Dieter Krieg erregte bereits in den frühen 1960er-Jahren durch den radikalen Gestus seiner Malerei Aufsehen. Zusammen mit oben genannten Künstlern gehört Krieg zu den Vertretern der Neuen Figuration, die dem zu dieser Zeit vorherrschenden Primat der Abstraktion die Darstellung der menschlichen Figur entgegenstellte. Jeder tat dies auf seine Weise; es gab keine Schulbildung. 1966 erhielt Dieter Krieg für seine bis zur Unkenntlichkeit verschnürten und bandagierten Körper-Darstellungen den Deutschen Preis der Jugend in Baden-Baden. Er war einer der stärksten, zugleich eigenwilligsten Maler seiner Generation.
Getragen von einem sich ständig erneuernden Impetus und mit einer allseits gegenwärtigen Bereitschaft zum Risiko, entstand in den darauf folgenden vier Jahrzehnten ein Werk, dessen Position immer wieder aufschreckte, verstörte und in der Kunstkritik nicht nur auf einhellige Zustimmung stieß. Es bewegte die Gemüter und provozierte unterschiedlichste Reaktionen. Doch der Erfolg und die hohe Reputation, die Krieg all die Jahre erfuhr, war nicht nur an den zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen ablesbar, sondern auch an dem Lehramt als Professor an der traditionsreichen Kunstakademie in Düsseldorf. Aus seiner fast fünfundzwanzigjährigen Lehrtätigkeit sind zahlreiche Schüler mit großen internationalen Karrieren hervorgegangen.
Krieg ging den Sachen immer auf den Grund. Die Bemühung um den Inhalt war entscheidend. Zunächst waren die Arbeiten konzeptuell ausgerichtet, so die „Malsch – Wannen“ aus dem Jahr 1970, die „4-Watt Lampen“ von 1972, die „Tännchen“ von 1972/73, so „Hoffnung Liebe Treue Neid Unschuld“ von 1974, oder die Tonbandaufnahme „Allen Malern herzlichen Dank“: hier realisierte er innerhalb der Jahre 1975 bis 1976 eine Lesung aller in den 36 Bänden des Allgemeinen Lexikons der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart gelisteten Künstlernamen.[1]
Ende der 1970er-Jahre brach Krieg die strenge, reduzierte Form seiner Malerei auf und überführte sie in eine malerische Wort- und Gegenstandswelt. Er trieb jetzt die malerische Form der Dinge an eine Grenze: Bekanntes und Alltägliches gingen in Befremden, auch Unbehagen über. Die Auflösung des Motivs erhielt tragende Bedeutung. Man konnte auch von Paradoxien sprechen. Die Gegenstände wurden ins Monumentale getrieben und in einen Bildraum gestellt, in dessen emotional und psychisch aufgeladenem Kraftfeld sie eine neue Existenz erhielten. Die visuelle Sensation der Bilder ist kaum in Worte zu fassen. Zum Bildgegenstand konnte der menschliche Körper werden, Dinge, die in Bezug zu diesem stehen, Dinge, die der Mensch brauchte, und deren veränderte Zustände Leben, Krankheit oder Tod symbolisierten. Dieses Bildvokabular, das Stöcke, Kerzen, Thermometer, Salatköpfe, Fleischstücke, Blüten, Kreuze, Spiegeleier, Eimer, Bücher, Buchstaben, Watte, Schriftzüge und vieles mehr umfasste, wurde von Krieg über Jahrzehnte beibehalten, erweitert und immer wieder neu bearbeitet.
Die grandiose Darstellung von Gegenständen zeichnete die intellektuelle und malerische Leistung Kriegs aus. Zwei weitere Sachverhalte, die diesen Eindruck beförderten, sind hier hervorzuheben. Ein großes Kraftfeld der Inspiration war die Literatur. Sie war für ihn nicht zusätzliche Autorität, aber einzelne Worte und Passagen aus Texten von Marcel Proust, James Joyce, Jean-Paul Sartre, Arno Schmidt und anderen Autoren konnten trotzdem zur Matrix seiner vielschichtigen Malerei werden. Seine Belesenheit kam ihm hier entgegen. Weiterhin ist das Experiment mit den Möglichkeiten des großen Formates zu nennen. Es ging nicht um Überwältigung, sondern um eine Auseinandersetzung mit der Realität im Sinn eines künstlerischen Parallelunternehmens: das Große Format wurde für ihn zur Notwendigkeit. Die Vieldeutigkeit und Lebensbedeutsamkeit der einzelnen Gegenstände war nicht immer sofort zu erkennen.
Schon früh stellte Krieg in Galerien, Museen und Großveranstaltungen der modernen Kunst aus: 1978 beispielsweise (zusammen mit Ulrich Rückriem) im Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig (Kurator Klaus Gallwitz). Zu seinem Werk erschienen zahlreiche Kataloge und Buchpublikationen. In den letzten Jahren rückten die Dinge des Lebens und des Todes immer stärker in den Blickpunkt. Man kann von einem Spätwerk sprechen.
Im Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Kolumba finden sich einige seiner Werke, so sein 6-teiliger Zyklus In der Leere ist nichts, 1998 (Acryl und Acrylglas auf Leinwand). Das Sammlerpaar Lisa und Stephan Oehmen stiftete 2022 ein Konvolut von 30 Arbeiten Kriegs, darunter rund 20 Gemälde, dem Kunstmuseum Bonn.[2]
2004 gründete er zusammen mit seiner Frau Irene († 2004) die Stiftung Dieter Krieg, die das künstlerische Werk bewahrt; zentrales Anliegen sind Publikationen und Ausstellungen.
Preise
1966: Deutscher Kunstpreis der Jugend für Malerei, Baden-Baden
1968: Preis der Veranstalter der Biennale Danuvius 68, Bratislava
„Ich sah in der Zeitschrift Das Kunstwerk Wiedergaben von neuen Bildern des 30jährigen Karlsruhers Dieter Krieg, die mir sehr merkwürdig erschienen. Sie waren keiner der jetzt modischen Malweisen zuzuordnen, erinnerten auch an keine der vergangenen, waren unrealistisch, ohne phantastisch, magisch, ohne surrealistisch zu sein...“
„Die Meisterschaft des Bildes triumphiert über die dargestellte Verkümmerung, so wie bei Beckett die Meisterschaft des Wortes über seine amputierten, gefesselten Gestalten triumphiert.“
– Peter Dittmar
„Lieber Wäsche bügeln als malen“
– Dieter Krieg: auf einer Zeichnung
Literatur
Heinz-Norbert Jocks (Hrsg.): Dieter Krieg. Lieber Schweigen. Überblick Stadtmagazin. Düsseldorf, Dezember 1988, S. 32–34
Dieter Krieg. Fritten und Brillanten. Kunstmuseum Stuttgart. Mit Beiträgen von Daniel Spanke, Simone Schimpf und Klaus-Gerrit Friese. Bielefeld 2007, ISBN 978-3-86678-158-0.
Rolf Gunther Dienst/Dieter Krieg: Wörtliche Malerei. Kunstmuseum Bonn. 108 Seiten. Mit Beiträgen von Dieter Ronte, Eduard Beaucamp und Texten von Samuel Beckett und Herman Melville. 2006
Dieter Krieg. Macht nichts. Gezeichnete Bilder. 2 Bände. Hochformat Umfang 80 Seiten, Querformat Umfang 96 Seiten. Mit Texten von Volker Adolphs, Klaus Gerrit Friese, Hans Günther Golinski, Johann-Karl Schmidt und Dirk Teuber. Publikation der Stiftung Dieter Krieg. 2006
Dieter Krieg, Andreas Kühne, Beatrice Lavarini, Jürgen Lenssen: Dieter Krieg, Kreuze und Blüten. Schnell & Steiner 2002, ISBN 3-7954-1503-9.
Dieter Krieg. Kunst ist der Zweck der Kunst. Erschienen zur Ausstellung in der Galerie der Stadt Stuttgart (1999), in der Kunsthalle Baden-Baden (1999) und im Von der Heydt-Museum Wuppertal (1999) mit Texten von Johann-Karl Schmidt (Hrsg.), Lutz Casper, Klaus Gallwitz, Klaus Gerrit Friese u. a. 2 Bände.
Andreas Beaugrand, Klaus Gerrit Friese: Dieter Krieg, Radierungen. 1999.
Klaus Gerrit Friese: Dieter Krieg, Zeichnungen. 1999.
Dieter Krieg. Arbeiten 1965–1993. 2 Bände. Texte von Klaus Gallwitz, Klaus Gerrit Friese, Dieter Krieg und Jens C. Jensen, Galerie manus presse Stuttgart 1993.
Dieter Krieg. Bilder 1986–1990. Texte von Volker Adolphs u. a., herausgegeben von Wolfgang Gmyrek, erschienen zur Ausstellung im Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof Düsseldorf 1991.
Dieter Krieg (1937–2005) Abschied. In: Die Welt. 29. November 2005 (welt.de).
Farbe als Masse In: Die Tageszeitung. 29. November 2005 (taz.de).
Rolf-Gunter Dienst: Aus Tonnen schöpft der malerische Furor die Farbe. Es ist nicht behaglich, wenn das scheinbar Banale ins Gigantische wächst: Zum Tod von Dieter Krieg,Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. November 2005, Seite 37.
↑Allen Malern herzlichen Dank. Tonbangaufnahme (147 Stunden und 20 Minuten, alphabetische Lesung aller Vor- und Zunamen der Künstler des Allgemeinen Lexikons der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart durch 8 Frauen und 11 Männer).
↑Thomas Kliemann: Meisterhafte Spiegeleier, General-Anzeiger, 22. Januar 2022, Seite 12.