Weltbild (Pierre Teilhard de Chardin)Das Weltbild des französischen Jesuiten und Naturwissenschaftlers Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) basiert auf seinem einheitlichen Lehr- und Theoriengebäude, mit dem er die Erkenntnisse der Naturwissenschaft seiner Zeit endgültig in eine glaubensbasierte Weltanschauung einordnen wollte. Teilhards von orthogenetischen und vitalistischen Ideen geprägtes weltanschauliches Denken wurde noch zu seinen Lebzeiten von der Entwicklung der Naturwissenschaft überholt. Teilhards EntwicklungsbegriffFür Teilhard ist Entwicklung eine zentrale Dimension des ganzen lebendigen Kosmos. In seiner Sicht erscheint und besteht auch innerhalb der Welt alles als Funktion eines Ganzen. „Das ist der allgemeinste, tiefste und unanfechtbarste Sinn der Idee der Evolution.“[1] Zwei Formen von EntwicklungBei Teilhard drückt sich das zeitliche Geschehen in zwei Entwicklungsbegriffen aus: Der eine bezieht sich auf das Werden in großen Zeiträumen der Menschheitsgeschichte, wie sie im einen Hauptwerk Der Mensch im Kosmos beschrieben wird. Der andere kommt im zweiten Hauptwerk Das göttliche Milieu zur Geltung und bezieht sich auf die individuelle Glaubens- und Seelenentwicklung. Kollektive EntwicklungTeilhard ergriff während seines Theologiestudiums die Gelegenheit, die katholische Lehre mit der Zeitdimension zu konfrontieren, bezüglich des Schöpfungsglaubens zu ergründen und sie seinen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüberzustellen (siehe dazu Evolution und Schöpfung). Die Evolution beantwortet den Zusammenhang des Lebendigen: „Alles Lebendige stammt vom Lebendigen“ (Omne vivum e vivo). Teilhard nimmt weder eine Urzeugung an, noch einen wunderbaren Eingriff Gottes für jede Art, sondern jedes Lebewesen stammt von einem Keim, der wiederum von einem Elternorganismus abstammt. Zu diesem „Gesetz der Geburt“ kommt das „Gesetz der Divergenz“: Je mehr sich die abstammenden Wesen durch Variation und Mutation vom Ursprung entfernen, desto unähnlicher werden sie den Vorfahren. In diesem allgemeinen Sinn ist die Evolution für Teilhard weder eine Hypothese, noch eine empirische Tatsache; sie ist eine „unaustilgbare Dimension des lebendigen Kosmos“. Die Frage nach dem „Wie“, also nach dem Stammbaum, jedoch bleibt hypothetisch und offen, ebenso die Ursachenfrage. Zentral bei Teilhards Evolutionsbegriff ist der Übergang von einer geringeren zu einer höheren zentrierten Komplexität und damit zum Aufstieg des Bewusstseins. Nach einer langen Zeit der passiven Evolution beginnt mit dem Menschen die Fortsetzung in der aktiven Weiterentwicklung des Menschlichen. Das bedeutet für Teilhard, dass die Evolution im Menschen durch die Liebe ein Werk personaler Art verfolgt. In einer spirituellen Schau der Evolution sieht Teilhard im Menschen die Weiterführung des Schöpfungwerks bis zur Erfüllung durch Christus:
Individuelle SeelenentwicklungTeilhards Beitrag zur inneren Glaubens- und Seelenentwicklung ist vor allem in der Schrift Das göttliche Milieu zu finden.[3] Teilhard bezieht sich auf die christliche Glaubenslehre, wo entsprechende Hinweise schon in der Apostelgeschichte zu finden seien. Nach Teilhard findet die creatio continua in und durch den Menschen ihre Fortsetzung. Sie manifestiert sich immer in Umwandlungsprozessen, sowohl individuell als auch gesamtmenschheitlich. Henri de Lubac schreibt dazu: „In der Schrift Das Christische (von 1955) wird die Gegenwart Christi im Universum als eine ‚umwandelnde Gegenwart’ definiert. [...] Indem Teilhard so die ‚Umwandlung’ (transformation), welche die Natur bei ihrem Übergang zur übernatürlichen Ordnung erleidet, bejaht, macht er in ganz besonders ausdrucksvoller Art die Transzendenz dieser übernatürlichen Ordnung klar.“[4] Der zeitliche Umfang von Teilhards WeltbildTeilhards Weltbild kann nach Elliott in fünf Abschnitte gegliedert werden:
Für Teilhard beziehen sich die fünf Abschnitte in der Geschichte des Universums zwar alle auf eine einzige Bewegung, aber sie folgen einander nicht wie gleichrangige Episoden, sondern wie die Akte in einem Drama. Sie sind nicht Teile, die man aus dem zeitlichen Verlauf herausschneidet, sondern Phasen einer organischen Entwicklung. Jede stellt nicht nur einen besonderen Aspekt der Erdgeschichte dar, sondern erfordert für ihr Verständnis eine besondere Denkbewegung, die dem jeweiligen historischen Abschnitt entspricht.[5] Teilhards WeltbildPierre Teilhard de Chardin hat während vierzig Jahren sein Weltbild in immer neuen Varianten in Büchern, Aufsätzen und Vorträgen dargestellt. Die Grundzüge blieben während der ganzen Zeit dieselben. Teilhard habe in einem Vortrag am 3. März 1941 in der Französischen Botschaft in Peking, wo er während des Zweiten Weltkriegs interniert war, zum Thema Die Zukunft des Menschen in den Augen eines Paläontologen, aus seinen Kenntnissen vergangener Erdperioden seine Zukunftsvision abgeleitet. Er schrieb dazu: „Dieser Beitrag ist die Frucht von dreißig Jahren aufrichtigen Kontakts mit wissenschaftlichen wie mit religiösen Kreisen in Europa, Amerika und im Fernen Osten.“.[6] Zeitgenössische EinordnungOrthogenetische Evolutionsvorstellungen, wie sie von Teilhard vertreten wurden, waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitete gültige Naturwissenschaft. Diese wurden häufig, wie bei Teilhard auf Visionen basierend, mit einer Art „kosmischer Teleologie“ fusioniert. Der Glaube, man könne durch diese Schau Naturwissenschaft und Religion weltanschaulich zu einer Einheit verbinden, war weit verbreitet. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde in der Biologie ein Streit zwischen Vitalismus und Mechanismus ausgefochten. Unter dem Eindruck, dass verschiedene Probleme der Entwicklungsbiologie durch den mechanistischen Ansatz nicht befriedigend erklärt werden konnten, entstand der Neovitalismus, auf dessen Seite Teilhard eingeordnet werden kann. Mit dem Ziel materialistische Ideologien abzuwehren und idealistische oder christliche Positionen und deren Mischformen zu propagieren, vertraten neben Teilhard viele andere Theologen und Philosophen neo-vitalistische und orthogenetische Ideen,[7] z. B. der deutsche Naturwissenschaftler und Naturphilosoph Bernhard Bavink.[8] Mit der Begründung der Molekularbiologie und der Gentechnik ab den frühen 1950er Jahren, durch die die Vorgänge der Reproduktion, Fortpflanzung und Vererbung im Bereich des Lebenden entdeckt und erforscht wurden, vollbrachte die moderne Evolutionsbiologie das, was Teilhard nicht für möglich gehalten hatte, und die meisten zeitgenössischen Philosophen und Theologen nicht realisieren wollten oder konnten: Das orthogenetische Prinzip wurde durch ein darwinistisches Prinzip ersetzt. Damit waren Teilhards Evolutionstheorien und -erklärungen überholt. RezeptionDer Biologe Heinz Penzlin hält Teilhards teleologisch-evolutionäre Weltsicht für unrealistisch:
1966 ordnete der Philosoph und Theologe Karl Schmitz-Moormann, der mehrere Bücher Teilhards übersetzt und herausgegeben hat, Teilhards Weltentwurf wie folgt in die Geistesgeschichte der (westlichen) Menschheit ein:
Francis G. Elliott, Biochemiker und Theologe, jesuitischer Mitbruder Teilhards:
Siehe auchWeblinks
Literatur
Einzelnachweise
|