Elise Vogel war das erste Kind des Rektors Carl Vogel und seiner Frau Amalie, der zusammen mit seinem Schwiegervater Carl Lang die 1816 in Wackerbarths Ruh’ eingerichtete Knabenerziehungsanstalt leitete. 1824 zog die Familie nach Krefeld, wo ihr Vater bis 1832 die Höhere Stadtschule (später Realgymnasium) leitete. Nach 1832 zog die Familie nach Leipzig. Dort erhielt sie neben einer sorgfältigen Erziehung auch Musikunterricht durch den Musikdirektor Christian August Pohlenz und den Gesangsprofessor Friedrich Böhme.
Ihr 1829 in Krefeld geborener Bruder Eduard Vogel, das fünfte Kind der Familie Vogel, wurde ein bekannter Astronom und Afrikaforscher und 1856 im Sultanat Wadei, östlich vom Tschadsee, auf Befehl des dortigen Herrschers hingerichtet. Der jüngste Bruder Hermann Carl Vogel (1841–1907) wurde Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam.
Elise Vogel gehörte zum Freundeskreis von Felix Mendelssohn Bartholdy; im Hause von Mendelssohns Schwester Fanny Hensel fand sie Aufnahme. Dieser Runde gehörten auch Jenny Lind, Wilhelmine Schröder-Devrient und Rahel Varnhagen von Ense an. Polkos Stimme und ihre Begabung weckten das Interesse Mendelssohns, welcher sie ebenso wie Livia Frege förderte. Auf Mendelssohns Rat ließ sie sich zur Sängerin (Mezzosopran) ausbilden. Ihren ersten öffentlichen Auftritt als Sängerin hatte sie am 18. Oktober 1845 im Leipziger Gewandhaus.[2] Auch als Opernsängerin hat sie sich erfolgreich versucht; sie ging im Dezember 1847 nach Paris, um ihr Gesangsstudium bei Manuel Garcia zu vervollständigen. Ihr Plan, zur Bühne zu gehen, wurde durch veränderte Familienverhältnisse verhindert. Nach dem Ausbruch der Februarrevolution 1848 kehrte sie nach Leipzig zurück und trat am 24. Februar 1848 zum letzten Mal bei einem Abonnementskonzert im Leipziger Gewandhaus auf.[2] 1849 verzichtete sie auf eine Bühnenlaufbahn als Sängerin und heiratete Eduard Polko,[3] einen Eisenbahningenieur und späteren Eisenbahndirektor der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft. Sie widmete sich von da an der Schriftstellerei.
Mit ihrem Mann lebte sie in Duisburg, ab etwa 1851/52 für ungefähr 25 Jahre in Minden in Westfalen, wo sie im Bahnhof eine Wohnung bezogen, ab 1877 in Wetzlar und 1880 in (Köln-)Deutz. Im Februar 1887,[4] kurz nach dem Tode ihres unheilbar erkrankten Sohnes, starb auch ihr Mann – unter Hinterlassung von Schulden. Außerdem hatte ihr Gatte es versäumt, sie bei der Verstaatlichung der Eisenbahngesellschaft mit in die Rentenversicherung aufnehmen zu lassen. Und sie musste ihre Familie unterstützen. Zunächst lebte sie in Hannover, das sie aus Gesundheitsgründen wieder verlassen musste, ab 1891 in Wiesbaden, von wo sie aus Kostengründen 1895 nach Frankfurt wechselte, zuletzt wohnte sie ab 1898 in München. Sie bezog eine kleine Rente auf dem Gnadenwege, verdiente den Lebensunterhalt mit Schriftstellerei sowie durch Aufnahme meist älterer Pensionärinnen, darunter zeitweise auch eine junge Tochter des Dichters Theodor Storm, und gab Gesangs(?)-Unterricht, außerdem wurde sie mit Geldgeschenken und Darlehen unterstützt von Marianne Rhodius, die der Stadt Krefeld neben zahlreichen Legaten 1,8 Millionen Mark als Stiftung hinterließ. Im Sommer 1898 stürzte sie in Schliersee so schwer, dass sie am 15. Mai 1899 an den Folgen dieses Unfalls in München im Hause ihrer Schwester Julie Dohmke starb.[5][2]
Elise Polkos Arbeiten entstanden größtenteils in Minden, wo sie auch Carl Wilhelm August Krüger kennenlernte, der eine weithin bekannte Kunstsammlung zusammengetragen hatte. In ihrem Buch Bedeutende Menschen. Portraitskizzen, Lebenserinnerungen und Novellen von 1895 gibt sie eine Erzählung des Kunstsammlers wieder.[6] Ihre Themen nahm Polko aber meistens aus dem Gebiet der Musik. Ihre bekanntesten Werke sind die Romane Erinnerungen an Felix Mendelssohn Bartholdy, Faustina Hasse, Nicolo Paganini und die Geigenbauer sowie Musikalische Märchen, Phantasien und Skizzen in drei Bänden – ein Werk, das 25 (davon 23 bis zu ihrem Tod)[7] Auflagen erlebte und zuerst zwischen 1847 und 1850 in der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt veröffentlicht wurde.[8] Die drei Bände Musikalische Märchen erzählen aus Vergangenheit und Gegenwart Geschichten aus dem Musikleben vergangener Jahrhunderte. Es sind Erinnerungen an berühmte Musiker. In der Erzählung Ein Doppelstern am Kunsthimmel spielen Clara und Robert Schumann die Hauptrolle. Und in Porpoto in Dresden 1744 werden die Leser an den Hof Friedrichs August II., den Sohn Augusts des Starken, geführt.
Diese Werke waren meist sehr erfolgreich und wurden vor allem von Frauen gern gelesen. Trotzdem kam Elise Polko aus den finanziell beengten Verhältnissen nicht heraus, obwohl sie, um Darlehen abzubezahlen, sozusagen pausenlos schrieb. In einem Brief an Marianne Rhodius klagte sie: „Bei der Beliebtheit meiner Feder und der Leichtigkeit, mit der ich arbeite, hätte ich als englische oder französische Schriftstellerin die erwähnten teuren Verpflichtungen ohne große Anstrengungen zu erfüllen vermocht, aber das Honorar der deutschen Schriftsteller ist ja eben ein so geringes im Vergleich zu jenen, – und so muss ich mich denn redlich quälen und fast alle jene Arbeiten, verehrte Frau, an denen sich so manches Herz erfreut, tragen das geheime Motto‚ in doloribus pinxit‘ (in Schmerzen gemalt).“[9] Zudem hatte sie Pech bei der Wahl ihrer Verlage, die bankrottgingen, so dass sie ihre Bücher zurückkaufen musste.
Heute sind ihre Werke nur noch wenig bekannt und meist nur in Antiquariaten zu haben. Eine ausführliche Bibliographie der Werke, Aufsätze und Erzählungen steht im Westfälischen Autorenlexikon. Weiteres Material findet sich im Krefelder Stadtarchiv.
Werke (Auswahl)
Musikalische Märchen, Phantasien und Skizzen. 3 Bände 1852–1872
Am Teetisch einer schönen Frau: Erinnerungen an den Kaiser Alexander I. Berlin 1866 (Bezogen auf die Erlebnisse der Schwester Emilie ihrer Taufpatin Elise geb. Hundeiker mit dem russischen Zaren Alexander I., siehe auch Johann Peter Hundeiker).[10]
Aus der Fremde. Neue Dichtergrüße aus vieler Herren Länder gesammelt. Schottländer, Breslau 1879
Vesta. Taschenbuch für Deutschlands Frauen und Jungfrauen. Mit Illustrationen berühmter Meister. 5 Jahrgänge. Eckstein, Leipzig und Berlin 1879–1885
Freundschafts-Album. Ältere und neuere Dichtersprüche in Poesie und Prosa. Licht und Meyer, Leipzig 1882
From garden and fields. A bouquet of english poems. Eckstein, Berlin 1883
Am stillen Herd. Gedichte und Sprüche aus dem deutschen Dichterschatz. Bruns, Minden 1884
Deutscher Mädchenkalender für das Jahr 1890. Unter Mitwirkung hervorragender Schriftstellerinnen. Fried, Berlin 1889
Deutsches Mädchen-Jahrbuch. Jg. 1891. Gnadenfeld, Berlin 1891
La belle France. Anthologie lyrique. Eckstein, Berlin 1880
Unser Glauben, Lieben, Hoffen. Fromme und ernste Lieder und Verse neuerer und neuester Dichter. Sponholtz, Hannover 1891
Unsere Kinder. Poetische Gedanken und Herzensworte deutscher und ausländischer Dichter. Greiner und Pfeiffer, Stuttgart 1892
Blauveilchen. Ein frischer Strauß deutscher Dichterblüten. Süddt. Verlags-Inst., Stuttgart 1894
Julie Burow-Pfannenschmidt: Denk-Sprüche für das weibliche Leben. Gesammelte Perlen zur Veredlung für Geist, Gemuth und Herz. Schotte, Berlin und Leipzig 1874
Ursula Geitner: Sie schreibt. Moderne Autorschaft (m/w). V&R unipress, Göttingen 2022 (= Literatur- und Mediengeschichte der Moderne. Band 9), ISBN 978-3-8471-1416-1, S. 35 und S. 237–243.
Viola Herbst: »Mit losgebundenen Flügeln«. Zur Mobilität im Leben der Sängerin und Musikschriftstellerin Elise Polko. Berlin, Heidelberg: J.B. Metzler, 2022; ISBN 978-3-662-64955-8.
Karl-Heinz Schock: Theodor Storm und Elise Polko. Ein Beitrag zur Storm-Forschung und zur Mindener Heimatgeschichte. In: Mitteilungen des Mindener Geschichts- und Museumsvereins 39, 1967, ISSN0302-2188, S. 55–86.
Viola Herbst: Elise Polko. In: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 17. April 2018.
↑Götz J. Pfeiffer: „Etwas vom Löwen …, der Blut geleckt“. Carl Wilhelm August Krüger (1797-1868) und seine Sammlung. In: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins. Band77, 2005, S.115–142.
↑Karl Rembert: Zur Lebensgeschichte zweier Kinder des Krefelder Rektors Dr. Karl Vogel. In: Karl Rembert (Hrsg.): Die Heimat – Zeitschrift für niederrheinische Heimatpflege. 18. Jahrgang, Heft 1. Krefeld 1939, S.76.