Das Grab von Gabriele Wohmann und ihrem Ehemann Reiner im Familiengrab Guyot auf dem Bessunger Friedhof in Darmstadt
Gabriele Wohmann stammte aus der Darmstädter Pastorenfamilie Guyot.[1] Ihr Großvater, Pfarrer Johannes Guyot (1861–1910),[2] hatte dort 1906 den Hessischen Diakonieverein gegründet.[3] Ihr Vater Paul Daniel Guyot (1896–1974) wirkte ebenfalls als Diakoniepfarrer in Darmstadt.[4] Als Internatsschülerin besuchte sie das noch nicht anerkannte Nordseepädagogium auf der Insel Langeoog, wo sie ein externes Abitur ablegte. Von 1951 bis 1953 studierte sie vier Semester ohne Abschluss Germanistik, Romanistik, Anglistik, Musikwissenschaft und Philosophie in Frankfurt am Main. Anschließend war sie als Lehrerin an ihrer ehemaligen Schule auf Langeoog sowie an einer Volkshochschule und einer Handelsschule tätig. 1953 heiratete sie den Germanisten Reiner Wohmann (* 1926,† 2017) und lebte seit 1956 als Schriftstellerin in Darmstadt, wo sie am 22. Juni 2015 im Alter von 83 Jahren starb.[5]
Gabriele Wohmann wurde auf dem Bessunger Friedhof (Grabstelle: Mauer 111) bestattet.[6][7][8]
Seit Mitte März 2017 trägt ein Teil der Erbacher Straße in Darmstadt ihr zu Ehren den Namen „Gabriele Wohmann-Weg“[9].
Werk
Gabriele Wohmann verfasste Erzählungen, Romane, Gedichte, Hörspiele, Fernsehspiele und Essays. Die Autorin, die sich selbst als „Graphomanin“ einschätzte, schuf seit den 1950er Jahren ein umfangreiches Werk, in dem sie anfangs – in satirischer Form – die Problematik der herkömmlichen Paarbeziehung und traditioneller Familienstrukturen aufzeichnete. Sie galt als scharfe Beobachterin.[10][11][12]
Wohmann, die in den 1960er Jahren auch an Tagungen der Gruppe 47 teilgenommen hatte, schlug seit den 1970er Jahren versöhnlichere Töne an. Ihr Werk nahm den Charakter einer fortgesetzten Chronik des Privatlebens und der Konflikte und Beschädigungen an, die sich hinter der Fassade des Alltags meist gut situierter Figuren verbergen. Ihr Ausloten des Alltäglichen wird gelegentlich als „Rückzug in die Kammer“[13] moniert. Andere dagegen sehen in dem differenziert ausgeleuchteten Mikrokosmos eine Bühne, auf der die großen Fragen des Lebens verhandelt werden: „Sie lehrt uns, genau hinzusehen und mitzubekommen, was dort geschieht, wo die Gesellschaft zusammengehalten wird: in der Sphäre des Privaten.“[14][15][16]
Erfolgreich war Wohmann, deren Bücher in 15 Sprachen übersetzt wurden,[17] vor allem in den 1970er und 1980er Jahren in Westdeutschland. Wesentliche Teile ihres Werks aus dieser Zeit können der Neuen Innerlichkeit und teils thematisch der Frauenbewegung nach 1968 zugerechnet werden. Ihren größten Erfolg beim Publikum erzielte sie mit dem 1974 erschienenen Roman Paulinchen war allein zu Haus, der mehr als 20 Auflagen erlebte[18] und 1981 verfilmt wurde. Innerhalb ihrer Fernseharbeiten fand der Film Entziehung eine höhere Aufmerksamkeit. Fast zwei Millionen Zuschauer sahen den Auftritt der Autorin in der Rolle ihrer Protagonistin Laura im Jahr 1973.[19] Gabriele Wohmann gehörte zu den Interpreten der Frankfurter Anthologie und trat regelmäßig mit Hörspielen, Essays und neuen Erzählungen in Erscheinung.
In ihren 2010 veröffentlichten Erzählungen Wann kommt die Liebe zeigt sich Gabriele Wohmann dem Literaturredakteur Johannes Breckner zufolge „als Meisterin im Erkunden jener minimalen Störungen, die ein latentes Unbehagen auslösen.“[20] Für die Literaturwissenschaftlerin Sabine Doering stehen diese Erzählungen beispielhaft für Wohmanns gesamtes Schaffen. Es seien „Szenen aus dem bieder-schrecklichen Mittelstandsglück, wie man sie sich pointierter kaum vorstellen kann“, meisterliche Charakterstudien, „die oft zu regelrechten Tragikomödien, manchmal aber auch zu wundervollen Grotesken werden“.[21]
Gabriele Wohmann gilt als eine der profiliertesten deutschsprachigen Autorinnen im Bereich der Kurzgeschichte,[22][23] in mehr als fünf Jahrzehnten hat sie über 600 Erzählungen publiziert,[24] sodass sie laut Literaturredakteur Tilman Krause als hervorragende Chronistin bundesrepublikanischen Lebens und „Königin der Kurzgeschichte“ bezeichnet werden kann.[25]
Stolze Zeiten, Erzählungen, Claassen, Düsseldorf 1981 (ein Teil der Erzählungen auch veröffentlicht als Ein Mann zu Besuch, Piper, München/Zürich 1993)
Komm donnerstags, Erzählungen, Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1981
Ein günstiger Tag, Erzählungen, Eremiten-Presse, Düsseldorf 1981
Ein Mann zu Besuch, Erzählungen, Piper, München/Zürich 1981
Wir sind eine Familie, Erzählungen, Eremiten-Presse, Düsseldorf 1980
Vor der Hochzeit, Erzählungen, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1980
Komm lieber Mai, Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1981
Ich weiß das auch nicht besser, Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1980
Grund zur Aufregung, Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1978
So ist die Lage, Eremiten-Presse, Düsseldorf 1974
Artikel
Texel: Spielzeugtage. In: Geo-Magazin. Hamburg 1979,10, S. 110–126. Informativer Erlebnisbericht. Gabriele Wohmann fand eine „Abart von Paradies“, ISSN0342-8311
Essays / Autobiographisches
Eine gewisse Zuversicht. Gedanken zum Diesseits, Jenseits und dem lieben Gott, Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2012
Sterben ist Mist, der Tod aber schön. Träume vom Himmel, Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2011 (Aufgezeichnet und mit einem Nachwort von Georg Magirius), ISBN 978-3-451-61023-3
Schreiben müssen. Ein Arbeitstagebuch, Luchterhand-Literaturverlag, Frankfurt am Main 1991
Fensterblicke, Essay, Luchterhand, Galerie Lüpfert, Isernhagen-Hannover 1989 (Mit 4 Radierungen v. Thomas Duttenhoefer)
Darmstadt. Unterwegs gehöre ich nach Haus, Tagebuch, Eulen-Verlag, Freiburg i. Br. 1986 (mit 35 Fotos von Roman Grösser in Zusammenarbeit mit dem ZDF)
Meine Lektüre. Aufsätze über Bücher, Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1980 (Hrsg. von Thomas Scheuffelen)
Bühne
Hilfe, die Kinder kommen, Uraufführung Theater am Kirchplatz Schaar, Liechtenstein 2005
Heiratskandidaten, Uraufführung Städtische Bühnen Augsburg 1981 (auch als Hörspiel)
Wanda Lords Gespenster, Uraufführung Staatstheater Darmstadt 1980 (auch als Hörspiel)
Wanda Lords Gespenster, WDR 1978 (auch als Theaterstück)
Der Nachtigall fällt auch nichts Neues ein, WDR/RB 1977
Mehr oder weniger kurz vor dem Tode, WDR 1974
Tod in Basel, WDR 1972
Der Geburtstag, WDR/RIAS 1971
Kurerfolg, WDR/HR 1970
Der Fall Rufus. Ein Elternabend, WDR 1969
Norwegian wood, SWF 1967
Die Gäste, SDR 1965
Komm donnerstags, HR 1964
Hörspiele (als Buchveröffentlichung)
Treffpunkt Wahlverwandtschaft, Eremiten-Presse, Düsseldorf 1997 (Mit Zeichnungen von Jan Schüler)
Hilfe kommt mir von den Bergen, Eremiten-Presse, Düsseldorf 1982 (Mit Offsetlithographien von Heinz Balthes)
Wanda Lords Gespenster/Rendezvous, Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1981
Der Nachtigall fällt auch nichts Neues ein. Vier Hörspiele, Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1979 (Mit Graphiken von Klaus Staeck)
Heiratskandidaten. Ein Fernsehspiel und drei Hörspiele, Piper, München 1978
Ein gehorsamer Diener, Sammlung Luchterhand im Deutschen Taschenbuch-Verlag, München 1976
Sonstige Buchveröffentlichungen
Erzählen Sie mir was vom Jenseits. Gedichte, Erzählungen und Gedanken, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1994
Hessen, Bucher, München 1993 (Mit Alfred Pletsch und Fotos von Georg Kürzinger)
Plötzlich in Limburg. Komödie in vier Bildern, Piper, München 1989
Feuer bitte, Eremiten-Presse, Düsseldorf 1978 (Mit Zeichn. von Klaus Endrikat)
So ist die Lage, Gedichte von Gabriele Wohmann, Eremiten-Presse, Düsseldorf 1974
Gegenangriff, Prosa, Luchterhand, Berlin/Neuwied 1972 (enthält: Das Spiel »Weinen«)
Selbstverteidigung. Prosa u. anderes, Eingeleitet von Peter O. Chotjewitz, Luchterhand, Darmstadt 1971
Von guten Eltern. Kalendertext, Eremiten-Presse, Stierstadt i. Ts. 1970
In Darmstadt leben die Künste, H. L. Schlapp, Darmstadt 1967 (mit Farbillustrationen von Peter Kröger)
Theater von innen. Protokoll einer Inszenierung, Walter, Olten/Freiburg im Breisgau 1966
Hörbücher
Wiedersehen in Venedig (gelesen von Birgitta Assheuer), in: Der Hörkanon. Herausgegeben und kommentiert von Marcel Reich-Ranicki: Die deutsche Literatur – Erzählungen – Eine Auswahl auf 40 CDs, Random House Audio, 2010
Gabriele Wohmann liest Anton Čechov, Walter Kempowski liest Arno Schmidt, Audio-CD, Tr Verlagsunion, München 2002
Alle genießen die Party. Monolog, Audio-CD, Deutsche Grammophon, 2002 (Sprecherin: Doris Wolters)
Wäre wunderbar. Am liebsten sofort. Gelesen von Gabriele Wohmann, 2 Tonkassetten, Der Hörverlag, München 2002
Geschichten zum Rotwerden, Geschichten von Gaby Hauptmann, Keto von Waberer, Gabriele Wohmann, Audio-CD, Solo Verlag, Berlin 2001 (gelesen von Nina Hoss)
Ilka Scheidgen: Fünfuhrgespräche. Zu Gast bei Günter Grass, Peter Härtling, Herta Müller, Peter Rühmkorf, Dorothee Sölle, Arnold Stadler, Carola Stern, Martin Walser, Gabriele Wohmann, Eva Zeller, Kaufmann, Lahr 2008, ISBN 978-3-7806-3068-1.
Rosvitha Friesen Blume: Ein anderer Blick auf den bösen Blick, Zu ausgewählten Erzählungen Gabriele Wohmanns aus feministisch-theoretischer Perspektive, Frank und Timme, Berlin 2007.
Rūta Eidukevičienė: Jenseits des Geschlechterkampfes. Traditionelle Aspekte des Frauenbildes in der Prosa von Marie Luise Kaschnitz, Gabriele Wohmann und Brigitte Kronauer. St. Ingbert: Röhrig 2003. (= Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft; 80), ISBN 3-86110-345-1.
Benoît Pivert: Ni Vivre, ni mourir. L’ennui dans l’oeuvre de Gabriele Wohmann. Paris: Univ. Diss. 1999.
Sigrid Mayer u. Martha Hanscom: Critical reception of the short fiction by Joyce Carol Oates and Gabriele Wohmann. Columbia, SC: Camden House 1998, ISBN 1-57113-083-7.
Renate Da Rin: Pathologie der Familie. Untersuchung der Romane „Abschied für länger“ und „Schönes Gehege“ von Gabriele Wohmann anhand der Familiensystemtheorie nach P. Minuchin und U. Bronfenbrenner. Marburg: Tectum-Verl. 1995. (= Edition Wissenschaft; Reihe Germanistik; 3), ISBN 3-89608-873-4.
Hans Wagener: Gabriele Wohmann. Berlin: Colloquium 1986. (= Köpfe des 20. Jahrhunderts; 107), ISBN 3-7678-0672-X.
Dorothea Lutz-Hilgarth: Literaturkritik in Zeitungen. Dargestellt am Beispiel Gabriele Wohmann. Frankfurt am Main u. a.: Lang 1984. (= Würzburger Hochschulschriften zur neueren deutschen Literaturgeschichte; 5), ISBN 3-8204-7591-5.
Dirk Pollerberg: Formen des Leidens. Studien zu Gabriele Wohmanns Erzählungen. Wuppertal: Univ. Diss. 1984.
Klaus Sibleski (Hrsg.): Gabriele Wohmann: Auskunft für Leser. Darmstadt/Neuwied: Sammlung Luchterhand 1982.
Günter Häntzschel: Gabriele Wohmann. München: Beck u. a. 1982. (= Autorenbücher; 30), ISBN 3-406-08691-8.
Gerhard P. Knapp u. Mona Knapp: Gabriele Wohmann. Königstein/Taunus: Athenäum 1981, ISBN 3-7610-8116-2.
Irene Ferchl: Die Rolle des Alltäglichen in der Kurzprosa von Gabriele Wohmann. Bonn: Bouvier 1980. (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft; 300), ISBN 3-416-01542-8.
Thomas Scheuffelen (Hrsg.): Gabriele Wohmann, Materialien-Buch Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1977.
Klaus Wellner: Leiden an der Familie. Zur sozialpathologischen Rollenanalyse im Werk Gabriele Wohmanns. Stuttgart: Klett 1976. (= Literaturwissenschaft – Gesellschaftswissenschaft; 17), ISBN 3-12-392800-4.
↑Allzu kluges Kind. In: Der Spiegel. Nr.38, 1974, S.139 (online). Zitat: „Frau Wohmann sieht und hört scharf hin, das tut sie immer.“
↑Maria Frisé: Trauerkuchen. In: FAZ.net. 7. September 2006, abgerufen am 24. Juni 2015: „nach wie vor beobachtet sie bewundernswert genau, was zwischen den Menschen vorgeht.“
↑Meike Feßmann: Das Kunststück mit dem Mehl, Gabriele Wohmanns Erzählungsband „Scherben hätten Glück gebracht“.Süddeutsche Zeitung, 5. Februar 2007
↑Ilka Scheidgen: Fünfuhrgespräche, S. 202. Zitat: „Das sogenannte Private innerer psychischer Vorgänge ist immer zugleich das Allgemeine.“
↑Wieland Freund: Gabriele Wohmann 70. In: welt.de. 21. Mai 2002, abgerufen am 24. Juni 2015. Zitat von Wohmann über die Bedeutung des Alltäglichen in der Literatur: „Im Grunde handelt alle dauerhafte Literatur von den unglaublichen Kompliziertheiten des menschlichen Zusammenlebens, in dem sich winzige Kränkungen zu katastrophalen Zerstörungen auswachsen können.“
↑Nach Informationen des Katalogs der Deutschen Nationalbibliothek existieren momentan 23 deutschsprachige Auflagen: Die Erstauflage erschien als Hardcover 1974 bei Luchterhand und hatte bis 1975 drei Folgeauflagen. 1976 wurde es als Taschenbuch ebenfalls bei Luchterhand veröffentlicht, 1987 erschien dessen 17. Auflage. 1989 gab es im dann so genannten Luchterhand Literaturverlag und 1997 bei Piper jeweils eine Neuauflage des Werks.
↑Heinrich Carle: Mein Umgang mit Laura. In: Gabriele Wohmann, Entziehung. Materialien zu einem Fernsehfilm. 1974, 5. Auflage 1980, S. 191: Der ZDF-Redakteur Heinrich Carle im Wortlaut: „Ich habe sie zu ihrem Auftritt vor fast zwei Millionen Fernsehzuschauern überredet. (Fast noch ein Minderheitenprogramm – und doch fast zwei Millionen Augenpaare!)“
↑Marcel Reich-Ranicki: Bitterkeit ohne Zorn. In: zeit.de. 21. Juli 1967, abgerufen am 24. Juni 2015: „Im Bereich der Kurzgeschichte gibt es im ganzen deutschen Sprachraum nur sehr wenige Schriftsteller, die Gabriele Wohmann auch nur gleichkommen“
↑Ilka Scheidgen: Fünfuhrgespräche, S. 178 Zitat, bezogen auf die deutschsprachige Literatur: „Sie gilt unbestritten als die beste Autorin in der Beherrschung der Kurzgeschichte.“
↑Tilman Krause: Die Gréco an der Schreibmaschine. In: welt.de. 19. Mai 2012, abgerufen am 24. Juni 2015: „Kein anderer Nachkriegsschriftsteller hat eine so umfassende und schattierungsreiche Chronik bundesrepublikanischen Lebens, Meinens, Fühlens vorgelegt wie die Pfarrerstochter aus Darmstadt.“