TraditionskritikTraditionskritik (auch Überlieferungskritik) bezeichnet ein Verfahren zur Rekonstruktion der mündlich überlieferten, vorschriftlichen Fassung eines Textes. Traditionskritik dient damit neben Literarkritik und Redaktionskritik der Analyse der Vorgeschichte eines vorliegenden Textes als Teil der historisch-kritischen Methode. Das traditionskritische Instrumentarium kommt überall dort zur Anwendung, wo bei einem Text oder Teilen eines Textes eine ursprünglichere, mündliche Fassung angenommen wird (z. B. Bibel, Volksmärchen und -sagen, literarische Texte, die auf mündlichen Überlieferungen gründen (z. B. Goethes Faust)). Zuweilen wird innerhalb der Traditionskritik methodisch zwischen Traditionsgeschichte und Überlieferungsgeschichte unterschieden. In diesem Fall untersucht die Überlieferungsgeschichte die mündlichen Überlieferungsstufen eines Textes, während die Traditionsgeschichte nach überlieferten kulturellen Vorstellungen und z. B. mythischen Stoffen in einem Text fragt.[1] Grundlagen der MethodeAusgangsthese für die Anwendung der traditionskritischen Methode ist, dass ein Text eine ursprünglich mündlich überlieferte Vorlage hat. Von vielen Texten weiß man, dass sie ursprünglich mündlich weitererzählt wurden. Die mündliche Tradition ist ein dynamischer Vorgang: Eine Geschichte (z. B. ein Witz oder ein sog. moderner Mythos) verändert im Laufe des Traditionsprozesses seine äußere Gestalt, oft verändert sich sogar seine Pointe. Dieser dynamische Vorgang kommt mit der Verschriftlichung weitgehend an ein Ende: Ein schriftlich vorliegender Text ist veränderungsresistenter. Durch den schriftlich hergestellten Rahmen ist oft auch eine bestimmte Deutung festgelegt, im Unterschied zum mündlich erzählten Text, der in unterschiedlichen Zusammenhängen erzählt und dabei seinen inhaltlich Schwerpunkt verändern kann. Das traditionskritische Verfahren versucht methodisch gesichert von einem vorliegenden schriftlichen Text auf seine ursprüngliche mündliche Gestalt zu schließen, indem es Hypothesen aufstellt, die schrittweise den vermuteten Prozess von der mündlichen Überlieferung zur Verschriftlichung rückgängig machen. Dabei bedeutet methodisch gesichert, dass man durch die Anwendung der Methodenschritte zu begründeten Vermutungen kommt: Die dynamischen Bedingungen mündlicher Überlieferungen lassen keine starken Hypothesen zu. MethodenschritteJeder Text erfordert ein angepasstes Instrumentarium. Es haben sich aber einige Hauptschritte der traditionskritischen Analyse herausgebildet: 1. Schritt: Freistellen der mündlich tradierten Einheit 2. Schritt: Rekonstruktion möglicher früherer Fassungen 3. Schritt: Pragmatische Analyse und 'Sitz im Leben' LiteraturMethodenlehre in Auswahl
Einzelnachweise
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