Im Jahr 1619 wurde er als Professor für Hebräisch an die Universität Tübingen berufen. Bei seiner Lehrtätigkeit suchte er nach einfachen Verfahren, den Schülern das Lernen zu erleichtern. So schuf er die Rota Hebræa, eine Darstellung der hebräischen Konjugation in Form zweier drehbarer Scheiben, die übereinander gelegt werden und die jeweiligen Formen in Fenstern erscheinen lassen. Zum Studium der hebräischen Sprache schuf er das Horologium Hebræum, die hebräische Uhr, ein Lehrbuch des Hebräischen in 24 Kapiteln, die jeweils in einer Stunde zu erlernen waren. Dieses Buch war das bekannteste Buch Schickards und wurde bis zum Jahr 1731 immer wieder neu aufgelegt. Im Jahr 1627 schrieb er ein Lehrbuch zum Erlernen des Hebräischen auf Deutsch, den Hebräischen Trichter.
Neben seinem Lehramt für Hebräisch beschäftigte er sich mit Astronomie. 1623 erfand er ein Astroscopium, einen aus Papier gefertigten Kegel, in dessen Innerem der Sternenhimmel abgebildet war. Er entwickelte u. a. eine Theorie der Mondbahn, welche die genauesten Ephemeriden seiner Zeit lieferte. Er war der Erste, der Meteorbahnen aus gleichzeitigen Beobachtungen von verschiedenen Standorten bestimmte.[1] Seine grafischen Methoden zur Berechnung von Finsternissen und für Rechnungen im Kopernikanischen System wurden viel benutzt.
Schickard war ein begabter Mechaniker und baute seine Instrumente vielfach selbst – Kepler nannte ihn in einem Brief deshalb auch einen „beidhändigen Philosophen“ (philosophus amphidexios).[2] 1623 baute er die erste Rechenmaschine (von ihm Rechenuhr genannt), um astronomische Rechnungen zu erleichtern. Die Maschine beherrschte das Addieren und Subtrahieren von bis zu sechsstelligen Zahlen, einen „Speicherüberlauf“ signalisierte sie vermutlich durch das Läuten einer Glocke. Um komplexere Berechnungen (Multiplikation, Division) zu ermöglichen, waren Napiersche Rechenstäbchen (auch Nepersche Stäbchen genannt) in Form von Zylindern darauf angebracht, die das kleine Einmaleins zur Unterstützung der Multiplikation auf der Addiermaschine enthielten. Die Konstruktion war bis zum 20. Jahrhundert verloren, und erst 1960 wurde eine funktionierende Replik hergestellt. Hinweise auf die Maschine samt Zeichnungen von Schickard fanden sich im Nachlass von Kepler (Schickard versprach Kepler ein Exemplar, das aber durch Feuer vernichtet wurde)[3] und auch im Nachlass von Schickard selbst.[4] Schickard kannte die Schriften von Napier.
Ab 1624 begann er auf seinen Reisen durch Württemberg als Schulaufseher für die Lateinschulen, das Land neu zu vermessen. Damit ihn dabei andere unterstützen konnten, schrieb er im Jahr 1629 eine Anweisung, wie künstliche Landtafeln zu machen seien. Dabei verwendete er die Methode der geodätischen Triangulation, die einige Jahre zuvor Willebrord Snell erfunden hatte.
Im Jahr 1631 starb der Astronomieprofessor Michael Mästlin, und Schickard wurde zu seinem Nachfolger bestellt. Er hielt von nun an die astronomischen Vorlesungen. Eine seiner wichtigsten Arbeiten betraf die Theorie der Mondbewegung. Zur Berechnung der Mondbahn veröffentlichte er 1631 die Ephemeris Lunaris, mit der man grafisch die Mondstellung am Himmel zu jedem Zeitpunkt bestimmen konnte. Er war überzeugter Anhänger des heliozentrischen Systems und erfand zu seiner Darstellung die erste Planetenmaschine, das auf seinem Porträt von 1631 abgebildet ist. Er korrespondierte neben Kepler mit Astronomen und Wissenschaftlern wie Ismael Boulliau und Pierre Gassendi.
Nach der Schlacht bei Nördlingen 1634 besetzten die kaiserlichen Truppen auch Tübingen, mit ihnen kam die Pest. Im Herbst 1634 starb erst Schickards Mutter an Misshandlungen durch Soldaten, dann starben seine Frau und seine drei Töchter an der Pest, ihm blieb nur sein neunjähriger Sohn. Schickard, der zur Jahreswende selbst an der Pest erkrankte und sich wieder erholte, gelang es, sich mit der Besatzungsmacht zu arrangieren. Im Auftrag von Graf Gronsfeld, der sich für seine mathematischen und mehr noch für seine geodätischen Arbeiten interessierte, führte er von Februar bis Juli 1635 im Gebiet Stuttgart–Herrenberg–Tübingen und im Gebiet Sinzheim–Bruchsal–Pforzheim Vermessungen durch. Mitte Oktober erkrankte er erneut, am 23. Oktober 1635 starb er und wurde am folgenden Tag begraben, sein Sohn am Tag darauf. Sein Nachbar und Patenonkel seiner Kinder, Thomas Lansius, bewahrte den Nachlass mehrere Jahre verschnürt in seinem Keller auf, bis ihn Schickards Bruder Lucas entgegennehmen konnte.[5]
Willhelm Schickard ist Namensgeber der Wilhelm-Schickard-Schule in Tübingen (kaufmännische berufliche Schule) und gilt als einer der Namensgeber des 1962 eröffneten Schickhardt-Gymnasiums in Herrenberg.
Im Jahr 1989 wurde die 1955 gegründete Forschungsgesellschaft für Uhren- und Feingerätetechnik zu Ehren von Wilhelm Schickard und Philipp Matthäus Hahn in Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e. V. (HSG) umbenannt.[6]
In Münster gibt es einen Wilhelm-Schickard-Campus im Technologiepark. Dort gibt es auch eine Wilhelm-Schickard-Straße.[8]
Zum 400-jährigen Jubiläum der Erfindung der Rechenmaschine erscheinen eine 20-€-Silbergedenkmünze (siehe Bild)[9] sowie eine 85-Cent-Briefmarke.[10][11]
Hebräisches Rad, 1621; Rota Hebræa, pro facilitate conjugandi pridem inventa, sculpta et explicata, Eberhard Welper, Straßburg 1630 (MDZ); Andreas Oehl, Leipzig 1636 (Google Books, MDZ); 1659
Horologium Hebræum, Dietrich Werlin, Tübingen 1623; Michael Wachsmann, Leipzig 1625 (Google Books); 1626 (Google Books); Andreas Oehl, Leipzig 1633 (MDZ); 1636 (MDZ); Johann Georg Cotta, Tübingen 1670 (MDZ); 1682 (Google Books)
Astroscopium, Dietrich Werlin, Tübingen 1623; Rudolph Kautt, Stuttgart 1646 (Google Books, ULB Sachsen-Anhalt); Friedrich Schultes, Nördlingen und Georg Wildeisen, Ulm 1655; 1659 (GDZ); Johann Herbort Kloß, Stuttgart und Leipzig 1698 (Google Books, MDZ)
בחינת הפירושים Bechinath Happeruschim, Johann Alexander Cellius’ Witwe, Tübingen 1624 (Google Books, dito, dito, MDZ)
Liechtkugel, darinn auß Anleitung des newlich erschienen Wunderliechts, Johann Alexander Cellius’ Witwe, Tübingen 1624 (SLUB)
משפט המלך Jus regium Hebræorum e tenebris rabbinicis erutum & luci donatum, Lazarus Zetzner, Straßburg 1625 (Google Books, dito, dito, MDZ); Friedrich Lanckisch, Leipzig 1674 (Google Books, MDZ)
Der Hebraische Trächter, Tübingen 1627; Der Hebraische Trichter, die Sprach leicht einzugiessen, Gottfried Gross, Leipzig 1629 (UB Frankfurt/Main; namengebend für Harsdörffers Nürnberger Trichter)
Tarich h. e. Series Regum Persiæ, Dietrich Werlin, Tübingen 1628 (MDZ)
Kurze Anweisung Wie Künstliche Landtafeln auß rechtem Grund zu machen, Stephan Michelspacher, 1629 (dilibri); Johann Georg Cotta, Tübingen 1669 (Google Books, MDZ, dito, SLUB)
Anemographia seu discursus philosophicus de ventis, Tübingen 1631
Ephemeris Lunaris, 1631
Grundtlicher Bericht Von den Zwo ROten Neben-Sonnen, Stephan Michelspacher, 1633 (UB Tübingen)
Purim sive Bacchanalia Judæorum, Dietrich Werlin, Tübingen 1634
Briefe
Epistolæ W. Schickarti & M. Berneggeri mutuæ, Josias Städel, Straßburg 1673 (lateinisch; unter Streichung von Stellen, die Anstoß erregen konnten; Google Books, MDZ)
Friedrich Seck (Hrsg.): Briefwechsel, 2 Bände (Band 1: 1616–1632, Band 2: 1633–1635), Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, ISBN 3-7728-2162-6
Literatur
Zacharias Schäffer (Hrsg.): Wilhelmi Schickardi, Linguarum Orientalium, & Matheseos In Academia Tubingensi Professoris Celeberrimi, Superiori mense Novembri Denati, Memoria, & Eulogium. Philibert Brunn, Tübingen 1636 (lateinisch; Nachrufe; HAB).
Vita B. Authoris in Johann Christoph Speidel: Nova & plenior grammatica hebraica, Cotta, Tübingen 1731 (lateinisch; Biographie mit Schriftenverzeichnis; MDZ)
Christian Friedrich Schnurrer: Schickard in Biographische und litterarische Nachrichten von ehmaligen Lehrern der hebräischen Litteratur in Tübingen, Wohlerische Buchhandlung, Ulm 1792, S. 160–225 (mit kommentiertem Schriftenverzeichnis und Nachtrag zu Tarich und Lessing; Briefe an und von Schickard auf S. 249–274)
Jean Labouderie: Schickard (Guillaume) in Biographie universelle, ancienne et moderne (Band 41), L. G. Michaud, Paris 1825, S. 124–130 (französisch)
Adolf Adam: Vom himmlischen Uhrwerk zur statischen Fabrik (zur Rechenmaschine p.88–98). Verlag Herbert Munk, Wien 1973
Friedrich Seck (Hrsg.): Wilhelm Schickard. 1592–1635. Astronom, Geograph, Orientalist, Erfinder der Rechenmaschine, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1978, ISBN 3-16-939772-9; Franz Steiner, Wiesbaden, ISBN 3-515-08003-1 (Reihe Contubernium 25)
Friedrich Seck (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte um Wilhelm Schickard, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1981, ISBN 3-16-444151-7; Franz Steiner, Wiesbaden, ISBN 3-515-08004-X (teilweise englisch; Reihe Contubernium 26)
Friedrich Seck (Hrsg.): Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard. Zweites Tübinger Schickard-Symposion, Jan Thorbecke, Sigmaringen 1995, ISBN 3-7995-3235-8 (teilweise englisch; Reihe Contubernium 41; Inhaltsverzeichnis, PDF-Datei, 280 kB)
Bruno von Freytag-Löringhoff Wilhelm Schickards Tübinger Rechenmaschine von 1623 (bearbeitet von Friedrich Seck), 6. Auflage, Kulturamt, Tübingen 2020, ISBN 978-3-941818-47-7
Friedrich Seck: Wilhelm Schickard – Herkunft und Werdegang. In: Ulrich Köpf, Sönke Lorenz, Dieter R. Bauer: Die Universität Tübingen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg (= Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte. Band 14). Thorbecke, Ostfildern 2010, ISBN 978-3-7995-5514-2, S. 347–386.
Friedrich Naumann: Wilhelm Schickard (1592-1635) – ein Philosophus amphidexios. In: Visier- und Rechenbücher der frühen Neuzeit. Schriften des Adam-Ries-Bundes Annaberg-Buchholz, Bd. 19 (2008), ISBN 978-3-930430-78-9, S. 121–140.
Wer war Wilhelm Schickard? – kurze Biographie von Wilhelm Schickard an der Universität Tübingen, 10. Dezember 1999
Wilhelm Schickards Rechenmaschine – Video-Tutorial mit Bedienung und Rechenbeispiel mit einem interaktiven 3D-Modell, Frank Hanisch Verlag, Tübingen 2008
Wilhelm Schickard – Biographie auf der Webseite der kaufmännischen Wilhelm-Schickard-Schule Tübingen, dort auch eine Beschreibung der Rechenmaschine Wilhelm Schickards und eine Simulation der Rechenmaschine als Windows-Programm
↑Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, ebenfalls von Hammer gefunden. Skizze von Schickard mit Anweisungen an den Tübinger Mechaniker Johann Pfister.
↑Friedrich Seck: Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard: Zweites Tübinger Schickard-Symposion, 25. bis 27. Juni 1992, Band 41 von Contubernium/Contubernium, 1995, S. 299.
↑Eckart Roloff: Göttliche Geistesblitze. Pfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker, Wiley-VCH, Weinheim 2012, ISBN 978-3-527-32864-2, S. 151.
↑Als Standardbiografien werden dort noch C. Speidel in der Ausgabe der hebräischen Grammatik von Schickard 1731 und Christian Schnurrers Buch über Lehrer der hebräischen Literatur in Tübingen von 1792 genannt