Im Jahr 2011 fand erstmals eine Ausstellung unter dem Titel Urban Art – Graffiti 21. New York, Paris, Berlin, Völklingen in der Möllerhalle der Weltkulturerbestätte Völklinger Hütte statt. Die Idee dazu hatte der Generaldirektor der Hütte, der Kunsthistoriker, Museumspädagoge und Kulturmanager Meinrad Maria Grewenig. Er bemerkte als einer der ersten seiner Zunft, dass abseits der banalen Graffiti-„Schmierereien“ in der urbanen Welt immer häufiger künstlerisch gestaltete Graffiti, die häufig eine anspruchsvolle Ausstattung besaßen, im Öffentlichen Raum präsent waren. Grewenig hatte sich bereits im Vorfeld der Biennale mit der Pop- und Op-Art auseinandergesetzt und deren Einfluss auf Urban Art in etlichen umfassenden Ausstellungen im Weltkulturerbe Völklinger Hütte beleuchtet.[1][2][3]
Beeinflusst wurde Grewenigs Idee einer Biennale zum Thema Urban Art auch durch eine künstlerische Besonderheit in der saarländischen Landeshauptstadt Saarbrücken. Am innerstädtischen Erholungsgebiet Staden verläuft entlang der Saar die Stadtautobahn. Unterhalb dieser Schnellstraße wurde auf der Betonwand zwischen Autobahn und Leinpfad die 450 Meter lange Graffitifläche „4560“ legalisiert, die als eine der größten zusammenhängenden legalen Sprühflächen Deutschlands gilt. Sie wurde bei mehreren Meetings von international bekannten Künstlern bemalt.[4] Einer dieser prominenten Graffiti-Künstler war der Saarbrücker Patrick Jungfleisch, Künstlername Reso. Ihn konnte Grewenig für sein Vorhaben, eine Biennale zu installieren, als Berater und Akteur gewinnen. Reso vermittelte auch die notwendigen Künstlerkontakte, da er tief in der weltweiten Urban-Art-Szene verwurzelt war.
Konzept
Die UrbanArt Biennale bietet eine umfassende Darstellung der noch jungen Kunstrichtung Urban Art. Sie dokumentiert den Umbruch in dieser Kunst auf dem Weg von der Straße in die Museen. Jede Biennale ist einem speziellen Themenschwerpunkt gewidmet, seien es geografische, künstlerische oder personenbezogene Schwerpunkte. Den Kern der jeweiligen Biennale bilden umfangreiche Ausstellungen internationaler Urban-Art-Künstler, die in den riesigen Hallen und ehemaligen Arbeitsräumen wie auch im Freigelände der ehemaligen Völklinger Hütte präsentiert werden. Den zentralen Ausstellungsort der Biennale bildet in dem ehemaligen Eisenwerk die sogenannte Möllerhalle, die über eine Ausstellungsfläche von über 10.000 m² verfügt. Ihre rostbraunen Staubwände und die für Besucher begehbaren Siloeinbuchtungen erzeugen das gewünschte Spannungsverhältnis zwischen den Urban-Art-Kunstwerken und der rauen Industriearchitektur des Eisenwerks.
UrbanArt Parcours
Erstmals in der noch jungen Geschichte der Biennale wurde die zentrale Ausstellung in der Möllerhalle im Jahr 2013 um eine Open-Air-Galerie von 100.000 m² Freifläche ergänzt, den „UrbanArt-Parcours“. Das nördliche Außengelände der ehemaligen Hütte, auf dem sich die Kokerei befand, umfasst einen Freiluftbereich, „Paradies“ genannt. Bewusst und gewollt darf sich in diesem Landschaftsgarten die Natur ohne menschliche Eingriffe entfalten, so dass zwischen dem von Industriearchitektur geprägten Außenbild der monumentalen Hütte und dem von der Natur zurückeroberten Gelände ein reizvoller Spannungsbogen entstand. In dieses Umfeld montieren Urban-Art-Künstler Installationen, die in besonderer Weise mit dem naturbelassenen Standort korrespondieren und eine Synthese von Großtechnik und Natur bilden. Der „UrbanArt-Parcours“ soll im Rahmen aller zukünftigen Biennalen erweitert werden.
Ausstellungen
2011
2011 wurde erstmals eine große Ausstellung mit dem Titel Urban Art – Graffiti 21 New York, Paris, Berlin, Völklingen präsentiert. Die Präsentation in der Völklinger Hütte, damals noch kein Zentrum der Urban Art, wollte einen Überblick geben über die Vielfalt der zeitgenössischen Streetart. Als Glücksfall erwies es sich, dass zeitgleich mit der Völklinger Ausstellung die inhaltlich ähnliche und Maßstäbe setzende Präsentation Art in the streets in dem renommierten Museum of Contemporary Art, Los Angeles stattfand. Die internationale Kunstwelt – Museen, Galerien und Fachmedien – berichtete intensiv über beide Ausstellungen. Dadurch geriet Völklingen mit seinem neuen Projekt rasch in den Fokus der internationalen Kunstbeobachter.
„Von der Straße zur Kultur“[5] nennt Meinrad Maria Grewenig den Transformationsprozess, dem sich die erste Biennale 2013 schwerpunktmäßig widmete. Die Anfänge der Streetart – Graffiti, Urban Knitting, Adbusting u. a. – waren ursprünglich Zeichen einer wie auch immer verstandenen Protesthaltung. Sie wurden von den Besitzern der bemalten Flächen, also von privaten wie auch öffentlichen Eigentümern, als Beschädigung ihres Besitzstandes empfunden. Der Staat reagierte mit Kriminalisierung und Verfolgung der „Sachbeschädiger“. Im Laufe der Jahre hatten sich die Rahmenbedingungen dieser Kunstform nachhaltig verändert: sie wurde mobil, ortsungebunden und vom kulturellen Umfeld akzeptiert. Auch für den musealen Betrieb wurde und wird die neue Kunstrichtung interessant. Grewenig prophezeit der Urban Art, sie werde „… als Signet des beginnenden 21. Jahrhunderts museumswürdig werden. Die UrbanArt wird auf diesem Weg das Museum verändern.“[6]
Die zweite Biennale wurde am 29. März 2015 eröffnet und endete am 1. November des gleichen Jahres. Nach wie vor war es oberstes Ziel der Biennale 2015, eine Werkschau über die internationale Urban-Art-Szene zu vermitteln. Dabei wurden diesmal auch bewusst junge Künstler, die noch nicht über die gleiche Reputation wie die Stars der Szene verfügen, eingeladen, um ihnen ein internationales Forum für ihr Schaffen zu bieten. Mit über 80 Künstlern aus 21 Ländern und sechs Kontinenten wuchs die Ausstellung gegenüber dem Jahr 2013 um das Doppelte an. Weiterhin kamen neue Räume (Stellwerke-Haus und Kohleturm) hinzu.
Mit Urban-Art-Kunstwerken aus dem arabischen Raum und insbesondere aus Ägypten setzte die Biennale 2015 erstmals einen Länderschwerpunkt.[7] Im „Arabischen Frühling“ wurden Graffiti und andere Formen der Streetart als Ausdrucksmittel des Kampfes gegen Repressionen, soziale Missstände und für eine freie Meinungsäußerung in den arabischen Staaten und besonders in Ägypten genutzt. Dies wurde in dem deutschen Dokumentarfilm Art War von Marco Wilms in beeindruckender Weise dargelegt. Weiterhin zeigte die Biennale Arbeiten, die sich mit dem Islamistischen Terrorismus und dem Anschlag von Paris („Charlie Hebdo“) auseinandersetzten.[8] Der „Parcours“ der 2015er Biennale wurde durch neue Installationen, wie beispielsweise das 25 Meter hohe Baumgraffito des französischen Künstlers Ludo, aufgewertet
Die vierte Biennale fand statt vom 9. April 2017 bis zum 5. November 2017. Über 100 internationale Künstler aus 17 Ländern und vier Kontinenten zeigten insgesamt 150 Arbeiten. Ein Schwerpunkt der Biennale 2017 war das Projekt „UrbanArt 2.0“, das sich um avantgardistische Arbeiten unter Verwendung von IT-Technik dreht. Ein zweiter Schwerpunkt beleuchtete die süd- und mittelamerikanische Urban-Art-Szene in den Ländern Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko und Venezuela.[9] Im Rahmen der Biennale entstanden 20 ortsfeste Installationen. Zudem wurde im Verlauf der Ausstellung eine Ringvorlesung mit internationalen Fachleuten zu den aktuellen wissenschaftlichen Positionen der Urban Art angeboten. Insgesamt zog die Veranstaltung 150.000 Besucher an.[10]
Die fünfte UrbanArt Biennale fand vom 14. April bis zum 3. November 2019 statt. Es waren erneut Arbeiten von 100 Künstlern aus 20 Ländern zu sehen. Schwerpunkt waren interventionale Werke unter dem Motto Unlimited. Mit der „5. UrbanArt Biennale® 2019 Unlimited“ startete das Weltkulturerbe Völklinger Hütte eine mehrfache Grenzerweiterung. Neben Kunst-Projekten sind auch Tanz-Performances Teil der Biennale. Zudem begannen mit der „5. UrbanArt Biennale® 2019 Unlimited“ mehrere neue Kooperationen und Partner-Projekte außerhalb des Weltkulturerbes Völklinger Hütte. Partner sind unter anderem das neueste UrbanArt-Projekt in Paris „Fluctuart“ – die schwimmende UrbanArt-Ausstellungshalle am Ufer der Seine – sowie das UrbanArt-Museum Mausa Vauban im UNESCO-Weltkulturerbe Festung Vauban im elsässischen Neuf-Brisach sowie das UrbanArt-Projekt „Le Mur.“ in Paris und The Haus, Berlin. Es konnten mehr als 110.000 Besucher gezählt werden.[11]
* Ortsfeste Installationen aus früheren UrbanArt Biennalen
2022
Aufgrund der COVID-19-Pandemie musste die Urban Art Biennale 2021 aussetzen und wurde auf das folgende Jahr verschoben. Es war die erste Urban Art Biennale unter der Leitung von Ralf Beil, verantwortlicher Kurator war Frank Krämer. Die Biennale lief vom 16. Mai bis zum 6. November 2022.
Teilnehmende Künstler:
Adrien M & Claire B & Brest Brest Brest (FR)
Jef Aérosol (FR)
Ampparito (ES)
Ammar Abo Bakr* (EG)
Philippe Baudelocque* (FR)
Hendrik Beikirch* (DE)
Tarek Benaoum* (MA)
Liu Bolin (CN)
Drasko Boljevic (HR/AU)
Benedetto Bufalino (FR)
Helen Bur (GB) & Bryan Beyung (CA) & Pablo Merchante (ES) & Zane Prater (US) & Axel Void (ES)
Case (DE)
Codex Urbanus (FR)
Cone The Weird (DE)
Isaac Cordal (ES)
Cranio (BR)
Hendrik Czakainski (DE)
Deih (ES)
Maxime Drouet (FR)
Frankey (NL)
Les Frères Ripoulain (FR)
Frukty (RU)
Maya Hayuk (US)
Olivier Hölzl (AT)
Icy & Sot (IR/US)
Jaune (BE)
Katre (FR)
Lek & Sowat (FR)
Levalet (FR)
M. Chat* (CH)
Mambo (FR/US)
Mardi Noir (FR)
Mentalgassi (DE)
Mick La Rock (NL)
Filippo Minelli (IT/PT/LB)
Stéphane Moscato (FR)
Mosko* (FR)
Obsolettrismes (FR)
OX (FR)
Pboy (FR)
Dan Rawlings (GB)
Rero (FR)
Daan Rietbergen (NL)
Roadsworth (CA)
Rocco und seine Brüder (DE)
Rouge Hartley (FR)
Sethone (FR)
SpY (ES)
Tanc (FR)
Mathieu Tremblin (FR)
Vhils* (PT)
Jan Vormann (DE)
Crystal Wagner (US)
Mariusz Waras (PL)
Wasted Rita (PT)
Wayne Horse (DE)
Alain Welter (LU)
Wild Drawing (ID/GR)
YZ* (FR)
ZEVS (FR)
* Ortsfeste Installationen aus früheren UrbanArt Biennalen
2024
Kurator der vom 28. April bis 10. November 2024 laufenden Ausstellung ist erneut Frank Krämer. einen Schwerpunkt setzt die Biennale auf partizipative Projekte. Neben der Möllerhalle ist erneut das gesamte Außengelände der Völklinger Hütte Ausstellungsareal. Außerdem sind in der Völklinger Innenstadt mehrere Werke zu sehen.
Teilnehmende Künstler:
Ammar Abo Bakr*
Jef Aérosol*
Alksko
Gen Atem
Aram Bartholl
Otto Baum
Hendrik Beikirch*
Coco Bergholm
Miriam Bossard
Krista Burger
Stephen Burke
M Chat*
Codex Urbanus
Isaac Cordal
Cranio
Baptiste Debombourg
DNLM
Brad Downey
Benjamin Duquenne
e1000
Erosie
Matteo Fluido
Antonio Galleggo
High On Type
Icy & Sot
Benjamin Irritant
Jaune
Kitra
Deana Kolenčíková
Lek & Sowat
Kenneth Letsoin
Levalet*
LOR-K
Mardi noir
David Marin
Andrea Ravo Mattoni
Mentalgassi
Moses & Taps
Mosko
OX
Onno Poiesz
Sébastien Preschoux
Germain Prévost
Andrea Ravo Martini
Dan Rawlings*
Daan Rietbergen
Roadsworth
Rocco und seine Brüder
Ralph Roelse
SpY
Ian Strange
Tanc
THE WA
THWRB3AT
Mathieu Tremblin
Vladimir Turner
Vihls*
Jan Vormann
Wanderlust Social Club
Wayne Horse
YZ*
Zevs
* Ortsfeste Installationen aus früheren UrbanArt Biennalen
Meinrad Maria Grewenig (Hrsg.): Urban Art – Graffiti 21. Wunderhorn-Verlag, Heidelberg 2011, ISBN 978-3-88423-372-6.
Meinrad Maria Grewenig (Hrsg.): UrbanArt Biennale 2013. Wunderhorn-Verlag, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-88423-438-9.
Faszination Völklinger Hütte: Weltkulturerbe präsentiert UrbanArt und 60 Jahre Popgeschichte. In: Kunstraum Metropol Freiburg. Ausg. Dezember 2013.
Die Potenziale für die Zukunft ergreifen. Meinrad Maria Grewenig über das Museum des 21. Jahrhunderts. In: Kunstzeitung. Verlag Lindinger + Schmid, Berlin, 7. Mai 2013.
Völklinger Hütte: l'art urbain dans la salle des mélanges. In: Le Républicain Lorrain. Metz, 23. März 2013.
Aus „Schmiererei“ wird Kulturgut. UrbanArt: Erste Graffiti-Biennale in der Völklinger Hütte. In: Trierischer Volksfreund. 23. März 2013.
Andreas Blechschmidt (Hrsg.): Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz. Mit Fotos von Theo Bruns. Assoziation A, Berlin 2014, ISBN 978-3-86241-424-6.
Meinrad Maria Grewenig (Hrsg.): UrbanArt Biennale 2015. 2., erg. Auflage. Wunderhorn-Verlag, Heidelberg 2015, ISBN 978-3-88423-510-2.
↑Meinrad Maria Grewenig (Hrsg.): Generation Pop! Katalog zur Ausstellung. Wunderhorn-Verlag, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-88423-450-1.
↑Meinrad Maria Grewenig (Hrsg.): Avant Pop. Josef Wittlich – Gemälde. Katalog zur Ausstellung. Wunderhorn-Verlag, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-88423-449-5.
↑Meinrad Maria Grewenig (Hrsg.): Game Art. Katalog zur Ausstellung. Hatje Crantz, Ostfildern-Ruit 2003, ISBN 3-7757-9185-X.