In der Andenarchäologie ist das Stabgott-Motif ein religiöses Symbol und eine standardisierte Pose, die in ihrer Art an die standardisierten Posen in der byzantinischen Kunst erinnert.[1] Die Pose zeigt eine nach vorne gerichtete menschliche oder menschenähnliche Figur mit vertikalen Attributen, eines in jeder Hand.[2] Eine einheitliche Darstellung eines „Stabgottes“ gibt es nicht. Es gibt Dutzende Variationen von „Stabgöttern“. Einige Forscher glauben, dass es sich bei einigen dieser Figuren möglicherweise um Darstellungen von Viracocha oder Thunupa (dem Wettergott der Aymara) handelt. Allerdings gibt es kaum Anhaltspunkte dafür, dass diese nach vorne gerichteten Figuren tatsächlich Gottheiten darstellen. Einige Forscher verweisen auf ihre Eigenschaften und ihre räumliche Ausrichtung, die darauf hindeuten, dass es sich bei ihnen um Ritualpraktiker handelt. Einige Attribute in ihren Händen wurden als Qirus (Anden-Ritualbecher), Schnupftabletts (in zeremoniellen Kontexten verwendet) und Speerschleudern identifiziert.[3][4][5] Die „Strahlen“, die aus den Gesichtern der nach vorne gerichteten Tiwanaku-Figuren ausströmen oder heraussprießen, scheinen ungefähr den Wert einer Aureole zu haben. Sie können Flüsse und Verteilung von Energie darstellen. Bei der Wari-Stätte von Conchopata wurde ein Gefäß gefunden, das einen Stabgott zeigt, bei dem die „Strahlen“ als ein aus seinem Kopf sprießender Anadenanthera colubrina-Baum interpretiert werden können, während die kreisförmigen Elemente seine Samenkapseln darstellen.[6] Das Stabgott-Motiv ist gelegentlich auf Tiwanaku- und Wari-Qirus zu finden. Der „Stabgott“ ist ein Hauptmotiv der Ikonografie des südlichen Andenraums.[7]
Im Juli 2002 fanden Archäologen etwa 190 Kilometer nördlich von Lima in einer geplünderten Grabstätte ein etwa 4.000 Jahre altes Kürbisfragment, welches ein Stabgott-Motiv trägt. Dieses wurde mittels Radiokarbondatierung auf 2250 v. Chr. datiert. Es scheint die älteste identifizierbare religiöse Ikone zu sein, die in Amerika gefunden wurde und weist zudem darauf hin, dass die organisierte Religion in den Anden mehr als 1.000 Jahre früher begann als zuvor angenommen.[8][9]
Bekannte präkolumbische Artefakte mit Stabgott-Ikonografie
William H. Isbell, Patricia J. Knobloch: Missing Links, Imaginary Links: Staff God Imagery in the South Andean Past. In: William H. Isbell, Helaine Silverman (Hrsg.): Andean Archaeology III: North and South, Springer Science & Business Media, 2008.
Krzysztof Makowski Hanula: Royal statues, staff gods and the religious ideology of the prehistoric state of Tiwanaku. Tiwanaku: Papers from the 2005 Mayer Center Symposium in the Denver Art Museum, Denver Art Museum, Denver. 2009.
Mathieu Viau-Courville: Spatial configuration in Tiwanaku art. A review of stone carved imagery and staff gods. In: Boletín del Museo Chileno de Arte Precolombino. Band19, Nr.2, 2014, ISSN0716-1530 (englisch, scielo.conicyt.cl [PDF; 2,2MB; abgerufen am 5. Juli 2021]).
↑Max Uhle: Wesen und Ordnung der altperuanischen Kulturen. Colloquium Verlag, 1959, S. 62: „Der Stab in der rechten Hand der Figur bezeichnet durch den am oberen Ende sitzenden Haken, der — wie so oft bei wirklichen Speerschleudern — die Gestalt eines Vogels hat, deutlich die Speerschleuder.“
↑Alfons Stübel, Max Uhle: Die Ruinenstätte von Tiahuanaco im Hochlande des alten Perú: Eine kulturgeschichtliche Studie auf Grund selbständiger Aufnahmen. Hiersemann, Leipzig 1892, Second Part, S. 23 (digi.ub.uni-heidelberg.de).
↑Mathieu Viau-Courville: Spatial configuration in Tiwanaku art. A review of stone carved imagery and staff gods. In: Boletín del Museo Chileno de Arte Precolombino. Band19, Nr.2, 2014, ISSN0716-1530, S.22 (spanisch, scielo.conicyt.cl [PDF; 2,2MB; abgerufen am 5. Juli 2021]).
↑Matthew E. Biwer et al: Hallucinogens, alcohol and shifting leadership strategies in the ancient Peruvian Andes. Antiquity 96.385 (2022): 142–158, S. 4