Es ist ein Ros entsprungen

Es ist ein Ros entsprungen, Erstdruck im Speyerer Gesangbuch von 1599
Melodie im vierstimmigen Satz von Michael Praetorius (1609)

Es ist ein Ros entsprungen ist ein ursprünglich wohl zweistrophiges, kirchliches Weihnachtslied aus dem 16. Jahrhundert. Sein Text bezieht sich auf Jes 11,1a EU: „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“. Die Melodie zum Text findet sich im Speyerer Gesangbuch (gedruckt in Köln 1599).[1] Der Komponist ist unbekannt.[2] Die populäre Textfassung der zweiten Strophe schuf der protestantische Komponist Michael Praetorius, der im Jahre 1609 einen weitverbreiteten vierstimmigen Chorsatz des Liedes verfasste. Im Mainzer Gebetbuch Cantual wird das Lied als „Alt Catholisch Trierer Christliedlein“ beschrieben. Die älteste Niederschrift des Textes stammt von Frater Conradus aus dem Raum Trier aus der Zeit 1582 bis 1588.[3]

Varianten und Umdichtungen

Die unterschiedlichen Varianten der zweiten Strophe lassen konfessionelle Differenzen zur Person Marias erkennen. Im katholischen Urtext wird das Gleichnis der ersten Strophe in der zweiten so aufgelöst, dass Jesse die Wurzel ist, Maria der Rosenstock aus der Wurzel und ihr Kind das „Blümlein“. Die rhetorische Doppelung des Jesajaworts wird im Lied also auf das Reis (Maria) und die daraus knospende Blüte (Jesus) gedeutet. In der katholischen Variante wird im Rahmen der Marienverehrung – verglichen mit der protestantischen Fassung – besondere Emphase auf die jungfräuliche Geburt gelegt („und blieb ein reine Magd“).

Diese Fassung des katholischen Kirchenlieds wurde in der evangelischen Kirche nicht rezipiert. Erst die Umdichtung von Michael Praetorius, dessen Chorsatz im 19. Jahrhundert kanonisch wurde, eröffnete dem Lied den Eingang in protestantische Liederbücher. Im evangelischen Text (Evangelisches Gesangbuch 30) meint sowohl „Röslein“ als auch „Blümlein“ Jesus. Unberücksichtigt bleibt bei dieser Deutung, dass laut Strophe 1 die Rose das Blümlein gebracht hat. Die Betonung der fortwährenden Jungfräulichkeit Mariens weicht einer stärkeren Zentrierung auf Jesus. Der katholische Text (Gotteslobalt 132) bleibt bei der Aussage des Urtextes, bot aber zusätzlich eine ökumenische Lesart (Gotteslobalt 133): Die doppelte Deutung von „Röslein“ und „Blümlein“ ist auch hier beibehalten; nur die Schlusszeile „und blieb ein reine Magd“ ist ersetzt durch „welches uns selig macht“. Im am 1. Adventssonntag 2013 eingeführten neuen Gotteslob wird unter Nummer 243 nur noch die katholische Textversion abgedruckt. Friedrich Layriz (1808–1859) dichtete 1844 drei weitere Strophen hinzu,[4] von denen wenigstens eine als dritte Strophe des Liedes bis heute populär geblieben ist, und nicht nur in katholische Liederbücher, sondern auch ins deutsche EG, ins Schweizer RG, ins Evangelisch-Lutherische Kirchengesangbuch² der SELK und ins Mennonitische Gesangbuch (MG 252) eingegangen ist.[5]

katholisch, Speyer (1599)[1]

1. Es ist ein Ros entsprungen /
auß einer wurtzel zart /
Als vns die alten sungen /
auß Jesse kam die art /
vnnd hat ein blümlein / bracht /
mitten in kaltem winter
wol zu der halben nacht.

2. Das Röselein das ich meine /
Daruon Isaias sagt /
Ist Maria die reine /
Die vns das blümlein hat bracht /
Auß Gottes ewigem raht /
Hat sie ein Kindlein gboren /
Vnd blieben ein reine Magd.

(Es folgen weitere 21 Strophen)

protestantisch, Praetorius (1609)[6]

ES ist ein Roeß entsprungen /
aus einer Wurtzel zart /
als vns die alten sungen /
aus Jesse kam die art /
vnd hat ein blümlein bracht /
mitten im kalten Winter /
wol zu der halben Nacht.

Das Röeßlein das ich meine /
darvon Esaias sagt /
hat vns gebracht alleine /
Mary die reine Magd /
aus Gottes ewgen raht /
hat sie ein Kind gebohren /
[wol zu der halben Nacht].

Friedrich Layriz (1844)[4]

1. ES ist ein Ros entsprungen
aus einer Wurzel zart,
Wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art,
   Und hat ein Blümlein bracht,
mitten im kalten Winter,
wohl zu der halben Nacht.

2. Das Röslein, das ich meine,
davon Jesaias sagt,
Hat uns gebracht alleine
Marie, die reine Magd.
   Aus Gottes ewgem Rat
hat sie ein Kind geboren,
wohl zu der halben Nacht.

3. Das Röselein so kleine,
das duftet uns so süß,
Mit seinem hellen Scheine
vertreibts die Finsterniss.
   Wahr Mensch und wahrer Gott;
hilft uns aus allem Leide,
rettet von Sünd und Tod.

4. Lob, Ehr sei Gott dem Vater,
dem Sohn und heilgen Geist!
Maria, Gottesmutter,
sei hoch gebenedeit!
   Der in der Krippen lag,
der wendet Gottes Zoren,
wandelt die Nacht in Tag.

5. O Jesu, bis zum Scheiden
aus diesem Jamerthal
Laß dein Hilf uns geleiten
hin in der Engel Saal,
   In deines Vaters Reich,
da wir dich ewig loben:
o Gott, uns das verleih!

In der Musik des Nationalsozialismus entstand eine profanierte Kontrafaktur, eine Neudichtung eines Textes auf die vorhandene Melodie. Die nationalsozialistische Fassung drängt den religiösen Gehalt des Liedes in den Hintergrund: Nicht mehr Jesus ist der Gegenstand des Textes, sondern die völkische Gemeinschaft.[7]

Übersetzungen

Das in gedruckter Form vom Rheinland ausgehend publizierte Lied gehört nicht nur im deutschen Sprachraum zu den bekanntesten Weihnachtsliedern. Lo, How a Rose E’er Blooming ist die heute bekannteste Version auf Englisch und wurde 1894 von Theodore Baker verfasst,[8][9] eine ältere Übertragung aus der Feder von Catherine Winkworth hat den Titel A Spotless Rose is Growing. In den Niederlanden gibt es, neben verschiedenen übersetzten Fassungen (Er is een roos ontsprongen oder Een roze, fris ontloken), auch eine säkulare Version: De witte vlokken zweven („Die weißen Flocken schweben“). Im französischen Sprachraum ist das Lied mit den Worten Dans une étable obscure („In einem dunklen Stall“), im finnischen unter Tuo armon valkokyyhky bekannt.[10] Det hev ei rose sprunge (Nynorsk) ist Nummer 33 im Gesangbuch der Norwegischen Kirche (Norsk salmebok 2013).

Eine Übersetzung ins Dänische, „En rose så jeg skyde op ad den frosne jord…“, steht im dänischen Gesangbuch Den Danske Salmebog, Kopenhagen 1953, Nr. 116, übernommen in Den Danske Salmebog, Kopenhagen 2002, Nr. 117; ebenso im populären Gesangbuch der dänischen Heimvolkshochschulbewegung, Højskolesangbogen, 18. Ausgabe, Kopenhagen 2006, Nr. 222 (übersetzt von Thomas Laub, 1920, überarbeitet von Uffe Hansen, 1935, der eine dritte Strophe hinzufügte). Als Quellen werden genannt: Deutsch, 16. Jahrhundert, Michael Praetorius 1609, Laub und Hansen für den Text; für die Melodie [Gesangbuch] „Köln 1599“.[11]

Die lateinische Übertragung Flos de radice Jesse existierte bereits im 17. Jahrhundert.[12]

Musik

Die Melodie von Praetorius wurde von Johannes Brahms als Ausgangspunkt für ein Choralvorspiel verwendet (op. 122, Nr. 8), ferner gibt es eine Choralbearbeitung des schlesischen Komponisten und Organisten Emanuel Adler (1845–1926), Hugo Distler setzte ihn 1933 in seinem Weihnachtsoratorium Die Weihnachtsgeschichte in Chorvariationen ein, und Jan Sandström fasste 1990 in Es ist ein Ros entsprungen für zwei Chöre a cappella den Satz von Praetorius in einen achtstimmigen Summchor.


\header { arranger = "Satz: Michael Praetorius" tagline = ##f }
\layout { indent = 0 \context { \Score \remove "Bar_number_engraver" } }
global = { \key f \major \time 4/4 \partial 2 }

soprano = \relative c'' {
  \global \set Staff.midiPanPosition = -0.5 \set midiInstrument = "violin"
  \repeat volta 2 { c2 | c4 c d c | c2 a | bes a4 g~ | g f2 e4 | f2 } \break
  r4 a | g e f d | c2 r4 c' | c c d c | c2 a | bes a4 g~ | g f2 e4 | f2 \bar "|."
}

alto = \relative c'' {
  \global \set Staff.midiPanPosition = 0.5 \set midiInstrument = "violin"
  \repeat volta 2 { a2 | a4 f f f | e2 d | d c4 c | d4. (a8) c2 | c }
  r4 f | d c c b | c8 (d e4) r e | g f f f | e2 d | d f4 d | e (f g) c, | c2 \bar "|."
}

tenor = \relative c' {
  \global \set Staff.midiPanPosition = -1 \set midiInstrument = "viola"
  \repeat volta 2 { c2 | c4 a bes a | g2 f | f a4 c | bes (a2) g4 | a2 }
  r4 c | bes a a g | g2 r4 g | g a bes a | g2 fis | g c4 bes | a2 g | a2 \bar "|."
}

bass = \relative c {
  \global \set Staff.midiPanPosition = 1 \set midiInstrument = "cello"
  \repeat volta 2 { f2 | f4 f bes f | c2 d | bes f'4 e | d2 c | f, }
  r4 f' | g a f g | c,2 r4 c | e f bes, f' | c2 d | g, a4 bes | c2 c | f,2 \bar "|."
}

verse = \lyricmode {
  Es ist ein Ros ent -- sprun -- gen
  aus ei -- ner Wur -- zel zart,
  Und hat ein Blüm -- lein bracht,
  mit -- ten im kal -- ten Win -- ter,
  wohl zu der hal -- ben Nacht.
}
verseR = \lyricmode {
  Wie uns die Al -- ten sun -- gen,
  von Jes -- se kam die Art,
}

\score {
  \new ChoirStaff <<
    \new Staff \with { \consists "Merge_rests_engraver" }
    <<
      \new Voice = "soprano" { \voiceOne \soprano }
      \addlyrics { \verse }
      \addlyrics { \verseR }
      \new Voice = "alto" { \voiceTwo \alto }
    >>
    \new Staff \with { \consists "Merge_rests_engraver" }
    <<
      \clef bass
      \new Voice = "tenor" { \voiceOne \tenor }
      \new Voice = "bass" { \voiceTwo \bass }
    >>
  >>
  \layout { }
}
\score { \unfoldRepeats { << \soprano \\ \alto \\ \tenor \\ \bass >> }
  \midi {
    \tempo 4=100
    \context { \Score midiChannelMapping = #'instrument }
    \context { \Staff \remove "Staff_performer" }
    \context { \Voice \consists "Staff_performer" }
  }
}

Literatur

  • Hansjakob Becker: Es ist ein Ros entsprungen. In: ders. u. a.: Geistliches Wunderhorn. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-48094-2, S. 135–145.
  • Andreas Heinz: „Es ist ein Ros entsprungen“. Zur Herkunft der ältesten bekannten Quelle des Weihnachtsliedes. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie. 24, 1980, S. 99–102; JSTOR:24201110.
  • Martin Rößler: 30 – Es ist ein Ros entsprungen. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band 2. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-50321-0, S. 17–26.
Commons: Es ist ein Ros entsprungen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. a b „A. Es ist ein Ros entsprungen (Ältester Druck Speyer 1599)“, Historisch-Kritisches Liederlexikon
  2. Xaver Frühbeis: Aus dem Schnee erblüht: „Es ist ein Ros entsprungen“. BR-Klassik vom 26. Dezember 2011, abgerufen am 25. Dezember 2019.
  3. Andreas Heinz: „Es ist ein Ros entsprungen“. Zur Herkunft der ältesten bekannten Quelle des Weihnachtsliedes. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie. 24, 1980, S. 99–102; JSTOR:24201110.
  4. a b Friedrich Layriz: Kern des deutschen Kirchenlieds von Luther bis auf Gellert. C. H. Beck, Nördlingen 1844, S. 74 f. (Digitalisat der UB Greifswald)
  5. Michael Fischer: Es ist ein Ros entsprungen (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon
  6. Wissenschaftliche Transkription im Historisch-kritischen Liederlexikon
  7. Hermann Liese (Hrsg.): Deutsche Kriegsweihnacht. Sonderdruck zur Ergänzung des Parteiarchivs für nationalsozialistische Feier- und Freizeitgestaltung „Die neue Gemeinschaft“. 3. Auflage. München 1943, S. 135 (online im Historisch-Kritischen Liederlexikon):

    Es ist ein Ros’ entsprungen
    Aus einer Wurzel zart,
    Wie uns die Alten sungen
    Von wundersamer Art;
    Und hat ein Blümlein bracht
    Mitten im kalten Winter,
    Wohl zu der halben Nacht.

    Nun leuchtet’s in den Herzen
    Und aller Mütter Traum
    Blüht leis’ in lichten Kerzen,
    Jung grünt des Lebens Baum.
    Die liebe Weihnachtszeit
    Sagt vom stets neuen Werden
    Und Gottes Ewigkeit.

    Will auch ein Jahr sich legen,
    Dem nächsten reicht’s die Hand;
    Viel hundert Keime regen
    Sich bald im weiten Land.
    Viel tausend Kinderlein
    Sind unsres Volkes Morgen,
    Des laßt uns fröhlich sein!

  8. 351. Lo, How a Rose E’er Blooming in der Onlineversion des Psalter Hymnal (Gray), des Gesangbuchs der Christian Reformed Church in North America.
  9. Robinson Meyer: ‘Lo, How a Rose E’er Blooming’ Is a Musician’s Christmas Carol. In: The Atlantic (Onlineausgabe), 25. Dezember 2015.
  10. Tuo armon valkokyyhky. Abgerufen am 4. Januar 2022.
  11. Vgl. Es ist ein Ros entsprungen. In: Otto Holzapfel: Liedverzeichnis. Lieddatei – Lieder A-K, Update März 2023 (PDF, 46,3 MB), S. 638–641.
  12. Sirenes symphoniacae. Köln 1678, S. 30 ff.; urn:nbn:de:hbz:kn28-1-15998.