Benjamin Idriz (* 1972 in Skopje, damals Jugoslawien, als Bajrambejamin Idriz) ist ein in Deutschland lebender Imam und Autor. Bundesweit bekannt wurde er als Vorsitzender des „Münchner Forums für Islam“, mit dem er eine große Begegnungsstätte einschließlich Moschee und Museum plant.
Idriz entstammt nach eigener Angabe einer „viele Generationen zurückreichenden Familie von Imamen und Theologen“ und wurde schon im Alter von 11 Jahren Hafiz.[1] 1987–1994 besuchte er ein islamisch-theologisches Gymnasium in Damaskus. Seine Abschlussarbeit hatte die Emanzipation der Frau im Islam zum Thema. 1994–1998 absolvierte er ein Bachelor-Fernstudium an der Europäischen Fakultät für Islamische Studien in Château-Chinon. 2014 erwarb er den Magister in islamischer Theologie an der Al-Ouzai-Universität in Beirut.[2] 2016 promovierte er an der Humanistischen Fakultät der Internationalen Universität Novi Pazar (Sandschak, Serbien) in islamischer Theologie mit der Dissertation Die horizontalen Aspekte im Islam. Diese Fakultät stellt laut Datenbank anabin der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen eine „Bildungseinrichtung der Kirchen und Glaubensgemeinschaften ohne staatliche Anerkennung“ dar, der Titel darf deshalb in Deutschland nicht geführt werden.[3].
Seit 1995 ist Idriz Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg e. V. (IGP), die sich aus Mitgliedern mit bosnischem, türkischem, albanischem, deutschem und anderem ethnischen Hintergrund zusammensetzt. Seit 2009 ist Idriz auch Vorsitzender des „Münchner Forums für Islam e. V.“ (MFI) (ursprüngliche Bezeichnung bis 2013 „Zentrum für Islam in Europa – München“ (ZIE-M)), seit 2010 Mitglied im Kuratorium der Gesellschaft Freunde Abrahams, seit 2013 Vorsitzender des Islamforums Bayern zusammen mit Rainer Oechslen (Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern),[4] seit 2016 Mitglied im Sprecherrat des „Rates der Religionen“, München.
In der oberbayerischen Stadt Penzberg wurde 2005 mit dem Bau des Islamischen Forums Penzberg eine für ihre moderne Architektur ausgezeichnete Moschee eröffnet.[5] Der Imam und seine Gemeinde werden vor Ort und bayernweit als Beispiel für gelungene Integration wahrgenommen und genießen breite Unterstützung in der Bevölkerung, den Kirchengemeinden und der Politik.[6] Das 20-jährige Jubiläum der Gründung der „Islamischen Gemeinde Penzberg“ und gleichzeitig 10-jährige Jubiläum des „Islamischen Forums Penzberg“ wurde im Oktober 2015 mit einem Fest begangen. Als Festrednerin würdigte die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Einsatz des Imams und seiner Gemeinde für Integration, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.[7] Am 2. Dezember 2019 besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Islamische Forum Penzberg, begleitet vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann.[8]
Münchner Forum für Islam
2007 initiierte Imam Idriz mit Mitarbeitern aus Penzberg und München das Projekt Zentrum für Islam in Europa – München (ZIE-M), das 2009 als gemeinnütziger Verein unter seinem Vorsitz eingetragen und 2013 in Münchner Forum für Islam (MFI) umbenannt wurde.[9] Das Projekt bekennt sich laut Vereinssatzung zur „Förderung der Identität hier lebender Musliminnen und Muslime in einem Sinne, der dem Islam als friedlicher und an den Werten des Rechtsstaates orientierten Religion verpflichtet ist“ und zur „konstruktiven Zusammenarbeit mit allen interessierten Einrichtungen der Stadt und des Staates, der Gesellschaft, der Religionsgemeinschaften und vergleichbarer Einrichtungen“.[10] Zur Mitwirkung im Verein wird das Bekenntnis zum Grundgesetz und zur bayerischen Verfassung vorausgesetzt.[11] Seit 2010 gehört das MFI dem Münchner Bündnis für Toleranz, Demokratie und Rechtsstaat an.[12]
Das MFI plant einen Baukomplex, der ein Gemeindezentrum, eine Akademie, eine Moschee und ein Museum für Islam in Europa umfassen soll.[13] Im Januar 2015 wurden Pläne des Architekturbüros Alen Jasarevic öffentlich vorgestellt.[14] Die Stadt München hat dafür ein Grundstück im sogenannten Kreativquartier an der Dachauer Straße reserviert, erwartet im Gegenzug Finanzierungsnachweise, die noch nicht erbracht wurden. Sollten die mehrmals verlängerten Fristen (30. Juni 2016 für den Nachweis der Grundstückskosten, 31. Dezember 2016 für den Nachweis der Baukosten) erneut verstreichen, will Idriz Presseberichten zufolge das Projekt nicht weiter verfolgen.[15]
Ende 2016 wurde berichtet, dass das Projekt gescheitert sei, weil der Geldgeber aus Saudi-Arabien seine Zusage zurückgezogen habe.[17][18]
Helferkreis Münchner Muslime
Auf Initiative von Idriz wurde im Herbst 2015 der Helferkreis Münchner Muslime (HMM) gegründet, der erklärt, Hilfsaktionen von Muslimen für in München ankommende Flüchtlinge unabhängig von deren ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit zu koordinieren.[19] Im Dezember 2015 veröffentlichte Imam Idriz eine an muslimische Migranten gerichtete Broschüre in deutscher, arabischer und englischer Sprache, die Grundregeln des Zusammenlebens in Deutschland in Bereichen wie „Grundgesetz“, „Gleichberechtigung“, „Umwelt“ u. a. jeweils mit islamischen Quellen aus Koran und Sunna begründet.[20]
Kontroversen
TV-Beitrag „Report München“
Eine Reportage des TV-Magazins report München im Januar 2012 stellte dar, dass Idriz ein Magisterstudium in islamischer Theologie an der Al-Ouzai-Universität in Beirut auf seiner Homepage bis 2011 inkorrekt als „Mag. in Islamischer Theologie“ ausgewiesen hätte, wodurch die Möglichkeit eines Titelschwindels impliziert wurde.[21] Idriz erklärte, dass er zu keiner Zeit den Titel „Mag.“ o. ä. als Namenszusatz geführt habe.[22] Sein Magisterstudium an der Al-Ouzai-Universität schloss er 2014 im Fach „Zeitgemäßes islamisches Denken“ ab.[23] In derselben TV-Sendung wurde als Rechercheergebnis dargestellt, dass das Institut Européen des Sciences Humaines (IEHS) in Château-Chinon, an dem er ein Fernstudium absolviert hatte, keine staatliche Zulassung habe. Dass der Laizismus in Frankreich eine staatliche Anerkennung religiöser Ausbildungseinrichtungen grundsätzlich nicht vorsieht, behandelte der Bericht nicht. Die Sendung veröffentlicht Hinweise, dass das Institut der Muslimbruderschaft nahesteht.[24][25][26]
Verfassungsschutzbeobachtung
Die „Islamische Gemeinde Penzberg e. V.“, für die Idriz seit 1995 als Imam tätig ist und deren Vorstand er angehört, stand von 2007 bis 2010 unter Beobachtung des bayerischen Verfassungsschutzes.[27] Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann erklärte im Juli 2010, die Penzberger Gemeinde stehe „aus guten Gründen im Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes“, weil „führende Mitglieder“ Kontakte „zu mehr als problematischen Personen“ unterhielten, die wichtige Positionen bei der Islamischen Gemeinde Deutschland und Millî Görüş hätten.[28] Laut Aussage von Idriz wurde die Penzberger Gemeinde 1993 mit Unterstützung der – islamistischen[29] – Vereinigung Millî Görüş gegründet, bei der er selbst bis März 2006 Mitglied gewesen ist.[30] Man habe sich aber nach einigen Jahren von diesem Verein getrennt.[31]
Gegen die damals gegen Imam Idriz und die IGP erhobenen Vorwürfe wurden Stimmen aus dem gesamten demokratischen Parteienspektrum von der Lokalpolitik bis zur Bundespolitik laut, die sich zugleich für seine Initiative ZIE-M bzw. MFI aussprachen.[32] Die islamische Gemeinde erhielt 2011 die Gemeinnützigkeit wieder zuerkannt.[33]
Bauprojekt „Münchner Forum für Islam“
Die rechtspopulistische Splitterpartei „Die Freiheit“, die seit 2013 im Bayerischen Verfassungsschutzbericht als extremistisch islamfeindlich eingestuft wird,[34] startete gegen das Projekt ZIE-M 2011 ein Bürgerbegehren und sammelte unter der Parole „Kein europäisches Islamzentrum am Stachus!“ bis 2014 in München nach eigenen Angaben 64.000 Unterschriften.[35] Der Münchner Stadtrat stellte am 1. Oktober 2014 die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens fest (bei 1 Gegenstimme der NPD-nahen „Bürgerinitiative Ausländerstopp“), da die Unterschriftensammlung auf wahrheitswidrigen Behauptungen basiere.[36] Zusätzlich wurden Formfehler moniert. In derselben Sitzung nahm der Stadtrat mit demselben Abstimmungsergebnis eine Resolution „Solidarität mit Muslimen in unserer Stadt!“ an.[37] CSU-Stadtrat Marian Offman, zugleich Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde München, bezeichnete diese Resolution als „Meilenstein für das Miteinander der Religionen und gegen rassistische Hetze“.[38] Die Klage von „Die Freiheit“ gegen die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens wurde am 12. November 2015 vom Verwaltungsgericht München abgewiesen.[39] Die Erwähnung der Partei im Verfassungsschutzbericht unter der neu geschaffenen Kategorie „verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit“ wurde am 22. Oktober 2015 vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt.[40]
Grüß Gott, Herr Imam!: Eine Religion ist angekommen. Diederichs Vlg. München 2010, 224 Seiten, ISBN 978-3-424-35042-5.
„Nicht im Namen Allahs und nicht in unserem Namen!“: Deklaration der Imame in München, Islam im Hier und Heute 2, Münchner Forum für Islam 2015.
„Willkommen in Deutschland!“: Wegweisung für muslimische Migranten zu einem gelingenden Miteinander in Deutschland, Islam im Hier und Heute 3, Münchner Forum für Islam 2015 (dts., engl., arab.).
Welche religiösen Werte können das Christentum und der Islam gemeinsam vermitteln? Kanzelrede, Islam im Hier und Heute 5, Münchner Forum für Islam 2015.
Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du finden... – Ein Prophet spricht zur ganzen Welt, Edition Avicenna München 2018, 139 S., ISBN 978-3-941913-23-3
Der Koran und die Frauen. Ein Imam erklärt vergessene Seiten des Islam, Gütersloher Verlagshaus 2019, 192 S., ISBN 978-3-579-01463-0
Wie verstehen Sie den Koran, Herr Imam? Grundgedanken für einen Islam heute und hier, Gütersloher Verlagshaus 2021, 256 S., ISBN 978-3-579-07449-8
↑„Allahs blauer Edelstein“. In Penzberg hat die islamische Gemeinde eine architektonisch einzigartige Moschee errichtet In: Süddeutsche Zeitung, 17./18. September 2005
↑Münchner Merkur, Ausgaben vom 3. und 4. August 2007
↑„Bundesjustizministerin stärkt islamischer Gemeinde in Penzberg den Rücken“, Penzberger Merkur (30. März 2010), zul. abger. 7. Januar 2016; „Charlotte Knobloch für Islam-Zentrum“, Süddeutsche Zeitung (22. März 2010), zul. abger. 7. Januar 2016; „Interview mit Josef Schmid (CSU): ‚Islam-Zentrum ist historische Chance‘“, Münchner Merkur (6. April 2010); „Islam-Zentrum: eine historische Idee (Christian Ude)“, Münchner Merkur (8./9. Mai 2010); „Das ist das Gegenteil von Verfassungsfeindlichkeit (Rathaus-Fraktionschef Josef Schmid, CSU)“, Süddeutsche Zeitung (25. Mai 2010), zul. abger. 7. Januar 2016; „Gastkommentar Marian Offman (IKG)“, Katholische Sonntagszeitung 19./20. Juni 2010; „Debatte um neues Islam-Zentrum“, Münchner Merkur (21. Januar 2011), zul. abger. 7. Januar 2016; „Paradoxer Bericht. Komödie oder Trauerspiel? Der Verfassungsschutz und die Penzberger Muslime“, Sonntagsblatt (21. März 2011); „Vorbild Penzberg. Der evangelische Landesbischof besucht die Moschee und wirbt gemeinsam mit dem Imam für einen offenen Islam“, Süddeutsche Zeitung (12. Juli 2012), zul. abger. 7. Januar 2016; „Ein Platz in der Mitte“, Süddeutsche Zeitung (27. November 2012), zul. abger. 7. Januar 2016; „Vereint gegen Rechts. Ein breites gesellschaftliches Bündnis mobilisiert 1500 Münchner gegen … Gegner des geplanten ‚Zentrums für Islam in Europa‘“, Süddeutsche Zeitung (12. November 2012); „Buntes Bündnis gegen Rechtsextremismus“, Münchner Merkur (12. November 2012); „Bündnis für die Moschee. Parteien, Kirchen und Gewerkschaften wollen gemeinsam gegen Islamhasser vorgehen“, Süddeutsche Zeitung (27. Februar 2013); „Gemeinsam gegen die ‚Freiheit‘. Münchner Parteien, Kirchen und auch Clubs wehren sich gegen die Anti-Islam-Kampagne des Extremisten Michael Stürzenberger“, Süddeutsche Zeitung (10. Juni 2013)
↑Bernd Kastner, Monika Maier-Albang: Imam Benjamin Idriz rehabilitiert. In: sueddeutsche.de. 11. April 2011, ISSN0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 28. Mai 2017]).
↑„Die Begründung des Bürgerbegehrens zielt darauf ab, durch Desinformationen Ängste gegen das Projekt ZIE-M und die dahinterstehenden Personen zu schüren und die Initiatoren (und damit mittelbar auch die muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger) zu diskreditieren, statt die notwendigen Informationen zu liefern.“, aus: Beschluss 14-20 / V01554, Stadtrat, Landeshauptstadt München; „Stadtrat weist Islamfeinde in die Schranken“, Süddeutsche Zeitung (2./3. Oktober 2014)