Thorngates Postulat der angemessenen KomplexitätThorngates Postulat der angemessenen Komplexität[1] (engl. Thorngate's postulate of commensurate complexity) ist eine Beschreibung eines sozialwissenschaftlichen Phänomens, welches Forschungsrichtungen und -ergebnisse betrifft. Zusammenfassend vertritt Karl E. Weick in diesem Konzept die Meinung, dass während der Arbeit an sozialwissenschaftlichen Forschungen nur zwei der drei metatheoretischen Tugenden „allgemein“, „genau“, „einfach“ erreicht werden können und die dritte notwendigerweise vernachlässigt werden muss.[2] Der Name des Konzepts leitet sich von dem kanadischen Sozialpsychologen Warren Thorngate (University of Alberta) her, dessen Werk Weick zitiert.[2][3] HintergrundHintergrund des Theorems ist die Debatte zweier Soziologen – Kenneth J. Gergen[4] und Barry R. Schlenker[5] – um die Aussagekraft soziologischer Theorien. Während Schlenker wohl die Meinung vertritt, dass der Kontext von soziologischem Verhalten nur oberflächlich mit den Beobachtungen verbunden sei, schien Gergen die Meinung zu vertreten, dass der Kontext alle Ebenen der Beobachtung durchdringen würde und damit der Kontext zur wesentlichen Größe in der Beobachtung würde. Diese Aussage könnte vereinfachend so dargestellt werden, dass soziologische Beobachtungen keine generalisierte Erkenntnis enthielten, sondern nur noch „historischen“ Wert hätten: Soziologie wäre eine Form der Geschichtsforschung.[3] In der Betrachtung dieser Positionen schreibt Thorngate:
– Warren Thorngate[3] Diese Aussage wird untermauert durch eine Aussage Gergens:
– Kenneth J. Gergen[6] Interpretation des Theorems durch WeickWeick beschreibt das Modell anhand einer Uhr, bei der auf 12 Uhr das Wort allgemein (engl. General), auf 4 Uhr das Wort „genau“ (engl. Accurate) und auf 8 Uhr das Wort „einfach“ (engl. Simple) steht. Nach seiner Darstellung kann Forschung sich in einem Kontinuum auf dem Zifferblatt zwischen den drei Ausprägungen definieren lassen:
Implizit zeigt Weick damit folgendes auf:
Als Beispiele für 2-Uhr-Forschung nennt Weick die psychoanalytische Theorie (Otto Fenichel[7]), Levinsons Organisationsdiagnose[8] und Gregory Batesons[9] Theorie zur Ökologie des Geistes. Sechs-Uhr-Forschung (einfach und genau aber nicht allgemein) erkennt er beispielsweise in der Verhandlungstheorie von Komorita und Chertkoff[10] aber auch in einem großen Teil der Feld- und Laborforschung. Als Beispiele für 10-Uhr-Forschung (einfach und allgemein aber ungenau) nennt Weick das Peter-Prinzip,[11] das Konzept der losen Kopplung[12] und die organisierte Anarchie. Für Weick bedeutet das, dass Forschungsansätze, die sich nach dieser Darstellung zwangsläufig auf eine oder zwei Dimensionen konzentrieren müssen, durch andere Ansätze ergänzt werden sollten. Nur so können vollständige Bilder von Forschungsgegenständen entstehen. Somit ist das Postulat deskriptiv für die Forschung und präskriptiv für die Forschungsmethodik. KritikAuch wenn das Konzept im Allgemeinen anerkannt wird, kritisieren Fred Dickinson, Carol Blair und Brian L. Ott Weick's Verwendung des Wortes "Accurate" (Genau).[2] Insbesondere in Untersuchungen zu Gedächtnis und ähnlich schwierig qualifizierbaren Themen ist Genauigkeit (im Sinne von Präzision) nur schwierig zu erreichen. Sie schlagen eine Substituierung durch den Terminus "interpretive utility" (interpretativer Nutzen) vor.[2] Siehe auchEinzelnachweise
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