Scrambling (Linguistik)Scrambling ist ein Begriff in der Sprachwissenschaft für das Phänomen der so genannten „freien Wortstellung“, wie sie im Mittelfeld des deutschen Satzes auftritt. Diese Art der Wortstellungsfreiheit ist typisch für Sprachen mit SOV-Wortstellung; sie findet sich daher z. B. im Japanischen, Persischen oder Koreanischen. Das Deutsche gehört in dieselbe Reihe, da die Verbindung aus Mittelfeld und rechter Satzklammer im Deutschen eine „OV-Abfolge“ ergibt. Hingegen ist die VO-Stellung z. B. im Englischen strukturell stärker beschränkt. Entwicklung des BegriffsDer Begriff Scrambling (von engl. to scramble, „durcheinandermischen“) wurde von dem amerikanischen Linguisten John R. Ross 1967 in seiner Dissertation Constraints on variables in syntax eingeführt. Ross beschrieb damit ursprünglich Wortstellungsvariation als eine stilistische Regel, die außerhalb der Syntax angesiedelt war. Seit Kenneth L. Hale (1980, 1983) gilt Scrambling als vorrangig syntaktische Operation. BeispielIm deutschen Nebensatz sind neben der regulären Abfolge (a) auch andere möglich:
Alle Abfolgevarianten der drei Konstituenten der Professor, dem Studenten und das Buch sind im Deutschen grammatisch. Andere Sprachen haben hier mehr Einschränkungen für die Wortstellung als das Deutsche. Scrambling kann satzintern vorkommen (Bsp. Er hat dem Bruder das Buch gezeigt. vs. Er hat das Buch dem Bruder gezeigt.) oder Konstituenten können sich über die Satzgrenze hinaus bewegen (sog. long distance scrambling), wie im Japanischen:
TheorieDas Wesen von Scrambling ist in der Grammatiktheorie Gegenstand einer lebhaften Debatte. Während manche Autoren behaupten, dass Scrambling basisgeneriert sei und dass es freie und gleichwertige Varianten eines Satzes gebe (Hale und Farmer 1980 fürs Japanische; Mohanan 1990 für Hindi und Urdu, Fanselow für das Deutsche), vertreten andere die Meinung, dass Scrambling das Produkt einer syntaktischen Bewegung sei. Letztere Annahme setzt eine „natürliche“ Grundabfolge der Satzkonstituenten voraus, von der die gescrambelte Variante abgeleitet ist (Saito und Hoji 1983, Hoji 1985 für das Japanische; Neeleman 1994 für das Niederländische). Scrambling als BasisgenerierungDer Basisgenerierungsansatz von Hale (1980, 1983) gliedert die Sprachen in zwei Typen ein:
Scrambling als BewegungKerstens (1975), van Riemsdijk (1978) und de Haan (1979) begannen als erste, Scrambling als eine syntaktische Bewegung, also als eine Transformation zu analysieren. Sie postulierten, dass die Adverbien an und für sich eine feste Position haben und Scrambling daher eine optionale Bewegung zu Positionen links von Adverbien ist. Behandelt man Scrambling als Derivation einer zugrunde liegenden Basiswortstellung, ergeben sich daraus einige Fragen:
In der Government-and-Binding-TheorieIn der Government-and-Binding-Theorie (GB) unterscheidet man zwischen A- und A'-Bewegung. Während long distance scrambling einheitlich als A’-Bewegung, also als Bewegung in eine Nicht-Argument-Position analysiert wird, wird bei satzinternem Scrambling hingegen diskutiert, ob es sich dabei um A-Bewegung, A’-Bewegung oder eine Mischform handelt. Im Minimalistischen ProgrammLetztere Fragen sind essentiell für die Analyse von Scrambling im Rahmen des Minimalistischen Programms (MP), da wegen Prinzipien der derivationellen Ökonomie optionale syntaktische Operationen nicht erwünscht sind. Jegliche Bewegung muss daher einen Auslöser (Trigger) haben. Optional ist Scrambling insofern, als sowohl die gescrambelte Wortfolge als auch die ungescrambelte grammatikalisch sind (im Gegensatz z. B. zu Kopfbewegung von Verben). Der Auslöser wird i. d. R. als morphosyntaktisches Merkmal (feature) kodiert, das das gescrambelte Element in sich trägt und im Laufe der Derivation zur Bewegung zwecks Merkmalsüberprüfung führt (z. B. [+scrambling]-Merkmal bei Müller, 1998 oder [+topic] bei Meinunger 1995, 2000). Außersyntaktische Faktoren wie Informationsstruktur oder Intonation können als Auslöser für Scrambling angesehen und wie morphosyntaktische Merkmale behandelt werden (z. B. [+Focus] von Rizzi, 1997 oder [+anti-focus] von Molnárfi, 2002). Das Problem der Optionalität bleibt jedoch und wird z. B. von Molnárfi (2004) im Rahmen der Copy Theory of Movement des MP als Möglichkeit beschrieben, sowohl die untere als auch die obere Kopie des bewegten Elements auszusprechen, und damit praktisch von der Syntax in die Phonologie verlegt. Zur Funktion von ScramblingScrambling hat Auswirkungen auf die Informationsstruktur und die Satzbetonung. Ob dies die Motivation für Scrambling ist oder ein Nebenprodukt eines unabhängigen Mechanismus, ist nicht klar. Verschiedene theoretische Ansätze beschäftigen sich mit dem Zusammenhang zwischen Wortstellung und Informationsstruktur, insbesondere mit den Wechselwirkungen zwischen Scrambling und Topik und Fokus (z. B. Frey 2004, Meinunger 2000, Molnárfi 2002). Scrambling und SprachtypologieTypologisch unterscheiden sich Scrambling-Sprachen von Nicht-Scrambling-Sprachen vermutlich u. a. durch die Stellung des finiten Verbs. In der Großzahl der Sprachen, von denen angenommen wird, dass sie scrambeln, ist auch Verbendstellung (SOV) entweder obligatorisch oder möglich. SVO-Sprachen hingegen scrambeln in der Regel nicht (kontrovers diskutiert wird aber z. B. Russisch, das als SVO-Sprache gilt, aber sehr freie Wortstellung aufweist). Scrambling in verschiedenen SprachenOb es sich bei den Instanzen freier Wortstellung in den verschiedenen Sprachen und den verschiedenen Wortstellungsvariationen innerhalb der Einzelsprachen um ein und dasselbe Phänomen handelt, ist nicht hinreichend geklärt. Haider und Rosengren (1998) zum Beispiel sehen Scrambling als verwirrenden Sammelbegriff für unterschiedliche, unabhängig voneinander zu beschreibende Wortstellungsphänomene an. Scrambling im NiederländischenIm Niederländischen können Objekte, die Nominalphrasen oder Präpositionalphrasen sind, entweder links oder rechts des Satzadverbs vorkommen. Bsp.:
Scrambling im DeutschenIm Deutschen kann das direkte Objekt rechts oder links des indirekten Objekts auftreten, aber auch in einer Position vor dem Subjekt (c). Bsp.:
Scrambling im KoreanischenKoreanisch ist eine SOV-Sprache, die es erlaubt, das Objekt eines Verbs an den linken Rand des Satzes, also vor ein Subjekt, zu bewegen. Bsp.:
Scrambling im JapanischenDas direkte Objekt kann möglicherweise über Satzgrenzen hinweg bewegt werden (sog. long distance scrambling), kommt also in der Prä-Subjekt Position vor. Bsp.:
Scrambling in Slawischen SprachenSätze slawischer Sprachen zeigen eine große Variabilität hinsichtlich der Abfolge ihrer Konstituenten. Russisch: a. Brat kupil knigu b. Brat knigu kupil c. Knigu kupil brat etc. Tschechisch: a. Petr poslal ředitlei dopis b. Petr poslal dopis ředitlei c. Petr (ten) dopis ředitlei (opravdu) poslal etc. Die verschiedenen Abfolgen sind mit unterschiedlichen Interpretationen verbunden und reagieren auf unterschiedliche Bedingungen aus dem Kontext. Slawische Sprachen nutzen die Wortstellung, um das kommunikative Gewicht und die Diskursfunktionen der Satzteile anzuzeigen. Damit verbundene Prozesse werden Informationsstrukturierung genannt.[1] Während die grundlegenden Elemente der formalen (syntaktischen) Gliederung des Satzes das grammatische Prädikat und die davon abhängigen Satzteile Subjekt, Objekt etc. sind, ist der Ausgangspunkt der Informationsstruktur die Aussage. Evidenz aus der NeurolinguistikEnglisch ist in seiner Wortstellung relativ fest; im Gegensatz dazu haben beispielsweise Spanisch oder Koreanisch eine relativ freie Wortstellung. Broca-Aphasiker etwa verstehen gescramblete Sätze eher schlecht oder können sie vor allem dann überhaupt nicht verstehen, wenn es sich um gescramblete Passivsätze handelt, da im Koreanischen und Spanischen die Agens-Phrase des Passivsatzes (wie im Deutschen) auch am Satzanfang stehen kann. So also z. B. im Koreanischen:
im Spanischen:
Literatur
Siehe auchEinzelnachweise
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