Ukrainisch-ungarische Beziehungen
Die Ukrainisch-ungarischen Beziehungen sind das zwischenstaatliche Verhältnis zwischen der Ukraine und Ungarn. Die beiden Länder sind Nachbarn und haben eine ungefähr 137 km lange gemeinsame Grenze. Die Beziehungen wurden durch eine Kontroverse über die Rechte der ungarischen Minderheit in der westukrainischen Region Transkarpatien, in der 150.000 ethnische Ungarn leben, getrübt. GeschichteFrühe Interaktionen zwischen den Völkern der Kiewer Rus und den Magyaren sind in der Nestorchronik überliefert. Im Jahr 895 drangen die Ungarn über den Verecke-Pass in den Karpaten (heute in der Ukraine) in das Pannonische Becken ein und gründeten dort das Königreich Ungarn. Während der ungarischen Feldzüge in Europa im 10. Jahrhundert waren die Ungarn und die Kiewer Rus’ zu verschiedenen Zeiten miteinander verbündet. Im Jahr 943 unterstützten die Streitkräfte der Rus’ eine ungarische Offensive gegen das Byzantinische Reich, die im Friedensschluss durch den byzantinischen Kaiser Romanos I. Lekapenos gipfelte. Während der letzten ungarischen Invasion in Europa griff Swjatoslaw I., Großfürst von Kiew, 970 das Byzantinische Reich mit ungarischen Hilfstruppen an, die in der Schlacht von Arcadiopolis eine Niederlage erlitten, was die Ungarneinfälle in Europa beendete. Die Karpatenukraine gehörte vom Mittelalter bis zum Vertrag von Trianon 1920 zum Königreich Ungarn, als das Gebiet nach der Aufteilung von Österreich-Ungarn an die Erste Tschechoslowakische Republik angeschlossen wurde. 1939, mit der Zerschlagung der Tschechoslowakei, erklärte die Karpatenukraine am 15. März ihre Unabhängigkeit. Noch am selben Tag griff das Königreich Ungarn das Gebiet an. Im Laufe weniger Tage überwältigte die 40.000 Mann starke ungarische Armee die begrenzten Kräfte des neu ausgerufenen, nicht anerkannten Staates, der nur über 2.000 Mann zur Verteidigung verfügte.[1] Am 18. März übernahmen die ungarischen Streitkräfte die vollständige Kontrolle über das Gebiet. In dem darauf folgenden Chaos wurden schätzungsweise 27.000 ukrainische Zivilisten getötet.[2] Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Karpatenukraine von der Sowjetunion annektiert und als Oblast Transkarpatien an die Ukrainische SSR angeschlossen. Die modernen bilateralen Beziehungen zwischen Ungarn und der Ukraine begannen in den frühen 1990er Jahren, nach dem Ende des Kommunismus in Ungarn 1989 und der Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion im Jahr 1991. Beide Länder etablierten nachbarschaftliche und freundschaftliche Beziehungen, auch wenn dem ungarischen Präsidenten Viktor Orbán auch nach der Annexion der Krim 2014 eine Nähe zu Russlands Wladimir Putin nachgesagt wurde. Im November 2016 verkündete Orban den EU-Beitritt der Ukraine zu unterstützen.[3] Ein ukrainisches Sprachgesetz von 2017 sorgte allerdings für eine deutliche Abkühlung der bilateralen Beziehungen. Mit dem neuen Gesetz wurde Ukrainisch zur obligatorischen Unterrichtssprache für alle staatlichen Schulen in der Ukraine ab der fünften Klasse, was Ungarn als Diskriminierung der ungarischen Minderheit ansah. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó kündigte an, dass Ungarn jede weitere Integration der Ukraine in die NATO und die Europäische Union blockieren werde, und bot an, „zu garantieren, dass all dies in Zukunft für die Ukraine schmerzhaft sein wird“.[4] Im Oktober 2017 machte Ungarn seine Ankündigungen wahr und legte sein Veto ein, wodurch die Einberufung einer Sitzung des NATO-Ukraine-Ausschusses effektiv blockiert wurde.[5] Daraufhin kündigten ukrainische Beamte Zugeständnisse an einige ungarische Forderungen an, insbesondere die Verlängerung der Übergangszeit bis zur Umsetzung des Sprachengesetzes auf 2023. Im September 2018 kam es allerdings zu erneuten Streitigkeiten, nachdem das ungarische Konsulat in Berehowe ungarische Pässe an Angehörige der ungarischen Minderheit in der Ukraine verteilt hatte. Da der freiwillige Erwerb einer ausländischen Staatsbürgerschaft ohne Verzicht auf die ukrainische Staatsbürgerschaft nach ukrainischem Recht illegal ist, wiesen ungarische Diplomaten die neuen Staatsbürger an, ihren Besitz ungarischer Pässe vor den ukrainischen Behörden zu verbergen.[6] In Reaktion darauf wies die Ukraine den ungarischen Konsul aus und Ungarn kündigte die Ausweisung eines ukrainischen Diplomaten in Budapest an und wiederholte die Drohung, den Beitritt der Ukraine zur NATO und zur Europäischen Union zu blockieren. Nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 verurteilten die ungarische Regierung die Invasion und erklärte ihre Unterstützung für die Ukraine, lehnte aber gleichzeitig Waffenlieferungen an die Ukraine ab.[7] Später forderte Orban den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf, sich um ein Friedensabkommen zu bemühen und bot sich als Vermittler mit Russland an. Die anhaltenden Waffenlieferungen der Ukraine durch die NATO lehnte er ab, da er diese als Hindernis für den Frieden ansah.[8] In seiner Siegesrede am 3. April 2022 nach den ungarischen Parlamentswahlen sagte Orban, dass der ukrainische Präsident Selenskyj einer der „Gegner“ sei, die er überwunden habe, um zu gewinnen.[9] Am 1. Mai 2023 beschuldigte Oleksij Danilow, der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Ungarn, von der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 gewusst zu haben. Er behauptete, Wladimir Putin habe die ungarische Regierung im Voraus gewarnt und Ungarn habe Pläne, Teile des Gebiets Transkarpatiens in der Westukraine zu annektieren, das an der Grenze zu Ungarn liegt. Die Regierung Ungarns bezeichnete Danilows Anschuldigung als falsch und äußerte Empörung über seine Behauptungen.[10] In der EU blockierte Ungarns Präsident Orban mehrfach Hilfsgelder für die Ukraine und wollte zunächst Zugeständnisse der EU für eingefrorenen EU-Zahlungen an Ungarn.[11] Nach zähen Verhandlungen gab Orban im Februar 2024 schließlich seine Zustimmung für EU-Hilfsgelder an die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Euro.[12] Wenige Monate später verzichtete er auch darauf, ein Veto gegen die weitere Annäherung der NATO an die Ukraine einzulegen, welche Ausbildung und Militärhilfen vorsehen.[13] Im Juli 2024 besuchte Orban schließlich erstmals seit Kriegsausbruch Kiew, nachdem er zuvor demonstrativ ferngeblieben war.[14] Bei dem Treffen gibt es neben der Beendigung des Kriegs mit Russland auch um den EU-Beitritt der Ukraine und den Status der ungarischen Minderheit im Land.[15] Diplomatische Standorte
WeblinksCommons: Ukrainisch-ungarische Beziehungen – Sammlung von Bildern und Videos
Einzelnachweise
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