ReizwortReizwort (englisch stimulus word, französisch mot-stimulus) ist eine Bezeichnung für Wörter oder Phrasen, die beim Rezipienten bestimmte emotionale Reaktionen, Assoziationen oder sonstige reflexartige mentale Prozesse stimulieren. WortgeschichteDas Wort „Reizwort“, ältere Form „Reitzwort“, ist seit dem 16. Jahrhundert im Deutschen belegt und war in seiner Bedeutung zunächst weitgehend beschränkt auf negativ provozierende „Schmäh-, Schelt-, Läster- oder Reizwörter“,[1] die zu Widerspruch und Streit „reizen“,[2] die Bedeutung hat sich jedoch seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der psychologischen Fachsprache erweitert, die den Reizwortbegriff unabhängig vom positiven oder negativen Charakter der Reaktion verwendet, so dass der Duden das Wort „Reizwort“ heute mit der allgemeinen Bedeutung „Emotionen auslösendes Wort“ erklärt.[3] Literaturwissenschaft und SprachsoziologieReizwortcharakter ist nicht primär eine sprachliche Eigenschaft, sondern bedingt durch die Verwendungssituation, die individuelle Disposition und kulturelle Prägung des Rezipienten sowie Gegebenheiten sprachlicher und stilistischer Konvention. Der Reizwortcharakter kann aber unter Rücksicht auf solche kontextuelle Faktoren unter Umständen an sprachlichen und stilistischen Eigenschaften festgemacht werden. In diesem Sinn wird zuweilen in der Literaturwissenschaft untersucht, inwieweit die Wortwahl eines Texts etwa durch klangliche Eigenschaften, wertende Konnotationen oder intertextuelle Bezüge besonders darauf angelegt ist, emotionale oder assoziative Reaktionen des Lesers hervorzurufen und dadurch dessen Rezeption des Textes zu steuern. Unter Ausblendung kontextueller Faktoren definiert dagegen das Handbuch literarischer Fachbegriffe von Otto F. Best das Reizwort als ein „klanglich und assoziativ besonders aufgeladenes Wort, das Assoziationen aktiviert“ und „vor allem in Lyrik“ eine Rolle spiele.[4] Als Reizwörter gelten auch Wörter, die nach ihrer Bildungsweise, nach Herkunft und Geschichte anregen können.[5] In sprachsoziologischen Zusammenhängen wird das Reizwort zuweilen auch dem Schlagwort untergeordnet und gemäß der älteren, engeren Bedeutung als semantisch negativ besetztes Schlagwort vom „Leitwort“ als einem semantisch positiv besetzten Schlagwort abgegrenzt.[6] Assoziationsforschung und NeurowissenschaftenWährend Ansätze dieser Art Reizwörter in vorgegebenen Texten und Textcorpora untersuchen, setzen die experimentelle Psycholinguistik und die psychologische Assoziationsforschung Wörter als Reizwörter ein, um beim Probanden oder Analysanden „Reaktionswörter“ auszulösen und aus diesen Reaktionswörtern und den gemessenen Reaktionszeiten Rückschlüsse auf mentale Prozesse oder auch individuelle Störungen zu ziehen. Das Reizwortverfahren als experimentelle Methode wurde von Francis Galton, Wilhelm Wundt und anderen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eingeführt[7] und bald auch von Freud und C. G. Jung adaptiert. Freud fasste das Verfahren 1916/17 folgendermaßen zusammen:[8]
Experimentelle Verfahren nach der Reizwort-Methode gehören heute ebenso zum methodischen Instrumentarium neurowissenschaftlicher Forschung und wurden dort beispielsweise zur Erforschung der Dysphasie[9] und Dyslexie,[10] aber auch in klinischer Forschung zur Untersuchung der Wirkung von Anästhetika[11] eingesetzt. KreativitätsförderungReizwortmethoden modifizierter Art, als Verfahren der Kreativitätsförderung, finden sich jüngerer Zeit auch in der Sprach- und Schreibdidaktik, indem vorgegebene Reizwörter, die willkürlich oder im Hinblick auf ein bestimmtes Thema ausgewählt sein können, als assoziative Anknüpfungspunkte die Erstellung eines Textes („Reizwortgeschichte“) erleichtern sollen. Ähnlich wurden im Bereich des Innovationsmanagements als Sonderform des Brainstormings Reizwortverfahren entwickelt, bei denen nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Reizwörter es bei der Findung von Ideen zu einem gegebenen Thema oder Problem ermöglichen sollen, auf assoziative Weise zu neuen Ansätzen zu gelangen[12]. Angewandte PsychologieMit der Suche nach praktischen Regeln, wie durch Vermeidung negativ besetzter und Verwendung positiv besetzter Reizwörter das Verhalten des Rezipienten gesteuert werden kann, befasst sich die Werbe- und Verkaufspsychologie. Anmerkungen
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