Spickel-GaststätteDie Spickel-Gaststätte, auch „Insel“ genannt, war vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert ein weithin bekannter und beliebter Ausflugsort der Augsburger. Die Waldwirtschaft stellte eine der Attraktionen des Augsburger Siebentischwaldes dar und gab dem 1919 nahe bei ihr gegründeten Augsburger Augsburger Stadtbezirk Spickel den Namen. Sie erhielt die Adresse Spickelstraße 17,[1] verfiel in der Mitte des 20. Jahrhunderts, wurde 1966 abgerissen und nicht wieder aufgebaut. GeschichteGründung 1793Die Geschichte der Spickel-Gaststätte setzt im Jahr 1793 ein, als eine Vereinigung von Augsburger Adligen und wohlhabenden Bürgern, die sogenannten „Abonnenten auf der Insel“, begannen, sich in der Stadt-Au, dem späteren Siebentischwald, einen „Lustort“ zu schaffen.[2] Die Initiatoren waren Philipp Christoph von Stetten, Oberlieutenant im k.b. 2ten Kürassierregiment (1756–1825), und sein Bruder Thomas von Stetten, k.b. Forstinspektor und vormaliger Oberst des Landwehrregimentes Augsburg (1759–1822).[3]
– Johann Christian Wirth: Augsburg wie es ist! Beschreibung aller Merkwürdigkeiten dieser altberühmten Stadt. Ein Hand- und Addreßbuch für Alle, Augsburg 1846, S. 240 Die anfängliche Exklusivität des Erholungsortes weckte aber auch Ressentiments bei weniger privilegierten Bürgern:
– Theophil Friedrich Ehrmann: „Briefe aus Augsburg“ in: Neueste Staats-Anzeigen: Gesammelt und herausgegeben von Freunden der Publizität und der Staatskunde, Germanien 1798, S. 358
Erzherzog-Karl-DenkmalIm Sommer 1801 wurde im Reichstag ein vielbeachteter Antrag eingebracht, dem Erzherzog Karl ein Monument zu errichten, was der so Geehrte aber zurückwies, da er die durch die Revolutionskriege verarmte Bevölkerung nicht mit den Kosten belastet sehen wollte.[6] Auf Initiative Thomas von Stettens[7] wurde jedoch auf dem Spickel ein bescheidener Ersatz für das große Vorhaben geschaffen und am 19. Juni 1802 eingeweiht:[8]
– Schwäbischer Merkur, 10. Juni 1802, S. 256 Doch die Zeiten waren wechselhaft: „Die Büste wurde später, als die Franzosen wieder die Oberhand erhielten, am Ablasse als Heiligthum aufbewahrt und erst im Jahre 1814 wieder aufgestellt.“[11] 35 Jahre später wird zum ersten, aber nicht zum letzten Mal beklagt, dass das Denkmal in „jämmerlichstem Zustande“ sei: „Muss nicht der Fremde, der dieses Monument sieht, in Staunen gesetzt werden, die Büste des gefeierten Helden ohne Nase zu schauen, bringt so ein Anblick den Nachkommen der edlen Stifter dieses Denkmals eine Ehre?“[12] Bei der letzten Renovierung 2003 wurde der seit Langem fehlende Adler nicht ersetzt, an Stelle der Originalbüste[13] befindet sich eine Kopie.[14] Auch Karls Name ist auf dem Denkmal nicht mehr enthalten, lediglich die Inschriften „Dem Sieger über die französischen Revolutionsarmeen 1796-1799“ und „errichtet 1802, erneuert 1897, restauriert 1936 und 2003“ sind noch vorhanden. Ausbau zum ErholungsortZu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Spickel ein populärer Ausflugsort geworden:
– Klio und Euterpe: ein Taschenbuch auf das Jahr 1804, Augsburg 1804, S. 154–155 Tanzveranstaltungen wurden regelmäßig in den Zeitungen annonciert und ein Stadtführer aus dem Jahr 1830 berichtet: „Eine Anzahl Kähne gestatten das Vergnügen einer Wasserfahrt, auf welchen nicht selten fröhliche Gesellschaften, getragen vom Rücken des ruhigen Stromes zur Stadt zurückkehren.“ Dieselbe Quelle verrät: „Der gegenwärtige Besitzer wohnt, was bei den frühern Wirthen nicht der Fall war, in dem auf diesem Platze befindlichen Gebäude, daher kann der Spickel auch im Winter zu einem angenehmen Punkte für Schlittagen [Schlittenfahrten] benützt [...] werden.“[15] Bahnanbindung ab 1839Mit dem Bau der Eisenbahnlinie von Augsburg nach München (1838–40) erhielt die „Insel“ ihre eigene Haltestelle und war schon vor der offiziellen Eröffnung des Dampfbetriebs mit der Pferdebahn erreichbar: „Es ist noch zu erwähnen, daß man jetzt auf der Eisenbahn in die Insel fährt, nämlich auf der kurzen Strecke, die die Augsburger, den Münchnern entgegenzukommen, herausgearbeitet haben, und die vom rothen Thore bis zum Lech geht. Der Dienst wird durch Pferde versehen, denn sie besitzt noch keine Lokomotive.“[16] Allein in der Zeit vom 4. Mai bis zum 28. Juni 1839 fuhren 16.996 Personen auf der Strecke vom ersten Augsburger Bahnhof an der Schüleschen Kattunfabrik zum Haltepunkt Spickel.[17] Der Preis für eine Fahrt im offenen Wagen betrug 6 Kreuzer, für ein Billet 1. Klasse 12 Kreuzer.[18] Gäste, Bier und WirteZu den Gästen der Waldwirtschaft gehörte neben dem bayerischen Sprachforscher Johann Andreas Schmeller (1785–1852)[19] unter anderem Rudolf Diesels Großvater Johann Christoph (1802–1867): „Das Bier mußte ihm täglich vom 'Spickel', wo es damals am besten gewesen sein soll, geholt werden.“[20] In den Jahren 1885 bis 1895 wurden über dreieinhalb Millionen Liter Bier der Actienbrauerei zum Prinz Karl von Bayern dort ausgeschenkt.[21] Namentlich bekannte Wirte waren: Felix Baur (Caffetier und Traiteur, um 1818), Augustin Deuringer (um 1822), Georg Ebert 1839–1864, Schneider, Bierschenk (um 1844), Johann Hager (1867–72) und Matthias Forster (Gastwirt u. Fuhrwerksbesitzer, um 1912).[22] Neubau 1896–98Wegen des immer noch wachsenden Andrangs der Ausflügler wurde die „Spickelwirtschaft“ 1896–98 nach Plänen des Stadtbaumeisters Josef Schempp (1865–1931) im Stil eines neubarocken Jagdschlosses neu erbaut.[23] Am Eingang war eine Tafel aus der Biedermeierzeit mit folgendem Vers angebracht:
Im Jahr 1902 betrug der sogenannte „Pachtschilling“ für die Gaststätte 3000 Mark.[21] Eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1907 belegt, dass es seit 1895 auf der Insel einen „Rauchclub Spickel“ gab, dessen Vorstand Oberförster Scheidter war. Das Motto des Clubs: „Brüder raucht - trinkt - singt / Schwestern - raucht - singt - minnt.“ Darunter der Gruß: „Gut Qualm“.
Gartenstadt Augsburg-SpickelNach dem Ersten Weltkrieg entwarfen Gottfried E. Bösch (1874–1929) und Joseph Weidenbacher (1886–1973) ein Wohnviertel beiderseits der Bahnstrecke München–Augsburg, um der herrschenden Wohnungsnot zu begegnen. Das gutbürgerliche Viertel mit kleinen Ein- und Mehrfamilienhäusern hat das Thelottviertel zum Vorbild und wurde die „Gartenstadt Augsburg-Spickel“ genannt. Die Spickel-Gaststätte befand sich mehrere hundert Meter außerhalb des Wohnviertels auf der Spickel-Insel im Wald. 1925/26 wurde im Inneren des neugeschaffenen Viertels, in der Hornungstraße 44, nach Plänen des Architekten Michael Kurz (1876–1957) ein weiteres Gasthaus mit Biergarten erbaut. Dieses Gasthaus existiert noch heute und trägt, nachdem es lange den Namen „Zebra“ hatte, Stand 2022 den Namen „Gasthaus zum Spickel“. Verfall und Abriss der WaldgaststätteIn den 1950er Jahren hatte die Spickel-Gaststätte dringenden Sanierungsbedarf, aber die Stadt Augsburg unterließ als Eigentümerin die notwendigen Investitionen. Als schließlich der Zustand der Gebäude so schlecht geworden war, dass erste Gerüchte über einen geplanten Abriss an die Öffentlichkeit sickerten, gab es heftige Bürgerproteste. Diese hatten jedoch keinen Erfolg. Der Stadtrat beschloss 1966 den kompletten Abriss der traditionsreichen Spickel-Gaststätte und führte diesen im Dezember 1966 aus.[25] Die letzte Pächterin war die Gastwirtswitwe Viktoria Schreier. Heute erinnern nur noch Fundamentreste und das Denkmal für Erzherzog Karl an die Blütezeit der beliebten „Insel“. Einige Jahre nach dem Abriss entstand unmittelbar östlich des historischen Spickel-Geländes die Kanustrecke des Augsburger Eiskanals. WeblinksCommons: Spickel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
Koordinaten: 48° 21′ 5,3″ N, 10° 56′ 4″ O |