Zivilgesetz der Volksrepublik China

Basisdaten
Titel: Zivilgesetz der Volksrepublik China (中华人民共和国民法典)
Abkürzung: 民法典 (Minfa Dian)
Art:
Geltungsbereich: Volksrepublik China
Rechtsmaterie: Privatrecht
Erlassen am: 28. Mai 2020
Inkrafttreten am: 1. Januar 2021
Weblink: auf www.npc.gov.cn/
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Zivilgesetz der Volksrepublik China (chinesisch 中华人民共和国民法典, Pinyin Zhōnghuá rénmín gònghéguó mínfǎ diǎn) oder kurz Minfadian chinesisch 民法典, Pinyin Mínfǎ Diǎn, ist seit dem 1. Januar 2021 in Kraft.[1][2] Es ist das erste vollständige Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China und löst laut Art. 1260 die bis dato in China geltenden Materiellen Rechte ab.[1]

Gliederung

Das Zivilgesetz der Volksrepublik China besteht aus 1260 Artikeln und ist folgendermaßen gegliedert:[1][2]

  • Teil I: Allgemeine Bestimmungen, Artikel 1–204,
  • Teil II: Eigentumsrechte, Art. 205–462,
  • Teil III: Verträge, Art. 463–988,
  • Teil IV: Persönlichkeitsrechte, Art. 989–1039,
  • Teil V: Ehe und Familie, Art. 1040–1118,
  • Teil VI: Erbschaft, Art. 1119–1163,
  • Teil VII: Haftung für unerlaubte Handlungen, Art. 1164–1258,
  • Übergangs- und Schlussvorschriften, Art. 1259–1260.

Vorgeschichte

In der Rechtsgeschichte Chinas ist es das dritte Bürgerliche Gesetzbuch Chinas nach dem „Entwurf des Zivilgesetzes der Großen Qing-Dynastie“, der 1907 bis 1911 entstand, und dem Zivilgesetz der Republik China, dessen einzelne Abschnitte 1929 bis 1931 in Kraft gesetzt wurden und das heute noch auf Taiwan Anwendung findet.[3]

Nach der Gründung der Volksrepublik China gab es mehrere Initiativen zur Ausarbeitung eines Zivilgesetzbuches, aber alle Versuche, von denen sich einige in einem fortgeschrittenen Stadium mit überarbeiteten Entwürfen befanden, scheiterten an der politischen Instabilität.

Die chinesische Wirtschaftsreform von 1978 machte die Ausarbeitung eines Zivilrechts erforderlich, aber man war damals der Ansicht, dass die für ein umfassendes Zivilgesetzbuch erforderlichen rechtswissenschaftlichen Kenntnisse und Erfahrungen noch nicht vorhanden waren, so dass man beschloss, für die verschiedenen Bereiche des Zivilrechts jeweils ein eigenes Gesetz zu erlassen. So wurden ab 1985 nacheinander das Erbgesetz, die Allgemeine Grundlagen des Zivilrechts (民法通则), das Zivilprozessgesetz, das Adoptionsgesetz, das Sicherheitsgesetz und das Vertragsgesetz verabschiedet.

Die 4. Plenartagung des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas verabschiedete am 23. Oktober 2014 den „Beschluss über bestimmte wichtige Fragen der umfassenden Förderung der Rechtsstaatlichkeit durch das Zentralkomitee der KPCh“ (chin. 中共中央关于全面推进依法治国若干重大问题的决定), in dem es ausdrücklich heißt, dass „ein Zivilgesetzbuch geschaffen werden soll“.[4]

Im März 2015 richtete die Kommission für Gesetzgebungsarbeit des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses (chin. 全国人民代表大会常务委员会法制工作委员会) eine koordinierende Arbeitsgruppe ein, der das Oberstes Volksgericht, die Oberste Volksanwaltschaft, das Büro für Gesetzgebungsangelegenheiten des Staatsrats (chin. 国务院法制办公室), die Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften und die Chinesischen Rechtsgesellschaft (chin. 中国法学会) beitritt. Der Nationale Volkskongress und sein Ständiger Ausschuss beschlossen, dass die Gesetzgebung zum Zivilgesetzbuch in zwei Schritten erfolgen sollte: Zunächst sollte ein Allgemeines Buch ausgearbeitet und als Gesetz verabschiedet werden; dann sollte der Besondere Teil des Zivilgesetzbuchs ausgearbeitet werden, der später mit dem Allgemeinen Buch als Entwurf des Zivilgesetzbuchs kombiniert werden sollte, um vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses geprüft und dann vom Nationalen Volkskongress als Gesetz verabschiedet zu werden.[5]

Am 8. März 2017 wurde auf der 5. Tagung des 12. Nationalen Volkskongresses der Entwurf des Allgemeinen Teils des Zivilgesetzbuches vorgelegt. Am 15. desselben Monats wurde er als Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der Volksrepublik China (chin. 中华人民共和国民法总则) in Kraft gesetzt. Es trat am 1. Oktober desselben Jahres in Kraft. Danach wurde mit der Arbeit an den verschiedenen Büchern des Besonderen Teils begonnen.[6]

Am 28. Mai 2020 wurde der Gesetzesvorschlag im Nationalen Volkskongress mit 2879 zu 2 Stimmen (5 Enthaltungen) angenommen.[7]

Kontroversen und Kritik

Debatten über die Gliederung des Zivilgesetzes

Laut Yin Tian, einem chinesischen Zivilrechtswissenschaftler, gab es innerhalb der Arbeitsgruppe zur Erstellung des Zivilgesetzes eine Debatte darüber, ob man in einen fünfteiligen Kodifizierungsstil nach deutschem Vorbild (vgl. Bürgerliches Gesetzbuch) oder einen dreiteiligen Kodifizierungsstil nach französischem Vorbild (vgl. Französisches Zivilgesetzbuch) übernehmen solle.[8] Diese Debatten ereigneten sich vor dem Hintergrund, dass sich die früheren materiellen Rechte in China stark an das deutsche und französische Zivilrecht anlehnten.

Letzten Endes wurde das Zivilgesetz in sieben Abschnitte unterteilt. Im Gegensatz zum deutschen BGB wurden die Persönlichkeitsrechte und Deliktshaftungsrechte in zwei verschiedene Abschnitte aufgeteilt; gleiches geschah bei den Rechten zu Ehe und Familie, sowie dem Erbschaftsrecht, um dem besonderen chinesischen System der Landvergaberechte eine gesonderte Stellung zu verleihen.[9]

Gesonderte Kodifizierung der Persönlichkeitsrechte

Kurz nach der ersten Veröffentlichung des Zivilgesetzes, entbrannte eine starke öffentliche Debatte zwischen Liang Huixing, dem ehemaligen Leiter der Arbeitsgruppe zur Erstellung des Zivilgesetzes, und Wang Liming, dem letzten Leiter der Arbeitsgruppe.[10][11]

Liang sprach sich dafür aus, dass Teil IV: Persönlichkeitsrechten keinen eigenständigen Abschnitt des Zivilgesetzesbuches darstellen solle, sondern in den Abschnitt über natürliche Personen in Teil I: Allgemeine Bestimmungen integriert werden müsse[10]. Mit einer Inkludierung in den Abschnitt über Natürliche Personen, würden die späteren Gesetze aus Teil I: Allgemeine Bestimmungen, welche für alle nachstehenden Gesetze gelten, keine Anwendung auf die Persönlichkeitsrechte finden. Er argumentierte, dass Persönlichkeitsrechte sich grundlegend von den anderen zivilen Rechten unterscheiden, da die späteren Gesetze aus Teil I: Allgemeine Bestimmungen (Rechtsgeschäfte, Vertretung, Verjährung, Datum und Frist) nicht logisch auf Persönlichkeitsrechte anwendbar seien und nur zur Verwirrung der zivilrechtlichen Rechtsprechung beitrügen. Außerdem kritisierte er Wangs Eintreten für eine gesonderte Kodifizierung der Persönlichkeitsrechte als „Ausnahmeregelung und Verstümmelung des Deliktshaftungsrechts“.[12]

Wang Liming behauptete im Gegenzug, dass die gesonderte Kodifizierung des Persönlichkeitsrechts der Entwicklung der Menschenrechte in der Volksrepublik China förderlich sei; der Aufbau des Gesetzbuches der Praxis in der Rechtsprechung entspreche und die eigenständige Kodifizierung der Persönlichkeitsrechte die Deliktshaftung nicht beeinträchtige.[11]

Gleichgeschlechtliche Ehe

Auf einer Pressekonferenz der Arbeitsgruppe Recht des Nationalen Volkskongresses, beantwortete ein Sprecher journalistische Fragen zum Thema der gleichgeschlechtlichen Ehe damit, dass das die Gesetze zu Ehe und Familie den Begriff "Ehe" als eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definieren, und dies der sozialen Wirklichkeit und kulturellen Tradition Chinas entspreche.[13]

Im Oktober 2020 rief die chinesische NGO für Rechte gleichgeschlechtlicher Paare "Ai Cheng Jia" (chinesisch 爱成家) über ihre Soziale-Medien-Kanäle ihre Follower dazu auf, im Kommentarbereich des Gesetzentwurfs auf der Website des Nationalen Volkskongresses, ihre Unterstützung für die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Ehen kundzutun und dies ebenfalls durch Briefe an Mitglieder des Nationalen Volkskongresses auszudrücken.

Wartezeit bei Scheidungen

Als die Volksrepublik China 1950 ihr erstes Ehegesetz erließ, wurden Scheidungen an keinerlei Bedingungen oder Fristen geknüpft, damit Scheidungen auch uneinvernehmlich (insbesondere in Bezug auf häusliche Gewalt) durchgeführt werden können.[14]

Im neuen Zivilgesetz ist eine Wartezeit von 30 Tagen für den Vollzug von Scheidungen festgelegt.[15] Gegner der Wartezeit betonen, dass besonders in Fällen häuslicher Gewalt psychischer Druck auf die Opfer ausgeübt werden könne, sich, gegen ihren eigenen Willen, nicht scheiden zu lassen[16]. Befürworter argumentieren, dass die Einführung einer Wartezeit für Scheidungen dazu beiträgt, das in China bestehende Problem der impulsiven Scheidung zu lösen und die in den vergangenen Jahren stark steigende Scheidungsrate wieder zu reduzieren.[17][18]

Name des Gesetzbuches

Sporadisch wird die Abkürzung des Gesetzbuchtitels in einzelnen Medienberichten fälschlicherweise als "民典法" (Mingdianfa) angeführt. Dabei handelt es sich um eine falsche Schreibweise, in der das zweite und dritte Schriftzeichen innerhalb des Begriffes vertauscht werden.[19] Sun Xianzhong, Mitglied des Verfassungs- und Rechtsausschusses des Nationalen Volkskongresses, führt dies darauf zurück, dass viele Menschen die Grundidee des Zivilgesetzbuches nicht verstünden. Außerdem betonte er, dass selbst einige führende Gesetzgeber die falsche Abkürzung verwenden würden.[20]

Literatur

  • Yuanshi Bu: Chinese Civil Code – The General Part. C. H. Beck, München; Nomos, Baden-Baden; Hart, Oxford 2019, ISBN 978-3-406-71478-8.
  • Yuanshi Bu: Einführung in das Recht Chinas. C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-69538-4.

Einzelnachweise

  1. a b c Zivilgesetz der Volksrepublik China (中华人民共和国民法典). Nationaler Volkskongress der Volksrepublik China (全国人民代表大会), 2. Juni 2020, abgerufen am 9. Dezember 2021 (chinesisch).
  2. a b Civil Code of the People’s Republic of China. (PDF) Nationaler Volkskongress der Volksrepublik China, 28. Mai 2020, abgerufen am 9. Dezember 2021 (englisch).
  3. Yuanshi Bu: Einführung in das Recht Chinas. S. 85.
  4. 最高人民法院 (Oberstes Volksgericht): 中国法院司法改革年鉴 2014年卷. 人民法院出版社 (Verlag des Volksgerichtshofs), 北京 2018, ISBN 978-7-5109-2258-9, S. 8 (chinesisch).
  5. 李晗: 《民法典》是如何制订的?起草组专家张新宝来揭秘 (Wie wurde das Zivilgesetzbuch verfasst? Experte der Arbeitsgruppe, Zhang Xinbao, lüftet Geheimnisse?). In: 中国网信杂志. 澎湃新闻, 28. Oktober 2020, abgerufen am 19. August 2021 (chinesisch).
  6. 郭明瑞: 民法总则通义. 商务印书馆, 北京 2018, ISBN 978-7-100-15375-1, S. 359 (chinesisch).
  7. Der Zivilgesetz der Neuen Ära (新時代的人民法典). Renmin Ribao (人民日报), 29. Mai 2020, abgerufen am 9. Dezember 2021 (chinesisch).
  8. Wu Zunjie: Meinung: Ein ernsthafter Blick auf das erste Zivilgesetzbuch in Festlandchina. In: wind media. 31. Mai 2020, archiviert vom Original am 4. November 2020; abgerufen am 31. Mai 2020.
  9. Die Geburt des chinesischen Zivilgesetzbuches! Archiviert vom Original am 1. Juni 2020; abgerufen am 29. Mai 2020.
  10. a b Liang Huixing (梁慧星): 如何看待人格权与人格权编草案(2018年11月19日在华东政法大学讲座录音整理稿). In: 中国法学网. 中国社会科学院法学研究所国际法研究所, abgerufen am 31. Mai 2020.
  11. a b Wang Liming: Einige umstrittene Fragen bei der Kodifizierung des Zivilgesetzbuchs - Einige Antworten auf die Stellungnahmen von Professor Liang Huixing. In: Shanghai Law School. Nr. 4. Shanghai Law School Journal Editorial Department, Shanghai 26. Juni 2020 (Online [abgerufen am 26. Juni 2020]).
  12. Liang Huixing (梁慧星): Keine Kodifizierung der Persönlichkeitsrechte im chinesischen Zivilgesetzbuch (ursprünglich veröffentlicht in Zhongzhou Journal, 2016, No. 2). In: 中国法学网. Institute of Law, Chinese Academy of Social Sciences, archiviert vom Original am 4. November 2020; abgerufen am 31. Mai 2020.
  13. Wang Shu: Sprecher der Rechtskommission: Monogamie im Einklang mit Chinas nationalen Bedingungen und kulturellen Traditionen. 新京报, 21. August 2019, archiviert vom Original am 14. September 2019; abgerufen am 18. April 2020.
  14. Xiao He: Die Geburt des Ehegesetzes: Deng Yingchao befürwortete die Scheidungsfreiheit und wurde zur Minderheit (3). In: 中国共产党新闻网. 人民网, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. Juni 2020; abgerufen am 5. Juni 2020.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/dangshi.people.com.cn
  15. Neu im Zivilgesetzbuch "Scheidungsabkühlungszeit", Shanghai hat speziell das entsprechende Betriebsmodul entwickelt. Abgerufen am 8. Dezember 2022.
  16. 王姝: Jiang Shengnan schlägt vor, die "Bedenkzeit bei Scheidung" im Entwurf des Zivilgesetzbuches zu streichen. In: 新京报. 20. Mai 2020, abgerufen am 20. Mai 2020.
  17. Li Ke Yu: Der Entwurf des Zivilgesetzbuches über Ehe und Familie - Einführung der Ehescheidung Ruhezeitregelung lockert Adoptionsbedingungen. In: daily-economy-news. 20. Mai 2020, archiviert vom Original am 4. November 2020; abgerufen am 26. Mai 2020.
  18. Xu Chaoyi: Scheidung Bedenkzeit kann Scheidungsrate nicht "einfrieren", dringende politische Abhilfe erforderlich. In: 澎湃新闻. 南都观察, 4. Juni 2020, archiviert vom Original am 4. November 2020; abgerufen am 5. Juni 2020.
  19. Zivilgesetzbuch. In: thepaper.cn. Abgerufen am 8. Dezember 2022.
  20. [China Newsweek] Die beiden Tagungen des Nationalen Volkskongresses werden der Höhepunkt des Bürgerlichen Gesetzbuches sein, einer "Enzyklopädie des gesellschaftlichen Lebens", die in den letzten 60 Jahren viele Wendungen erfahren hat ([中国新闻周刊]两会重头戏,历经60余载波折的“社会生活百科全书”民法典将亮相). 19. Mai 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 29. November 2021; abgerufen am 8. Dezember 2022.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/news.ruc.edu.cn