Hehr war eines mehrerer Kinder eines Korbmachermeisters[4] und Totengräbers aus Korb, etwa 15 km nordöstlich von Stuttgart.[1] Er erlernte den Beruf des Schlachters und Gemüsehändlers[5] und war zunächst in Stuttgart als Arbeiter tätig.
Nachdem Burkhard aus Altersgründen in den Ruhestand versetzt worden war, führte Hehr dessen Arbeit bis zur Umstrukturierung in der Justiz Badens und Württembergs 1934/35 fort.[4] 1935 betrug Hehrs Lohn 400 RM, für jede Hinrichtung erhielt er zusätzlich 50 Mark „Belohnung“ sowie 20 Mark „Verdienstentgang“. Hatte er an einem Tag mehrere Personen zu töten, erhielt er 20 Mark zusätzliche „Belohnung“.[7]
Scharfrichter in der NS-Zeit
1934/35 kam es in der Justiz Badens und Württembergs zu einer Umstrukturierung, durch die der Scharfrichter Johann Reichhart fortan für beide Staaten zuständig war.[4] Hehr bewarb sich deshalb auf die schon länger vakante Stelle des Scharfrichters im Norden und Westen Deutschlands und erhielt diese schließlich auch. Er war jetzt für Hinrichtungen in den Vollzugsanstalten Butzbach, Hamburg-Stadt, Hannover und Köln zuständig. Für Köln und Hamburg musste er nachweisen, dass er Hinrichtungen (wegen dort noch fehlender Guillotinen) übergangsweise auch mit dem Handbeil durchführen konnte, was Hehr tat.[4] Im Sommer 1937 trat der 57-Jährige sein Amt offiziell an.
Für seine neue Aufgabe wurde Hehr angewiesen, mit seiner Familie in das für seine neuen Aufgaben zentraler gelegene Hannover umzuziehen. Scharfrichter und deren Gehilfen waren gemäß §§ 4 und 5 der Richtlinien für den Scharfrichter[8] verpflichtet, ihre tatsächliche Tätigkeit vor der Bevölkerung geheim zu halten. Aus diesem Grund war Hehr in Hannover als (Justiz)Angestellter gemeldet.[9] Seit August 1937 wohnte er erst im Haus Deisterstraße 24, dann Eichenplan 14.[10]
Ab November 1943 war Hehr für einige Monate Nachfolger von Ernst Reindel (der überraschend sein Amt aufgegeben hatte[14]) in der zentralen Hinrichtungsstätte in der Haftanstalt Roter Ochse in Halle (Saale).[3] Hehr vollstreckte mehrere Urteile, bevor er dort am 1. April 1944 durch seinen Gehilfen Alfred Roselieb als leitender Scharfrichter abgelöst wurde.[15]
Nach Kriegsende wurden Reichhart und Hehr von den Alliierten weiterbeschäftigt. Hehr wurde 1946 von den Briten im gerade neu geschaffenen Bundesland Niedersachsen zum „leitenden Scharfrichter“ ernannt. Ab 1947 wurde Hehrs Zuständigkeit auf Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ausgedehnt. Die Vergütungen, die Hehr für seine Scharfrichtertätigkeit im Nachkriegsdeutschland erhielt, entsprachen denen der NS-Zeit: Für jede Hinrichtung erhielt er zuzüglich zu seinem Gehalt 60 Mark. Bei mehreren Hinrichtungen reduzierte sich dieser Betrag auf 30. Seine Gehilfen erhielten 40 bzw. 30 Mark.[17]
Hehr übte die Tätigkeit eines Scharfrichters bis 1949 aus und soll in dieser Zeit allein in Hamburg und Wolfenbüttel 85 Personen (18 in Hamburg und 67 in Wolfenbüttel[18]) hingerichtet haben.[2] Dies waren mehrheitlich von alliierten Gerichten verurteilte Kriegsverbrecher, darunter Willi Herold.
Merkmale von Hehrs Tätigkeit
„wichtigster Scharfrichter in Deutschland“
Zwischen 1937 und 1945 hatte Hehr zwölf verschiedene Gehilfen und Ersatzgehilfen, die alle in Hannover wohnten.[19] Hehr bildete seine Gehilfen selbst aus, sodass über die Jahre eine Art „Scharfrichterschule“ entstand. Mehrere seiner Gehilfen wurden im Laufe des Zweiten Weltkrieges selbst zu Scharfrichtern bestellt, unter ihnen zum Beispiel Gottlob Bordt.[20] Vier von Hehrs Gehilfen wurden Scharfrichter für das NS-Regime.[19] Der Historiker Herbert Schmidt bezeichnet Hehr deshalb als „den wichtigsten Scharfrichter in Deutschland“,[10] weil er der „Ziehvater“ zukünftiger Scharfrichter war, wie Thomas Waltenbacher feststellt.[21]
Charakter und Arbeitsweise Hehrs
In den ersten Jahren seiner Scharfrichtertätigkeit hatte Hehr bei Hinrichtungen mit dem Fallbeil die Eigenart, „Achtung!“ zu rufen, kurz bevor er die Klinge auslöste. Diese „Unregelmäßigkeit“ wurde im Oktober 1937 vom Reichsjustizministerium beanstandet: Hehr wurde zwar bescheinigt, dass er … in einer durch Ruhe und äußerste Vorsicht ausgezeichneten Form … arbeite, dass aber das Rufen des Wortes „Achtung“ … im allgemeinen ungewöhnlich ist und als störend empfunden werden kann …. Hehr wurde aufgefordert, dies zu unterlassen, was er auch tat.[22]
„Klotzig, unansprechbar und ständig knurrig verhielt sich Herr Hehr.[23] Nur einmal ließ er sich auf ein kurzes Gespräch ein. Über die Abscheu der Mitmenschen gegenüber dem Henker machte er sich keine Illusionen. […] Mit Herrn Reindel[24] war es sogar möglich, ein paar Worte zu wechseln.[25]“
Das Protokoll der Hinrichtung enthält folgende Schilderung:
„Um 12 Uhr 07 wurde die Verurteilte gefesselt vorgeführt. Durch den Vollstreckungsleiter wurde hierauf nach Feststellung der Persönlichkeit der Verurteilten Wazinski dem Scharfrichter [Friedrich Hehr] der Auftrag zur Vollstreckung des Urteils des Sondergerichts in Braunschweig vom 21. Oktober 1944 erteilt. Hierauf wurde der Kopf der Verurteilten mittels Fallbeils vom Rumpf getrennt. … Die Vollstreckung dauerte vom Zeitpunkt der Vorführung bis zur vollendeten Verkündung 5 Sek., von der Übergabe an den Scharfrichter bis zur vollendeten Vollstreckung 6 Sekunden.“
Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. Zwilling-Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-00-024265-6.
„Friedrich Hehr“. In: Matthias Blazek: Scharfrichter in Preußen und im Deutschen Reich 1866–1945. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8382-0107-8, S. 79–102.
Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. Campus, Frankfurt am Main/New York, NY 2013, ISBN 978-3-593-39723-8.
Einzelnachweise
↑ abKlaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 60.
↑ abKlaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 105.
↑ abcdeThomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. S. 128.
↑Manfred Overesch: Gott, die Liebe und der Galgen: Helmuth J. und Freya von Moltke in ihren letzten Gesprächen 1944/45. Olms, Hildesheim/Zürich/New York 2015, ISBN 978-3-487-08552-4, S. 126.
↑Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987, Kindler, Berlin 2001, ISBN 3-463-40400-1, zitiert nach Angelika Ebbinghaus, Karsten Linne: Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg im „Dritten Reich“. Europäische Verlagsanstalt, 1997, ISBN 978-3-434520-06-1, FN 83.
↑Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 60.
↑Vollständiger Text abgedruckt in: Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. S. 54–56.
↑Andreas Seeger, Fritz Treichel: Hinrichtungen in Hamburg und Altona 1933–1944. S. 36.
↑Andreas Seeger, Fritz Treichel: Hinrichtungen in Hamburg und Altona 1933–1944. S. 37.
↑ abThomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. S. 131.