Gertraud Weiß wuchs in München-Schwabing auf. Ab ihrem 13. Lebensjahr gehörte sie zum katholischen Heliand-Bund.[2] Nach dem Kriegshilfsdienst begann sie ein Psychologiestudium an der Universität München und besuchte ab 1943 die Soziale Frauenschule. Als Krankenschwester wurde sie 1945 dienstverpflichtet und erlebte aus nächster Nähe die Auflösung des Konzentrationslagers Dachau.[3]
Ab 1945 war sie Bundesführerin des Heliand.[4] Auf dem Bundestag 1947 in Telgte bei Münster beunruhigte sie die Versammelten mit der Frage, was die Katastrophe der Shoa für die Kirche und ihren Auftrag bedeutet.[5] Als Konsequenz trat sie 1948 aus dem Heliand aus und begann den „Jungen Bund“.[6] Dazu ermutigte sie u. a. der Theologe Professor Michael Schmaus. Der Priester Aloys Goergen begleitete die Gruppe bis 1968.
1949 heiratete Traudl Weiß den aus Hagen in Westfalen stammenden Rechtsanwalt Herbert Wallbrecher, der dem katholischen Bund Neudeutschland angehörte.[2] Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. In ihm und seinem Freund Johannes Joachim Degenhardt, dem späteren Kardinal und Erzbischof von Paderborn, fand sie Verbündete. Aus den Personen, die sich um Traudl Wallbrecher, ihren Mann und Aloys Goergen sammelten, entstand die Integrierte Gemeinde.
Wallbrecher weckte als Herausgeberin der Zeitschrift „Die Integrierte Gemeinde“ das Interesse von Agnostikern wie Gerhard Szczesny.[7] und Theologen wie Joseph Ratzinger,[8] der seither den Weg der KIG in der Kirche begleitete.[9] Anregungen für das Experiment „Gemeinde“ gewann sie 1965 bei einer Reise zu Kibbuzim in Israel. Daraus wuchs später über die Freundschaft mit Chaim Seeligmann[10] ein intensiver Austausch, der 1995 zur Gründung des „Urfelder Kreises“[11] führte. Auch amerikanische Hutterer und deutsche Bruderhöfer[12] wurden aufmerksam. In den USA gewann Wallbrecher religiöse Juden wie den Schriftsteller Zvi Kolitz[13] und den Direktor der Jeshiva-Universität, Norman Lamm, als Freunde.
Gemeinsam mit ihrem Mann initiierte sie 1977 das private Günter-Stöhr-Gymnasium, heute eine der Schulen des St. Anna Schulverbundes. Seit 1978 entwickelte sich aus ihrer Begegnung mit Bischof Christopher Mwoleka,[14][15]Tansania, eine Integrierte Gemeinde in Afrika.
Eines ihrer größten Anliegen war die aus der neuen Kirchenerfahrung erwachsene Theologie. Um daran mitzuarbeiten, gaben die Neutestamentler Rudolf Pesch und Gerhard Lohfink in den 1980er-Jahren ihre Lehrstühle auf und schlossen sich der Integrierten Gemeinde an. Gerhard Lohfink widmete sein Buch Wem gilt die Bergpredigt? (1988) Traudl und Herbert Wallbrecher.[16] Über Wallbrechers Initiative zur „Akademie für die Theologie des Volkes Gottes“ in der Villa Cavalletti[17][18] bei Frascati wurde an der Lateran-Universität in Rom 2008 ein Lehrstuhl errichtet, die „Cattedra per la Teologia del Popolo di Dio“,[19][20] der seit Herbst 2016 ein postgraduales Fernstudium „Das Profil des Jüdisch-Christlichen“ anbietet.[21] Im Jahr 2009 gab sie den Vorsitz in der KIG auf. Ein starkes Elitenbewusstsein und das von Aussteigern als Indoktrination und Personenkult empfundene Verhalten der Gründerin hatten lange das Zusammenleben geprägt.[22]
Am 29. Juli 2016 starb Gertraud Wallbrecher im Alter von 93 Jahren nach langer Krankheit in München.[23][24] Die italienische Zeitung Avvenire überschrieb ihren Nachruf vom 9. August 2016 „Addio a Gertraud Wallbrecher, ‘teologa’ del popolo di Dio“.[25]
Schriften
Traudl Wallbrecher (Hrsg.): Monatszeitschrift HEUTE in Kirche und Welt. (2000–2008) ISSN1616-2293.
Traudl Wallbrecher, Ludwig Weimer, Arnold Stötzel (Hrsg.): 30 Jahre Wegbegleitung – Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. und die Katholische Integrierte Gemeinde. Verlag Urfeld, Bad Tölz 2006, ISBN 978-3-932857-40-9.
Traudl Wallbrecher, Ludwig Weimer (Hrsg.): Katholische Integrierte Gemeinde. Eine Kurzdarstellung. Verlag Urfeld, Bad Tölz 2005, ISBN 978-3-932857-45-4.
Traudl Wallbrecher u. a. (Hrsg.): HEUTE – pro ecclesia viva. Verlag Urfeld, Bad Tölz 1994, ISSN0946-6401.
Traudl Wallbrecher: Vom Wieder-Einwurzeln im Jüdischen als einer Bedingung für das Einholen des Katholischen. In: HEUTE – pro ecclesia viva. Verlag Urfeld, Bad Tölz 1994, ISSN0946-6401, S. 54 ff.
Traudl Wallbrecher (Hrsg.): Die Integrierte Gemeinde. Beiträge zur Reform der Kirche. 18 Bände, Verlag Urfeld, München (1969–1976).
Joseph Kardinal Ratzinger: Skandalöser Realismus – Gott handelt in der Geschichte. Verlag Urfeld 2005, Vorwort von Traudl Wallbrecher, ISBN 3-932857-44-5.
Traudl Wallbrecher (Hrsg.): Ecclesiae Solamen – Gedanken zur Theologie Johann Adam Möhlers. Verlag Urfeld 1982.
Heute in Kirche und Welt – Blätter zur Unterscheidung des Christlichen. Sondernummer 18. Mai 2003: Anläßlich des 80. Geburtstages von Traudl Wallbrecher. Verlag Urfeld, Bad Tölz, ISSN1616-2293.
Traudl Wallbrecher: Das Vaterunser und die Weitergabe des Glaubens. In: Heute in Kirche und Welt Heft 5/2008, ISSN1616-2293, S. 13.
Theologica. Nr. 3: ‘Teologa’ del popolo di Dio. Gertraud Wallbrecher (1923–2016).ISBN 978-3-946577-03-4.
↑Peter M. Bode: Leben in dieser Stadt. In: Süddeutsche Zeitung. 9. Mai 1974, Feuilleton.
↑Alexander Kissler: Der deutsche Papst. Herder, Freiburg 2005, ISBN 3-451-28867-2, S.83ff.
↑Traudl Wallbrecher, Ludwig Weimer, Arnold Stötzel (Hrsg.): 30 Jahre Wegbegleitung Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. – und die Katholische Integrierte Gemeinde, Verlag Urfeld, Bad Tölz 2006, ISBN 978-3-932857-40-9, S. 20 ff.
↑Chaim Seeligmann: Spuren einer stillen Revolution. Verlag Urfeld 1998, ISBN 3-932857-21-6, S. 82/83, ders.: Es war nicht nur ein Traum. Verlag Urfeld 2002, ISBN 3-932857-29-1, S 98/99 und S. 142 ff.
↑Traudl Wallbrecher, Ludwig Weimer, Arnold Stötzel (Hrsg.): 30 Jahre Wegbegleitung – Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI – und die Katholische Integrierte Gemeinde. Urfeld, Bad Tölz 2006, ISBN 978-3-932857-40-9, S.94ff.
↑30 Jahre Wegbegleitung. Bad Tölz 2006, S. 96 in Verbindung mit Stan Ehrlich: Sent back to faith., bruderhof.com und Yaacov Oved: The Witness of the Brothers – A History of the Bruderhof. Transaction Publishers 2012, S. 320.
↑HEUTE – pro ecclesia viva. Verlag Urfeld, Bad Tölz 1994, S. 188.
↑HEUTE – pro ecclesia viva. Verlag Urfeld, Bad Tölz 1994, S. 105 f.
↑Arnold Stötzel, Ludwig Weimer, Gerhard Lohfink u. a.: ‘Teologa’ del popolo di Dio. Gertraud Wallbrecher (1923–2016). In: Katholische Integrierte Gemeinde (Hrsg.): Theologica. Nr.3. Baierbrunn 2016, ISBN 978-3-946577-03-4, S.44ff.