Unweit von St. Nikolai in Berlins Mitte, in der Poststraße 12, wurde August Eduard Grell geboren als Sohn des Königlichen Geheimsekretärs beim Forstdepartement August Wilhelm Grell (1769–1839), der ein gewandter Orgelspieler (als Organist an der Parochialkirche von 1808 bis 1839 tätig) und sein erster Musiklehrer war. An Grells Geburtshaus erinnert noch heute eine Gedenktafel mit Reliefbildnis von Fritz Schaper, welche anlässlich seines 100. Geburtstags im November 1900 eingeweiht wurde und die der Berliner Magistrat gestiftet hatte. Als weitere Musiklehrer folgten der Organist Karl Kaufmann sowie Karl Nikolaus Türrschmiedt. Musikalisch stark beeinflusst wurde er darüber hinaus durch seinen Onkel Otto Grell, der sich als Mitglied der Sing-Akademie zu Berlin großes Ansehen als Tenorsolist erwarb.[1]
Nach dem Tod seines Orgellehrers Johann Georg Gottlieb Lehmann, des Musikdirektors an St. Nikolai, trat Grell sechzehnjährig dessen Nachfolge an. Parallel dazu erhielt er Unterricht im Violinspiel und besuchte das Gymnasium zum Grauen Kloster. Als Lehrer und Förderer in dieser Lebensphase gelten unter anderem der Theologe Georg Carl Benjamin Ritschl sowie Johann Joachim Bellermann, seines Zeichens Direktor des Gymnasiums und verantwortlich für die Wiedereinführung des Gesangsunterrichts in den Schulen Preußens.
Grell studierte Komposition bei Carl Friedrich Zelter sowie Carl Friedrich Rungenhagen. Nach seinem Schulabgang im Jahre 1817 gelangte er zur Sing-Akademie. Seine theoretische Ausbildung setzte er in Erfurt bei Michael Gotthardt Fischer fort. Von 1841 bis 1886 war er Mitglied der musikalischen Sektion der Preußischen Akademie der Künste, in deren Senat er 1852 berufen wurde. Im März 1853 wurde er als Nachfolger des im Dezember 1851 verstorbenen Rungenhagen neuer Direktor der Sing-Akademie zu Berlin und der Zelterschen Liedertafel. Das Amt des Hof- und Domorganisten am Berliner Dom, das er 1839 von Ludwig Hellwig übernommen hatte, legte er bald darauf nieder.
Er galt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eine der herausragenden Persönlichkeiten des Berliner Musiklebens, als außergewöhnlich fruchtbarer, vielseitiger Komponist und als Verfechter des Ideals der „nackten“ Vokalmusik, des A-cappella-Gesangs. Grell komponierte vorrangig Vokalmusik, darunter Singspiele, Kantaten, Oratorien und Opern. Daneben entstanden aus seiner Feder auch drei Sinfonien, drei Streichquartette und zahlreiche Fugen.
Seine Kirchenmusik ist größtenteils dem A-cappella-Stil der Palestrina-Zeit nachempfunden. Im evangelischen Bereich gilt Grell neben Siegfried Dehn und Heinrich Bellermann als Mitbegründer einer Palestrina-Renaissance. Ein großes Verdienst Grells bestand auch in der Wiederherstellung der Oratorien Händels in Originalgestalt unter Beseitigung dem „Zeitgeist“ geschuldeter Hinzufügungen und verfremdender Weglassungen in Gesang und Orchestrierung.
In seiner Funktion bei der Sing-Akademie hielt er jedoch am Bewährten fest. Er setzte lediglich die Wiederbelebung des Bachschen Oratorienschaffens fort. So kam es auf sein Bestreben hin am 17. Dezember 1857 zur ersten Wiederaufführung des Weihnachtsoratoriums seit Bachs Tod.
Am 13. Juni 1876 schied er aus dem Direktorat der Sing-Akademie aus.
Eduard Grell starb 1886 im Alter von 85 Jahren in Steglitz. Nach einer Trauerfeier in der Sing-Akademie wurde er am 13. August 1886 auf dem Berliner Friedrichswerderschen Friedhof an der Bergmannstraße beigesetzt.[2] Seinen Grabstein ziert ein Marmorporträttondo, das Fritz Schaper schuf.[3] Die Grabstätte war von 1956 bis 2014 als Berliner Ehrengrab gewidmet.
Werke (Auswahl)
Andante cantabile, D-Dur, Violoncello solo und Streichquartett (Streichorchester oder Klavier), Seiner Excellenz dem Geheimen Rath Herrn Sulzer, Verlag R. Sulzer Nachfolger, Berlin
Lorbeer und Rose, Duett für zwei Singstimmen und Klavier, op. 6
Duettino concertante, F-Dur, für zwei Violoncelli und Streichorchester (oder Klavier), Verlag R. Sulzer Nachfolger, Berlin
Dem in der Finsternis, für Chor und Orchester, Wildt’s Musikverlag, Dortmund
Larghetto für 4 Violoncelli, F-Dur, Verlag R. Sulzer Nachfolger, Berlin, 1879
Terzetto, D-Dur, für drei Violoncelli und Streichorchester (oder Klavier), Verlag R. Sulzer Nachfolger, Berlin
Gnädig und barmherzig für Männerchor, achtstimmig
Die Israeliten in der Wüste, Oratorium
16stimmige Messe, a cappella, 1861
Der Herr ist König und herrlich geschmücket, Lied
Die Gnade des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, Lied
Erhaben, o Herr, über alles, Lied
Gott, gib Fried in diesem Lande, Lied
Preiset Gott, ihr Völker der Erde, Lied
Und dräut der Winter noch so sehr (Hoffnung), Lied
Was lockt mich an mit süßem Ton? (Frühlingsfest), Lied
Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?, Lied
Herr, deine Güte reicht so weit, Lied
Pfingstlied für 3 Solo- und 4 Chorstimmen mit Begleitung des Pianoforte, Op. 11, T. Trautwein, Berlin
Drei kurze und leichte vierstimmige Motetten, Männerchor mit Begleitung der Orgel- oder des Pianoforte, Op. 13, T. Trautwein, Berlin
Herr, neige deine Ohren
Herr, deine Güte reicht so weit
Lobe den Herrn, meine Seele, Psalm 103
Selig sind die Todten für 4 Solo und 4 Chorstimmen, Op. 18, T. Trautwein, Berlin
Der Herr ist mein Hirte für 5 Solo und 4 Chorstimmen mit Begleitung des Pianoforte, Op. 19, T. Trautwein, Berlin
Zwei achtstimmige Motetten, Op. 22, T. Trautwein, Berlin
Drei Motetten für gemischten Chor, Op. 34, H. Oppenheimer, Hameln
Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses (Pfingsten und andere Zeiten)
Herr, gedenke unser nach deinem Wort (Reformationsfest, Missionsfest usw.)
Lobe den Herrn, meine Seele, (Erntedankfest und andere Lob- und Dankfeste)
Te deum laudamus für Solo und Chorstimmen mit Begleitung von 2 Violinen, Alto, Basso, 2 Oboen, 2 Fagots, Op. 38, T. Trautwein, Berlin, um 1850
Urfinsternis, für Männerchor, Soloquartett (kleiner Chor) und großer Chor, Schott, London
Missa Solemnis für 16-stimmigen Chor a cappella, Bote & Bock, Berlin
Kurze und leicht ausführbare Messe op. 69 für SATB a cappella (Soli oder Halbchor ad lib.)
Franziska Arndt, Klaus Bechstein, Sigrid Fundheller, Daniel Krebs, Regina Steindl, Wolf Mankiewicz in: 300 Jahre Parochialkirche, Beiträge zur Geschichte. Ev. Kirchgemeinde Marien, Berlin 2003.
Heinrich Bellermann: August Eduard Grell (Biographie). Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1899.
Friedemann Milz: A-cappella-Theorie und musikalischer Humanismus bei August Eduard Grell. (= Kölner Beiträge zur Musikforschung, Band 84) Gustav Bosse, Regensburg 1976.
Nikita Braguinski: Die Systeme der reinen Stimmungen von August Eduard Grell und ihr geistesgeschichtlicher Kontext. In: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2011, Mainz 2011, S. 75–104.
Peter Sühring: Von der Hörigkeit der Instrumente – Eduard Grell und Gustav Jacobsthal. In: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2011. Mainz 2011, S. 105–124.
Ullrich Scheideler: Historismus und Funktionalität – August Eduard Grells kompositorisches Schaffen zwischen alter Musik und neuen Institutionen. In: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2011. Mainz 2011, S. 125–153.
Peter Sühring: „Die in musicis übercivilisirte Sphäre der Welt hat sich taub gemacht“. Eduard Grells Kampf für den unbegleiteten Gesang. In: Dichten, Singen, Komponieren. Die Zeltersche Liedertafel als kulturgeschichtliches Phänomen (1809-1945). Wehrhahn Verlag, Hannover 2017, S. 105–120.