Die 9K79 wurde als Nachfolgemodell der 9K52 Luna-M (NATO-Codename: Frog-7) konzipiert.[1] Im Jahr 1968 wurde im Konstruktionsbüro KBM in Kolomna mit der Systementwicklung begonnen. Die 9K79 wurde 1976 in der Sowjetarmee eingeführt.[2] Die verbesserte Ausführung 9K79-1 wurde in den Jahren 1984–1988 entwickelt.[3] In den 1990er-Jahren wurde beim Konstruktionsbüro KBM an der Ausführung 9K79M gearbeitet. Mit den nochmals verbesserten 9M79M-Raketen sollen Schussdistanzen von bis zu 180 km erreicht worden sein.[4] Ob die Ausführung 9K79M fertig entwickelt wurde, ist nicht bekannt.[5] Bis zum Zerfall der Sowjetunion wurden über 1200 Lenkwaffen hergestellt.[5]
mit Rakete 9M79-1 mit einer Reichweite von 120 km.
9K79P Totschka-R: mit passiver Radarlenkung zur Bekämpfung von Radaranlagen.[6]
mit Rakete 9M79R mit einer Reichweite von 70–120 km.
mit Rakete 9M79FR.
mit Rakete 9M79-1FR.
Technik
Die 9K79 ist eine taktische Kurzstreckenrakete. Das System ist auf dem geländegängigen Lkw BAS-5921 platziert, einer modifizierten Version des BAS-5937. Der GRAU-Index lautet 9P129, im INF-Vertrag wird sie als OTR-21 bezeichnet. Das System ist hochmobil und schnell verlegbar. Die Herstellung der Gefechtsbereitschaft aus voller Fahrt dauert fünf Minuten.[7] Jedes Fahrzeug ist mit einer 9M79-Rakete bestückt.
Die 9M79-Rakete wird von einem einstufigen, kartuschierten Feststoffraketentriebwerk angetrieben,[1] dessen Brenndauer – je nach Ausführung – zwischen 18,4 und 28 Sekunden liegt. Das Raketentriebwerk beschleunigt die Rakete auf eine Geschwindigkeit von 1.036 m/s (rund Mach 3,1). Die Steuerung erfolgt mittels einer Trägheitsnavigationsplattform, die während des gesamten Flugs aktiv ist. Die Kurskorrekturen erfolgen durch vier Strahlruder sowie vier trapezförmige Gitterflossen am Raketenheck. Die Reichweite wird durch Anpassen der Flugbahn geregelt.[1] Daher kann die Flugbahn der Raketen neben der üblichen Wurfparabel auch eine semi-ballistische Kurve sein. Die maximale Schussdistanz von 120 km wird in 136 Sekunden zurückgelegt.[8] Dabei beträgt das Apogäum 26 km.[8] Die minimale Einsatzdistanz liegt je nach Version bei 15 bis 20 km.[5] Die maximale Einsatzdistanz liegt je nach Version bei 70 bis 120 km.[1] Die Raketen erzielen einen Streukreisradius von 50 bis 300 m (je nach Version und Schussdistanz).[2][3][4]
Die Raketen können mit unterschiedlichen Gefechtsköpfen bestückt werden:
9N39: mit AA-60-Nuklearsprengkopf mit einer variablen Sprengleistung von 10–100 kT.[8]
9N64: mit AA-86-Nuklearsprengkopf mit einer variablen Sprengleistung von 5–50 kT.[5]
9N64: mit AA-92-Nuklearsprengkopf mit einer variablen Sprengleistung von 100–200 kT.[5]
9N123F: 482 kg schwerer Splittergefechtskopf. Splitterwirkungskreis 80–100 m.[8]
9N123F-1: verbesserter 9N123F-Splittergefechtskopf. Splitterwirkungskreis 100–150 m.
9N123FP: Splittergefechtskopf für die Raketen 9M79R. Splitterwirkungskreis 80 m.
9N123K: Gefechtskopf für 50 9N24-Splitter-Bomblets (Submunition).
9N123G2-1: Gefechtskopf für 65 Bomblets mit dem chemischen Kampfstoff GD.[9]
Beim Zielanflug wird die Rakete in einer Höhe von rund 450 m auf einen Winkel von 80° zur Erdoberfläche eingeschwenkt.[2] Der 9N123F-Splittergefechtskopf ist in einem Winkel von 10° zur Längsachse der Rakete eingebaut. Dadurch befindet sich der Gefechtskopf im Moment der Detonation in einer senkrechten Lage über dem Ziel und entfaltet eine optimale Flächenwirkung. Der Splittergefechtskopf wird durch den 9E118-Laser-Näherungszünder in einer Höhe von 15–21 m zur Detonation gebracht und hat je nach Ausführung einen Splitterwirkungskreis von 80–150 m. Der 9N123F-Splittergefechtskopf wiegt 482 kg, hat einen Sprengstoffanteil von 162,5 kg und erzeugt 14.500 Splitter.[8]
Der 9N123K-Bomblet-Gefechtskopf öffnet sich in einer Höhe von 2.250 m und verteilt die Bomblets in einem kreisförmigen Gebiet von 20.000–30.000 m². Das 9N24-Splitter-Bomblet wiegt 7,45 kg und erzeugt 316 Splitter.[2]
Einsatz
Die 9K79 Totschka löste bei der Sowjetarmee ab Anfang der 1980er-Jahre die 9K52-Luna-M-Systeme ab. Die 9K79 wurde in großem Umfang exportiert. Neben der Sowjetarmee wurde sie von elf Staaten beschafft. In der Folge kamen die Raketen bei verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen zum Einsatz.
Im Bürgerkrieg in Syrien seit 2011 wird die 9K79 von der syrischen Armee eingesetzt.[1] Am 21. Februar 2020 wurden zwei OTR-21 von der syrischen Armee gegen die von der Türkei unterstützten HTS-Rebellen eingesetzt und Raketenwerfer und Haubitzen getroffen, die zuvor die syrische Armee beschossen hatten.[14]
Am 24. März 2022 beschossen die ukrainischen Streitkräfte den Hafen von Berdjansk mit 9M79-Raketen und zerstörten dabei das russische Landungsschiff Saratow des Projekts 1171.[23][24][25][26]
Die Umgebung des Spitals von Wuhledar wurde am 24. Februar 2022 von einer 9M79-Rakete getroffen. Amnesty International beschrieb die Umstände und den Einsatz von Clustermunition als mögliches Kriegsverbrechen.[27]
ArmenienArmenien – Stand Januar 2020 befinden sich 4 9P129-Startfahrzeuge im Dienst.[29]:183
AserbaidschanAserbaidschan – Stand Januar 2020 befinden sich 4 9P129-Startfahrzeuge im Dienst.[29]:185
BelarusBelarus – Stand Januar 2020 befinden sich 36 9P129-Startfahrzeuge im Dienst.[29]:188
BulgarienBulgarien – Stand Januar 2020 befindet sich eine unbekannte Anzahl von 9P129-Startfahrzeugen im Dienst.[29]:92
JemenJemen – Stand Januar 2020 befindet sich eine unbekannte Anzahl von 9P129-Startfahrzeugen im Dienst.[29]:384
KasachstanKasachstan – Stand Januar 2020 befinden sich 12 9P129-Startfahrzeuge im Dienst.[29]:191
Korea NordNordkorea – Stand Januar 2020 befindet sich eine unbekannte Anzahl von 9P129-Startfahrzeugen im Dienst. Lokale Bezeichnung KN-02 Toksa.[29]:285
RusslandRussland – Bei den Streitkräften Russlands war die 9K79 Totschka bis Ende 2019 im Einsatz. Sie wurde durch die 9K723 Iskander (NATO-Codename: SS-26 Stone) ersetzt.[29]:196 Im Zuge des Russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 wurde die 9K79 Totschka wieder reaktiviert und bei den Kriegshandlungen eingesetzt.[30][31][32][33] Russland bestreitet den Einsatz der Totschka bei diesem Konflikt.[34]
SyrienSyrien – Stand Januar 2020 befindet sich eine unbekannte Anzahl von 9P129-Startfahrzeugen im Dienst.[29]:377
UkraineUkraine – Stand Januar 2020 befinden sich 90 9P129-Startfahrzeuge im Dienst.[29]:212
Duncan Lennox: Jane’s Strategic Weapon Systems. Edition 2001, 34th edition Edition, Jane’s Information Group, 2001, ISBN 0-7106-0880-2.
Michal Fiszer, Jerzy Gruszczynski: Bolt From the Blue – Russian land-based precision-strike missiles. In: Journal of Electronic defense. Bd. 26, Nr. 3, Horizon House Publications, 2003
Schmucker Robert & Schiller Markus: Raketenbedrohung 2.0: Technische und politische Grundlagen. Mittler Verlag, 2015, ISBN 3-8132-0956-3.
↑ ab9К79 Точка - SS-21 SCARAB. In: military.tomsk.ru. Military Russia, archiviert vom Original; abgerufen am 1. Oktober 2020 (russisch). abgerufen am 14. Mai 2023
↑ abcdefDuncan Lennox: Jane’s Strategic Weapon Systems. Edition 2001, 34th edition Edition, Jane’s Information Group, 2001, S. 139–141.
↑ abFiszer Michal & Gruszczynski Jerzy: Bolt From the Blue – Russian land-based precision-strike missiles. in: Journal of Electronic Defense. Bd. 26, Nr. 3, 2003.
↑ abcdeRaketenkomplex 9K79 Totschka. In: rwd-mb3.de. Raketen- und Waffentechnischer Dienst im Kdo. MB III, abgerufen am 13. November 2018.
↑ abcdefghijThe International Institute for Strategic Studies (IISS): The Military Balance 2020. 1. Auflage. Routledge, London 2020, ISBN 978-1-85743-955-7 (englisch, Stand: Januar 2020).