VaterjudeVaterjude (auch Vater-Jude) ist der Terminus für eine Person, die einen jüdischen Vater und eine nichtjüdische Mutter hat. Den Begriff prägte 1995 die niederländische Schriftstellerin Catharina Irma Dessaur (Andreas Burnier).[1] Nach den Vorgaben der Halacha, des jüdischen Religionsgesetzes, wird die Zugehörigkeit zum Judentum durch die Mutter weitergegeben. „Vaterjuden“ gelten in dieser Sichtweise nicht als jüdisch. Dieser Regel folgt auch der Zentralrat der Juden in Deutschland. Einer der Unterschiede zwischen orthodoxen und nicht-orthodoxen Gemeinden besteht in der Anerkennung von Vaterjuden als „Samen Israels“. Die Soziologin Ruth Zeifert ermittelte aus den Daten des statistischen Bundesamts bis 2010, dass etwa ein Drittel der in Deutschland von einem Juden gezeugten Kinder nicht von einer jüdischen Mutter geboren wurde.[2] Die meisten von ihnen sind laut Meron Mendel Nachkommen von Kontingentflüchtlingen.[3] GeschichteIn biblischer Zeit bis in das 2. Jahrhundert wurde die Zugehörigkeit zum Volk Israel noch durch den Vater vermittelt. In rabbinischer Zeit rückte aber die mütterliche Abstammung in den Fokus, da die Mutter immer sicher ist: Mater semper certa est.[1][4][5] Seit der Rückkehr aus dem persischen Exil um 445 v. Chr. waren Priester, Leviten und Männer aus dem gewöhnlichen Volk Ehen mit Frauen aus heidnischen Völkern eingegangen. Deshalb forderte Esra nach dem Gesetz Dtn 7,1–5 EU die Auflösung dieser Ehen. Forscher der Reformbewegung führen diese Festlegung auf die Matrilinearität zur Zeit Esras und Nehemjas zurück.[6] Die Familienabstammung setzt sich über die männliche Linie fort. Die männliche Linie war bei der Thronfolge und der Nachfolge der Priester und Leviten ausschlaggebend. Laut Halacha, dem jüdischen Gesetz, ist Jude, wer Kind einer jüdischen Mutter oder vor einem Rabbinatsgericht zum Judentum konvertiert ist.[7] Im Tanach ist die Abstammung patrilinear, die Rabbinen haben jedoch eine matrilineare Abstammung in der Mischna eingeführt, die seither als halachisch gilt. Offizielle PositionenVor allem das Konservative Judentum betrachtet Vaterjuden als Nichtjuden, jedoch wurde und wird weltweit bis heute das Levitentum und die Zugehörigkeit zu den Kohanim über den Vater weitergegeben. Die meisten orthodoxen Rabbiner sind der Ansicht, dass nur Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat.
Seit 1983 erkennt das Reformjudentum in den USA Kinder jüdischer Väter als jüdisch an, wenn sie sich mit dem Judentum identifizieren.[9] In orthodoxen Gemeinden findet nur Aufnahme, wer die jüdische Mutter vorweisen kann oder orthodox konvertiert ist. Die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschland erlaubt für Vaterjuden eine vereinfachte Konversion, da sie bereits mehr oder weniger im jüdischen Leben verwurzelt sind. Es ist aber jeweils ein individuelles Verfahren notwendig. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz besteht hingegen auf einer vollumfängliche Konversion, ähnlich wie sie, was das Verfahren, die Auflagen und die dadurch bedingte Dauer betrifft, von den Rabbinen für andersgläubige Konvertiten vorgeschrieben ist. Einige Gemeinden des liberalen Judentums bieten Vaterjuden eine Fördermitgliedschaft an.[10] Dies wird von einigen Vaterjuden als Diskriminierung empfunden. Laut dem israelischen Rückkehrgesetz genügt zur „Rückkehr“ nach Israel und dem Erwerb der israelischen Staatsbürgerschaft jedoch ein jüdischer Großelternteil oder der Übertritt zum Judentum. IdentitätsfragenUnter Vaterjuden, die sich als jüdisch begreifen, sind:
Jüdische Realität ist nach Ansicht vieler Betroffener keine Frage orthodoxer Religiosität, sondern verbindet sich mit jüdischer Familie, jüdischen Ahnen, Ermordeten der Schoah oder traumatisierten Überlebenden, mit stalinistischen Säuberungen, familiären Traditionen, Sprache, Literatur, Musik, Kultur und transgenerationalen Vermächtnissen. Der religiöse Zugang zu orthodox geführten Kultusgemeinden wird von vielen Juden nicht mit jüdischem Leben und Überleben gleichgesetzt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland jedoch folgt der Ansicht der orthodoxen Rabbiner.[11] Öffentliche KontroversenDer im englischen Sprachraum anzutreffende Ausdruck part-Jewish traf im deutschen Sprachraum aufgrund der NS-Rassengesetzgebung auf Ablehnung:
– Ignatz Bubis (1999)[12] Der Schriftsteller Maxim Biller bezeichnete Max Czollek, dessen Großvater Walter Czollek während der Zeit des Nationalsozialismus als Jude verfolgt wurde, in seiner Zeit-Kolumne im August 2021 als „Faschings- und Meinungsjuden“ und löste damit eine Debatte um die Frage aus, wer im öffentlichen Diskurs eine jüdische Sprecherposition einnehmen dürfe. Zahlreiche jüdische Personen des öffentlichen Lebens meldeten sich anschließend zu Wort. In einem offenen Brief solidarisierten sich 278 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen mit Czollek.[13] Die Debatte habe sich mittlerweile in die nichtjüdische Öffentlichkeit ausgedehnt und verberge, worum es eigentlich gehe, sagte Hanno Loewy, Leiter des Jüdischen Museums Hohenems.[14][15] Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen SowjetunionDie Kontingentflüchtlinge und ihre Nachkommen bilden in Deutschland derzeit die Mehrheit sowohl in den jüdischen Gemeinden als auch in der jüdischen Bevölkerung. Ab 1991 hatten Juden aus der Sowjetunion und Menschen mit jüdischen Vorfahren aus deren Nachfolgestaaten die Möglichkeit, als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland einzureisen. In den Melderegistern der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten ist Jüdisch eine Nationalität, die gewöhnlich vom Vater übernommen wird. Jüdische Kontingentflüchtlinge wurden in ihren Heimatländern nach diesem Merkmal ausgewählt. Im Falle einer gemischtreligiösen Ehe waren Personen laut ihren amtlichen Dokumenten Juden und waren gleichberechtigte Mitglieder in den jüdischen Gemeinden in der Sowjetunion. Sie hatten auch unter dem Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft zu leiden. Josef Schuster, Präsident des Zentralrat der Juden in Deutschland, spricht in der Jüdischen Allgemeine von einem „Modetrend“.[16] Erica Zingher bezeichnete die Frage in der taz als einen „verschleppten Konflikt“.[17] VerfolgteDer Nationalsozialismus in Deutschland unterschied nicht zwischen „Vaterjuden“ und Juden im Sinne der Halacha ohne „jüdischen“ Vater. Umgangssprachlich wurden beide Gruppen „Halbjuden“ genannt. Auch „Halbjuden“ wurden von Nationalsozialisten diskriminiert. Ihnen drohte darüber hinaus das Schicksal, wie „Volljuden“ behandelt, d. h. deportiert und ermordet zu werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der stalinistischen Sowjetunion als „Juden“ Definierte als „wurzellose Kosmopoliten“ bewertet sowie 1952 im Zuge der angeblichen „Ärzteverschwörung“ verfolgt. Siehe auchLiteratur
Weblinks
Einzelnachweise
|