Die abstrakten hannoverdie abstrakten hannover war eine Vereinigung von Künstlern in Hannover, die in den 1920er Jahren die abstrakte Kunst in verschiedenen Gestaltungsformen weiter entwickelten und dieser damals neuen Kunstrichtung zu mehr Beachtung und Ansehen verhelfen wollten. Die Vereinigung bestand bis Anfang der 1930er Jahre. Die Aktivitäten wurden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 stark eingeschränkt. Drei Gruppenmitglieder gingen ins Exil, drei weitere wurden mit Malverbot belegt. 1935 erlosch die Gruppierung offiziell. Gründung, Namensgebung und ZieleDie Künstlergruppe war 1927 als Ortsgruppe der „Internationale(n) Vereinigung der Expressionisten, Futuristen, Kubisten und Konstruktivisten e.V.“ gegründet worden. Die Initiative ging von Kurt Schwitters aus, der die vier Künstler Carl Buchheister, Rudolf Jahns, Hans Nitzschke und Friedrich Vordemberge-Gildewart zur Gründungsversammlung am 12. März 1927 in seine hannoversche Wohnung in der Waldhausenstraße 5 im Stadtteil Waldhausen einlud.[1] Die fünf Künstler kannten sich seit Jahren. Nitzschke und Vordemberge-Gildewart hatten Ausbildungen in der Innenarchitektur, Architektur und Malerei absolviert. Sie bezogen 1924 gemeinsame Ateliers in der Kestnergesellschaft und wollten dem Konstruktivismus zum Durchbruch verhelfen, nachdem diese neue Stilrichtung von El Lissitzky im selben Haus in den Vorjahren weiter entwickelt worden war. Der Kontakt zu dem Autodidakten Rudolf Jahns kam im Februar 1927 zustande, als Schwitters im Rahmen seiner MERZ-Abende bei ihm in Holzminden zu Gast war. Als weiteres Mitglied wurde Mitte 1927 César Domela[2] als „auswärtiges Mitglied“ aufgenommen, der aus Amsterdam stammte und zu der Zeit in Berlin wohnte. Er stellte die Verbindung zu der international bereits bekannten niederländischen De-Stijl-Gruppe her.[3] Die Künstlergruppe unterstrich mit ihrer Namensgebung einerseits ihre Eigenständigkeit als Ortsgruppe innerhalb der „Internationale(n) Vereinigung der Expressionisten, Futuristen, Kubisten und Konstruktivisten e.V.“, der von Herwarth Walden und der „Zeitschrift "Der Sturm"“ gegründeten Berliner Künstlervereinigung,[4] und andererseits mit der ausdrücklichen Kleinschreibung ihres Namens die Unterstützung der fortschrittlichen Bestrebungen des Bauhauses in Weimar. Dort hatte es bereits im Oktober 1925 geheißen:
– Bauhaus Weimar[Lit. 1] In einer Erklärung an den Leiter des niedersächsischen Provinzialmuseums Alexander Dorner, der später förderndes Mitglied der abstrakten hannover wurde, heißt es:
– Laszlo Moholy-Nagy[Lit. 2] Mit der Gründung der Künstlergruppe gewährte ihnen der Kunstverein Hannover in der jährlichen Ausstellung einen eigenen Raum, womit ein breiterer Publikumskreis erreicht werden konnte. Ein weiterer Schwerpunkt der Gruppenaktivitäten war die Suche und Anbindung von fördernden Mitgliedern aus aufgeschlossenen Kreisen der Stadt Hannover, womit ein bescheidenes Mäzenatentum entwickelt werden konnte. In der Zeitspanne des Bestehens der Künstlergruppe vertieften die Mitglieder ihre künstlerischen Schwerpunkte und entwickelten sie durch den gegenseitigen Austausch weiter. Die künstlerischen Tätigkeiten waren vielfältig und erstrecken sich über die Gebiete:
Die Gruppe erlebte in der Zeit der Zusammenarbeit eine "fruchtbare Auseinandersetzung" untereinander, die den" konstruktiven Grundzug in all ihren Arbeiten weiter ausprägte".[1] Dabei blieb genügend Freiraum für eigene Charakteristika, da keine gemeinsame Gestaltungstheorie entwickelt und vorgegeben wurde. Hierin unterschieden sich die abstrakten hannover grundlegend von Pionieren der konstruktiven, ungegenständlichen Kunst wie Kasimir Malewitsch und seine Schüler oder die de-Stijl-Gruppe um Piet Mondrian und Theo van Doesburg. Sinn und Zweck der Vereinigung war die ideelle und materielle Unterstützung der Künstler. Elisabeth Buchheister, Ehefrau von Karl Buchheister, beschrieb die Anfänge der Künstlergruppe als „Krampf“, als „einen unermeßlichen Kampf“, überhaupt etwas zu verkaufen.[5] Vorsitzender der Gruppe war von 1928 bis 1932 Carl Buchheister.[6] Als in der Wohnung von Käte Steinitz, einer Freundin Schwitters und Förderin der abstrakten, die Künstlervereinigung mit 50 Teilnehmern tagte, waren die abstrakten bereits auf dem Weg, mit ihren Künsten wie etwa Dada international salonfähig zu werden.[5] Doch manche Hannoveraner taten sich noch schwer mit der Gruppe: „Wenn Kurt Schwitters auf einem der Gesellschaftsabende der abstrakten seine »Chorsonate« vortrug“, erinnerte sich Elisabeth Buchheister im Interview auf NDR 1,
Die besondere Aufbruchstimmung der 1920er Jahre fasste Samuel Caumann, der spätere Biograf Alexander Dorners, zusammen:
– Samuel Caumann[Lit. 3] Schwerpunkte der KünstlerBuchheister und Jahns standen mit ihren Werken – überwiegend Zeichnungen und Bilder – in enger Verbindung zur Natur, aus der sie Anregungen zu ungegenständlichen Konzepten gewannen. Jahns setzte anfangs Einflüsse des Kubismus und der Ungegenständlichkeit in weich geschwungene, gerundete sowie in geradlinige, gezackte Formen um. Mitte der 1920er Jahre kam er zu einer „konstruktiven Vorgehensweise, zum Bauen einer Komposition aus geometrischen oder zumindest geometrisierenden Elementen.[7] Domela, Nitzschke und Vordemberge-Gildewart wurden eher als rationale Gestalter angesehen.
– Friedrich Vordemberge-Gildewart[Lit. 4] Er bewundere zwar die Natur, aber die Kunst entstehe durch Berechnung. Bereits der Einstieg in die Malerei war bei Nitzschke und Vordemberge-Gildewart durch Ungegenständliches geprägt, wie flächige Horizontal-Vertikal-Kompositionen (siehe auch Konstruktivismus und Elementarismus). Später gingen sie zu geometrischen, sich überlagernden Konstruktionen im Stile von El Lissitzky über.[7] Ende der 1920er Jahre gewannen Tätigkeiten für die Typografie, Werbung und Produktgestaltung für Mitglieder der Gruppe größere Bedeutung, auch aus wirtschaftlichen Gründen – wie es hieß, zum „Broterwerb“.[7] ResonanzDie Künstler fanden im In- und Ausland Anerkennung. Im internationalen Kunstbetrieb gab es Interesse an einzelnen oder mehreren Künstlern, die zu Veranstaltungen oder Publikationen herangezogen wurden, allerdings kaum an der Gruppierung als solcher.[1] Örtliche Unterstützung erfuhren sie vor allem durch das Engagement der Kestnergesellschaft und der Galerie Garvens sowie durch den Leiter des Provinzialmuseums Hannover Alexander Dorner, der in diesem Zeitraum eine Neuordnung und damit eine Neuorientierung der Gemäldeabteilung umsetzte (1927 Einrichtung des „Kabinetts der Abstrakten“). Die lokale Presse und einflussreiche Teile der Öffentlichkeit waren zutiefst bieder. Der Kunstverein Hannover sperrte sich gegen Abstrakte. Erst die Gruppengründung öffnete den Weg zur jährlichen Ausstellung.[8] Vorträge, GesellschaftsabendeBei der Suche und Anbindung von fördernden Mitgliedern aus aufgeschlossenen Kreisen der Stadt Hannover spielten Gesellschaftsabende und Vorträge eine wesentliche Rolle, meist abgehalten in Räumen der Gruppenmitglieder. Zwischen 1927 und Ende 1931 fanden 21 Vortragsabende mit einem weit gespannten Themenspektrum unter Beteiligung namhafter, internationaler Vortragender statt.[8] Zu den flankierenden Aktivitäten zählte die Verlosung von Kunstwerken der Gruppenmitglieder, die sie abwechselnd zu den Vortragsabenden zu einem Bruchteil ihres angesetzten Wertes stifteten.[1]
. AusstellungenIm Vorfeld der Gruppengründung standen Beteiligungen an großen internationalen Ausstellungen, aus der sich Arbeitsimpulse und persönliche Kontakte ergaben:
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fanden zwei Ausstellungen statt, die sich ausschließlich den abstrakten hannover widmeten:
Werke der abstrakten hannover (Schwerpunkt: Schwitters, Vordemberge-Gildewart, Buchheister und Jahns sowie Stahlrohrstuhl von Nitzschke) finden sich heute insbesondere im Sprengel Museum Hannover.[14] Ende der GruppeAnfang der 1930er Jahre wurde die politische und gesellschaftliche Lage für die Mitglieder der abstrakten hannover bedrohlicher. Treffen fanden kaum noch statt, auch der schriftliche Austausch unterblieb. Der letzte Vortragsabend fand im Dezember 1931 als 21. Abend mit Ernst Kallai zum Thema „Bauhaus“ statt. Bezeichnenderweise sind über diese Veranstaltung keine weiteren Dokumente und Unterlagen erhalten geblieben. Arbeit- und Ausstellungsmöglichkeiten – selbst im angewandten Bereich – gingen drastisch zurück. Die früheren Förderer konnten kaum noch Unterstützung geben. 1932[6] löste sich die Gruppe auf.[13][15] Der organisatorische Zusammenhalt war mehr und mehr weggefallen, nachdem Schwitters sich häufig in Norwegen aufhielt, Vordemberge-Gildewart der immer noch bestehenden Hannoverschen Sezession beitrat und Carl Buchheister im Reichsverband bildender Künstler eine herausgehobene Position übernahm.[3] Schwitters ging 1937 endgültig in Norwegen ins Exil. Domela emigrierte 1933 nach Paris. Vordemberge-Gildewart emigrierte 1938 nach Amsterdam. Buchheister, Jahns und Nitzschke blieben in Deutschland. Nitzschke schränkte seine Tätigkeiten auf die Architektur und Möbelentwürfe ein. Bezeichnend für den zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten ist ein Bauentwurf für das Haus Bode in Steinhude, bei dem er das ursprünglich konzipierte Flachdach durch ein Satteldach ersetzen musste, um die Baugenehmigung zu bekommen. Er konnte bis Kriegsanfang seine Tätigkeiten fortsetzen, wurde 1942 eingezogen und fiel 1944 bei Paris. Buchheister und Jahns wurden 1933 mit Malverbot belegt. Sie stellten die künstlerischen Tätigkeiten ein und nahmen sie nach dem Zweiten Weltkrieg in unterschiedlicher Weise wieder auf. Diese Künstler schufen in diesem späten Zeitraum ein umfangreiches Werk, vor allem an abstrakten Bildern, Zeichnungen und Grafiken. Literatur
Weblinks
Literaturzitate
Belege und Anmerkungen
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