FunktionshäftlingEin Funktionshäftling war ein Gefangener im Konzentrationslager-System, der von SS-Bewachern als Aufseher im Arbeitseinsatz oder zu anderen Kontroll-, Ordnungs- und Verwaltungsaufgaben gegenüber Mitgefangenen eingesetzt wurde. Funktionshäftlinge wurden von der Lager-SS vornehmlich in Konzentrations- und Arbeitslagern eingesetzt. Solange sie ihre Aufgaben zur Zufriedenheit der Bewacher erledigten, blieben ihnen Übergriffe und körperliche Schwerstarbeit erspart, und sie erhielten überdies Vergünstigungen, die die Chancen eines Überlebens im KZ vergrößerten. System der FunktionshäftlingeNeben der Lagermannschaft innerhalb der Organisationsstruktur der SS wurde mit den „Funktionshäftlingen“ eine zweite Lagerhierarchie geschaffen, die die große Zahl der KZ-Häftlinge kontrollierbarer, beherrschbarer machte. Durch die so instrumentalisierte Häftlingsgruppe wurden SS-Personal und Kosten eingespart. Bis zu zehn Prozent der Häftlinge waren Funktionshäftlinge.[1] Verglichen mit heutigen Haftanstalten konnte das NS-Regime die Anzahl des SS-Personals, das unmittelbar Kontakt mit den Häftlingen hatte, sehr niedrig halten. Ohne die Funktionshäftlinge hätte die SS-Lagerleitung nicht den reibungslosen Ablauf des Lageralltags sichern können.[2] Zum anderen delegierte die SS einen geringen Teil ihrer Macht an die Funktionshäftlinge. Sie ließ sie als verhasste Handlanger erscheinen. Dadurch wurden die Häftlingsgruppen gegeneinander aufgehetzt und zusätzlich gespalten.[3] Unter den verschiedenen Nationalitäten wie auch zwischen den vielen Häftlingsgruppen entstanden Spannungen. Nachgerade ein Topos ist die Brutalität der „kriminellen Kapos“, der Funktionäre aus dem Kreis der „Berufsverbrecher“, die wegen ihrer Kennzeichnung aus der Gruppe verurteilter Strafgefangener auch „Grüne“ genannt wurden.[4] Manche der Funktionshäftlinge standen den Schergen der SS in Brutalität nicht nach, andere versuchten Mitgefangene zu schützen.[5] Als „zentrales Herrschaftsinstrument“[6] in den Konzentrationslagern entstand so die „Häftlings-Selbstverwaltung“, wie der zeitgenössische euphemistische SS-Begriff lautete. Realisieren konnte Himmlers KZ-Inspektion den geringen Personalbedarf an SS-Wachen auch durch die Einführung der Postenpflicht bereits im Jahr 1933. Dies war eine Dienstanweisung an die Lagerwachmannschaften der SS, auf meuternde oder fliehende Häftlinge sofort, „ohne Anruf“ zu schießen. Himmler verbot darin schriftlich, Häftlinge mit Worten vorzuwarnen oder eine tätliche Abwehr durch Körpergewalt zu versuchen. Auch die Bestrafung ganzer Gruppen für das Verhalten eines einzelnen Häftlings, beispielsweise das „Torstehen“ auf dem Appellplatz, trug zur Verminderung des SS-Personalbedarfs bei. Es kam zu einer Perpetuierung der Täter-Opfer-Kette (aus Opfern wurden Täter, aus Tätern wurden Opfer) innerhalb dieser hervorgehobenen Häftlingsgruppe. Die ständige Überwachung und permanente Strafandrohung ließ sowohl allgegenwärtiges Misstrauen als auch Egoismus als Überlebensstrategie aufkommen. Auch die ständige Leugnung der Menschenwürde beeinträchtigte das Zusammenleben der Häftlinge. Hierarchie und einzelne FunktionenIm Lager selbst waren wichtige Funktionsträger Lagerälteste, Blockälteste und Stubenälteste. Die höchste Position, die ein Häftling erreichen konnte, war die des Lagerältesten.[7]
Weitere Funktionshäftlinge arbeiteten in der Verwaltung des Lagers, in der Schreibstube und Arbeitsstatistik, als Kantinenmann, in den Versorgungseinrichtungen wie Küche, Wäscherei und Magazinen oder im Krankenrevier als Pfleger und Häftlingsärzte. In den letzten Kriegsjahren wurden Häftlinge im „Lagerschutz“ als Lagerpolizei eingesetzt. Bei Arbeitseinsätzen außerhalb des Lagers wurden Funktionshäftlinge als Vorarbeiter, Kapos oder Oberkapos eingesetzt. Wenn diese die erschöpften Häftlinge brutal antrieben, wurden Opfer zu Tätern. Teilweise missbrauchten sie ihre Macht zu sadistischen Übergriffen und verübten Verbrechen, bei denen Mithäftlinge zu Tode kamen.
Oft konnten Funktionshäftlinge Mithäftlinge in günstigere Wohnblocks einweisen, ihnen zu einer leichteren Arbeit verhelfen, sie ausnahmsweise von Transportlisten streichen oder gar ihre Identität verschleiern, um sie vor Nachstellungen zu schützen. Oftmals beschränkten sie solche Hilfeleistungen allerdings auf die Zugehörigen der „eigenen“ Häftlingsgruppe: als Pole, als Franzose etc. Die Funktionshäftlinge standen in ihrer Zwischenstellung auf einer schwierigen Position in der Hierarchie zwischen der SS und den Haftinsassen. Dies war beabsichtigt, wie aus einer Rede Himmlers hervorgeht:
Ein eifriger Funktionshäftling konnte als SS-Günstling eine „Lagerkarriere“ machen und vom Kapo zum Oberkapo und schließlich zum Lagerältesten aufsteigen. Er konnte aber auch wegen (vermeintlicher) Befehlsmissachtung „ins Gas geschickt“ werden. DeutungenDie Historikerin Karin Orth urteilte: „Wohl kaum eine Maßnahme der SS war perfider als ihr Versuch, die Ausführung von Terror und Gewalt an die Opfer zu delegieren.“[6] Quellenkritische Betrachtungen berücksichtigen, dass die meisten Häftlingsberichte von politischen Häftlingen stammen und die Wahrnehmung und Erlebnisse der Mehrheit nur unzureichend widerspiegelten. Eine große Rolle nimmt in den Erinnerungen der deutschen politischen Gefangenen der erbitterte Kampf um einflussreiche Funktionsstellen ein, die von „Berufsverbrechern“ besetzt waren. Dabei wird als Hauptfeind vielfach nicht die SS, sondern der „grüne“ Kapo herausgestellt.[9] Die verbreitete Annahme, dass die SS gezielt und vorrangig „Berufsverbrecher“ in Funktionsstellen eingesetzt habe, lässt sich durch die bisher abgeschlossenen lokalen Untersuchungen nicht verifizieren.[9] Den „BV-Funktionshäftlingen“ wird überwiegend eine negative Rolle zugeschrieben; doch lassen genauere Untersuchungen eine solche Verallgemeinerung als ungerechtfertigt erscheinen.[10] Eine andere Untersuchung zeigt, dass der Häftlingseinsatz im KZ Buchenwald von den politischen Gefangenen in Funktionsstellen gesteuert wurde. Dabei bedeutete die Rückstellung eines Häftlings, der einem Transport in ein todbringendes Arbeitslager wie KZ Mittelbau-Dora zugeteilt war, dessen Rettung. Zugleich aber bleibt dieser „Opfertausch“ moralisch angreifbar, weil der Gerettete stets ein Mitglied der eigenen Gruppe war.[11] Der KZ-Überlebende Eugen Kogon berichtete:
Abgrenzung: Ausgesuchte reichsdeutsche „kriminelle“ KZ-Häftlinge wurden ab Oktober 1944 in die SS-Sonderformation Dirlewanger überstellt.[13] Als Teil der Truppe werden sie nicht mehr unter dem Begriff Funktionshäftling gefasst. Literatur
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Einzelnachweise
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