Ignaz GoldziherIgnaz Goldziher (geboren als Isaak (Yitzhaq) Yehuda Goldziher; * 22. Juni 1850 in Stuhlweißenburg, Kaisertum Österreich; † 13. November 1921 in Budapest) war ein ungarischer Orientalist. Er publizierte einige seiner Werke auf Ungarisch, den Hauptteil jedoch in deutscher Sprache, seiner Erstsprache,[1] da seine Heimat bis zum Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn gehörte. Zusammen mit Theodor Nöldeke und Christiaan Snouck Hurgronje gilt er als Begründer der modernen Islamwissenschaft. LebenFrühe Jahre, KarrierebeginnGoldzihers sefardische Vorfahren kamen im 17. Jahrhundert nach Hamburg, zogen später nach Berlin, Wien und schließlich nach Ungarn, wo die Familie sich zunächst in Kittsee, das damals zu den burgenländischen Siebengemeinden gehörte, und im Jahre 1842 in Stuhlweißenburg niederließ. Sein Vater Adolf Goldziher, ein Schüler des Rabbiners Moses Sofer, war ein wohlhabender Lederwarenhändler,[2] der aber, als Ignaz Goldziher noch ein Kind war, verarmte. Aus wirtschaftlichen Gründen musste die ganze Familie 1865 nach Pest übersiedeln, wo Goldziher ab diesem Datum bis zu seinem Tode lebte. In Stuhlweißenburg besuchte er ein Gymnasium der Zisterzienser und nach seinem Umzug in Budapest ein protestantisches Gymnasium, das er 1868, zusammen mit Max Nordau, mit der Matura abschloss.[3] Sein erster Privatlehrer war der damals berühmte Vertreter der Hebraistik und Judaistik Moses Wolf Freudenberg, dessen Einfluss auf seinen Werdegang Goldziher in seinem Tagebuch lobend hervorhebt.[4] Schon 1865 hatte er sich als Hörer an der Universität Budapest eingeschrieben, wo er beim international bekannten Orientalisten Hermann Vámbéry Persisch, Arabisch, Syrisch und Türkisch hörte und aufgrund seiner Begabung zweimal den Preis pro diligentia erhielt.[5] Vámbéry hatte damals außer Goldziher nur einen weiteren Studenten.[6] Gleichzeitig lernte Goldziher bei Rabbiner Samuel Löb Brill Talmud (auf Aramäisch) und unterrichtete den gleichaltrigen Wilhelm Bacher in Persisch. 1869 ging Goldziher zunächst an die Universität zu Berlin, wo er bei Emil Rödiger, Johann Gottfried Wetzstein und Friedrich Heinrich Dieterici arabische und semitische Philologie hörte und bei Abraham Geiger und Moritz Steinschneider die Wissenschaft des Judentums erlernte. Anschließend zog er nach Leipzig, um dort bei dem damals bekanntesten Arabisten Heinrich Leberecht Fleischer, einem Schüler Silvestre de Sacys, zu studieren, dessen wissenschaftliches Erbe er anzutreten berufen war.[7] Dort promovierte er 1870 mit seiner Arbeit über den jüdisch-arabischen Bibelkommentator Tanchum Jeruschalmi (1220–1291).[8] Während seines Studiums in Leipzig begann er das vierbändige Lexicon arabico-latinum (Halle 1830–1837) von Georg Wilhelm Freytag mit Marginalien zu versehen, bestimmte Phrasen und ganze Sätze zu den einzelnen Wörtern zu schreiben.[9] In den folgenden Jahren betrieb er arabische Handschriftenstudien an der Universität Leiden und der Universität Wien (1871). Im Februar 1872 kehrte Goldziher nach Ungarn zurück. Im selben Jahr wurde er zum Privatdozenten – ohne Gehalt[10] – an der Universität Budapest ernannt. 1873 bis 1874 unternahm er eine Orientreise nach Istanbul, Beirut, Damaskus, Jerusalem und Kairo. Aus Kairo erhielt er 1875 einen Ruf als Direktor der Khedivial-Bibliothek. Doch sein Ziel war ein Lehrstuhl in Budapest. Das Jahr 1876 stellt einen tiefen Bruch in der steilen Karriere des jungen Forschers dar. Im März dieses Jahres erschien in Leipzig bei Brockhaus Goldzihers Buch Der Mythos bei den Hebräern und seine Entwicklung. Untersuchungen zur Mythologie und Religionswissenschaft. Das Buch muss als eine Kampfschrift verstanden werden, denn es war gegen die These Ernest Renans – sein Leben Jesu stand damals in jedem bürgerlichen Haus – gerichtet, dass die Semiten keine Mythologie gekannt hätten. Im gleichen Jahr nahm Goldziher eine Sekretariatsstelle an der israelitischen Kultusgemeinde zu Pest an, nachdem seine Hoffnung, in Budapest nach seiner Habilitation in arabischer Philologie einen ordentlichen Lehrstuhl zu bekommen, nicht in Erfüllung gegangen war – man zog trotz vorheriger Versprechen einen Katholiken vor. Am 29. Dezember 1877 lernte Goldziher Laura Mittler (1855–1925), die Tochter eines Hausarztes in Aradszentmárton (heute Sânmartin im rumänischen Kreis Arad), kennen; sie heirateten am 21. Mai 1878 in Arad.[11] Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor: Miksa (geb. 1880; gest. 1900 durch Freitod)[12] und Károly (1881–1955). In der Zusammenfassung seiner frühen Jahre, bis zu seinem vierzigsten Geburtstag, an dem er sein Tagebuch begann, schreibt Goldziher mit Bezug auf seine Familie:
– Tagebuch, S. 91–92 Am Rande des 6. Orientalistenkongresses in Leiden im Jahre 1883, an dem Goldziher als Delegierter des ungarischen Kultusministers teilnahm, fanden in Begleitung seiner Frau auch private Besuche bei Kollegen aus der Studienzeit 1871–1872 statt: „Die Sehnsucht, die Stätte meines jugendlichen Fleisses in Gesellschaft meiner Frau wiederzusehen […] machten wir denn, meine Laura und ich, von Norderney aus […] die Reise nach Holland.“[13] Im selben Jahr kamen Goldziher und seine Frau mit al-Afghani (siehe unten) in Paris zusammen. Akademische Laufbahn und BerufslebenNach seinen Auslandsstudien strebte Goldziher die Privatdozentur an der Universität Budapest an, die er nach anfänglichen Schwierigkeiten 1871 erhielt. Im September 1871 wurde er zur Probevorlesung geladen, deren Thema die Entwicklung der historischen Literatur bei den Arabern war. Als Habilitationsschrift erschien die Vorlesung in der Protestantischen Rundschau noch im selben Jahr.[14] Mit den Strömungen der Historiografie bei den Arabern beschäftigte sich Goldziher auch später und verarbeitete seine Habilitationsschrift in einer umfassenden Darstellung A történetírás az arab irodalomban (Die Geschichtsschreibung im arabischen Schrifttum), vorgelesen auf der Sitzung der Akademie am 4. November 1895.[15] Im liberalen Kultusminister Baron József Eötvös hatte Goldziher zunächst einen wichtigen Fürsprecher. Der Minister hatte geplant, Goldziher nach seiner Habilitation mit anschließender Forschungsreise einen Lehrstuhl für Semitistik an der Budapester Universität anzubieten. Doch Eötvös starb im Februar 1871, und Goldziher verlor damit einen wichtigen Fürsprecher in der Regierung und der Ungarischen Akademie. Er konnte zwar noch die geplante Orientreise unternehmen, doch nach seiner Rückkehr 1874 ging der ihm vor der Abreise versprochene Lehrstuhl an einen katholischen Theologen. Um sich und seine Familie finanziell über Wasser halten zu können, nahm Goldziher 1876 in der israelitischen Kultusgemeinde von Pest die Stelle des Gemeindesekretärs an, die er dreißig Jahre lang ausübte.[16] Seine Enttäuschung brachte er in seinem Tagebuch mit folgenden Worten zum Ausdruck:
– Tagebuch, S. 79–80 Goldzihers Tagebuch zeigt, wie verbittert er war – und wie diese Verbitterung umschlug in Hass auf die Budapester Juden, speziell auf seinen Kollegen David Kaufmann, für den er aber trotzdem die Totenrede am 11. Juli 1899 in Budapest hielt.[19] Im Jahre 1876 wurde er korrespondierendes Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.[20] In seiner Antrittsvorlesung „Die Stellung der spanischen Araber in der Entwicklung der islamischen Geschichte im Vergleich mit den östlichen Arabern“[21] verglich er den Islam in Spanien mit dem islamischen Osten, ein in der damaligen Orientalistik nur wenig behandeltes Thema.[22] Im selben Gremium hielt er am 29. Oktober 1888 die Ansprache anlässlich der Gedenkstunde zum Tod seines Mentors und Lehrers H. L. Fleischer († 10. Februar 1888), mit einer wissenschaftlichen Würdigung seiner Stellung in der europäischen Orientalistik. Die 44 Seiten umfassende, ungarisch geschriebene Gedenkrede, die Goldziher mit dem Titel Fleischer Leberecht Henrik emlékezete (In Erinnerung an H. L. F.) versah,[23] ist zugleich eine umfassende Darstellung der Geschichte der Islamwissenschaften, beginnend mit dem Wirken des französischen Orientalisten Silvestre de Sacy († 21. Februar 1838), dessen Schüler Fleischer gewesen ist. Am 2. September 1889 erhielt Goldziher in Stockholm aus der Hand von König Oskar II. (Schweden) die Goldene Medaille als höchste Auszeichnung des Internationalen Orientalistenkongresses.
– Tagebuch, S. 117 Über diese Auszeichnung berichtete Goldziher in einem Brief an seine Familie mit den Worten:
– Goldziher an seine Familie am 2. September 1889: József Schweitzer: Briefe zur Biographie von I. Goldziher. In: Robert Dán (Hrsg.): Occident and Orient: a tribute to the memory of Alexander Scheiber. Akadémiai Kiadó, Budapest und E. J. Brill, Leiden 1988. S. 354–355 In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung seiner hoch angesehenen Muhammedanische Studien und, ab Juni 1890, der Beginn seiner unregelmäßigen Aufzeichnungen in sein Tagebuch.[24] Am 6. Mai 1892 wurde Goldziher zum ordentlichen Mitglied der Akademie gewählt und vermerkte tags darauf Folgendes:
– Tagebuch, S. 138 In seiner Antrittsvorlesung am 24. Oktober 1892 stellte er die Tradition der Poesie der heidnischen Araber (A pogány arabok költészetének hagyománya) mit konsequenter Berücksichtigung der Gottesvorstellungen der Araber am Vorabend des Islam dar, ein Thema, das in seinen anderen Schriften immer wieder neu aufgegriffen wurde.[25] Die Studie steht in der Tradition von Theodor Nöldekes Beiträge zur Kenntnis der Poesie der alten Araber (Hannover 1864), in ihrer inhaltlichen Erweiterung anhand bis dahin unbenutzter Quellen, ferner in Julius Wellhausens Skizzen und Vorarbeiten, Heft 3: Reste arabischen Heidenthums (Berlin 1887) und in dessen Besprechung durch Nöldeke.[26] Mit dem Hinweis auf seine Publikation Der Diwān des Ǧarwal b. Aus al-Ḥuṭejʿa (siehe Veröffentlichungen) bestätigte er die bereits von Nöldeke geäußerte Ansicht, dass die in der alten Poesie erwähnten vorislamischen Götternamen im islamischen Schrifttum getilgt worden seien. Auf diese Tendenzen beim Umgang der muslimischen Gelehrtenwelt mit der altarabischen Poesie machte Goldziher bereits in seinen Muhammedanische Studien[27] aufmerksam. Im August 1900 hielt sich Goldziher in Begleitung seiner Frau in Paris auf, wo er vom Congrès d’Histoire des Religions zu dessen Vizepräsidenten gewählt wurde. „Vor einem grossen, gelehrtem Publikum im Amphitheater der Sorbonne“ hielt er aus diesem Anlass seinen Vortrag Islamisme et Parsisme.[28] Goldziher stand seit seiner Jugend den islamischen Erneuerungsbewegungen nahe und sympathisierte mit den Unabhängigkeitsgedanken muslimischer Denker seiner Zeit. In seinen Aufzeichnungen über seine Orientreise (1873 bis 1874) stehen mehrfach kritische Bemerkungen über das europäische Eindringen in den Orient. Während seines Aufenthalts in Kairo wurde er als erster Europäer zum Studium an der al-Azhar-Universität zugelassen. Am Rande seiner Studien befreundete er sich unter anderem mit Dschamal ad-Din al-Afghani, der zu jener Zeit seine politischen Aktivitäten in Ägypten entfaltete.
– Tagebuch, S. 68 Eine weitere Begegnung fand im Jahre 1883 in Paris statt: „Unter den merkwürdigsten Verhältnissen konnte ich dem Freund im Jahre 1883 wieder in Paris begegnen, wo er mit meiner Frau philosophische Gespräche führte und sich von ihr über europäische Kultur belehren liess.“[31][32] Berühmte Universitäten im Abend- und Morgenland haben Goldziher Professuren und Lehrstühle angeboten: Wien, Prag, Halle, Cambridge (hier als Nachfolger von William Robertson Smith), Königsberg, Heidelberg, Straßburg (hier als Nachfolger von Theodor Nöldeke), Leipzig, Breslau und Kairo. Goldziher lehnte allerdings jeden Ruf ab; denn Wissenschaft – so Goldziher mehrfach gegenüber seinen Schülern – habe keine Heimat, wohl aber der Wissenschaftler.[33] Sein selbstverschuldetes Martyrium vertraut Goldziher nur seinem Tagebuch an. Wie die meisten Juden in Ungarn, die kurz nach dem Ausgleich von 1867 durch das Gesetz über Judenemanzipation die vollen Bürgerrechte erhalten hatten, identifizierte sich auch Goldziher mit dem ungarischen Nationalismus und distanzierte sich deshalb vom Zionismus. Er sah das Judentum als religiösen, nicht als ethnografischen Begriff und bezeichnete dementsprechend seine Nationalität als transdanubisch und seine Religion als jüdisch.[34] Als er 1920 von seinem Budapester Schulkollegen Max Nordau gebeten wurde, sich der geplanten Universität in Jerusalem, der späteren Hebräischen Universität anzuschließen, schlug er das Angebot aus „patriotischen“ Gründen aus.[35] Dennoch besaß Goldziher durchaus Einfluss auf die Gestaltung der neuen Universität und stand dieser nicht ausschließlich ablehnend gegenüber. So legte er 1919 in einer Antwort auf die Anfrage Shemaryahu Levins, des Leiters des „Department of Education and Culture“ in den „Central Zionist Offices“ in London seine Vorstellung dessen dar, was eine Hebräische Universität hebräisch mache und welche Forschungsschwerpunkte zu setzen seien.[36] Sein Versuch, an dem im Jahre 1877 gegründeten Rabbinerseminar (Budapest) eine Professur zu erhalten, scheiterte. Im Herbst 1902 hat sich für ihn – wie er dies in seinem Tagebuch vermerkt – „ein Pförtchen aufgetan“; sowohl der Präsident als auch der Generalsekretär der Ungarischen Akademie haben ihm das Amt des Oberbibliothekars der Akademie angeboten. Seine Wahl galt als sicher, aber die ersten Gratulationen erwiesen sich als verfrüht. Goldzihers Kandidatur wurde im Mai 1903 unerwartet fallen gelassen. Der Grund dafür ging aus Äußerungen des Präsidenten der Akademie gegenüber F. Riedl (1856–1921), dem Literaturhistoriker an der Universität Budapest, hervor: „Die Juden wollen es nicht“.[37] Erst im Jahre 1905 wurde er als erster Jude zum ordentlichen Professor auf Lebenszeit an der Universität Budapest ernannt.[38] Zwischen 1917 und 1918 war er Dekan der Philosophischen Fakultät, anschließend Prodekan und Senatsmitglied.[39] Ab Oktober 1918 hielt er religionswissenschaftliche Vorlesungen am Rabbinerseminar.[40] Sein Verhältnis zum Rabbinerseminar in Budapest blieb stets gespannt, seine Position zu dessen Vertretern ablehnend; am 10. Mai 1917 trug er folgende Bemerkungen in sein Tagebuch ein:
– Tagebuch, S. 298 Im Rahmen der umfangreichen Veranstaltungsprogramme der Louisiana Purchase Exposition hielt sich Goldziher im Jahre 1904 in Begleitung von 40 europäischen Wissenschaftlern auf Einladung der Saint Louis University auf; eine weitere Einladung vom American Committee for Lectures of the History of Religions im Jahre 1908 lehnte er aus gesundheitlichen Gründen ab. Die für diese Einladung vorbereiteten Vorträge sind 1910 als Vorlesungen über den Islam (Heidelberg 1910) erschienen.[41] Die Zeitschrift für Assyriologie und verwandte Gebiete, eine Fachpublikation der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, ehrte Goldziher zum Abschluss des vierzigsten Jahres[42] seiner akademischen Tätigkeit mit einer Festschrift. In seiner Vorrede dazu schrieb Theodor Nöldeke im Dezember 1911:[43]
– Theodor Nöldeke: Zeitschrift für Assyriologie und verwandte Gebiete. Band 26 (1912), S. V.–VI. Bei diesem feierlichen Anlass, am 20. Dezember 1911, suchten Fachkollegen des In- und Auslandes Goldziher auf; sein Freund, der niederländische Orientalist Christiaan Snouck Hurgronje, und der Herausgeber der Jubiläumsausgabe Carl Bezold überreichten ihm die Goldziher-Festschrift persönlich.[44] Ignaz Goldziher starb am 13. November 1921 in Budapest. Etwa einen Monat nach Goldzihers Tod wurde sein Leichnam in der Säulenhalle der Ungarischen Akademie der Wissenschaften am 15. Dezember 1921 aufgebahrt. Auf seinem Grabstein steht der von ihm gewählte Spruch aus Psalm 23: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn Du bist bei mir […]“ Publikationen zum JudentumGoldzihers Leben war ein Leben zwischen Tora und Koran.[45] Er veröffentlichte bereits mit 12 Jahren unter dem Titel Sichat Jizchak (‚Gespräch des Isaak‘) eine Schrift über das jüdische Gebet und seine Bestandteile. Das Vorwort ist auf den 16. Mai 1862 datiert. Goldziher nennt diese Schrift in seinem Tagebuch „Sichath Jizchak, Abhandlungen über die Gebete“ und fügt hinzu:
– Tagebuch, S. 22 Anfangs schrieb er über Probleme der Wissenschaft des Judentums, später besonders über die Beziehungen des Islam zum Judentum, die islamische Polemik gegen den Talmud, gegen den Pentateuch, sowie über jüdische Sitten und Gebräuche in islamischen Schriften. Goldzihers eingangs genannte Dissertation war dem arabisch-jüdischen Lexikografen Tanchum Jeruschalmi (1220–1291) gewidmet. In seiner Monografie Der Mythos bei den Hebräern und seine geschichtliche Entwicklung (Leipzig 1876)[48][49] widerlegt er die vom französischen Orientalisten Ernest Renan (1823–1892) geprägte Auffassung über die „schreckliche Schlichtheit des semitischen Geistes“ und betont, dass Mythologie als Einleitung der Religion bei allen Völkern vorzufinden sei. Weder die arabisch-islamische Geschichte noch die arabische Nationalgrammatik, Jurisprudenz und Dogma seien – so Goldziher – Produkte des von Renan geprägten „le génie arabe“, sondern das Ergebnis eines von verschiedenen Tendenzen beeinflussten Entwicklungsprozesses. Goldzihers Versuch, Renans These vom Fehlen der Mythen bei den Hebräern zu widerlegen, stieß vor allem bei ungarisch-jüdischen Gelehrten auf heftige Kritik und scheiterte kläglich. Allerdings machte das Buch einen großen Eindruck auf Micha Josef Berdyczewski, der dem Verfasser 1913 den ersten Band seiner Sagen der Juden schickte, versehen mit einem Dankschreiben für sein Mythenwerk.[50][51] Diese Grundgedanken führte er auch in seinem monumentalen Vortrag über die Geschichte der Sprachwissenschaften bei den Arabern auf der Ungarischen Akademie der Wissenschaften am 16. April 1877 aus.[52] Er besprach auch das arabische Original von Maimonides Sefer ha-Mizwot (Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes III, S. 77ff.) und schrieb Bemerkungen zur neuhebräischen Poesie (Jewish Quarterly Review XIV). In seiner Vortragsreihe über „Wesen und Entwicklung des Judentums“ (1887–1888) stand er in der Tradition von Abraham Geiger, mit dem er im Jahre 1868 in Berlin studierte. Er vertritt in diesen Vorträgen, die nur auf Ungarisch erschienen sind, die Ansicht, dass Judentum universal und mit wissenschaftlichem Denken vollkommen vereinbar sei. Da um jene Zeit die Lehre über eine jüdische Aufklärung allerdings nicht mehr aktuell war, blieb das negative Echo nicht aus; man sah in ihm „eine Gefahr des Judenthums“, seine Ausführungen betrachtete man als „Ketzerei“. „Sie läugneten meine Competenz und trugen sehr viel dazu bei, meine Degradation zum Schreiber und „Schammes“ als das Natürlichste erscheinen zu lassen, was es überhaupt geben könne.“[53] Zwischen 1881 und 1893 publizierte er einige Arbeiten über vergleichende Religionswissenschaften und über das Judentum überwiegend in ungarischer Sprache.[54] In einem kurzen Artikel Abulvalid[55] würdigt Goldziher die von Wilhelm Bacher in den Jahren 1884–1885 publizierten sechs bedeutenden Arbeiten[56] über den jüdischen Sprachwissenschaftler Abū l-Walīd Marwān ibn Ǧanāḥ (* 990; † um 1040) aus Saragossa[57] und weist darin nachdrücklich auf die Einflüsse der arabischen Wissenschaften auf die Gestaltung und Entwicklung der jüdischen Gelehrsamkeit in jener Epoche hin. Die antisemitischen Angriffe auf das Judentum seines Berliner Kollegen Martin Hartmann, in denen von jüdischem „Rassenhochmuth“ und „Religionshochmuth“ die Rede ist, weist Goldziher im August 1896 entschieden zurück und verteidigt gegenüber Hartmann auch den Islam. Er hält Hartmann vor: „Machen Sie doch unseren Islam nicht gar zu schlecht“ und warnt ihn eindringlich, sich in die Arier nicht zu verlieben: „Jede Rasse hat ihr Theil Unmenschlichkeit. Die Rasse macht es nicht.“[58] In der Festschrift Studies in Jewish Literature issued in Honor of Professor Kaufmann Kohler (1913) behandelt Goldziher das Motiv der Zurechtweisung oder Aufmunterung der Seele in der neuhebräischen Poesie und ihre „literarische Anknüpfung“ an die moralisierende Dichtung der Araber des 8. Jahrhunderts.[59] Goldzihers wissenschaftliche Arbeiten sind oft von seinem Interesse für die islamischen Einflüsse auf theologische Schriften des Judentums geprägt. Dafür spricht seine äußerst detaillierte Besprechung des von Avraham Shalom Yahuda (1877–1951)[60] herausgegebenen Textes von Bachja ibn Jōsēf ibn Paqūda aus Andalusien (11. Jahrhundert), in der die Wechselwirkung zwischen beiden Geistesströmungen des Mittelalters in ihrem historischen und literarischen Zusammenhang mit Hinweis auf Bibeltextvarianten nach bis dahin unbenutzten Handschriften dargestellt wird.[61] Im Jahre 1914 ersuchte der Madrider Orientalist Miguel Asín Palacios Goldziher, eine geeignete Lehrkraft für die Rabbinische Literatur mit einer Vorlesungsreihe über die jüdische Literatur an der Universität Madrid zu empfehlen. Goldziher schlug für diesen Posten den oben genannten jungen sephardischen Gelehrten A. S. Yahuda vor; dazu sein Eintrag in seinem Tagebuch:
– Tagebuch, S. 276 Gemeint war damit das Alhambra-Edikt, erlassen im Jahre 1492 durch die katholische Königin Isabella von Kastilien und ihren Gatten, den König Ferdinand II. von Aragon. Goldziher war Redaktionsrat und Autor der Jewish Encyclopedia ferner Mitarbeiter an ungarischen und ausländischen jüdischen Zeitschriften. Unter dem Pseudonym Keleti I. und mit gewissem Widerwillen schrieb er – so Goldziher – „für ein jüdisches Blatt A jövő “ (Die Zukunft)[62] einen Nekrolog über den verstorbenen Talmudgelehrten Samuel Löb Brill (1814–1897), dessen Schüler er, mit dem oben genannten Wilhelm Bacher, gewesen ist:[63]
– Tagebuch, 215 Wilhelm Bacher, dem Goldziher seit 1865 in der gemeinsamen Studienzeit nahestand, gründete „eine ungarisch-jüdische Wochenzeitschrift“,[64] deren Mitarbeiter sich Goldziher „besseren Entschlüssen zuwiderhandelnd einfangen liess.“ „Die Szemle“ – so Goldziher – „wuchs recht rasch in das Princip der Gesinnungslosigkeit hinein und vertrat jene schadhaften Grundsätze, deren Bekämpfung nur mit Spott und Verläumdung vergolten wird.“ Der endgültige Bruch mit Bacher war dann die Folge.[65] In seiner 1909 erstmals veröffentlichten Studie Die islamische und die jüdische Philosophie des Mittelalters zeigt sich Goldziher als intimer Kenner der jüdischen wie auch der islamischen Philosophie des Mittelalters. Die Schrift ist ohne Anmerkungen geschrieben, meisterlich formuliert und enthält eine zu ihrer Zeit neue These: die dominierende Rolle des Neuplatonismus in der islamischen und jüdischen Philosophie. Auch endet die Darstellung der islamischen Philosophie nicht wie üblich mit Averroes (1126–1198), sondern mit Dschamal ad-Din al-Afghani (1838–1897), den Goldziher 1874 in Kairo kennen gelernt hatte.[66] Islamwissenschaftliche ArbeitenGoldziher gilt als einer der bedeutendsten Orientalisten. Er hat als erster die Geschichte der islamischen Traditionen in umfassender Weise kritisch dargestellt, das Sektenwesen im Islam sorgfältig erforscht und viele Untersuchungen von bleibendem Wert über die vorislamische sowie die islamische Kultur-, Rechts- und Religionsgeschichte der Araber veröffentlicht. Seine Studien erstreckten sich auch auf das Gebiet der alten und der neueren arabischen Dichtung. Er war einer der Mitbegründer der deutschsprachigen Enzyklopädie des Islam[67] und veröffentlichte dort mehrere Artikel.„Seit Ignaz Goldziher ist die Islamwissenschaft sich zunehmend bewußt geworden, daß der Islam nicht nur Träger hellenistischer Kultur gewesen ist, sondern auch im Rahmen der islamischen Religion griechisch-hellenistische Elemente adaptiert und selbständig weiterentwickelt hat.“[68] Diese Grundgedanken kommen schon in Goldzihers – nunmehr klassischem[69] – Frühwerk Die Ẓāhiriten (1884) zum Ausdruck.[70] In der Zusammenfassung der frühen Jahre, im ersten Teil seines Tagebuches, beschreibt Goldziher die wichtigsten Schwerpunkte und Zielsetzungen seiner Forschungstätigkeit:
– Tagebuch, S. 110 In seinen frühen Schriften über den Islam ist der Einfluss des liberalen Gedankengutes der Haskala und Abraham Geigers spürbar, der in seiner preisgekrönten Dissertation „Was hat Mohammed aus dem Judenthume übernommen?“ (Bonn 1833) Einflüsse des Judentums auf den Stifter des Islam untersucht hatte. Die akademische Auseinandersetzung mit der islamischen Religion und Kultur war schon bei Goldzihers älteren Zeitgenossen wie Julius Wellhausen, Reinhart Dozy und Theodor Nöldeke eng mit der Bibelkritik verbunden.[72] Goldziher versteht in seiner noch vor seiner Orientreise publizierten Arbeit „Die Nationalfrage bei den Arabern“[73], vorgetragen auf der Sitzung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften am 7. Januar 1873, den arabischen Propheten Mohammed als Träger einer universalen, monotheistischen Religion, durch die der bis dahin vorherrschende ethnische Pluralismus überwindbar sei.[74] Diesem Vortrag sind im Anhang (S. 49–64) vier Auszüge aus bis dahin nicht benutzten arabischen Handschriften als Textedition beigefügt, die die Polemik gegen die egalitären Bewegungen im Islam – asch-Schuʿūbīya[75] zum Thema haben. Von einer kurzen Abhandlung über diese Bewegung im 8. und 9. Jahrhundert aus der Feder des österreichischen Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall († 1856)[76] abgesehen, hat Goldziher mit seinem Vortrag erstmals auf die soziale Bedeutung dieser Lehre und ihre Gegner hingewiesen. Ein Thema, mit dem er in seinen späteren Arbeiten noch mehrfach beschäftigen sollte.[77] Nach seiner Orientreise (1873–1874) ergänzt Goldziher seine dreiteiligen Beiträge zur Geschichte der Sprachgelehrsamkeit bei den Arabern (Wien 1872–1874) mit einer weiteren Studie in ungarischer Sprache, vorgelesen am 16. April 1877 an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, ergänzt: A nyelvtudomány történetéről az araboknál. Irodalomtörténeti kisérlet. (Über die Geschichte der Sprachwissenschaften bei den Arabern. Ein literarhistorischer Versuch) erweitert,[78] die seit 1994 auch in einer englischen Übersetzung vorliegt (siehe: Literatur). Gegenstand dieser Arbeiten ist die Darstellung unterschiedlicher Sprachebenen in den islamischen Wissenschaftsdisziplinen, die Analyse der Unterschiede der klassischen Sprachschulen, die Rolle der Poesie und der Dialekte bei den Grammatikern. Über die Differenzen der Sprachschulen publizierte er um diese Zeit auch einen Auszug aus einer bis dahin unbenutzten Handschrift des Grammatikers al-Anbārī († 1181)[79] in Petersburg.[80] Ausgehend von seiner Kritik an Renans Histoire générale et systéme comparé des langues sémitiques[81] weist Goldziher unter anderem auf Einflüsse des aramäischen Vokalsystems bei der Konstituierung der arabischen Schriftsprache, auf die Vorherrschaft des mekkanischen Dialekts der Quraisch und auf die Wirkung der Philologen auf die Sprache bzw. Terminologie der Rechtsliteratur und Hadith-Gelehrsamkeit hin.
– Tagebuch, S. 92 Mit seinem Werk Die Ẓāhiriten (1884) betrat Goldziher islamwissenschaftliches Neuland. Er stellt darin die juristisch-theologische Schule des Andalusiers Ibn Hazm erstmals nach Originalquellen dieser heute nicht mehr existierenden Richtung islamischer Gelehrsamkeit dar. Es gilt neben der Arbeit von Eduard Sachau: Zur ältesten Geschichte des muhammedanischen Rechts[82] als das erste grundlegende Werk auf diesem Gebiet. Den Entwurf dieser Studien legte Goldziher in seinem Vortrag auf dem 6. Internationalen Orientalistenkongress in Leiden (1883) vor. Die ersten Grundlagen der Arbeit sind fast zeitgleich auf Ungarisch erschienen: A mohammedán jogtudomány eredetéről (Über den Ursprung der muhammedanischen Rechtswissenschaft).[83] Dieses Werk hebt die besondere Stellung der Rechtswissenschaften (Fiqh) in der Gesamtheit der islamischen Gelehrsamkeit hervor und war wegweisend für weiterführende Arbeiten – zum Beispiel von Joseph Schacht[84] – auf diesem Gebiet. „Ich bin dabei von der Ueberzeugung ausgegangen“, schreibt Goldziher im Vorwort (S. IX) des Buches, „dass ein Eingehen auf das sogenannte Fiqh, namentlich wenn man die Erkenntniss der geschichtlichen Entwicklung desselben im Auge hat, einen unerlässlichen Theil unserer Studien über den Islam bilden muss.“ Neben seiner Studie Materialien zur Kenntnis der Almohadenbewegung in Nordafrika (1887), vorgetragen auf dem 7. Internationalen Orientalistenkongress 1886 in Wien,[85] publizierte Goldziher in den Jahren 1889–1890 seine bahnbrechende Arbeit: Muhammedanische Studien. Der erste Band ist vor allem vorislamischen Aspekten und dem Übergang von der Dschāhilīya zum Islam gewidmet. Im einleitenden Kapitel (S. 1–44) stellt er zwei grundlegende Begriffe einander gegenüber: Muruwwa / Murūʾa, das heißt Tugend, männliche Tapferkeit, Virtus der Araber und Din, verstanden als die Religion Mohammeds, als die neue Botschaft an die Araber. Zwar gilt auch im Islam der Grundsatz: „ohne Virtus (muruwwa) gibt es keine Religion (din)“,[86] dennoch sind die Unterschiede und Gegensätze zwischen den beiden Geisteshaltungen im islamischen Schrifttum, einschließlich der Poesie, fassbar. In zwei weiteren Kapiteln wird das Verhältnis zwischen der Stammespolitik der Araber und der Institution des Islam, ferner – auf einer späteren historischen Entwicklungsstufe der islamisch geprägten Gesellschaft – die sozialen Unterschiede zwischen Arabertum und Nichtarabern (ʿAdscham) und ihr Spannungsverhältnis zueinander dargestellt (S. 40–146). Diese Thematik gilt als Überleitung zu einem Themenkreis, den Goldziher in der Forschung erstmals genau untersuchte: zu der sog. Schuʿūbiyya-Bewegung[87] im 8. und 9. Jahrhundert im islamischen Osten, deren überwiegend persische Anhänger den Supremat der Araber in Frage stellten und für die Gleichheit zwischen Arabern und Nichtarabern eintraten (S. 147–198). Die Darstellung dieses sozialen Phänomens in der islamischen Gesellschaft durch Goldziher gilt heute noch als wegweisend,[88] die er in seiner Abhandlung über Die Šuʿūbijja unter den Mohammedanern in Spanien[89] mit der Analyse lokalspezifischer Entwicklungen im islamischen Westen, wo Araber, Berber, ferner zum Islam konvertierte Christen und Saqāliba aufeinander trafen, ergänzte. Die Grundlage dieser Studie ist ein Sendschreiben des Dichters Abū ʿĀmir ibn Ġarsiya (Ibn Garcia) aus dem 11. Jahrhundert,[90] eines Muwallad christlichen Ursprungs, in dem der Verfasser den Vorrang der Nichtaraber über die Araber in Form von Gedichten und in Reimprosa hervorhebt. Die Abhandlung legte Goldziher dem XII. Internationalen Orientalistenkongress in Rom (Oktober 1899) vor.[91] Auch weitere, im ersten Band dieses Werkes nur kurz angesprochene Aspekte führte Goldziher an anderer Stelle aus; in seinem Artikel Die Ǧinnen der Dichter (dazu: Muhammedanische Studien, Band 1, S. 44) untersucht er die Rolle von Dschinnen in der früharabischen Poesie, die nach arabischer Vorstellung Dichtern den Wortlaut ihrer Dichtung zuflüstern können. Beispielen aus der alten Poesie zufolge war noch in der islamischen Zeit die Vorstellung vorherrschend, dass Dichter unter den Einflüssen der Dschinnen standen. Als Beispiel fügt Goldziher seine Teiledition aus einer Schrift des Dichters Abū l-ʿAlāʾ al-Maʿarrī bei und verweist auf entsprechende Ausführungen von al-Dschāhiz.[92] Der zweite Band der Muhammedanischen Studien besteht aus zwei Teilen: Ueber die Entwicklung des Hadith (S. 1–274) und Die Heiligenverehrung im Islam (S. 275–378). Dem letzteren Teil liegt die Abhandlung Le culte des saints chez les Musulmans, publiziert in der Revue de l’histoire des religions, II. S. 25–351 zugrunde.[93] Die Darstellung einer der zentralen Wissenschaftsdisziplinen des Islam, Hadith und Sunna hat an ihrer Bedeutung nach über hundert Jahren ihrer Publikation nichts eingebüßt.[94] Dabei wertet Goldziher erstmals in der Forschung umfangreiche, damals nur handschriftlich zugängliche Materialien des islamischen Schrifttums aus[95] und ermöglicht somit weitere Arbeiten in den Folgegenerationen. Das Ḥadīth, so Goldziher, „bietet uns ein unschätzbares Material von Zeugnissen für den Entwicklungsgang, den der Islam während jener Zeit durchmacht, in welchen er aus einander widerstrebenden Kräften, aus mächtigen Gegensätzen sich zu systematischer Abrundung herausformt. Und in dieser Bedeutung des Ḥadīth liegt die Wichtigkeit der gehörigen Würdigung und Kenntniss desselben für die Erfassung des Islam, dessen merkwürdigste Entwicklungsphasen von der successiven Entstehung des Ḥadīth begleitet sind.“[96] Die endgültige Ausarbeitung des zweiten Bandes dauerte kaum fünf Monate.[97] Beide Bände der Muhammedanischen Studien[98] sind mit inhaltlich weiterführenden Nachträgen in Form von selbständigen Studien zu den im Buch angesprochenen Aspekten ergänzt. Der erste Band (S. 219–272) enthält sieben Excurse und Anmerkungen:
Der zweite Band (S. 381–409) enthält fünf Excurse und Anmerkungen:
Der Nachdruck beider Bände in einem Band ist bei dem Georg Olms Verlag Hildesheim im Jahre 2004 erschienen. Die englischsprachige Version haben die Orientalisten und Übersetzer des Werkes Samuel Miklos Stern und C. R. Barber mit der Aktualisierung der Fußnoten versehen.[99] Dieses zweibändige Werk sollte durch weitere Studien ergänzt werden; denn die Abhandlungen zur arabischen Philologie „hatten ursprünglich die Bestimmung, als Fortsetzung meiner „Muhammedanische Studien“ zu dienen. Aber der überwiegend literarhistorische Charakter des Inhaltes, sowie die von jenem Werke verschiedene Art der Ausarbeitung haben mich veranlasst, mit ihnen eine neue Reihe zu beginnen.“ .[100] Der I. Teil des ersten Bandes (S. 1–105) beinhaltet eine bis heute unübertroffene Studie[101] über Schmähgedichte (hiǧāʾ) in der frühislamischen Literaturgeschichte und über ihre sozialhistorische Bedeutung, ergänzt durch Exkurse und Nachträge (S. 106–121). Die Grundlagen dieser Arbeit sind bereits in der Antrittsvorlesung zum ordentlichen Mitglied der Ungarischen Akademie (24. Oktober 1892) geschaffen worden: A pogány arabok költészetének hagyománya (Die Tradition der Poesie der heidnischen Araber).[102] Goldziher stellt in diesem Werk die Entwicklungsstufen der Formen der altarabischen Poesie dar, die in der Forschung bis heute weitgehend Gültigkeit haben.[103] Im II. Teil dieses Bandes wird die alte und neue Poesie im Urteil der arabischen Kritiker behandelt (S. 122–174). Im III. Teil des ersten Bandes wird der Ausdruck Sakīna untersucht und die Arbeit La notion de la Sakīna chez les Mohamétans, erschienen in Revue de l’Histoire des religions 28 (1893, S. 1–13), völlig neu bearbeitet und erweitert (S. 177–204). Der zweite Band ist der kritischen Edition des Kitāb al-muʿammarīn wal-waṣāyā des Abū Ḥātim as-Siǧistānī († 869)[104] gewidmet, einer Sammlung von Altersgedichten, aus der Feder hochbetagter Greise, „die in solchen Gedichten die Beschwerden des hohen Alters schildern, das Bild ihrer körperlichen und geistigen Hülflosigkeit vorführen und dabei einen sehnsüchtigen Rückblick werfen auf ihr entschwundenes Mannesalter und die Heldenthaten, die sie einstmals mit den Mannen ihres Stammes vollführen konnten.“ (Einleitung, S. IX.). Die Edition wird mit einer detaillierten, bis heute unübertroffenen Einführung in die Materie[105] versehen. Sie umfasst 92 Seiten; der kritische Apparat der Edition hat 70 Seiten.[106] In dieser Schaffensperiode Goldzihers ist das sechsbändige Werk, al-Musnad, von Ahmad ibn Hanbal in der damals berühmten Bulaq-Druckerei im Jahre 1895 erstmals erschienen. Diese mehrere tausend Seiten umfassende Hadith-Sammlung, ihre inhaltliche Struktur, Überlieferung und kulturhistorische Bedeutung stellt er in seiner Studie Neue Materialien zur Litteratur des Überlieferungswesens bei den Mohammedanern[107] dar. Im zweiten Band der „Muhammedanische Studien“ (S. 228) verweist Goldziher auf einige Handschriften dieses Werkes in der Staatsbibliothek zu Berlin und der Forschungsbibliothek Gotha und folgt zunächst der Feststellung des Orientalisten Wilhelm Pertsch († 1899), der – wie auch Aloys Sprenger – Ibn Ḥanbals Musnad als eine „zur Stützung seiner religiösen Lehre veranstaltete Traditionssammlung“ versteht. Nach genauer Lektüre des Musnad stellt er allerdings fest: „Eine bestimmte Tendenz hat den A. b. H. in der Auswahl und Aufnahme der Ḥadīṯe nicht geleitet. Es wäre ganz falsch, vorauszusetzen, dass er mit dieser Sammlung vornehmlich den Zweck verfolgt hat, jene Ḥadīṯe hervortreten zu lassen, welche zur Stützung seines besonderen Maḏhab dienlich sein könnten. Es begegnen uns vielmehr völlig widersprechende Sprüche in Bezug auf dieselbe Materie.“[108] Einen weiteren Höhepunkt in der philologischen Darstellung der Poesie der vorislamischen Zeit stellt Goldzihers Edition der Gedichte des Wanderpoeten Ǧarwal ibn Aus al-Ḥutaiʾa (‚der Zwerg‘) († gegen 661), aus dem 7. Jahrhundert dar, der zum Islam konvertierte, im Jahre 632 in der Ridda von der Religion abfiel, dessen dichterische Qualität aber noch in Kreisen der Folgegenerationen arabischer Philologen hohes Ansehen genoss.[109] Diese umfassende Arbeit ist zuerst in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft,[110] dann als Separatdruck in Leipzig 1893 erschienen: Der Dīwān des Ǧarwal b. Ḥuṭejʿa.[111] Die Publikation seines relativ kurzgefassten, dafür aber inhaltlich dichten und sehr informativen Artikels „Die Religion des Islams“ in der Reihe von P. Hinneberg (Hrsg.): „Die Kultur der Gegenwart“[112] war die Grundlage seiner Vorlesungen über den Islam,[113] die im Jahre 1908 ursprünglich als Vortragsreihe auf Einladung der American Committee for Lectures on History konzipiert war. Die „Vorlesungen“ sind in für sich eigenständige sechs Kapitel aufgeteilt: Mohammed und der Islam; Die Entwicklung des islamischen Rechts; Entwicklung des islamischen Dogmas. Ein Kapitel ist den Grundlagen der islamischen Askese, den Sufi-Bewegungen und den Mahdi-Bewegungen gewidmet. Auf mehr als 60 Seiten stellt Goldziher die Entstehung der islamischen Sekten dar. Den Abschluss bildet eine Abhandlung über späte Entwicklungen bis in die Moderne. 1907 war das Werk fertig:
– Tagebuch, S. 257 Goldziher trat die Reise aus gesundheitlichen Gründen allerdings nicht an; nach einer für ihn nicht akzeptablen englischen Übersetzung des Buches bestand er im Jahre 1909 darauf, die „Vorlesungen“ in der Originalsprache und mit seinen nachträglichen Korrekturen beim Verlag Winter in Heidelberg zu publizieren. Die neuen Erkenntnisse, die Goldziher aus der Lektüre des damals, ab 1905, publizierten Klassenbuches von Muhammad ibn Saʿd gewonnen hat, sollten in den „Vorlesungen“ berücksichtigt werden.[114] Eine zweite englische Übersetzung von Kate Chambers Seelye ist unter dem Titel Mohammed and Islam 1917 bei Yale University Press erschienen, die aber der Herausgeber auf Wunsch Goldzihers zurückzog.[115] Das Werk gilt als Grundriss der islamischen Dogmengeschichte und Analyse der unter dem Einfluss des Korans stehenden Rechtsentwicklung.[116] Es ist nach beachtlichen Korrekturen und kritischen Bemerkungen durch Franz Babinger[117] in einer zweiten Auflage im Jahre 1925 erschienen, die mit dem Original aus 1910 nicht vergleichbar ist. Diese Ausgabe würdigt der Orientalist Carl Heinrich Becker mit den Worten: „daß hier der Begründer einer neuen Disziplin die Arbeit eines langen Lebens systematisch zusammengefaßt hat“.[118] Der in der Fachwelt heute anerkannten englischen Übersetzung liegt die Originalausgabe mit Goldzihers Anmerkungen und Ergänzungen aus 1910 zugrunde und ist unter dem Titel Introduction to Islamic Theology and Law erschienen.[119] Im Jahre 1908, nach der Annexion von Bosnien und Herzegowina, hat das k. u. k. Finanzministerium Goldziher ersucht, ein Lehrbuch über die Geschichte der arabischen Literatur für die zwei Oberklassen der Gymnasien in Bosnien zu schreiben. Da Goldziher die Ansicht vertrat, dass beide Provinzen ursprünglich über Jahrhunderte zu Ungarn gehörten, verfasste er das Buch nicht – wie üblich – in deutscher Sprache, sondern auf Ungarisch: „Az arab irodalom rövid története“ (Kurze Geschichte der arabischen Literatur).
– Tagebuch, S. 258 Das Buch ist dann unter dem Titel „Kratka povijest arabske književnosti“ im Jahre 1909 in Sarajevo veröffentlicht worden. Das ungarische Originalmanuskript liegt im Archiv der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Die englische Übersetzung des Buches besorgte dann Joseph DeSomogyi, einer der letzten Schüler von Goldziher, der das Manuskript im Jahre 1945 an A. S Yahuda, damals an der Yale University, zwecks Veröffentlichung in Amerika schickte. Erst 1955 erhielt DeSomogyi vom Islamic Cultural Board in Hyderabad die Nachricht, dass die Übersetzung durch Yahudas Vermittlung nunmehr in der Zeitschrift Islamic Culture, Jahrgang 1957 publiziert wird.[120] Hierzu schreibt J. DeSomogyi in der Einleitung zur Buchausgabe der englischen Übersetzung:[121]„Die erste englische Ausgabe des Werkes war ein schönes Beispiel für eine internationale, geistige Kooperation: das Buch eines jüdischen Autors, übersetzt und erweitert durch einen Christen, ist durch einen Muslim als Herausgeber publiziert worden.“ Der Archäologe Aurel Stein war der Meinung, dass das Buch auch an muslimischen Gymnasien Indiens als Unterrichtsmaterial verwendet werden solle.[122] Dieses in der englischen Übersetzung nur 172 Seiten umfassende Buch ist bis heute ein guter Einstieg in das Studium des arabischen Schrifttums, das nicht nur die Arabische Literatur das heißt Adab, Poesie und Prosa, sondern alle Gebiete der islamischen Gelehrsamkeit vom Koran bis zu den Naturwissenschaften erfasst, ihre wichtigsten Repräsentanten und deren Werke nennt. Das Schrifttum des islamischen Westens wird in einem eigens dafür gewidmeten Abschnitt (S. 139–158) dargestellt. Goldzihers letztes Werk ist der Geschichte der Koranexegese gewidmet: „Die Richtungen der islamischen Koranauslegung“ enthalten seine im September 1913 an der Universität Uppsala gehaltenen Vorträge in ihrer erweiterten Überarbeitung.[123] Die Darstellung der theologischen Entwicklung der Koraninterpretation von den Anfängen bis in die Zeit des islamischen Modernismus im frühen 20. Jahrhundert gilt heute noch als „meisterhaft.“[124] Neben der traditionellen und dogmatischen Koranauslegung werden sowohl die Deutungen des Korantextes durch die islamische Mystik als auch die sektiererische Koranauslegung ausführlich untersucht. Die immense Bedeutung des umfangreichen Kommentars von at-Tabarī, das erstmals 1911 in einer vollständigen Ausgabe vorlag, hat Goldziher in diesem Werk mehrfach hervorgehoben und ihn in der historischen Darstellung dieser Wissenschaftsdisziplin konsequent benutzt. Einige der oben genannten, heute noch wegweisenden Werke Goldzihers sind in Form von thematisch verwandten Vorarbeiten zunächst auf Ungarisch erschienen. Die Studien über Nationalitätsfragen bei den Arabern (1873)[125] sind in den Mohammedanische Studien (1889–1890) und Vorlesungen über den Islam (1910) ausgewertet und erweitert worden. Arbeiten über die Dichter und Poesie in der vorislamischen Zeit (1892)[126] erhielten ihre Vollkommenenheit in den Abhandlungen zur arabischen Philologie (1896–1899). Seine Vorlesung bei der Körösi-Csoma-Gesellschaft über Strömungen in der Koranexegese (1912)[127] hat Goldziher in seinem letzten Werk, in den Richtungen der islamischen Koranauslegung ausgearbeitet und wesentlich ergänzt.[128] Seine Gedenkrede am 27. November 1893 an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften anlässlich des Todes des oben bereits genannten französischen Orientalisten Ernest Renan sorgte für Aufmerksamkeit der Fachwelt bis in die Gegenwart hinein: Renan mint orientalista (Renan als Orientalist).[129] In dieser rund hundert Seiten umfassenden Studie stellt Goldziher den verstorbenen Kollegen im Rahmen der Wissenschaftsgeschichte der europäischen Orientalistik dar, spricht aber den von Renan geprägten Unterschied zwischen der arischen und semitischen Rasse, der in Renans Denken eine zentrale Bedeutung hatte, nur am Rande und behutsam an.[130] Er begann im Mai 1893 damit, die Studie niederzuschreiben:
– Tagebuch, S. 159 Am 28. November 1893, nach dem Vortrag eines Teiles dieser Arbeit auf der Akademie, schreibt Goldziher:
– Tagebuch, S. 165–166 Goldzihers Position gegenüber Renan und sein Verständnis von der islamischen Kultur und Religion, was schon in seiner Arbeit Der Mythos bei den Hebräern … – zum Teil unter dem Einfluss von Geiger – anklingt, wird in dieser ursprünglich als Gedenkrede vorgesehenen Studie deutlich zum Ausdruck gebracht.[131] Zur SprachenfrageGoldziher schrieb seine islamwissenschaftlich heute noch unentbehrlichen Werke überwiegend in deutscher Sprache. Seine Beiträge waren in den europäischen Fachzeitschriften der Orientalistik stets willkommen. Einige Wochen vor seinem Tod ermutigte ihn Hellmut Ritter, damals Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Islam“, mit folgenden Worten:
– Brief an Ignaz Goldziher am 27. September 1921[132] Viele seiner Aufsätze erschienen nur auf Ungarisch[133] und sind bisher nur zum Teil ins Deutsche übersetzt worden, was seine Zeitgenossen schon zu seinen Lebzeiten zutiefst bedauert haben. Im Dezember 1885 richtete der damals bedeutendste Islamwissenschaftler und Semitist Theodor Nöldeke an seinen jungen Kollegen folgende Zeilen:
Kurz nach Goldzihers Tod äußerte sich der britische Orientalist Anthony Ashley Bevan im Journal of the Royal Asiatic Society, Jahrgang 122, S. 144 ähnlich:
In der Besprechung der Bibliographie des œuvres de Ignace Goldziher von Bernard Heller, schreibt Hans Heinrich Schaeder in der Orientalistischen Literaturzeitung:
An eine breite Leserschaft richtete Goldziher wissenschaftlich fundierte Studien, die in nicht islamwissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen und nur auf Ungarisch – „magyarisch“ (Nöldeke) – zugänglich sind: Az iszlám az omajjádok bukásáig (Der Islam bis zum Sturz der Umayyaden)[137] oder Az arabok (Die Araber)[138] erörtern einerseits die Geschichte des Frühislam, andererseits bieten sie aber auch einen genauen Überblick sowohl über den Koran als auch über die islamische Gelehrsamkeit der ersten muslimischen Jahrhunderte nach dem Tod des Propheten Mohammed. In seinem Az egyiptomi iszlám (Der Islam in Ägypten)[139] beschreibt er die zum Teil in der altägyptischen Tradition wurzelnden Sitten und Bräuche ägyptischer Muslime und stellt ihre vom sunnitischen Islam nicht akzeptierte Verehrung von Lokalheiligen dar und geht damit inhaltlich weit über die Darstellungen des ägyptischen Alltags im ausgehenden 19. Jahrhundert bei Edward William Lane hinaus. Die Beschreibung der orientalischen Handschriften in der Bibliothek des Ungarischen Nationalmuseums, – heute: Széchényi-Nationalbibliothek[140] – mit der Goldziher nach seiner Orientreise beauftragt wurde, erschien 1880 ebenfalls in ungarischer Sprache. Der von Goldziher untersuchte Bestand enthält 23 arabische, 6 persische 10 türkische und 17 Sammelhandschriften. Die zum Teil sehr detaillierten Untersuchungen einiger Unica sind heute noch äußerst informativ: A Magyar Nemzeti Múzeumi Könyvtár keleti kéziratai. (Die orientalischen Handschriften der Bibliothek des Ungarischen Nationalmuseums).[141] Die Darstellung der damals nur wenig bekannten Presse Ägyptens unter dem Titel A muhammedán közvéleményről (Über die öffentliche Meinung der Muslime) ist in Budapesti Szemle 30 (1882), S. 234–265 publiziert und 1993 ins Englische übersetzt worden.[142] Zehn Jahre nach seiner Orientreise veröffentlichte die Ungarische Akademie der Wissenschaften einen 72 Seiten starken Bericht Goldzihers über die Geschichte archäologischer Arbeiten in Palästina im 19. Jahrhundert auf Ungarisch: Palesztina ismeretének haladása az utolsó három évtizedben (Die Entwicklung der Kenntnisse über Palästina in den letzten drei Jahrzehnten). Als korrespondierendes Mitglied der Akademie legte er seinen Vortrag am 3. November 1885 vor, der in den Publikationen der Akademie 1886 erschienen ist.[143] Auch diese Arbeit über ein für ihn an sich fremdes Gebiet ist nicht in der damaligen „Gelehrtensprache“ der Orientalistik abgefasst worden, sondern auf Ungarisch, um dadurch ein breites Publikum über die damaligen Forschungsarbeiten in Palästina zu informieren. Er informiert den Leser über die Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung Palästinas anhand der Arbeiten von Adrianus Reland (1676–1718), durch die Darstellung der Aktivitäten des Palestine Exploration Fund und des in 1849 durch den britischen Konsul James Finn († 1872) gegründeten Jerusalem Literary Society. Auch die archäologischen Forschungsergebnisse von Charles Clermont-Ganneau, dem Entdecker von Gezer (1871), vor allem dessen Publikation Les fraudes archéologiques en Palestine (Paris 1885),[144] haben diesen umfangreichen Artikel Goldzihers wesentlich beeinflusst.[145] Ebenfalls in der Zeitschrift Budapesti Szemle (Budapest Review) erschien 1887 der Artikel Mekkai utazások (Reisen nach Mekka),[146] in dem Goldziher zunächst über europäische Reisende vom 16. Jahrhundert an berichtet, um dann die Reise (1884–1885) und den darüber geschriebenen Bericht seines Kollegen und Freundes, des holländischen Orientalisten Christiaan Snouck Hurgronje darzustellen und zu würdigen.[147] Veranlasst durch die Publikation der Autobiografie von Slatin Pascha († 1932),[148] die zeitgleich auch in ungarischer Übersetzung erschien[149] veröffentlichte Goldziher einen ebenfalls für die breite Öffentlichkeit bestimmten Artikel über den Islam im Sudan des 19. Jahrhunderts: A Mahdi országából (Aus dem Land des Mahdi)[150] und stellt darin – stets mit Hinweisen auf Berichte von Slatin Pascha – den Mahdi-Aufstand (1881–1899) aber auch weitere zeitgenössische Bewegungen wie die Sanūsīya dar. Für die breite Öffentlichkeit waren auch seine Beiträge in der Brockhaus Enzyklopädie bestimmt. Hierfür findet sich die Eintragung im Tagebuch im Jahre 1890:
– Tagebuch, S. 123 Goldzihers Freundschaft mit dem schottischen Theologen und Arabisten William Robertson Smith in Cambridge auf dem 6. Internationalen Orientalistenkongress in Leiden in 1883 und nach dessen Tod im Jahre 1894 war für ihn eine Verpflichtung, unvollendete Arbeiten seines Freundes zu ergänzen und als erweiterte Ausgabe derselben publizieren zu lassen. Dazu schreibt er in seinem Tagebuch:
– Ignaz Goldziher: Tagebuch, S. 217 (15. Juni 1897) Die erweiterte, mit Goldzihers Anmerkungen versehene Ausgabe von Robertson Smith’s Kinship and marriage in early Arabia ist 1903 erschienen.[152] Seine Bibliothek und KorrespondenzDie rund 6000 Bände umfassende Privatbibliothek Goldzihers ist drei Jahre nach seinem Tode dank intensiver Bemühungen von Chaim Weizmann, dem damaligen Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, von der Universitätsbibliothek Jerusalem gekauft worden,[153] während seine umfangreiche Korrespondenz in den Besitz der Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest gelangte. Auf die Pflege seiner Korrespondenz und Kontakte im wissenschaftlichen Leben seiner Zeit legte Goldziher großen Wert, wie darüber sein Schüler József Somogyi (Joseph Desomogyi) zu berichten weiß:
– Joseph Desomogyi (1961), S. 9; Róbert Simon (1986), S. 159 Erhalten geblieben sind – mit wenigen Ausnahmen – nur die an Goldziher adressierten Briefe. Die rund 13.700 Briefe, die er sowohl von Wissenschaftlern als auch von Privatpersonen seiner Zeit erhalten hat, sind in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften katalogisiert.[154] Den Eingang dieser Briefe und Postkarten registrierte Goldziher mit seinem Privatsiegel mit der arabischen Aufschrift:فصبر جميل والله المستعان / fa-ṣabrun ǧamīlun wa-Llāhu ʾl-mustaʿān / ‚Ausdauer ist gut: und Gott ist der, zu dem man um Hilfe aufblicken muss‘ (Sure 12, Vers 18), die er zusammen mit einem Bibelzitat auch auf der ersten Seite seines Tagebuchs notierte.[155] Siehe Foto. Seine Korrespondenz mit nahezu allen bedeutenden Repräsentanten der Islamwissenschaften Europas ist ein unschätzbares Dokument sowohl für die Erforschung von seinem Leben und Wirken als auch für die Darstellung der Geschichte der Orientalistik des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts.[156] Auch bekannte Persönlichkeiten des Orients, deren Briefe in Goldzihers Sammlung erhalten sind, standen im Kontakt zu ihm, unter ihnen der Vertreter des arabischen Nationalismus Ǧurǧī Zaydān (* 14. Dezember 1861 in Beirut; † 21. Juli 1914 in Kairo),[157] der Gründer und Verleger der auch im Westen bekannten Zeitschrift al-Hilāl (A Fortnightly Illustrated Arabic Periodical). Nach der Publikation seines Werkes über die Geschichte der islamischen Zivilisation in fünf Bänden (1901–1906: Taʾrīḫ at-tamaddun al-islāmīy), wovon der britische Orientalist David Samuel Margoliouth den IV. Band ins Englische übersetzte,[158] legte Zaydān Wert darauf, Goldzihers Meinung über dieses Werk zu erfahren.[159] In anderen Schreiben bat er Goldziher, seine Meinung auch über seine weiteren Publikationen zu äußern: über die Geschichte der Araber vor dem Islam (1907–1908: Taʾrīḫ al-ʿarab qabla ʾl-islām), und über die Geschichte der Literatur in arabischer Sprache (1910–1913: Taʾrīḫ ādāb al-luġa al-ʿarabiyya)[160] – jeweils mit der Bestätigung der Antworten von Goldziher, die wahrscheinlich nicht mehr erhalten sind.[161] Goldzihers Korrespondenz dokumentiert die Pflege seiner Kontakte zu Persönlichkeiten auch aus der Studienzeit; zum früheren Staatssekretär Ṣāliḥ Bey al-Maǧdī, einem bedeutenden Vertreter der arabischen Nationalbewegung,[162] in dessen Kreis er sich gegen den europäischen Einfluss auf den Orient aussprach.
– Tagebuch, S. 67 Seine politische Position zu der arabischen Unabhängigkeitsbewegung unter Ahmed Urabi Pascha fasste Goldziher dann in einem ungarischen Artikel A mohammedán közvéleményről (Über die muhammedanische öffentliche Meinung) zusammen,[163] der nunmehr in einer englischen Übersetzung ebenfalls vorliegt.[164] Seine Kontakte zu Ḥasanen (Ḥasanayn) Efendi, einem für ihn wichtigen Beamten der Bibliothek des Khediven, waren ebenfalls von Dauer. Mit ihm kam Goldziher auch außerhalb der akademischen Bildung zusammen:
– Tagebuch, S. 66 In sechs zum Teil langen Briefen informiert er Goldziher über die Bestände der Handschriftensammlung der Bibliothek und schreibt Passagen aus, die für seinen „Lehrmeister“ von Bedeutung sein dürften. Seine Informationen über Neuerscheinungen der damals renommierten Būlāq-Druckerei publizierte Goldziher im Original in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Er hebt in seiner kurzen Mitteilung vor allem den neuen Druck des Lisān al-ʿarab von Ibn Manzūr hervor und vermerkt: „Wol eine erfreuliche Neuigkeit für die Arabisten! Es ist dies das Werk, welches als eine Hauptquelle für Lane diente.“[166] Auch der im Brief genannte Kommentar von an-Nawawī zur Hadith-Sammlung von Muslim ibn al-Haddschādsch galt damals als Novum.[167] Einige Briefumschläge adressierte Ḥasanein auch auf Arabisch und titulierte Goldziher als den „ungarischen Azhariten von Budapest.“ (Siehe Foto).[168] Goldziher hat sich diese Titulierung zu eigen gemacht und pflegte, wie Zeitgenossen berichten, seine Bücher in den persönlichen Widmungen an orientalische Freunde mit dieser Bezeichnung signiert zu haben. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten war auch der damalige Direktor der Viceköniglichen Bibliothek von Kairo, Wilhelm Spitta (1853–1883),[169] Goldziher behilflich – wie dies aus der ersten Fußnote des obigen Artikels in der ZDMG ebenfalls hervorgeht. Ihr wissenschaftlicher Gedankenaustausch ist in einigen Briefen an Goldziher festgehalten: „Das kinderlied habe ich Ihnen auf dem umstehenden blatte noch einmal copiert, da verschiedene charakteristische kleinigkeiten von Ihnen beim raschen aufzeichnen übersehen waren; die von Ihnen beanstandeten stellen beruhen meistens nur auf unrichtiger lesart.“ – Nach der Erläuterung umgangssprachlicher Begriffe des Kairiner Dialektes folgen noch zwei persönliche Bemerkungen des Bibliotheksdirektors über gemeinsame Bekannte: „Suleimān-efendy ist noch im dienst, ist sogar erhöht worden: er ist dumm, aber er kennt mechanisch die bücher und ihre standorte, und ich brauche solche lebendige maschinen.“ Und als Nachtrag: „Französisch hat Ḥasanen noch immer nicht gelernt; ich rathe ihm jetzt lieber englisch zu lernen; Sie begreifen warum.“[170] In der Korrespondenz kommt neben den Aspekten des persönlichen Alltags auch der wissenschaftliche Gedankenaustausch mehrfach zum Ausdruck, dessen Bedeutung in der Forschung nicht zu unterschätzen ist.[171] Nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Muhammedanische Studien schrieb Ludolf Krehl († 1901 in Leipzig) folgende Bemerkungen an seinen Freund Goldziher:
– L. Krehl am 5. März 1889: Briefe Zumindest kurzzeitig stand Goldziher auch mit dem ägyptischen Bildungsminister Ali Pascha Mubarak in Kontakt, dessen Geschichte der Städte Ägyptens Al-Khitat at-taufiqiya er 1891 in der Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes positiv rezensierte und zudem für seine Muhammedanischen Studien verwendete. Mubarak sendete ihm zum Dank ein signiertes Exemplar seines Romans Almaddin zu, das bis heute in seiner Privatbibliothek überdauert hat. Goldziher erkannte in dem ägyptischen Politiker und Gelehrten sein Idealbild des muslimischen Reformers, der es verstand, modernes europäisches Wissen mit traditioneller islamischer Gelehrsamkeit zu verbinden. Die TagebücherGoldziher hat zwei autobiografische Aufzeichnungen als historisch wertvolle Dokumente[177] hinterlassen: das sog. Orientalische Tagebuch mit dem ungarischen Titel: Keleti naplóm (Mein orientalisches Tagebuch) aus den Jahren 1873 und 1874 und das Tagebuch (Napló), das er an seinem vierzigsten Geburtstag zu schreiben begann. Beide Bücher zeichnen sich durch lose und nicht täglich eingetragene Aufzeichnungen aus. Gleich zu Beginn des Tagebuches erwähnt Goldziher bestimmte „ältere Aufzeichnungen“,[178] die ihm als Quelle dienen und im Orientalischen Tagebuch verweist er auf ein „Arabisches Notizbuch“,[179] das offenbar verloren gegangen ist. Denn darin sind genaue Angaben zum Beispiel über seine Zulassung zum Studium am al-Azhar erhalten, die im Orientalischen Tagebuch an der entsprechenden Stelle fehlen. Der Wortlaut des Zulassungsschreibens vom Januar 1874 – als Zitat – ist im erst später entstandenen Tagebuch dokumentiert. Weitere Einzelheiten, die Goldziher später an anderen Stellen verarbeitete, dürften ebenfalls auf dieses Notizbuch zurückzuführen sein.[180] Das orientalische TagebuchIn seinen jungen Jahren, vom 15. September 1873 bis zum 14. April 1874, fand Goldzihers Orientreise nach Istanbul, Beirut, Damaskus, Jerusalem und Kairo statt, worüber er ein Tagebuch anlegte, das nach dem Tod seines Sohnes Károly (1955) – wie auch das im Jahre 1890 begonnene Tagebuch (siehe unten) – in den Besitz des ungarischen Rabbiners und jüdischen Gelehrten Sándor Scheiber (1913–1985) überging.[181] Scheiber übergab das in deutscher Sprache abgefasste Tagebuch seinem Freund, dem Anthropologen und Orientalisten Raphael (Ervin György) Patai (1910–1996), der es unter dem Titel Oriental Diary im Jahre 1987 in englischer Übersetzung publizierte. Das Original, das Goldziher „Keleti Naplóm“ (‚Mein orientalisches Tagebuch‘) nannte,[182] befindet sich heute im Jewish Theological Seminary[183] in New York City. Die Eintragungen enden mit dem 14. Januar 1874, obwohl Goldziher bis Mitte April desselben Jahres in Kairo geblieben ist. Die Aufzeichnungen über die letzten drei Monate sind offenbar in den Kriegswirren des Jahres 1944 in Budapest verloren gegangen,[184] denn über diese Zeit berichtet Goldziher in der Zusammenfassung seiner frühen Jahre in seinem Tagebuch 1873/4:
– Tagebuch, S. 55 Erst nach über zwanzig Jahren hatte Goldziher noch einmal die Gelegenheit, Kairo zu besuchen; er hielt sich dort im Februar 1896 als Leiter und Dolmetscher einer Delegation von Gymnasiallehrern auf. Seinen Besuch am al-Azhar schildert er mit folgenden Worten:
– Tagebuch, S. 198 Während dieses Aufenthaltes sammelte er Materialien für einen Artikel über den Islam in Ägypten, der in einem Sammelband, mit den Beiträgen anderer Delegationsmitglieder, auf Ungarisch erschienen ist: „Az egyiptomi iszlám“ (‚Der ägyptische Islam‘).[185] Das seit 1987 vorliegende orientalische Tagebuch umfasst in der englischen Übersetzung nur siebzig Seiten (S. 83–153). Den ersten Teil nennt R. Patai: Introduction. „The Great Goldziher“, A Psychological Portrait. (S. 13–79). Diese Einleitung stieß in der Fachwelt nicht nur auf Kritik, sondern auch auf scharfe Ablehnung. Das psychologische Portrait und „viele seiner Anmerkungen sind mit äußerster Vorsicht zu betrachten.“[186] Raphael Patai ist wohl der einzige, der „im Chor der Bewunderer von Goldziher in seinem psychologischen Portrait wenig schmeichelhafte Dinge zu sagen hat …“[187] Sowohl die Übersetzung des Originaltextes als auch die Anmerkungen in dieser bis heute einzigen Ausgabe „verschleiern den Sinn und die Bedeutung der dargestellten Ereignisse und Themen“;[188] der Vergleich des von R. Patai vorgelegten Oriental Diary mit dem Original hat an insgesamt zweiundfünfzig Stellen gravierende Mängel, Fehlinterpretationen und falsches Verständnis der von Goldziher oft in arabischer Sprache und Schrift geschilderten Sachverhalte ergeben.[189] Der Orientalist Hamid Dabashi (Columbia University) unterzog die Einleitung Patais, die er als einen „beispiellosen Akt der systematischen Diffamierung eines berühmten Gelehrten, dessen politische Einstellung (Patai) offenkundig und rigoros ablehnt“, betrachtet und als die „skrupellose Verfälschung seines (Goldzihers) Charakters und seiner Würde“ verurteilt, einer scharfen Kritik.[190] Zugleich bedauert Dabashi, dass das Tagebuch, das die Grundlage für Patais Ausführungen „geradezu verleumderischer Natur“ über Goldzihers Leben und Charakter bildet, in englischer Übersetzung nicht zugänglich ist. Es ist ferner „eine ziemlich zweifelhafte Gelehrtenpraxis“, das Original des Orientalischen Tagebuches zurückzuhalten und nur eine englische Übersetzung davon vorzulegen.[191] Bereits auf der Überfahrt von Warna nach Istanbul machte Goldziher die Bekanntschaft mit türkischen Muslimen aus Rumelien, mit denen er lebhafte Gespräche über den Islam führte, wobei er neben Anerkennung auch die Ablehnung eines der „selbsternannten Gelehrten“ erfahren musste: „ich werde mit dir niemals reden, denn die Unterhaltung mit dem Ungläubigen über religiöse Belange unzulässig und die Unterhaltung mit ihm über nicht-religiöse Dinge nutzlos ist.“[192] Das Gegenteil dieser Haltung erfuhr dann Goldziher in Damaskus, das er nach einem kurzen und enttäuschenden Aufenthalt in Beirut[193] am 14. Oktober 1873 erreichte, wo er bald den schon damals prominenten Vertreter der Nahda-Bewegung, den gleichaltrigen Tāhir al-Dschazā'irī (1851–1920)[194] kennenlernen durfte.[195] Bereits auf der Überfahrt auf der Juno nach Beirut machte Goldziher die Bekanntschaft mit Muṣṭafā Sibāʿī, dem wohlhabenden und bibliophilen Kaufmann von Damaskus, dessen Büchersammlung er, neben seinen regelmäßigen Besuchen in der Madrasa aẓ-Ẓāhirīya, an deren Gründung als öffentliche Bibliothek al-Ǧazāʾirī damals mitwirkte,[196] benutzen konnte.[197]
– Tagebuch, S. 58 Die Kontakte zu Damaskus blieben bis in das 20. Jahrhundert bestehen: denn der bekannte Gelehrte Muhammad Kurd Ali (1876–1953), Herausgeber der Zeitschrift al-Muqtabas in Damaskus, vermittelte in seinen Briefen, neben Erinnerungsschreiben, ausstehende Abonnements zu bezahlen, stets die besten Grüße von Ṭāhir al-Ǧazāʾirī an Goldziher.[199] Seine positiven und gefühlsbetonten Erinnerungen an Goldziher fasste Kurd ʿAlī in seiner Gelehrtenbiografie „Al-Muʿāṣirūn“ (Die Zeitgenossen) zusammen.[200] In der Privatbibliothek von as-Sibāʿī hatte Goldziher Zugang zu arabischen Handschriften, die vor ihm kein Europäer gesehen hatte;[201] die Ergebnisse dieser Handschriftenstudien verarbeitete er kurz nach seiner Rückkehr nach Budapest in seiner Abhandlung Beiträge zu Literaturgeschichte der Šīʿa und der sunnitischen Polemik.[202] Seinem Lehrer, Professor Fleischer in Leipzig, berichtete er in einem Schreiben aus Damaskus vom 18. November 1873 ausführlich über seine neuen Funde in der genannten Privatbibliothek mit genauen Zitaten aus den Originalhandschriften.[203] Am 24. November 1873 verließ Goldziher Damaskus, um dann über Beirut und Jaffa reisend einige Tage in Jerusalem, in der „Stadt von Schwindel und Täuschung der Menschen …“[204] und dessen Umgebung zu verbringen. Seinen Besuch in der Grabeskirche beschreibt er in einem kleinen Abschnitt seines orientalischen Tagebuches vom 1. Dezember in arabischer Sprache:[205]
– The Oriental Diary, S. 131 – übersetzt von L. I. Conrad Am 10. Dezember traf Goldziher – über Jaffa, Port Said und Ismailia – in der ägyptischen Hauptstadt ein.[207] Noch im Rückblick, in der Zusammenfassung dieser Monate in seinem Tagebuch, schreibt der damals 23-jährige junge Forscher begeistert über sein unmittelbares Erlebnis des Islam:[208]
– Tagebuch, S. 71 In seiner Umgebung hat man ihm allerdings geraten, nach seinem gelungenen „Wagestück“, wie er seine Teilnahme am Gebet und der Predigt am Aschura-Tag nennt, von weiteren Moscheebesuchen abzusehen. „Die Nöthigung, die Moschee zu meiden, raubte allen Reiz des Aufenthaltes. Ich hatte ja nichts anderes zu suchen, als mohammedanische Wissenschaft.“[209] Seine Ansichten über den Islam fasst Goldziher, in der Retrospektive seiner Orientreise zu Beginn seines Tagesbuches, wie folgt zusammen:
– Tagebuch, S. 59 In einem Kommentar zu dieser Passage schreibt Sander Gilman: Der Islam, den er entdeckte, wird zum Modell für einen neuen Geist des Judentums am Ende des 19. Jahrhunderts.[210] Entgegen Patais umstrittenem Psychological Portrait stand Goldziher dem Islam und den religiösen Bräuchen des islamischen Alltags, in dem er während seiner Orientreise lebte, kritisch gegenüber. In Damaskus beschreibt er die Tarāwīh-Gebete im Fastenmonat Ramadan als „Schwindelei“. In seinem Zorn kritisiert er Muslime als „Pöbel“, „widerlich“ und ähnlichem. Auch der Islam wird Ägyptens Wiederbelebung, so sein Fazit, nicht bewirken können.[211] Mit einem Empfehlungsschreiben des ägyptischen Kultusministers Riyāḍ Pāschā, den er am 4. Januar 1874 treffen durfte,[212] an Muḥammad al-ʿAbbāsī (1827–1897), den Rektor von al-Azhar, war Goldzihers Zugang zum Unterricht islamischer Wissenschaftsdisziplinen an der Universität gesichert. Seine Eintragungen in das orientalische Tagebuch werden in den letzten Monaten seines Aufenthaltes in Kairo seltener; die letzte Notiz ist auf den 14. Januar 1874 datiert, obwohl er erst rund drei Monate später die Rückreise nach Budapest antrat.[213] Seinen Bericht über die Bücher, die er im Auftrag für die Akademie in Kairo gekauft hatte, ferner über die Verlagsverhältnisse im Orient las er auf der Sitzung der Akademie am 20. April 1874 vor.[214] Über seine Studien in Kairo berichtet er in einem Privatschreiben am 7. Februar 1874 an die Redaktion vom Berliner’s Magazin für jüdische Geschichte und Literatur; daraus sind im ersten Band (1874) Auszüge veröffentlicht worden:[215]
– Gesammelte Schriften. Band 1, S. 347: Aus einem Briefe des Dr. I. Goldziher von Cairo, 7. Februar Das TagebuchAn seinem vierzigsten Geburtstag, am 22. Juni 1890, begann Goldziher sein Tagebuch zu schreiben; die Eintragungen sind hauptsächlich auf Deutsch, zum Teil auch auf Hebräisch, Arabisch oder Ungarisch abgefasst. Seine auf lose Blätter geschriebenen Aufzeichnungen blieben bis zum Tod seines Sohnes Károly (November 1955) im Familienbesitz. Letzterer vermachte das Tagebuch testamentarisch dem bekannten Budapester Rabbiner und Direktor des Budapester Rabbinerseminars Sándor Scheiber,[216] der dessen Publizierung in Zusammenarbeit mit dem Verlag Brill, Leiden, 1978 besorgte. Der Herausgeber der Tagebücher Sándor Scheiber hebt in seinem Vorwort auch die Bedeutung der Aufzeichnungen Goldzihers hervor: „Goldzihers Biographie ist noch nicht geschrieben. Die wichtigste Quelle dazu ist das Tagebuch.“[217] Auch die Korrespondenz Goldzihers mit zeitgenössischen Wissenschaftlern ist eine weitere, bis heute allerdings nur zum Teil ausgewertete Quelle für die Darstellung des Gelehrtenlebens.[218] Das Tagebuch war ursprünglich nur für seine Frau, Kinder und für „die allernächsten Glieder meines engern Freundeskreises bestimmt. Allen anderen, muss diese Skizze, solange ich lebe, unzugänglich bleiben.“[219] Es enthält kaum wissenschaftliche Bemerkungen, sondern stellt Goldzihers wissenschaftlichen Werdegang als Orientalist, ferner seine persönlichen Erfahrungen mit der israelitischen Gemeinde von Pest dar. Seine Enttäuschungen und Benachteiligungen sind in seinem Tagebuch dokumentiert. Es enthält auch zahlreiche Hinweise auf seine umfangreiche Korrespondenz mit Fachkollegen und Freunden. Der britische Orientalist William Montgomery Watt bezeichnet es in seiner Rezension im Times Literary Supplement (1978) als ein bedeutendes historisches Dokument.[220] Goldzihers Haltung zum Zionismus in Ungarn war im Zeichen des ideologischen Konflikts zwischen jüdischem und ungarischem Nationalismus stets gespannt. In der zionistischen Zeitschrift A Múlt és Jövő (Die Vergangenheit und Zukunft), gegründet von József Patai (1882–1953),[221] publizierte er einen Artikel Tradició és dogma (Tradition und Dogma), obwohl er die Publikation als „illustriertes und konfessionelles Journal“ schmähte.[222] Seine Abgrenzung gegenüber wissenschaftlichen Größen der Judaistik seiner Zeit wie zum Beispiel Wilhelm Bacher, Immanuel Löw und David Kaufmann geht aus mehreren Eintragungen im Tagebuch hervor. Weshalb Goldziher darauf verzichtete, Budapest zu verlassen und Islamwissenschaften, mit denen er sich engstens verbunden fühlte, in der Fremde zu lehren, begründet er in seinem Tagebuch:
Einen Tag später, am 23. März 1892, steht als Fortsetzung folgende Eintragung:
Eine Auswahl des Tagebuchs hat Sándor Scheiber 1984 in ungarischer Übersetzung (übersetzt von Lívia Bernáth, seiner Frau) herausgegeben, in der Goldzihers äußerst scharfe Kritik am ungarischen Judentum seiner Zeit allerdings unerwähnt geblieben ist.[223] Eintragung am 14. Dezember 1891:
Über die Zuhörer seines Vortrages schreibt er (Eintragung am 10. März 1892):
Anlässlich seiner Ernennung zum ordentlichen Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften schreibt er (Eintragung am 7. Mai 1892):
Wie Goldziher sich selbst sah und sich in der Öffentlichkeit zeigen wollte, geht aus einer Episode hervor, die er am 28. Mai 1918 ins Tagebuch eintrug:
Der plötzliche Tod seiner Schwiegertochter Maria Freudenberg (1890–1918), einer studierten Ägyptologin, traf Goldziher zutiefst. Nach der ungarisch geschriebenen Klage über ihren frühen Tod am 4. Dezember 1918 an der Spanischen Grippe folgen nur noch wenige Einträge im Jahre 1919. Das Manuskript seines Werkes Die Richtungen der islamischen Koranauslegung ist, gemäß Eintragung am 1. September 1919, im April 1919 bei Brill in Leiden eingetroffen; die Korrekturen lasen die Orientalisten Christiaan Snouck Hurgronje und Arent Jan Wensinck.[224] Goldziher widmete das Buch seiner verstorbenen Schwiegertochter: „Dem teuern Andenken meiner ihren Lieben früh entrissenen Schwiegertochter Marie Goldziher geb. Freudenberg (st. 4. Dezember 1918) wehmutvoll geweiht.“ VeröffentlichungenDeutschsprachige Veröffentlichungen (Auswahl)
Ungarische Veröffentlichungen (Auswahl)
EhrungenAkademie-Mitgliedschaften In seinem Tagebuch schreibt Ignaz Goldziher am 15. September 1916: "Ich habe jetzt die Mitgliedschaft von acht Akademien und die Ehren- respektive Auslandsmitgliedschaft von neun angesehenen wissenschaftlichen Gesellschaften, dazu zwei Ehrendoktorate: Also neunzehn Ehrendiplome".[225]
Simon Dubnow-Institut Das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow hat ein von der Hans-Böckler-Stiftung finanziertes Programm für Wissenschaftler aus islamisch geprägten Kontexten, die Fragen der jüdischen Geschichte, von Reform und Konfessionalisierung sowie der gemeinsamen Existenzerfahrungen von Juden und Muslimen ins Zentrum ihrer Forschungen stellen, nach Iganz Goldziher benannt.[226] LiteraturBibliografien
Sekundärliteratur
WeblinksCommons: Ignaz Goldziher – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
|