Heinrich Kühns Großvater war der Bildhauer Christian Gottlieb Kühn. Er studierte ab 1885 in Leipzig, Berlin und Freiburg im Breisgau Medizin und Naturwissenschaften und promovierte als Mediziner. Seine anschließende Tätigkeit als Arzt musste er jedoch aus Gesundheitsgründen aufgeben.[1]
Wegen dieser war er zwecks eines Klimawechsels nach Innsbruck gezogen, wo er sich zunächst noch medizinisch betätigte, später dann aber, da sein Lebensunterhalt aufgrund des Familienvermögens gesichert war,[1] nur noch der Fotografie in Theorie und Praxis widmete.[2]
Mit seinen dem Impressionismus nahestehenden piktorialistischen Bildern gilt er als ein wichtiger Vertreter der Kunstfotografie – der ersten fotografischen Stilrichtung, die sich als eigenständige Kunstform etablieren konnte.
Kühn lehnte manuelle Eingriffe am Bild, wie sie etwa Robert Demachy vornahm, ab. Sein Streben war es, den gewünschten malerischen Effekt rein mit fotografischen Mitteln, z. B. dem verwendeten Edeldruckverfahren, zu erzielen. Kühn fertigte, im Gegensatz etwa zum mit ihm verbundenen Hans Watzek, zum Teil bis zu hundert Aufnahmen eines Motivs an, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten.[3]
Mit dem Ersten Weltkrieg verlor Kühn sein Vermögen, das er in Kriegsanleihen investiert hatte. Sein Spätwerk findet kaum Beachtung. Er zog aufs Land, beantragte am 24. Juni 1938 die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 6.104.215).[4][5]
Technische Aspekte seines fotografischen Schaffens
Technisch setzte er seine Absichten vor allem mit den Mitteln des Gummidrucks um, den er zum kombinierten oder mehrschichtigen Gummidruck entwickelte. Dadurch ergaben sich bisher nicht gekannte Möglichkeiten gestalterischer Beeinflussung des Bildes und farbiger Manipulationsmöglichkeiten.
1911 erfand Kühn die Gummigravüre, die eine Kombination von Heliogravüre und Gummidruck darstellt. 1915 entwickelte er den Leimdruck, ein Chromatverfahren, bei dem Fischleim als Kolloid verwendet wird und das eine gummidruckartige Bildwirkung erzielt. Auch die Syngraphie wurde von ihm erfunden. Es ist ein – heute vergessenes – Verfahren, das mit zwei Negativen in unterschiedlicher Empfindlichkeit arbeitet und so im Positiv eine höhere Tonwertskala erreicht. Auf Kühns Entwicklung basiert der Zwei-Schichten-Film, der zwei Schichten von unterschiedlicher Empfindlichkeit kombiniert und besonders in der Reproduktionsfotografie verwendet wurde.
Durch die um die Jahrhundertwende erzielten Verbesserungen der Fotoobjektive hinsichtlich Lichtstärke und Abbildungsqualität ergab sich eine Bildschärfe, die Kühns stilistischen Vorstellungen widersprach. Nach Versuchen mit Brillengläsern als Objektiven sowie verschiedenen weichzeichnenden Filtern oder Rastern gelang es ihm, Franz Staeble, den Gründer des Staeble-Werkes, zu überzeugen, in gemeinsamer Arbeit (Staeble übernahm die mathematisch-technischen Arbeiten und Kühn die Erprobung unter künstlerischen Gesichtspunkten) ein Objektiv zu entwickeln, bei dem über auswechselbare Siebblenden dem scharfen Bildkern ein regulierbarer Zerstreuungskreis überlagert werden konnte, und sich so die von ihm gewünschte „Weichheit, ohne Süßlichkeit“ der Abbildung ergab. Dieses Objektiv wurde unter der Bezeichnung Anachromat Kühn an den Markt gebracht. 1928 schließlich entstand hieraus das bis in die 1990er Jahre angebotene Rodenstock Imagon.[6]
Ausstellungen (Auswahl)
1894: Jahresausstellung des Amateur-Photographen-Vereins, Kunsthalle, Hamburg
1902: Kleeblatt-Ausstellung (Hugo Henneberg, Heinrich Kühn, Hans Watzek), Wiener Secession, Wien
1909: Heinrich Kühn, Künstlerbund für Tirol und Vorarlberg, Museum Ferdinandeum, Innsbruck
1910: International Exhibition of Pictorial Photography, Albright Art Gallery, Buffalo, New York, USA
1911: Heinrich Kühn, Galerie Thannhauser, München
1915: Sonderausstellung bildmäßiger Photographien von Heinrich Kühn, Kunstgewerbemuseum, Berlin
1952: Gedächtnis-Ausstellung Heinrich Kühn, Photokina, Köln
1964: Kunstphotographie um 1900, Museum Folkwang, Essen (weitere Station: Museum für Kunst und Gewerbe in Zusammenarbeit mit der Landesbildstelle, Hamburg)
1973: The Painterly Photograph 1890–1914, Metropolitan Museum of Art, New York, USA
1976: Heinrich Kühn 1866–1944. Photographien, Galerie im Taxispalais, Innsbruck
1977: Malerei und Photographie im Dialog von 1840 bis heute, Kunsthaus Zürich
1978: Heinrich Kühn (1866–1944) – 110 Bilder aus der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang, Essen
1981: Eine Ausstellung von hundert Photographien von/An Exhibition of One Hundred Photographs by Heinrich Kühn, Stefan Lennert, München; Galerie Zur Stockeregg, Zürich; Galerie Rudolf Kicken, Köln; 1982: Photo Galerie Dröscher, Hamburg; Lunn Gallery, Inc., Washington, D.C.; Baudoin Lebon, Paris
2002: Rudolf Koppitz and Heinrich Kühn. Vintage Photographs, Kicken Berlin
2007: Heinrich Kühn. Big Pictures, Kicken Berlin
2007: Heinrich Kühn, Gum & Pigment Prints 1895-1925, Galerie Johannes Faber, Wien
2008: Kicken in Wien. Die Weltmeister, Georg Kargl Fine Arts
2009: Pictorialism. Hidden Modernism. Photography 1896–1916, Kicken Berlin
2010: Heinrich Kühn: Die vollkommene Fotografie, Albertina, Wien (weitere Stationen: Musée de l’Orangerie, Paris; 2011: Museum of Fine Arts, Houston, USA)
2012: Heinrich Kühn. The Photo-Secession. Selected Works, Hans P. Kraus jr., New York, USA
2016: Made in Germany. German Photography from the 19th Century Until Today, 2nd Shenzhen International Photography Week, Shenzhen, China
2016: Heinrich Kühn oder die Metamorphose der Photographieaus dem Museum Folkwang anlässlich 150 Jahre Heinrich Kühn, FO.KU.S. Foto Kunst Stadtforum Innsbruck
Publikationen
Technik der Lichtbildnerei. Wilhelm Knapp, Halle/Saale 1921.
Literatur
Ute Eskildsen: Heinrich Kühn 1866–1944. 110 Bilder aus der Fotografischen Sammlung. Museum Folkwang, Essen 1978.
Peter Weiermair (Text): Heinrich Kühn (1866–1944). Photographien. Allerheiligenpresse, Innsbruck 1978.
Ulrich Knapp (Text): Heinrich Kühn Photographien. Residenz, Salzburg 1988, ISBN 3-7017-0528-3.
Simone Förster, Annette und Rudolf Kicken (Hrsg.): Points of View. Masterpieces of Photography and Their Stories. Steidl, Göttingen 2007, ISBN 978-3-86521-214-6.
Georg Kargl, Annette und Rudolf Kicken (Hrsg.): Pictorialism. Hidden Modernism. Photography 1896–1916. Berlin/Wien 2008.
Monika Faber, Astrid Mahler (Hrsg.): Heinrich Kühn. Die vollkommene Fotografie / Heinrich Kühn. The Perfect Photograph. Hatje Cantz, Ostfildern, 2010, ISBN 978-3-7757-2568-2 (dt.), ISBN 978-3-7757-2569-9 (en.)
↑Michael Kohler, Gisela Barche: Das Aktfoto: Ansichten vom Korper im fotografischen Zeitalter: Asthetik, Geschichte, Ideologie. Hrsg.: Bucher. ISBN 3-7658-0466-5.
↑Wolfgang Baier: Quellendarstellungen zur Geschichte der Fotografie. 2. Auflage, Schirmer/Mosel, München 1980, ISBN 3-921375-60-6, S. 536