Robert Minder war Sohn des Kaufmanns Johann Carl Minder und dessen Ehefrau Lucia Minder geborene Band.[1] Er entstammt einer Familie kleiner Handwerker und Händler, die ursprünglich aus der Schweiz stammt und seit 1647 im Elsass ansässig war. Die Familie Minder sprach elsässischen Dialekt, beide Eltern konnten fließend Französisch. Die Umwelt im damaligen Reichsland Elsass-Lothringen war weitgehend deutschsprachig. Minder besuchte das Johannes-Sturm-Gymnasium in Straßburg, wo er 1920 das französische Baccalauréat mit Auszeichnung ablegte. Während seiner Schulzeit sang er in einem Chor, der von Hans Pfitzner geleitet wurde. Zwischen 1919 und 1921 nahm er Klavier- und Philosophieunterricht bei Albert Schweitzer, mit dem er bis zu dessen Tod befreundet blieb.
1933 wurde Minder in Nancy Gymnasiallehrer, dann auch Universitätsdozent. Am 20. September 1934 heiratete Minder Hélène Claire Mégret in Nancy,[2] welche 1937 verstarb. 1936 habilitierte er sich in Straßburg mit der Arbeit (Thèse principale) Un poète allemand: Ludwig Tieck (1773–1853), seine Nebenarbeit (Thèse complémentaire; in deutscher Sprache) beschäftigte sich mit der religiösen Entwicklung von Karl Philipp Moritz. 1937 traf Minder in Paris erstmals den nach Frankreich emigrierten Alfred Döblin, mit dem ihn bald eine Freundschaft verband und für dessen literarische Anerkennung er sich immer wieder einsetzte. Der plötzliche Tod seiner ersten Frau Hélène Mégret stürzt Minder in eine tiefe persönliche Krise, von der er sich nur allmählich erholte. 1938 wurde er zum Professor an der Universität Nancy berufen. Am 16. September 1939[3] heiratete er Colette Audry in Paris, von der er 1945 wieder geschieden wurde. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Minder in Paris Mitarbeiter der deutschen Sektion des Commissariat Général à l’Information unter Leitung von Jean Giraudoux, in der auch Alfred Döblin und Kurt Wolff mitarbeiteten. Diese Dienststelle hatte während des Sitzkriegs (französisch: Drôle de guerre) die Aufgabe, über Lautsprecheranlagen an den Frontlinien und über Rundfunk der von Joseph Goebbels gesteuerten deutschen Propaganda entgegenzutreten. 1940 wurde Minder mit den übrigen Mitarbeitern vor den anrückenden deutschen Truppen nach Cahors evakuiert. 1943 war er Gastprofessor an der Universität Grenoble. Im Oktober 1943 entging er dem Zugriff der Gestapo und ging in den Untergrund. 1945 kehrte er auf den Lehrstuhl in Nancy zurück.
Ab Mitte der 1950er Jahre trat Minder als Autor von Essays zur Kultur- und Literaturgeschichte hervor und fand damit in Deutschland zunehmend Beachtung. Neben seiner Lehrtätigkeit in Frankreich äußerte er sich in Vorträgen und in Sendungen deutscher Medien immer wieder zu Aspekten der deutschen und französischen Literatur.
Die letzten Lebensjahre Minders waren durch häufige gesundheitliche Probleme belastet. Zu Alfred Döblins 100. Geburtstag publizierte Robert Minder bis dahin unbekannte Details aus dessen Biographie, die nach seiner Meinung Döblins literarisches Werk maßgeblich beeinflusst haben. Döblins Sohn Claude strengte daraufhin einen Verleumdungsprozess gegen Minder an. Die Vorbereitungen auf den Prozess vor dem Berliner Kammergericht belasteten Minders ohnehin angeschlagene Gesundheit stark. Er starb auf dem Weg in einen Urlaubsaufenthalt im Schnellzug Paris-Ventimiglia an Herzversagen.
Werk und Bedeutung
In seinem in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten Buch Allemagnes et Allemands entwirft Minder eine allgemeine Kulturgeschichte Deutschlands und beschreibt die Beteiligung der verschiedenen deutschen Regionen an der nationalen Geschichte. Er greift dabei auf Überlegungen des wegen seiner teilweise völkischen Ansichten umstrittenen österreichischen Literaturwissenschaftlers Josef Nadler zurück. Der erste Band von Minders Monographie behandelt lediglich das Rheinland. Die Arbeit an den vorgesehenen Folgebänden (zu Schwaben, Niedersachsen, Bayern und Preußen) beschäftigt Minder noch lange, führt aber zu keinen Veröffentlichungen mehr. Neben methodischen Problemen spielt dabei auch die zwischenzeitlich eingetretene politische Entwicklung mit der Entstehung zweier deutscher Staaten eine Rolle. Aber auch in seinen zahlreichen Lehrveranstaltungen, Vorträgen und Essays spielen regionalistische Aspekte immer wieder eine bedeutsame Rolle. Als vergleichender Literaturwissenschaftler setzt Minder immer wieder deutsche und französische Literatur in Bezug. Im Sinne von Interdisziplinarität greift er für seine Analysen auf zeitgenössische Anregungen aus anderen Arbeitsgebieten wie der Soziologie (z. B. die Begriffe des kollektiven Gedächtnisses, des nationalen Symbols und des kollektiven Mythos) und der Psychoanalyse (insbesondere der Individualpsychologie Alfred Adlers) zurück und wendet diese auf literarische Entwicklungen und einzelne Schriftsteller an.
Wozu Literatur? Reden und Essays. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1971, ISBN 978-3-518-01275-8.
Dichter in der Gesellschaft. Erfahrungen mit deutscher und französischer Literatur. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1966 (Lizenzausgabe: Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, ISBN 978-3-518-36533-5).
Kultur und Literatur in Deutschland und Frankreich. Fünf Essays. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1962, Insel-Bücherei 771 (Lizenzausgabe: Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 978-3-518-36897-8).
Glaube, Skepsis und Rationalismus. Dargestellt aufgrund der autobiographischen Schriften von Karl Philipp Moritz. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974, ISBN 978-3-518-27643-3.
Eine ausführliche Bibliographie findet sich in dem Buch von A. Betz und R. Faber (siehe unten).
Literatur
Siegfried Unseld (Hrsg.): Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker? Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlaß des 70. Geburtstags von Robert Minder. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972.
Robert Minder (1902–1980), passeur entre deux cultures. Sonderheft von Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 165 (Juli/August 2003), ISBN 2-85939-790-6 bzw. ISSN0002-5712.
Anne Kwaschik: Auf der Suche nach der deutschen Mentalität. Der Kulturhistoriker und Essayist Robert Minder. Wallstein-Verlag, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0340-9[4]
Hans Mayer: Vom Hausfreund und -feind. In: Der Spiegel. Nr.24, 1967 (online – Rezension von Minders Dichter in der Gesellschaft).