Sonnenheiligtümer der OberlausitzDie Sonnenheiligtümer der Oberlausitz sind markante, meist legendenumwobene Felsen und Steinformationen im Oberlausitzer Bergland und angrenzenden Regionen, von denen angenommen wird, dass sie in vorgeschichtlicher Zeit für kalendarische Sonnenbeobachtungen genutzt wurden. Meist besitzen sie auffällige Sichtöffnungen, durch welche die Sonne zu den kalendarischen Terminen der Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen hindurchstrahlt. Das Sonnenbeobachtungsphänomen wurde 2007 erstmals von Ralf Herold und Hilmar Hensel gemessen. Im Jahr 2008 gründete die Sternwarte „Bruno-H.-Bürgel“ Sohland/Spree für die Erforschung des Phänomens eine Fachgruppe Archäoastronomie. Das Forschungsprojekt erhielt die Bezeichnung „Projekt Götterhand“, in Anlehnung an eine handförmige Auswitterung an dem ersten vermessenen Felsobjekt, der Teufelskanzel in Sora bei Wilthen.[1] Forschungstradition in der OberlausitzAus dem Jahr 1614 stammt ein Bericht des Pastors Martin Niger. Er lebte damals im zur Oberlausitz gehörenden Weigsdorf, das heute zu Tschechien gehört und Višňová heißt. Bei seinen Morgenspaziergängen begegnete ihm mitunter eine alte Frau, die aus Richtung des unweit der Kirche gelegenen Heidensteinfelsens (heute Pohanské kameny) kam. Eines Tages fand er sie bei dem Felsen auf den Knien liegend und betend. Als er sie zur Rede stellte, erzählte sie ihm, dass hier schon ihre Großmutter und andere Bewohner des Umlandes bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang gebetet hätten, weil hier einst ein „Gottestempel“ gewesen wäre.[2] 1690 diktierte Magister Martin Grünewald am Bautzener Gymnasiums seinen Schülern eine Beschreibung der Oberlausitz, in der er von Altären auf den umliegenden Bergen sprach und damit allgemeines Interesse an mythologischen Altertümern in der Oberlausitz weckte.[3] In Königshain bei Görlitz berichtete 1708 der Pfarrerssohn Samuel Friedrich Bucher von Urnen, die er selbst auf dem dortigen Totensteinfelsen ausgegraben hatte. Bucher bezeichnete den Fundort als „Höhlung“, die in den Felsen „eingearbeitet“ war, damit die „Anbeter gegen Sonnenaufgang nach altem Brauch … auf die Knie fallen und so gegen Osten … die Sonne anbeten konnten“.[4] Abraham Frencel, ein sorbischer Pfarrer, übersetzte 1712 die Flurbezeichnung „Prašchwiza“, als „Frage- oder Orakelort“ und richtete damit die Aufmerksamkeit der Forschung auf einen Berg, der später Czorneboh (Schwarzer Gott) genannt wurde und in dem man neben dem Teufel auch einen Sonnengott der dunklen Tages- bzw. Jahreszeit vermutete.[5] Pfarrer Ehregott Friedrich Pannach aus Malschwitz nannte 1797 den nahe der Kirche des Dorfes Kleinbautzen gelegenen Teufelssteinfelsen einen „Altar der Abgötterei“ und stellte „absichtliche“ Veränderungen an der natürlichen Lage der Felsblöcke fest.[6] Archäologische Grabungen der Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte der Oberlausitzer brachten 1903 zahlreiche Funde und die Bestätigung menschlicher Einflussnahme auf den Felsen.[7] Karl Benjamin Preusker bezeichnete in seinen Werken „Oberlausitzische Altertümer“ von 1828 und „Blicke in die Vaterländische Vorzeit“ von 1841 eine ganze Reihe von Felsen der Oberlausitz als „heidnische Opferaltäre“ und „Göttertempel“ für einen „Sonnenkult“, bei dem an bestimmten Tagen die Sonne bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang angebetet wurde. Er vermutete eine ähnliche Bedeutung wie Stonehenge in England.[8] Der Arzt Johann Gottfried Bönisch verband die „Felsaltäre“ der Oberlausitz 1830 neben der Sonne auch mit dem Mond.[9] Alfred Moschkau schlug 1885, wie schon zuvor Preusker, einen gedanklichen Bogen von den „Felsaltären“ des Oberlausitzer Mittelgebirges über die Megalithen Norddeutschlands und Skandinaviens bis nach Stonehenge in England.[10] 1937 vermutete der Astronom und Leiter der Leipziger Universitätssternwarte Josef Hopmann in näpfchenartigen Vertiefungen auf dem Totenstein und auf zahlreichen anderen sogenannten Schalensteinen in der Oberlausitz Sternbilddarstellungen.[11] Lutz Pannier von der Scultetus-Sternwarte Görlitz analysierte die 1937 auf dem Totenstein durchgeführten Vermessungen der Näpfchen sowie Prof. Hopmanns Interpretationsskizzen. Er konnte keine Sternbilder erkennen. Ein von Prof. J. Hopmann angekündigter Fachartikel dazu erschien nie. Nach 1945 hatte sich Prof. Hopmann zu dieser Problematik nicht wieder öffentlich geäußert.[12] Seit 2007 knüpfen Heimatforscher und die Fachgruppe Archäoastronomie der Sternwarte „Bruno-H.-Bürgel“ in Sohland/Spree an diese alten Forschungstraditionen mit einem neuen Forschungsansatz an. Forschungsgegenstand sind reguliert anmutende Felsöffnungen, die kalendarische Sonnenbeobachtungen gestatten. Die Felsobjekte, welche dieses Phänomen aufweisen, werden als „Sonnenheiligtümer der Oberlausitz“ angesprochen.[13]
ObjekteEinige Objekte in der Oberlausitz und angrenzender Regionen:
KontroverseIm Juli 2012 nahm der Archäologe und Leiter des Kulturhistorischen Museums in Görlitz, Jasper von Richthofen in der Sächsischen Zeitung unter der Überschrift „Kein Sonnenzauber in der Oberlausitz“ eine ablehnende Haltung ein. Er begründete das mit der Natürlichkeit der Objekte und fehlender archäologischer Belege einer entsprechenden megalithischen Kultur in der Oberlausitz.[14] Im Januar 2015 fand im Planetarium Görlitz eine Podiumsdiskussion über die Sonnenheiligtümer der Oberlausitz unter der Überschrift „Archäoastronomie in der Oberlausitz“ statt. Jasper von Richthofen verteidigte dabei seine Ansicht, dass es sich um „Naturspiele“ handelt. Der Geologe Olaf Tietz vom Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz bestätigte gezieltes menschliches Einwirken mindestens auf das von ihm untersuchte Sichtfenster des Kuckucksteins. Er sah eine astronomische Absicht zwar nicht zwingend, wollte sie aber auch nicht ausschließen. Lutz Pannier von der Scultetus-Sternwarte Görlitz wies darauf hin, dass dem Kuckuckstein die zwingende kalenderastronomische Signifikanz fehlt, die Öffnung im Stein und seine Ausrichtung lassen eine Vielfalt an Visuren und Lichteffekte über sehr große Zeitfenster zu. Ralf Herold von der Sternwarte Sohland versicherte, dass die Forschungen unbedingt weitergeführt würden, denn die Sonnenphänomene hätten sich als sehr sehenswert erwiesen, würden kalenderastronomische Vorgänge eindrucksvoll verdeutlichen und hätten mindestens „den Charme von Stonehenge“.[15] Internationale Vernetzung prähistorischer Sonnenheiligtümer2012 initiierte die Fachgruppe Archäoastronomie der Sternwarte Sohland die „1. Internationale Vernetzung prähistorischer Sonnenheiligtümer“. Dabei wurde der Sonnenuntergang der Sommersonnenwende verschiedener mutmaßlicher Kalendermonumente in Europa für die jeweiligen Besucher vor Ort live per mobiler Internettechnik ausgetauscht und konnte nahezu zeitgleich mitverfolgt werden. Standort der Vernetzung in der Oberlausitz war das Objekt „Thors Amboss – die steinerne Himmelsscheibe von Neusalza-Spremberg“.[16] Internationaler Tag der ArchäoastronomieAnlässlich des 50-jährigen Bestehens der Sternwarte Sohland rief die Fachgruppe Archäoastronomie 2013 den „Internationalen Tag der Archäoastronomie“ ins Leben. Bis 2015 nahmen Forscher aus 10 Ländern mit 30 archäoastronomischen Objekten teil.[17] TourismusDie Touristische Gebietsgemeinschaft Oberlausitzer Bergland griff die archäoastronomischen Forschungen der Sternwarte Sohland als touristisches Thema auf. Der Kälberstein zwischen Schirgiswalde, Crostau, Oppach und Sohland wurde 2014 als erstes Objekt mit Wanderinformationen und Hinweistafeln ausgestattet. 2015 veröffentlichte die Sternwarte Sohland eine Broschüre mit Informationen und Wanderhinweisen zu 38 Objekten in der Oberlausitz und Tschechien.[18] 2018 wurde der Kuckuckstein an der Sternwarte Sohland aus Oberlausitzer Granit in einer Größe von ca. 2 m nachgestaltet. Er ist Bestandteil des Tourismusprojektes „Sonnenpfade“. Ein Gemeinschaftsvorhaben der Gemeinde Sohland und des Vereins der Volks- und Schulsternwarte „Bruno-H.-Bürgel“ Sohland/Spree e.V. im Rahmen des archäoastronomischen Forschungsprojektes Götterhand. Gefördert durch die Leader Region „Bautzener Oberland“ aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes. Die Nachbildung des Kuckucksteins an der Sternwarte in Sohland bildet den Startpunkt einer Wanderroute zu verschiedenen kalenderastronomischen Steinformationen in der Oberlausitz und Tschechiens.[19] Objekte außerhalb der OberlausitzAuch in anderen Regionen gibt es Felsen und Steinformationen, die im Verdacht stehen für kalendarische Sonnenbeobachtungen genutzt worden zu sein:
Einzelnachweise
Literatur
Weblinks
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