Russells TeekanneRussells Teekanne (englisch Russell’s teapot) ist eine Analogie, die Bertrand Russell (1872–1970) in einem Artikel mit dem Titel Is There a God? als Reductio ad absurdum diente. Sie sollte veranschaulichen, dass die Beweislast einer Behauptung bei dem liegt, der sie aufstellt, und keinesfalls eine Widerlegungspflicht bei anderen besteht.[1] Der Artikel wurde 1952 vom Londoner Magazin Illustrated in Auftrag gegeben und von Bertrand Russell verfasst, jedoch nicht publiziert. Er findet sich im Nachlass sowohl als handschriftliches Diktat (geschrieben von Edith Russell am 5. März 1952) sowie als Typoskript.[2] Russell beschrieb dort eine hypothetische Teekanne, die im Weltraum zwischen Erde und Mars um die Sonne kreise und so klein sei, dass sie mit Teleskopen nicht gefunden werden könne. Falls er ohne weitere Beweise behaupten würde, dass eine solche Teekanne existiere, könne man nicht erwarten, dass ihm jemand glaubt, bloß weil es unmöglich sei, das Gegenteil zu beweisen. Russell wandte die Analogie logisch-philosophisch direkt auf Religionen an, indem er das Glauben an die Teekanne mit dem Glauben an Gott verglich.[3] 1958 nutzte Bertrand Russell dieselbe Analogie in ähnlicher Formulierung ein weiteres Mal.[4] Zahlreiche danach erschienene philosophisch-literarische Werke zum Thema Theismus und Atheismus nehmen seither Referenz auf die Analogie der Teekanne. Die nunmehr als „Russells Teekanne“ bezeichnete Analogie wird häufig in Diskussionen über einen Gottesbeweis angeführt. Entgegen der ursprünglichen Intention nutzten Atheisten die Teekanne auch als Religionsparodie (Teapotismus). BeschreibungBertrand Russell wurde am 18. Mai 1872 geboren. Seine aus einer Adelsfamilie stammenden Eltern wollten ihre Kinder vor dem Einfluss der als Übel angesehenen Religion bewahren. Seine Mutter und seine Schwester Rachel (vier Jahre älter als Bertrand) verstarben im Jahr 1874.[5][6] Nach dem Tod seines Vaters 1876 wurden er und sein Bruder Frank (sieben Jahre älter) von ihrer gläubigen Großmutter väterlicherseits erzogen, die in Bezug auf Wissenschaft und soziale Gerechtigkeit fortschrittliche Ansichten vertrat und einen deutlichen Einfluss auf ihn ausübte. Russell studierte Mathematik und gilt als einer der Väter der Analytischen Philosophie. Er verfasste eine Vielzahl von Werken zu philosophischen, mathematischen und gesellschaftlichen Themen, war die treibende Kraft des Russell-Einstein-Manifests.[7][8][9] In seinem Essay Warum ich kein Christ bin (1927; erw. 1957) erklärt er, Religion sei ein Übel, eine Krankheit, die sich vor allem auf Angst, der Mutter der Grausamkeit, gründe, eine Sklavenreligion, die bedingungslose Unterwerfung verlange, den altorientalischen Gewaltherrschaften entstamme und eines freien Menschen unwürdig sei.[10] Im Artikel Is There a God?, in Auftrag gegeben vom Magazin Illustrated im Jahre 1952 (aber letztendlich nicht gedruckt), schrieb Russell:
1958 nutzte Russell die Analogie abermals:
AnalysePeter AtkinsDer Chemiker Peter Atkins schrieb in Schöpfung ohne Schöpfer, dass die Kernaussage von Russells Teekanne sei, dass es keine Verpflichtung gibt, unbegründete Behauptungen zu widerlegen. Ockhams Rasiermesser deute darauf hin, dass die einfachere Theorie mit weniger Behauptungen (z. B. ein Universum ohne übernatürliche Wesen) eher der Ausgangspunkt in der Diskussion sein sollte als die komplexere Theorie.[11][12] Richard DawkinsIn seinen Büchern A Devil’s Chaplain (2003) und Der Gotteswahn (2006) benutzte der Ethologe Richard Dawkins die Teekanne als Analogie zu einem Argument gegen das, was er als agnostische Vermittlungsposition bezeichnet, eine Vorgehensweise der intellektuellen Beschwichtigung, die es Bereichen der Philosophie zugesteht, sich ausschließlich mit religiösen Angelegenheiten zu beschäftigen.[13] Die Wissenschaft hat keine Möglichkeit, die Existenz oder Nicht-Existenz eines Gottes nachzuweisen. Gemäß dem agnostischen Vermittler würden deshalb Glaube und Unglaube an ein höchstes Wesen denselben Respekt und dieselbe Aufmerksamkeit verdienen, denn dies sei eine Frage des individuellen Geschmacks. Dawkins verwendet die Teekanne als reductio ad absurdum dieser Position: Wenn der Agnostizismus verlangt, den Glauben und Unglauben an ein höchstes Wesen gleichermaßen zu respektieren, muss er den Glauben an eine Teekanne im Orbit ebenso respektieren, da deren Existenz wissenschaftlich genauso plausibel ist wie die Existenz eines höchsten Wesens.[14] Paul ChamberlainDer Philosoph Paul Chamberlain entgegnete, dass es logisch fehlerhaft sei, zu behaupten, dass positive Aussagen eine Beweislast tragen und negative Aussagen nicht. Er schrieb, dass alle Behauptungen eine Beweislast tragen, auch die Existenz von Mother Goose, der Zahnfee, dem fliegenden Spaghettimonster und sogar Russells Teekanne. Es wäre absurd, jemanden aufzufordern, ihre Nicht-Existenz zu beweisen. Die Beweislast liege bei denjenigen, die behaupten, dass diese fiktionalen Charaktere existieren. Würde man an Stelle dieser fiktiven Charaktere jedoch reale Menschen einsetzen, wie Platon, Nero, Winston Churchill oder George Washington, würde deutlich, dass jeder, der die Existenz dieser Menschen verleugnet, eine Beweislast habe, die in gewisser Weise größer sei als die Beweislast der Person, die behauptet, dass sie existiere. Chamberlain argumentierte, dass der Glaube an Russells Teekanne nicht mit dem Glauben an Gott vergleichbar sei, weil Milliarden nachdenkliche und intelligente Menschen von der Existenz Gottes überzeugt seien.[15] Brian GarveyDer Philosoph Brian Garvey argumentierte, dass die Teekannen-Analogie in Bezug auf die Religion versage, weil bei der Teekanne Gläubige und Nichtgläubige über einen Gegenstand im Universum einfach unterschiedlicher Meinung seien, alle anderen Überzeugungen über das Universum hingegen teilen können, was aber nicht für Atheisten und Theisten gelte.[4] Garvey argumentierte, dass es nicht darum gehe, dass der Theist die Existenz einer Sache behauptet und der Atheist sie leugnet – jeder habe eine alternative Erklärung, warum der Kosmos existiert und wie er entstanden ist: „Der Atheist bezweifelt nicht nur eine Existenz, die der Theist bekräftigt – der Atheist ist darüber hinaus der Ansicht, dass Gott nicht der Grund für den Zustand des Universums ist. Entweder gibt es dafür einen anderen oder eben gar keinen Grund.“[4] Peter van InwagenDer Philosoph Peter van Inwagen bezeichnete die Analogie als ein schönes Beispiel Russellscher Rhetorik, seine logische Argumentationsweise sei hingegen unklar, und wenn man sie präzisieren wollte, würde sie sich als wenig stichhaltig erweisen.[16] Alvin Carl PlantingaIm Interview mit Gary Gutting für den New-York-Times-Philosophie-Blog The Stone sagte Alvin Plantinga 2014, dass es viele Argumente gegen den Teapotismus gäbe. So sei der einzige Weg, eine Teekanne in die Umlaufbahn um die Sonne zu bekommen, wenn ein Land mit einer ausreichend entwickelten Raketentechnik diese Teekanne in die Umlaufbahn geschossen hätte. Kein Land mit solchen Fähigkeiten verschwende derart seine Ressourcen; außerdem hätte man von einem solchen Vorgang in den Nachrichten erfahren. Würde man den Glauben an Russells Teekanne auf die gleiche Stufe stellen wie den Glauben an Gott, müsste es ähnliche Argumente gegen den Glauben an Gott geben.[17] Eric ReitanDer Philosoph Eric Reitan stellte den Glauben an Gott in seinem Buch Is God a Delusion? dem Glauben an Russells Teekanne, an Feen und an den Weihnachtsmann gegenüber. Er argumentierte, dass der Glaube an Gott anders sei als der Glaube an eine Teekanne, weil eine Teekanne ein physisches Objekt und daher prinzipiell verifizierbar sei. Der wesentliche Unterschied zwischen Gott und Russells Teekanne sei, dass Gott für die ethisch-religiöse Hoffnung eines grundsätzlich gütigen Universums stehe.[18] Ähnliche AnalogienAndere Denker haben ähnliche unwiderlegbare Analogien aufgestellt. John Bagnell Bury schrieb in seinem 1913 erschienenen Buch History of Freedom of Thought:
– J. B. Bury: History of Freedom of Thought[19] Der Philosoph Peter Boghossian stellte zu der Aussage: “You can’t prove there’s not a God.” "Du kannst nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt." in seinem Buch A Manual for Creating Atheists folgende Gegenfrage:
Über mögliche Antworten schrieb er:
– Peter Boghossian: A Manual for Creating Atheists, Kapitel 7 Der Astronom Carl Sagan behauptet in seinem Buch The Demon-Haunted World, es gäbe einen feuerspuckenden Drachen in seiner Garage. Würde ihn jemand sehen wollen, entgegnet Sagan, der Drache sei unsichtbar. Würde man ihn anfassen wollen, erwidert Sagan, der Drache sei immateriell. Würde jemand seine Fußspuren sehen wollen, antwortet Sagan, der Drache würde schweben. Würde man mit einem Infrarot-Sensor versuchen, das Feuer nachzuweisen, wird entgegnet, der Drache wäre hitzelos.
– Carl Sagan: The Demon-Haunted World[20] Carl Sagan stellte damit in Frage, ob es sinnvoll sei, die Existenz von etwas anzunehmen, wenn diese Existenz keine (messbaren) Auswirkungen hat. Gleichzeitig kritisierte er die von ihm wahrgenommene Verteidigungshaltung der Gläubigen, immer neue Erklärungen hervorzubringen, warum Gott nicht sichtbar sei und auch mit anderen Methoden nicht nachgewiesen werden könne. EinflussDas Konzept von Russells Teekanne hat mehrere Religionsparodien explizit beeinflusst, wie das unsichtbare rosafarbene Einhorn und das fliegende Spaghettimonster.[14][21] Der Rockmusiker Daevid Allen veröffentlichte mit der von ihm gegründeten Band Gong unter anderem das Album Flying Teapot und beschrieb Russells Teekanne in seinem Buch Gong Dreaming.[22] Siehe auchLiteratur
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