Der lutherische Theologe Georg Weissel wurde 1623 zum Pfarrer an der Altroßgärter Kirche in Königsberg berufen, die im selben Jahr, zunächst als bescheidene Kapelle, für die Bewohner der Neusiedlung Roßgarten erbaut worden war. Zur Einweihung der Kirche am zweiten Adventssonntag 1623 schrieb Weissel das Lied Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Am darauffolgenden Sonntag wurde er selbst als Pfarrer der Kirche eingeführt; zu diesem Anlass entstand Such, wer da will, ein ander Ziel.
Bereits seit seiner Studentenzeit in Königsberg kannte und schätzte Weissel den zehn Jahre älteren Domkantor und Komponisten Johann Stobäus. Dieser schrieb zu Macht hoch die Tür die Melodie.[1] Für Such, wer da will griff Weissel auf eine Melodie zurück, die Stobäus bereits 1613 für einen Hochzeitsgottesdienst komponiert hatte (Wie’s Gott bestellt, mir wohlgefällt).
Der früheste erhaltene Druck des Textes mit der Melodie – als fünfstimmige Liedmotette – steht in der Sammlung Preußische Festlieder, die Stobäus 1642, sieben Jahre nach Weissels Tod, mit eigenen und Werken seines Lehrers Johannes Eccard herausgab. Danach fand das Lied bald in alle deutschsprachigen lutherischen Gesangbücher Eingang. Es ist aber auch mit anderen Melodien in Gebrauch.
Die Strophenform, die Weissel von dem Hochzeitslied eines unbekannten Verfassers übernahm, ist originell und anspruchsvoll. Sie besteht aus elf Zeilen, von denen drei dreihebig, acht sogar nur zweihebig sind. Die rasche Folge der männlichen Reime und die dreifache Identität der weiblichen erforderte vom Dichter eine hohe Sprachkunst. Im Gegensatz zum Verfasser der Hochzeitsvorlage zeigt sich Weissel dieser Herausforderung vollkommen gewachsen. Sein Text wurde zu keiner Zeit nennenswerten „Verbesserungen“ oder „Modernisierungen“ unterzogen.[2]
Inhalt
Das Evangelium am dritten Adventssonntag war Mt 11,2–10 LUT. Die Frage, die Johannes der Täufer aus dem Gefängnis an Jesus richten lässt – „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ – und das messianische Selbstzeugnis, mit dem Jesus antwortet, werden zum Ausgangspunkt des Liedes. Kein anderer, sondern Jesus Christus allein gibt Heil und Seligkeit, Nahrung und Freude für die Seele, Hilfe und Trost im Leiden. Dabei folgt auf das Ich-Bekenntnis der ersten Strophe das Wir-Bekenntnis der zweiten, die missionarische Einladung der dritten und schließlich das persönliche Gebet der vierten und fünften Strophe.
Der Bezug auf das Evangelium verbindet sich untrennbar mit Weissels Glaubenszeugnis beim Amtsantritt in Roßgarten. Was er predigt – das paulinisch-lutherischeSolus Christus – ist zugleich die Existenzgrundlage des Predigers selbst. Die Ablehnung anderer „Nothelfer“ ist dabei auch als polemische Zurückweisung katholischer Heiligenverehrung, darüber hinaus aller Formen von Aberglauben zu lesen.
Text
1. Such, wer da will,
ein ander Ziel,
die Seligkeit zu finden;
mein Herz allein
bedacht soll sein,
auf Christus sich zu gründen.
Sein Wort sind wahr,
sein Werk sind klar,
sein heilger Mund
hat Kraft und Grund,
all Feind zu überwinden.
2. Such, wer da will,
Nothelfer viel,
die uns doch nichts erworben;
hier ist der Mann,
der helfen kann,
bei dem nie was verdorben.
Uns wird das Heil
durch ihn zuteil,
uns macht gerecht
der treue Knecht,
der für uns ist gestorben.
3. Ach sucht doch den,
lasst alles stehn,
die ihr das Heil begehret;
er ist der Herr,
und keiner mehr,
der euch das Heil gewähret.
Sucht ihn all Stund
von Herzensgrund,
sucht ihn allein;
denn wohl wird sein
dem, der ihn herzlich ehret.
4. Meins Herzens Kron,
mein Freudensonn
sollst du, Herr Jesu, bleiben;
lass mich doch nicht
von deinem Licht
durch Eitelkeit vertreiben;
bleib du mein Preis,
dein Wort mich speis,
bleib du mein Ehr,
dein Wort mich lehr,
an dich stets fest zu glauben.[3]
5. Wend von mir nicht
dein Angesicht,
lass mich im Kreuz nicht zagen;
weich nicht von mir,
mein höchste Zier,
hilf mir mein Leiden tragen.
Hilf mir zur Freud
nach diesem Leid;
hilf, dass ich mag
nach dieser Klag
dort ewig dir Lob sagen.[4]
Melodie
Johann Stobäus’ Melodieⓘ/? hat mit ihrem ungewöhnlichen Quint- und Oktavsprung zu Beginn und ihren zahlreichen Synkopen einen freudigen, tänzerischen Charakter und gibt der „trotzig-frohen“ Heilsgewissheit des Textes treffenden Ausdruck. Abweichend von der jambischen Strophenform beginnen die Zeilen 1 und 4 auf betonter Zählzeit, sodass sich ein Daktylus ergibt. In Weissels Text treffen auf diesen Zeilenbeginn stets einsilbige, sinntragende Wörter, oft Imperative.[2]
Otto Riethmüller nahm das Lied in seine für die weitere Gesangbuchentwicklung wichtige Sammlung Ein neues Lied (1932) mit Stobäus’ Melodie auf (Nr. 173).
Literatur
Helmut Lauterwasser: 346 – Such, wer da will, ein ander Ziel. In: Wolfgang Herbst, Ilsabe Seibt (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band17. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-525-50340-9, S.56–62.
Jürgen Henkys: IV. „Such, wer da will, ein ander Ziel“ von Georg Weissel und Johann Stobäus. In: Ders.: Dichtung, Bibel und Gesangbuch: Hymnologische Beiträge in dritter Folge. Göttingen 2013, S. 29–33 (Teildigitalisat).
↑Sie wurde später von der heute gebräuchlichen Melodie verdrängt.
↑ abcHelmut Lauterwasser: 346 – Such, wer da will, ein ander Ziel. In: Wolfgang Herbst, Ilsabe Seibt (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band17. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-525-50340-9, S.56–62.
↑Im Original bildet die ältere Form „gläuben“ den Reim.