Claus GattererClaus Gatterer, ursprünglich Klaus Gatterer (* 27. März 1924 in Sexten; † 28. Juni 1984 in Wien), war ein aus Südtirol (Italien) stammender Journalist, Historiker, Schriftsteller und Dokumentarfilmer. Als Ressortleiter der österreichischen Tageszeitung Die Presse und Chefredakteur der ORF-Sendereihe teleobjektiv wurde er in den 1960er- und 70er-Jahren einem breiten Publikum bekannt. In seiner Heimatregion gilt Gatterer aufgrund umfassender historischer Studien, in denen er die Geschichte Südtirols erstmals in einen überregionalen Kontext stellte, als Begründer einer transnationalen Geschichtsschreibung. Im Sinne seines publizistischen Engagements für die Belange von Minderheiten aller Art wird vom Österreichischen Journalisten Club seit 1985 der Prof. Claus Gatterer-Preis für sozial engagierten Journalismus vergeben. LebenKindheit und Jugend in SüdtirolClaus Gatterer wurde als ältestes von neun Kindern einer Bergbauernfamilie in Sexten geboren. Seine Kindheits- und Jugendjahre wurden von den lebendigen Erinnerungen des Vaters an den Ersten Weltkrieg und die untergegangene Habsburgermonarchie wie auch durch die unmittelbare Italianisierungspolitik der italienischen Faschisten nachhaltig geprägt. Die Erinnerungen an diese Zeit verarbeitete Gatterer im 1969 erschienenen Roman Schöne Welt, böse Leut. Die schulische Laufbahn führte Gatterer von der italienischen Grundschule in Sexten an das bischöfliche Knabenseminar Vinzentinum in Brixen, wo er 1943 maturierte. In Gatterers Gymnasialzeit fiel die Entscheidung seiner Familie, im Zuge des deutsch-italienischen Umsiedlungsabkommens (Option) 1939 nicht in das Deutsche Reich abzuwandern, sondern als italienische Staatsbürger den bäuerlichen Hof in Sexten weiter zu bewirtschaften. Gatterer inskribierte im Herbst 1943 infolgedessen an der Universität Padua als Student der Geschichte und Philosophie (lettere e filosofia), schloss dieses Studium allerdings nicht ab. Für seine umfassenden historischen Arbeiten der Folgejahre wurde ihm 1970 in Österreich der Berufstitel Professor verliehen. Journalistische Karriere in ÖsterreichMit Kriegsende 1945 kehrte der 21-jährige Gatterer nach Südtirol zurück und betätigte sich als Journalist der Zeitungen Volksbote und Dolomiten am Aufbau der Südtiroler Volkspartei (SVP). Im Jänner 1948 übersiedelte Gatterer nach Österreich, wo er als Redakteur der Tiroler Nachrichten in Innsbruck eine journalistische Karriere begann. 1953 wechselte Gatterer mit Unterstützung des Journalisten Gerd Bacher zu den Salzburger Nachrichten. Die berufliche Zusammenarbeit mit Bacher beförderte die Karriere Gatterers in den Folgejahren nachhaltig. 1957 übersiedelte er nach Wien und wechselte in die Redaktion der Zeitung Bild-Telegraf; zeitgleich begann seine ständige Mitarbeit an der kulturpolitischen Monatszeitschrift FORVM (bis 1968). 1958 folgte Gatterer Bacher als stellvertretender Chefredakteur zur Tageszeitung Express. 1961 wurde er Leiter des Ressorts für Außenpolitik der Tageszeitung Die Presse. Von 1967 bis 1972 arbeitete Gatterer als freier Schriftsteller und Journalist. In dieser Zeit verfasste er u. a. sein historisches Hauptwerk Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien (1968) sowie mehrere Übersetzungen italienischer Autoren wie Emilio Lussu und Angelo Tasca. Als freier Mitarbeiter publizierte er journalistische Beiträge und Kommentare in zahlreichen Zeitschriften, darunter Die Furche, Die Zukunft (Wien), Die Zeit (Hamburg) und Il Mondo (Rom). Anfang der 1970er-Jahre schrieb Gatterer kurzzeitig für die Zeitschriften Kurier und Profil. Bereits Ende der 1960er-Jahre hatte Gatterer erste Erfahrungen im Bereich des Dokumentarfilms gemacht. Unter der Generalintendanz Gerd Bachers wurde Gatterer 1972 ständiger Mitarbeiter beim Österreichischen Rundfunk (ORF). Ab 1974 leitete er für zehn Jahre die Sendereihe teleobjektiv, die sich mit fundierter Hintergrundberichterstattung der Aufdeckung von sozialen Missständen verschrieben hatte. Öffentliche Kontroversen, die von der Sendung ausgelöst worden waren, führten 1984 schließlich zur Einstellung der Sendereihe, aber auch zum persönlichen Bruch zwischen Gatterer und Bacher. Gatterer, der zu diesem Zeitpunkt bereits von einer schweren Krebserkrankung gezeichnet war, starb wenige Wochen nach Ausstrahlung der letzten Ausgabe von teleobjektiv im Juni 1984 in Wien. Auf persönlichen Wunsch wurde er in seiner Heimatgemeinde Sexten beigesetzt. RezeptionZu LebzeitenAls Journalist, Buchautor und Dokumentarfilmer konnte Gatterer mit seinen Veröffentlichungen bereits in den 1960er- und 70er-Jahren in der medialen Öffentlichkeit Österreichs (zum Teil auch in Italien) eine relativ breite Resonanz erzielen. Sie reichte von intensiver Zustimmung bis hin zu offener Anfeindung: Ab dem Jahr 1966 wurde Gatterer für seine journalistischen und historiographischen Arbeiten mehrfach mit hochkarätigen Preisen ausgezeichnet. Die kontinuierlichen Anfeindungen, die durchwegs von nationalistischen Kreisen ausgingen, gipfelten 1982 in einer offenen Morddrohung österreichischer Neonazis.[1] Gatterers publizistischer Wirkungskreis eröffnete sich in einem ersten Schritt über die österreichische Presselandschaft. Hier etablierte sich Gatterer in den 1950er- und 60er-Jahren als Redakteur und Kommentator für Außenpolitik, wobei er sich speziell den Entwicklungen in Italien einschließlich der damals aktuellen Südtirolfrage widmete. Spätestens mit Publikation seines themenspezifischen Hauptwerks Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien (1968) war er in österreichischen und deutschen Fachkreisen als Italien-Experte anerkannt und fungierte zeitweise als Südtirol-Berater führender österreichischer Staatspolitiker wie dem Außenminister und späteren Bundeskanzler Bruno Kreisky. In Südtirol blieb Gatterers direkter Einfluss auf die Regionalpolitik verhältnismäßig gering. Die bedeutendste lokale Tageszeitung Dolomiten und die Führungsspitze der Südtiroler Volkspartei (SVP) gaben Gatterers Publikationen nur geringen medialen Vermittlungsspielraum. Für einzelne links-liberal gesinnte Regionalpolitiker wie Hans Benedikter und Egmont Jenny wirkte Gatterer allerdings bereits in seinen publizistischen Anfangsjahren als wichtige intellektuelle Bezugsperson. Mit seinen Buchpublikationen zu den Verflechtungen der Geschichte Österreichs mit jener Italiens (1967 bis 1972) schuf Gatterer zudem erste regionalgeschichtliche Bezugspunkte für italienischsprachige Südtiroler. Diese Bezüge wurden in den 1980er-Jahren vom Verlag Praxis 3 in Bozen aufgegriffen, der Gatterers Werke postum ins Italienische übersetzte. Gatterers Publikation zu Cesare Battisti beeinflusste darüber hinaus den regionalgeschichtlichen Diskurs im Trentino. Mit zahlreichen Arbeiten bzw. Übersetzungen zu vielfältigen soziokulturellen Randgruppen wie den Kärntner Slowenen, den Sarden oder den Kulturen der Küstengebiete des Schwarzen Meeres konnte Gatterer punktuell immer wieder europäische Impulse setzen. In den 1970er-Jahren entwickelte sich Gatterer sowohl als Journalist als auch als Historiker zu einer Bezugsperson für die 68er-Generation. Mit seinem Fernsehmagazin teleobjektiv prägte er junge ORF-Journalisten und Filmemacher wie Robert Dornhelm, Peter Huemer, Kurt Langbein und Elizabeth T. Spira, die nach dem Ableben Gatterers erfolgreiche Karrieren weiterverfolgen konnten. Als Historiker beeinflusste Gatterer vor allem die alternative Bewegung in Südtirol (Alexander Langer, Reinhold Messner, Leopold Steurer, Christoph von Hartungen), die Gatterer in erster Linie als Begründer einer weltoffenen Geschichtsschreibung in Südtirol, etwa zur lange vernachlässigten faschistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit des Landes bzw. zu Themen der Arbeiterbewegung, rezipierten.[2] PosthumNach dem Tod Gatterers im Jahr 1984 wurde die Erinnerung an Leben und Werk im Wesentlichen von der 68er-Generation aus Gatterers unmittelbarem Umfeld weitergetragen. In Wien schuf der Österreichische Journalisten Club auf Vorschlag der ORF-Journalisten Hans Preiner und Fred Turnheim 1985 den Prof. Claus Gatterer-Preis, mit dem seither jährlich herausragende journalistische Arbeiten aus Österreich und Südtirol ausgezeichnet werden, die den publizistischen Leitmotiven Gatterers folgen. 1991 wurde auf Initiative der Südtiroler Michael-Gaismair-Gesellschaft erstmals ein Symposium zu Leben und Werk Claus Gatterers organisiert; 2004 folgte eine Veranstaltung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Im selben Jahr wurde der umfangreiche Dokumentennachlass Gatterers von den Erben der Gemeinde Sexten übergeben, die ihn seither in der Bibliothek Claus Gatterer aufbewahrt und der Forschung zugänglich macht. Mit Veröffentlichung der ersten wissenschaftlichen Biographie zu Claus Gatterer durch den Südtiroler Publizisten Thomas Hanifle erweiterte sich der Kreis der Gatterer-Rezipienten 2005 erstmals auf jene Generation, die mit Gatterer nicht mehr persönlich bekannt gewesen war. Im Juni 2014, anlässlich des 30. Todestages von Claus Gatterer, organisierte das Stadttheater Bruneck mit der dreitägigen Claus Gatterer Filmretrospektive die bis dato umfangreichste Veranstaltung zu Leben und Werk des Journalisten, Historikers und Dokumentarfilmers. Hierfür wurde Gatterers filmisches Schaffen erstmals fundiert aufbereitet und sein beruflicher und persönlicher Werdegang in Form einer Ausstellung präsentiert. Eine gekürzte, zweitägige Programmfassung wurde als Claus Gatterer Filmspecial im Dezember 2014 von Forschungsinstitut Brenner-Archiv und Leokino Cinematograph in Innsbruck veranstaltet. Im Herbst 2014 veröffentlichte der Verein Urania Meran das für Südtiroler Oberschulen konzipierte interaktive Ausstellungsprojekt gatterer9030. Die Projekte Claus Gatterer Filmretrospektive und Filmspecial bildeten indes die Grundlage für ein 2016 begonnenes Forschungsprojekt am Brenner-Archiv der Universität Innsbruck, welches in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Sexten erstmals das umfangreiche Gesamtwerk Gatterers systematisch erforscht und aufbereitet.[3] Zitate zu Person und Bedeutung Claus Gatterers
– Bruno Kreisky, Österreichs Bundeskanzler a. D. anlässlich des Todes von Claus Gatterer 1984[4]
– Elizabeth T. Spira, ehem. Redakteurin für Gatterers Fernsehmagazin teleobjektiv[5]
– Paul Flora, 1991 anlässlich des ersten Symposiums zu Leben und Werk Claus Gatterers[6]
– Peter Huemer, ehem. Redakteur für Gatterers Fernsehmagazin teleobjektiv[7]
– Kurt Langbein, ehem. Redakteur für Gatterers Fernsehmagazin teleobjektiv[8]
– Leopold Steurer, Südtiroler Regionalhistoriker[9]
– Sabina Zwitter-Grilc, ORF-Journalistin und Gatterer-Preisträgerin 2014[10]
– Joachim Gatterer, Kurator der Claus Gatterer Filmretrospektive 2014[12] Auszeichnungen
WerkeBücher
Von Claus Gatterer ins Deutsche übersetzt und zum Teil kommentiert
Bücher Gatterers in italienischer Übersetzung
Postum veröffentlichte Texte Claus Gatterers
Dokumentarfilme mit maßgeblicher Beteiligung Claus Gatterers
Literatur
Verfilmungen
Radiobeiträge (Podcast)
WeblinksCommons: Claus Gatterer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
|