Heinrich Bechstein

Heinrich Wilhelm Bechstein (* 30. Juni 1841 in Rotenburg an der Fulda; † 27. November 1912 in Groß-Umstadt) war ein deutscher Orgelbauer am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Leben

Heinrich Bechstein wurde als Sohn des Orgelbauers Friedrich Bechstein (* 26. Mai 1801 in Hofgeismar, † 11. Januar 1855 in Rotenburg an der Fulda)[1] geboren.

Da Heinrich Wilhelm 1855 beim Tode des Vaters noch keine 14 Jahre alt war, übernahm Valentin Möller (1811–1887) die Werkstatt in Rotenburg.[1] Heinrich erlernte den Beruf des Orgelbauers die ersten Jahre in der heimischen Werkstatt.[1] Von 1867 bis 1872 arbeitete er beim heute noch existierenden Orgelbauer Förster in Lich unter bei Johann Georg Förster und machte sich anschließend in Groß-Umstadt selbständig.[1] Am 27. Juni 1873 heiratete er Maria Helena Kißner in Groß-Umstadt.

In Umstadt arbeitete er 40 Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 1912. Hier entstanden zahlreiche ein- bis zweimanualige Orgeln als Kegelladen, bis 1906 mechanisch, danach pneumatisch gesteuert, für Kirchen im Großraum Odenwald-Rheinhessen-Taunus.[1]

Sein Sohn Johann Hermann Heinrich Bechstein (* 15. Oktober 1875 in Groß-Umstadt, † 14. März 1943 ebd.) führte den Familienbetrieb in dritter Generation bis 1920 fort.[2] Bedingt durch die Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg und seine Ehe- und Kinderlosigkeit gab der Sohn den Betrieb auf, zog zu seiner Schwester nach Lich und verdingte sich durch Wartungsarbeiten, Reparaturen, Orgelstimmen und Pfeifenlieferungen.[3]

Werke

Bechstein baute etwa zwei bis drei Orgeln pro Jahr,[4] führte aber auch zahlreiche Umbaumaßnahmen durch, die wesentlich in die klangliche Substanz der Instrumente eingriffen. Die pneumatische Traktur setzte er nur zögerlich ein. Allein in der ehemaligen Provinz Starkenburg sind 20 Orgelneubauten nachweisbar.[3] Kennzeichen seiner Orgeln waren eine romantische Klanggebung mit charakteristischen Flöten- und Streichertönen.[5]

Zu seinen Werken, Restaurierungen und Umbauten zählen u. a. folgende Orgeln:

Jahr Ort Kirche Bild Manuale Register Bemerkungen
1880 Langstadt Evangelische Kirche II/P 17 Neubau; erhalten
1884 Groß-Umstadt Evangelische Kirche II/P 24 Neubau hinter einem Gehäuse von 1699; 1960 durch Bosch umgebaut, einige Register erhalten
1887 Reichelsheim (Odenwald) Evangelische Kirche II/P 17 Neubau
1892 Nieder-Eschbach Pfarrkirche Nieder-Eschbach
II/P 16 Neubau; bis auf zwei Register unverändert erhalten[6]
1899 Bechtolsheim Simultankirche Bechtolsheim
II/P 27 Umbau der Orgel von Stumm (1752–1756);[7] 1977 durch Oberlinger rückgängig gemacht.[8]

Orgel der Simultankirche Bechtolsheim

1899 Büttelborn Evangelische Kirche I/P 16 Umbau der Orgel von Johann Wilhelm Schöler
1901 Ernsthofen Evangelische Kirche 5 Orgelneubau. 1974 wegen Schädlingsbefall abgebaut. Maße: Tiefe: 3,15 m; Breite: 2,62 m; Höhe: 3,30 m. 297 Pfeifen, verteilt in je 54 Pfeifen auf fünf Register und 27 auf die Pedale. Reste in Privatbesitz, in Restauration.[9]
1903 Worfelden Evangelische Kirche
I 6 Zuschreibung; Ersatz der Spanbälge durch Magazinbälge und Veränderung der Mixtur.[10]

Orgel der Evangelischen Kirche Worfelden

1903–1904 Nack Evangelische Kirche Neubau hinter neugotischem Prospekt[11]
1908 Wöllstein Ev. Remigiuskirche II/P 18 Neubau mit pneumatischer Traktur; 1970 Umdisponierung und Einbau einer mechanischen Traktur durch Oberlinger; verändert erhalten[12]
1908 Alzey Kapelle der Rheinhessen Fachklinik [13] 7 Neubau: Pneumatische Orgel mit 7 Registern und 5 Koppeln. Die Zinnpfeifen stammen aus dem Elsaß. Nachweis der Zuordnung über eine gefundene Notiz Bechsteins auf der Innenseite einer Latte des Orgelspieltisches.[14]
1910 Harreshausen Evangelische Kirche Prinzipal 8' Flöte 8' Subbass 16', Gambe 8' Salicional 8', Bordun 8' Gedackt 8', Octave 4' Rohrflöte 4', Rauschquinte 2 2/3' und den Koppeln: Superoctav I; Suboctav II-I; Pedalcoppel I; Pedalcoppel II; Manualcoppel II-I[5]
1912 Guntersblum Evangelische Kirche St. Viktor II/P 15 Heinrich Bechstein baute in ein vorhandenes Stumm-Orgelgehäuse ein neues Orgelwerk mit 15 Registern ein, welches sich bis heute unverändert erhalten hat.[15]

Weitere Bechstein Orgeln wurden in die St.-Nikolai-Kirche in Altenstadt, in die Kirche in Würzberg im Odenwald und in Niedernhausen eingebaut.[5]

Ehrungen

Heute gibt es in seiner Heimatstadt Groß-Umstadt mit der Heinrich-Bechstein-Straße einen Weg, der nach ihm benannt ist.

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b c d e Hermann Fischer: Musik und Musiker am Mittelrhein 2, Online vom 12. Dezember 2019; abgerufen am 1. Oktober 2020
  2. Fischer, Wohnhaas: Lexikon süddeutscher Orgelbauer. 1994, S. 24 f.
  3. a b Balz: Orgeln und Orgelbauer im Gebiet der ehemaligen hessischen Provinz Starkenburg. 1969, S. 376.
  4. Fischer: 100 Jahre Bund deutscher Orgelbaumeister. 1991, S. 146.
  5. a b c Orgelkalender: bechstein orgel harreshausen, nach Christoph Brückner vom April 2014; abgerufen am 1. Oktober 2020
  6. Franz Bösken, Hermann Fischer: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins (= Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte. Band 29,2). Band 3: Ehemalige Provinz Oberhessen. Teil 2: M–Z. Schott, Mainz 1988, ISBN 3-7957-1331-5, S. 668 f.
  7. Bösken: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins. Bd. 1, 1967, S. 251.
  8. Bischöfliches Ordinariat, Dez.IX/4, Orgelakte Bechtolsheim.
  9. Matthias Reissmann Heinrich Schwerer baut alte Ernsthöfer Orgel wieder zusammen , Online-Ausgabe Darmstädter Echo vom 30. Juni 2017; abgerufen am 1. Oktober 2020
  10. Martin Balz: Göttliche Musik. Orgeln in Deutschland (= 230. Veröffentlichung der dJohann Wilhelm Schölerr der Orgelfreunde). Konrad Theiss, Stuttgart 2008, ISBN 3-8062-2062-X, S. 128.
  11. Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 20.1, S. 294.
  12. Orgel in Wöllstein; abgerufen am 29. Juli 2016.
  13. Foto der Bechstein Orgel in der Kapelle des Rheinhessen Fachklinik
  14. Die Kapelle der Rheinhessen Fachklinik, Webseite des Bistums Mainz; abgerufen am 3. März 2016
  15. Die Orgel der evangelischen Kirche in Guntersblum, Webseite von Daniel Kunert, Musik-Medienhaus, Das Portal der Königin; abgerufen am 1. Oktober 2020