Transmigration (Österreich)Transmigration war im Sprachgebrauch der Wiener Hofkanzlei des 18. Jahrhunderts eine beschönigende Bezeichnung für zwangsweise Umsiedlungsprogramme. AllgemeinesDie amtslateinische Wortschöpfung Transmigration findet sich im Sprachgebrauch der Österreichischen Hofkanzlei des 18. Jahrhunderts. Es ist nichts anderes als ein beschönigendes Wort für Deportation, benennt es doch, die Umstände von Zwang und Gewalt verschleiernd, das Fortführen von Untertanen aus ihrer Heimat und deren Strafversetzung in weit entfernte Regionen des Reiches, von wo ihnen jede Rückkehr in ihre alten Herkunftsgebiete verweigert und verwehrt blieb: „Ihre Kayserliche Majestät [d.i. Maria Theresia] haben zu Absonderung dieser Leute das Fürstentum Siebenbürgen aus der Ursach bestimmt, weil selbiges zur Abschneidung der Korrespondenz am weitesten entlegen an der Population Mangel leidet …“ (Schreiben der Siebenbürgischen Hofkanzlei vom 1. August 1753, Ungarisches Staatsarchiv Budapest). Die nach Siebenbürgen Verbannten waren ausnahmslos lutherische Protestanten. Ihre Vertreibung geschah jedoch nicht auf Betreiben der Katholischen Kirche, auch nicht hauptsächlich aus Glaubensgründen, wie es die Einwanderungslegende im Bewusstsein der Transmigrantennachfahren bis heute festgesetzt hat. Von den Zwangsmaßnahmen Maria Theresias waren auch Roma betroffen, deren Kinder den Eltern weggenommen und wenigstens alle zwei Jahre unter benachbarte Orte verteilt wurden, um eine obrigkeitliche Kontrolle zu gewährleisten. UrsachenDie Ursachen lagen in der damaligen Staatspolitik der Habsburger. Sowohl Kaiser Karl VI. als auch Kaiserin Maria Theresia bauten in ihrer Regierungspolitik auf die Einheit des Glaubens als stabilisierende und konsolidierende Kraft im Vielvölkerstaat, wobei diese staatstragende Rolle der katholischen Kirche als einer alleseinenden Glaubensmacht übertragen wurde. Im Zuge der konsequent betriebenen Gegenreformation waren der evangelische Gottesdienst und der konfessionelle Unterricht im Geiste Luthers verboten worden. Viele Lutherische waren in den Untergrund gegangen. Offiziell galten sie als katholisch; doch auf ihren einsamen Höfen in den Streusiedlungen der Alpenlandschaft legten sie Glaubenszeugnis ab auf die Luther-Bibel und fanden die Richtigkeit ihrer Haltung bestätigt in den zahlreichen polemischen Schriften, „Sendbriefen“, der ehemaligen, aus Österreich in die süddeutschen Städte ausgewanderten Streiter für den evangelischen Glauben. Sie wurden daher auch als Kryptoprotestanten bezeichnet. Der evangelische Adel und eine wirtschaftlich nicht unbedeutende Bürgerschicht waren schon im Laufe des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts größtenteils ausgewandert. Auch viele evangelische Bauernfamilien hatten nach dem Osnabrücker Friedensvertrag 1648 das Auswanderungsgesetz (jus emigrationis) des Westfälischen Friedens in Anspruch genommen und waren nach Preußen gezogen. Ihr Zuzug nach Ostpreußen brachte den wirtschaftlichen Aufschwung dieser Provinz. Die Reihen wirtschaftspotenter Auswanderer verstärkten sich dann in den Jahren 1731 und 1732 mit über 20.000 Protestanten aus dem Fürstbistum Salzburg. Diese Salzburger Exulanten ließ Fürstbischof Freiherr von Firmian (1727–1744) unter völliger Missachtung des Auswanderungsgesetzes vertreiben. Die Austreibung der Salzburger Protestanten brachte Unruhe und Erhebungen unter den im Fürstbistum Verbliebenen. Die Revolten griffen auch auf die Geheimprotestanten in den erwähnten Erbländern der Krone über. Darauf reagierte das protestantische Ausland. Das Corpus Evangelicorum, eine Institution mit Sitz beim immerwährenden Reichstag in Regensburg, hatte über die Gleichbehandlung der Protestanten im ganzen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu wachen. Die nun folgenden vermehrten Intercessions-Schreiben aus Regensburg an die allerhöchste habsburgische Majestät verliehen dem österreichischen Protestantenproblem damit eine zusätzliche, außenpolitische Dimension. Wien reagierte, indem man mit der Deportation der „Rädelsführer“ die Abschreckung der Massen zu erreichen versuchte. Man erhoffte sich, die Aufstände und Unruhen unter den Protestanten zu beenden und damit die Ursachen für die Einmischung von außen zu beseitigen. Indem man die „Aufwiegler und Rädelsführer“ jedoch nicht mehr ins preußische Ausland ziehen ließ, sondern sie innerhalb der Monarchiegrenzen in Siebenbürgen behielt, wollte man auch einer weiteren Bevölkerungsabgabe an Preußen entgegenwirken, die Wirtschaftskraft der verbannten Personen im Sinne des Merkantilismus in den Grenzen des eigenen Staatsgebildes behalten. Die als tragendes politisches Prinzip seit der Reformation von den siebenbürgischen Fürsten respektierte Religionsfreiheit war bei der Wahl des Deportationszieles mitbestimmend. Zudem galt es, durch Zufuhr von Arbeitskraft das wirtschaftlich darniederliegende Land wieder aufzubauen. Hinzu kam noch, dass gerade die für Siebenbürgen wirtschaftlich so wichtige sächsische Nation, den eigenen numerischen „Verfall“ beklagend, um deutsche Kolonisten bemüht war. Den ersten Transmigranten war jedoch der Ruf als „Aufwiegler und Irrgläubige“ nach Siebenbürgen vorausgeeilt; man wehrte sich dort gegen die „odiösen Emigranten“ und unterzog deshalb die ersten Ankömmlinge einem strengen Glaubensexamen, bevor man ihnen die Ansiedlung als freie Bürger auf Königsboden erlaubte. TransmigrantentransporteDer erste Transmigrantentransport ging am 29. Juni 1734 von Goisern im Salzkammergut ab. Er leitete ein Unterfangen ein, welches als „Karolingische Transmigration“ bis 1737 andauern sollte. Das Wüten der Pest in Siebenbürgen und die Wirren des österreichisch-türkischen Krieges von 1736–1739, dazu der Tod Karls VI. im Jahr 1740 setzten ihm ein vorläufiges Ende. 3.960 Personen wurden nachweisbar (nach Buchinger) aus ihrer Heimat nach Siebenbürgen verschleppt. In zwei großen Schüben, 1752 bis 1757 und 1773 bis 1776, während der Regierungszeit von Kaiserin Maria Theresia kamen weitere 3.000 Geheimprotestanten aus dem Landl, d. h. den Gebieten um Gmunden, Laakirchen, Vöcklabruck (was zum Namen Landler führte) sowie aus Innerösterreich, d. h. aus Stadl an der Mur, aus Kärnten und der Weststeiermark nach Siebenbürgen. Die unterschiedlichen Umstände der Transmigration bestimmten das Schicksal der jeweiligen Deportiertengruppe mit und ließen deren Ansiedlung in Siebenbürgen zum Erfolg oder Misserfolg werden. Die zu Zeiten Karls VI. aus dem Salzkammergut vertriebenen Protestanten durften in der Regel ihre Familie mitnehmen und ein Behältnis mit eigenen Sachen aufs Schiff hinzuladen. Sie erhielten vom Salzoberamt als Vorschuss auf die Liquidierung ihrer Liegenschaften Geld mit. Dies alles waren entscheidende Voraussetzungen zu einer gelungenen Ansiedlung in Siebenbürgen. Hingegen hatte man die Kärntner Transmigranten von ihren Familien getrennt, sie als „Kriminelle“ zunächst zum Arrest verurteilt, um sie später bei sich bietender Gelegenheit mit dem Militär nach Siebenbürgen abzuschieben. Der Tod hielt reiche Ernte unter ihnen, wie auch unter denjenigen, die in späterer, theresianischer Zeit verschleppt wurden. Den Letzteren hielt man die Kinder gewaltsam zurück. Als Maria Theresia 1777 weitere 10.000 Protestanten aus Mähren deportieren wollte, sprach sich ihr Sohn Joseph II. dagegen aus und drohte die Erbfolge nicht anzutreten, wenn das gegen seine Grundsätze und Einstellungen so weitergehe.[1] Am Anfang seiner Regierungszeit verkündete er dann 1781 das Toleranzpatent, welches aber auch in Zukunft nicht überall Vertreibungen verhinderte, wie beispielsweise die Zillertaler Inklinanten 1837 zeigen. Joseph Däubler aus GoisernIn diese Zusammenhänge der Transmigration österreichischer Protestanten nach Siebenbürgen gehört auch das Schicksal des Joseph Däubler/Täubler aus Goisern im Salzkammergut, dessen Grabstein in Neppendorf steht. Aus Kirchenmatrikeln, persönlichen Briefen und anderen Archivalien lässt sich sein Leben und Schicksal als Transmigrant und Transmigrantensohn nachvollziehen. Im Jahr 1734 wurde nicht der junge Joseph, wie es die Grabinschrift angibt, sondern dessen Vater Thomas als einer der ersten unter den „Aufwieglern“ zusammen mit seinen beiden Söhnen Michael und Mathias nach Siebenbürgen verschleppt. Der 66-jährige Thomas war mit seiner Familie in Wurmstein in der Pfarre Goisern ansässig gewesen. Er fungiert in den Unterlagen als „Partikularknecht“ (Waldarbeiter) der Herrschaft Wildenstein. Sohn Michael war zum Zeitpunkt der Deportation 36 Jahre alt, sein Bruder Mathias erst 23. Thomas’ Ehefrau Rosina war mit dem zweitältesten Sohn Joseph und zwei Töchtern im Salzkammergut zurückgeblieben. Am 22. April 1735 schrieb der 26-jährige Joseph von Goisern aus an seinen „Vater Thomas Teibler und die zwei Gebriedern in Siebenbürgen im Dorfe Heldau“:
– Joseph von Goisern Der Brief wurde in Siebenbürgen von den Behörden abgefangen und kam später zu den Transmigranten-Akten ins Hermannstädter Staatsarchiv. Schon am 30. Juli wurde der Transmigrantensohn, wie er es im zitierten Brief befürchtet, zu den Soldaten gepresst. Keine drei Monate später, am 9. Oktober 1735, führte man die Mutter und die beiden Schwestern Maria (37-jährig) und Sara (33-jährig) aufs Schiff und in die Verbannung nach Siebenbürgen. Als Joseph am 31. Januar 1736 aus Szegedin in Ungarn erneut an die Seinen schrieb, wusste er wohl, dass man die Mutter samt Schwestern auch verschleppt hatte. Doch vom Tode seines Vaters und der beiden Brüder in Heltau hatte er (noch) nicht erfahren:
– Joseph Däubler Ein nächstfolgender, in Abschrift erhaltener Brief Josephs setzt sich in Gedichtform nochmals mit den Umständen seiner Gefangennahme und Pressung zu den Soldaten auseinander. Die Kunde vom Tode der Seinen hatte ihn zu diesem Zeitpunkt, d. i. der 16. Juli 1736, erreicht:
– Joseph Däubler Joseph Däubler gelangte unter nicht nachvollziehbaren Umständen (wohl durch Freikauf?) nach Neppendorf, wo er im Jahr 1739 als Pate in die Kirchenbücher eingetragen wurde. Im Jahr 1741 erscheint er als Besitzer eines Wiesengrundstückes „am Ochsenweg“. Ein Jahr später schon heiratete er. Als er im Jahr 1775 hochbetagt starb, vermerkte der Pfarrer in der Beerdigungsmatrikel: „Ehrsam sein ganzes Leben hindurch“. Seine Tochter hat das Neppendorfer Geschlecht der Köber in der Kirchgasse begründet, das den Übernamen Deiwler bis heute behalten hat. Von Deportierten zur MinderheitEs dauerte Generationen und Jahrzehnte, bis sich das Bewusstsein der Transmigranten und deren Nachkommen insoweit wandelte, dass sie sich nicht mehr als Deportierte fühlten, sondern zunehmend als eine siebenbürgisch-deutsche Minderheit in der Minderheit der Siebenbürger Sachsen. Im Jahr 1766 hatte die Sächsische Nationsuniversität auch die Jurisdiktion über sie übernommen, sie formell als freie Bürger und Contribuenten auf Königsboden eingegliedert. Im Sprachgebrauch der folgenden Zeit setzte sich der Name „Landler“ als Sammelname für alle Nachkommen der ehemaligen österreichischen Transmigranten durch. Quellen und Literatur
Einzelnachweise
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