Tina Haase begann 1979 ihr Studium an der Kunstakademie Münster, wechselte 1980 an die Kunstakademie Düsseldorf, wo sie 1987 ihr Studium als Meisterschülerin von Fritz Schwegler beendete. Auslandsstipendien führten sie in die USA und nach Italien. Nach Abschluss ihres Bildhauereistudiums entfaltete sie eine rege Ausstellungstätigkeit. Ausstellungen in Deutschland, Italien, Spanien, Belgien, Österreich, Polen, den Niederlanden sowie den USA brachten ihrem Werk internationale Beachtung. Seit 2004 lehrte sie als Professorin für Gestaltungslehre an der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld. Von 2007 bis 2024 war sie Professorin auf dem Lehrstuhl für Bildnerisches Gestalten (seit 2014 Lehrstuhl für Bildende Kunst) an der Technischen Universität München(Fakultät für Architektur).[1]
Die Objekte und Assemblagen Tina Haases entstehen vielfach aus Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs und Massenkonsums oder auch aus deren Überresten. Die elementare Erscheinung des verwendeten Einzelteils bleibt zumeist gewahrt, während zugleich durch die Ansammlung und Verbindung von Gleichartigem sowohl die Sensibilität für die ästhetische Qualität des Einzelnen erhöht wie auch eine neue ästhetische Dimension des Ganzen erschlossen wird. In Korrespondenz zu diesem Wechselspiel zwischen Einzel- und Gesamtheit evozieren die Arbeiten Haases oftmals ein Alternieren, ein Vor- und Zurückspringen des Blicks zwischen der Zweidimensionalität des Bildraums und der Dreidimensionalität des Skulpturalen. Bei der Arbeit »Worpswede 1«[3] werden beispielsweise verschiedenfarbige Papierservietten in einem exakt dimensionierten Acrylglaskasten so übereinander gestapelt, dass die Betrachtenden von den Schauseiten her vornehmlich einen Blick auf die von den Kanten der Servietten gebildeten Flächen erhalten. Was de facto Skulptur ist, hat doch die Anmutung eines aus Farbflächen bestehenden abstrakten Gemäldes. Zudem betont die nicht selten intensiv kontrastierende Farbigkeit der skulpturalen Objekte deren zugleich malerische Qualität.
Ironie ist ein weiteres charakteristisches Stilmittel im Werk Tina Haases. Wenn etwa aus einer Vielzahl von ineinandergesteckten Plastikpapierkörben (»Full House«)[4] eine sich windende visuelle Pipeline entsteht, durch die sich – jedenfalls in der Vorstellung des Betrachters – große Mengen Flüssigkeit transportieren ließen, während doch das Schöpfen mit dem einzelnen, durchbrochenen Behältnis ein überaus mühsames Unterfangen wäre. Oder wenn bei der Außengestaltung einer Gefängnismauer[5] (JVA Neuruppin-Wulkow) mittels illusionistischer Malerei dem geheimen Wunsch nach Ein- und Durchblick in die dahinterliegende Welt scheinbar entsprochen wird, während die Sphäre des Bürgerlichen sich gleichzeitig um die lückenlose Geschlossenheit eben jener Mauer besorgt zeigt.
Auszeichnungen (Auswahl)
1982: Reisestipendium der Kunstakademie Düsseldorf (Poensgen-Stiftung)
1989: Arbeitsstipendium Progetto Civitella d'Agliano, Italien (Katalog)
1989: Arbeitsstipendium Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen
1992: Chargesheimer-Preis der Stadt Köln
1993: Art Cologne Förderkoje
1994: Scholarship at Thomas Art Projects, Birmingham (Alabama), USA
2002: Gewinnerin Kunst-am-Bau-Wettbewerb des Landes Brandenburg, JVA Neuruppin-Wulkow (Außengestaltung)
2015: dans un état mésomorphe – in mesomorphem zustand (mit Anja Ganster sowie Christine Camenisch und Johannes Vetsch), FABRIKculture, Hégenheim (Frankreich, nahe Basel)
2017: SITUATION BUNT, Städtische Galerie im Kornhaus, Kirchheim unter Teck
2007: Variation der Wiederholung, Galerie Ulrich Mueller, Köln
2007: Toutes les couleurs sont autorisées à condition que cela n'empêche pas le commerce, Atelier 340 Muzeum, Brüssel (Katalog)
2008/09: All Colors Permitted as Long They Don't Interfere with Business, Galeria BWA (Contemporary Art Gallery)/Museum Narodowe, Katowice/Stettin (Katalog)
2009: La Nature Morte – N’est pas morte! Beat Zoderer inszeniert Eigenes und anderes, Museum Langmatt, Baden (Schweiz)
2011: Nicht für Sie?Kunstverein Passau und Große Rathausgalerie Landshut (Katalog)
2000: Modell Mambo 1 (Außenskulptur), Kunststoffstühle, 2,30 m (Durchmesser), Colosseum Art Collection (Colosseum Theater), Essen
2003: Ohne Titel (Trompe-l’œil-Wandmalerei, Außenmauer der JVA Neuruppin-Wulkow), 6,50 × 150,00 m, Neuruppin-Wulkow (Brandenburg)
2003/04: Ohne Titel (Wandinstallation, Treppenhaus des Martin-Luther-Universitätsklinikums), verschiedenfarbige, phosphoreszierende Kunststoffstäbe, 15,00 × 4,00 × 1,00 m, Halle a. d. Saale
Nikola Doll, Jochen Heufelder (Hrsg.): Schrebergarten (dt./engl./portug.), Salon-Verlag, Köln, 2004, ISBN 3-89770-221-5.
Reinhard Ermen: Stapelware oder Die Geburt der Skulptur aus dem Geiste der Vervielfältigung. In: Der geringste Widerstand. S. 33–35, Galerie Ulrich Mueller, Köln, 2002.
Reinhard Ermen (Text): Pas de deux – Tina Haase und Sekimoto Kôji.Japanisches Kulturinstitut, Köln, 2002
Tina Haase: Der geringste Widerstand. Galerie Ulrich Mueller, Köln, 2002.
Tina Haase: Wieviel Farbe kannst Du noch ertragen? In: All Colors Permitted as Long They Don't Interfere with Business. Galeria BWA/Atelier 340 Muzeum, Katowice/ Brüssel, 2008, ISBN 978-83-88254-48-2, S. 49.
Jochen Heufelder: Mele Kalikimaka (Auszüge), in: koelnarchitektur.de – das internetportal für die architekturstadt köln. Köln, 19. Dezember 2006
René Hirner (Hrsg.): Tina Haase – Streifenweise (dt./engl.), Kunstmuseum Heidenheim, Heidenheim, 2000, ISBN 3-929935-16-3.
Alexander von Knorre (Text): Ständegegenstände. Kulturamt der Stadt Herne, Herne, 1989.
Jens Peter Koerver: Gebrauchsinformation – Bitte aufmerksam lesen! in: Tina Haase. S. 18, Mannheimer Kunstverein, Mannheim, 1995
Jens Peter Koerver: Was dazwischen kommt. In: Kölner Skizzen. Jg. 24, Heft 2, S. 6–7, Köln, 2001.
Jens Peter Koerver: Durch Einander oder »Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher.« In: Der geringste Widerstand. S. 5–8, Galerie Ulrich Mueller, Köln, 2002.
Gerhard Kolberg (Text): Verwechslung – Vorgebirgsparkskulptur 2001. IG Kunst im Park, Köln, 2001.
Julie Metzdorf: Out of Office – Bürokunst im MKK Ingolstadt. In: kulturWelt, Sendung vom 3. April 2017, 08.30 Uhr auf Bayern 2, Bayerischer Rundfunk (BR), München.
Alfons Oebbeke: Häuser sollten Individualisten sein (Interview mit Tina Haase). In: Baulinks.de – Architektur Magazin, Neustadt a. d. Weinstraße, 23. April 2017.
Marietta Schwarz: Der Büroangestellte wird zum Bürobewohner (Interview mit Dr. Theres Rohde – Kuratorin der Ausstellung Out of Office im Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt). In: Corso, Sendung vom 3. April 2017, 15.05 Uhr im Deutschlandfunk (Dlf), Köln.