebenfalls eine Moschee enthält, konnte nach jahrzehntelangen Planungen und Verzögerungen aufgrund des 2. Golfkriegs erst 1991 eröffnet werden. Es wurde ebenfalls hauptsächlich mit ausländischen Geldern finanziert.
Die bisher größte Moschee in Nordamerika ist das 2005 eröffnete Islamic Center of America in Dearborn, Michigan. Der Bau gilt als „Herz des Schiitentums“ in den USA. Die Mosque Maryam in Chicago, eine ehemalige griechisch-orthodoxe Kirche, ist weiterhin die Hauptmoschee der Nation of Islam und dient heute als Residenz von Louis Farrakhan. Auch in ländlichen Gebieten werden zunehmend islamische Gotteshäuser errichtet. Um 2015 bestanden im Bundesstaat Idaho zwei Moscheen: in Boise und in Moscow.[19]
Die geographische, nationalstaatliche, religiöse, sprachliche, politische und soziokulturelle Diversität der US-amerikanischen Muslime, die der Gelehrte Akbar Ahmed in seinem Buch Journey into America: The Challenge of Islam beschreibt, das auf einer einjährigen, auch in einem Film dokumentierten Forschungsreise durch 75 Orte in den USA beruht, spiegelt sich ebenfalls in den unterschiedlichen muslimischen Institutionen.[20]
Dachverbände
Der größte muslimische Dachverband ist die Islamic Society of North America (ISNA), bzw. Islamische Gesellschaft Nordamerikas, der nach eigenen Angaben 27 % der Moscheen in den USA angeschlossen sind. Sie besteht überwiegend aus Immigranten, ging aus einer Zusammenkunft verschiedener muslimischer Studentenorganisationen 1963 hervor und wurde 1982 offiziell gegründet. Zu ihren ehemaligen Vorsitzenden zählt Ingrid Mattson. ISNA sieht als ihre Hauptaufgabe, ein gemeinsames Sprachrohr für den Aufruf zum Islam (daʿwa) zu sein. Zu ihren Unterorganisationen gehören AMSS (American Muslim Social Scientists, „Amerikanisch-Muslimische Sozialwissenschaftler“) und AMSE (American Muslim Scientists and Engineers, „Amerikanisch-Muslimische Wissenschaftler und Ingenieure“).
Der drittgrößte muslimische Dachverband heißt Islamic Circle of North America (ICNA). Er besteht ebenfalls hauptsächlich aus Immigranten und ihren Nachkommen. Gemäß Hossein Nasr steht er unter dem Einfluss von Maududi und ist ähnlich aufgebaut wie die von Maududi gegründete Jamaat-e-Islami. ICNA, ISNA, der Fiqh-Rat von Nordamerika, der Dachverband Federation of Islamic Associations of the United States and Canada und der Muslimische Studentenverband (MSA) sind sowohl in den USA als auch in Kanada tätig.[21]
Der auf seinen Reisen die unterschiedlichen Ausprägungen des Islam in verschiedenen Ländern porträtierende Akbar Ahmed weist darauf hin, dass muslimische Organisationen ab den 1970er Jahren hauptsächlich von Arabern kontrolliert wurden, die zwischen einem modernist and literalist Islam pendelten. Unter ihnen befanden sich die ISNA, MSA, IIIT, AMC, MPAC, ICNA und CAIR.[22]
Patrick D. Bowen: A History of Conversion to Islam in the United States. 2 Bände. Brill, 2015 bzw. 2017.
Gerhard Bowering, Patricia Crone, Wadad Kadi, Devin J. Stewart, Muhammad Qasim Zaman, Mahan Mirza (Hrsg.): The Princeton Encyclopedia of Islamic Political Thought. Princeton University Press, 2013. Online-Rezension (englisch)
James L. Conyers Jr. (Hrsg.): Africana Faith: A Religious History of the African American Crusade in Islam. Hamilton Books, 2017, ISBN 978-0-7618-6872-9. Online-Teilansicht
Edward E. Curtis IV (Hrsg.): The Practice of Islam in America. New York University Press 2017, ISBN 978-1-4798-0488-7.
Edward E. Curtis IV (Hrsg.): The Bloomsbury Reader on Islam in the West. Bloomsbury Academics, 2015, ISBN 978-1-4742-4536-4.
Edward E. Curtis IV: Muslims in America. A Short History. Oxford University Press, New York 2009, ISBN 978-0-19-536756-0.
Kambiz GhaneaBassiri: A History of Islam in America: From the New World to the New World Order. Cambridge University Press, Cambridge 2010, ISBN 978-0-521-61487-0.
↑Daniel Brumberg, Dina Shehata: Conflict, Identity, and Reform in the Muslim World: Challenges for U.S. Engagement. US Institute of Peace Press, 2009, S. 366. Online-Teilansicht
↑Akbar Ahmed, Journey into America. S. 269 („They appeared to exist in a cultural cocoon and were intoxicated with a sense of triumph because they believed they had brought Islam to America. In doing so, they were ignoring both the contribution and presence of African American Muslims.“ / dt. Sie schienen in einem kulturellen Kokon zu existieren und waren von einem Gefühl des Triumphs berauscht, weil sie glaubten, den Islam nach Amerika gebracht zu haben. Dabei ignorierten sie sowohl den Beitrag als auch die Präsenz von afroamerikanischen Muslimen.)
↑Johannes Grundmann: Islamismus, Bildung und Gesellschaft in Jordanien am Beispiel des privaten Hochschulwesens. Dissertation. 2010. (brs.ub.ruhr-uni-bochum.de)