Rezenzeffekt

Beim Rezenzeffekt (englisch recency effect) handelt es sich um ein psychologisches Phänomen. Er besagt, dass später eingehende Informationen einen größeren Einfluss auf die Erinnerungsleistung einer Person ausüben als früher eingehende Informationen. Im engeren Sinne ist der Rezenzeffekt ein Phänomen, der das Kurzzeitgedächtnis betrifft. Im weiteren Sinne tritt er auf, wenn zuletzt wahrgenommenen Informationen aufgrund der besseren Erinnerungsfähigkeit stärkeres Gewicht verliehen wird als früheren Informationen. Er tritt bei fast allen Beurteilungsszenarien auf.

Ursprung des Rezenzeffektes ist die längere Verfügbarkeit von aktuellen Informationen im Kurzzeitgedächtnis, da sie nicht durch nachkommende Information überschrieben werden. Dieser Effekt wird beispielsweise in der Gedächtnisforschung benutzt, um zu testen, wie groß die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses ist (vgl. die serielle Positionskurve von Atkinson & Shiffrin, 1968, den „Entdeckern“ des Kurzzeitgedächtnisses).[1]

Außerdem kann man sich mit der zuletzt wahrgenommenen Information besser auseinandersetzen. Dadurch bleibt sie eher im Gedächtnis haften und hat einen größeren Einfluss auf die Einstellung. Der Rezenzeffekt hat somit eine besondere Bedeutung bei Beurteilungen, die aufeinander folgend stattfinden (z. B. wenn bei Bewerbungsgesprächen ein Kandidat nach dem anderen besprochen und erst am Ende entschieden wird).

In einer Studie aus dem Jahr 2014 wurde der Effekt auch für Nahrungsmittel nachgewiesen. So kann der letzte Bissen einer Speise das Urteil über ein Gericht stark prägen.[2]

Eine Studie von Maegherman et al. (2021) untersuchte den Einfluss der Reihenfolge der Beweispräsentation im juristischen Kontext. Die Ergebnisse zeigten, dass zuletzt präsentierte Beweise die Einschätzung der Schuldwahrscheinlichkeit der Teilnehmer stärker beeinflussten, was auf einen Rezenzeffekt hindeutet. Die Präsentationsreihenfolge hatte jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die abschließenden Verurteilungsentscheidungen. Das deutet darauf hin, dass die Reihenfolge der Beweispräsentation zwar die Wahrnehmung beeinflussen kann, aber nicht zwingend die endgültige Entscheidungsfindung in simulierten rechtlichen Szenarien.[3]

Im Marketing und Vertrieb wird dieser Effekt genutzt, um bestimmte Werbebotschaften oder Argumente gegenüber anderen hervortreten zu lassen (z. B. der letzte Werbespot im Kino vor dem Film oder das letzte Argument im Verkaufsgespräch). Zum Schluss des Verkaufsgespräches wird ein starkes Argument genannt, um einen entscheidungsschwachen Kunden zum Kauf zu bewegen (Reserveargument-Technik). Bei der Beurteilung von Personen oder Sachverhalten ist der Effekt ein Beurteilungsfehler.

Dem Rezenzeffekt steht der so genannte Primäreffekt (englisch primacy effect) gegenüber, der eine größere Rolle einnimmt, wenn am Ende einer Reihe eine Gesamtbeurteilung getroffen wird oder eine Reproduktion (recall) stattfinden muss.

Im Kontrast zum Rezenzeffekt steht die proaktive Interferenz, bei der früher Gelerntes die Wiedergabe von später Gelerntem einschränkt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Atkinson, R.C. & Shiffrin, R.M.: Human Memory: A Proposed System and Its Control Processes. In: K.W. Spence & J.T. Spence (Hrsg.): The Psychology of Learning and Motivation. Vol 2. Academic Press, New York 1968.
  2. Psychologie: Der letzte Eindruck zählt in Süddeutsche Zeitung vom 5. Juni 2014.
  3. Enide Maegherman, Karl Ask, Robert Horselenberg, Peter J. van Koppen: Law and order effects: on cognitive dissonance and belief perseverance. 2. Januar 2022, ISSN 1321-8719, doi:10.1080/13218719.2020.1855268, PMID 35693388, PMC 9186347 (freier Volltext) – (englisch).