Eine Protome ist in der Kunstgeschichte ein plastisches Kunstwerk, das den vorderen Teil eines Tieres oder Menschen darstellt und meist mit einem anderen Objekt verbunden ist.
Protomen[1] sind plastische Kunstwerke, die den vorderen oder oberen Teil eines Tieres, eines Fabelwesens oder eines Menschen in Frontalansicht darstellen. Unter dem vorderen oder oberen Teil versteht man dabei eine Maske, einen Kopf mit oder ohne Hals, eine Büste oder eine Halbfigur.
Protomen waren meist als unselbständige Kunstwerke (Appliken)[2] mit Gefäßen, Geräten, Schmuck, Skulpturen oder Bauwerken verbunden. Selbständige Kunstwerke waren die bei den Griechen als Weihegeschenke verwendeten Kopfprotomen weiblicher Gottheiten.[3]
Eine umfassende und systematische Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung der Protomen fehlt bisher.[5]
Älteste Beispiele von Protomen (vier Widder) finden sich bei einer Lampe oder Opferschale von Szeged der neolithischenTheiß-Kultur in Ungarn[6]. Später dann am Tierkopfrhyta, z. B. an minoischen Stierkopfrhyta aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. (2) und an hethitischen aus dem 15.–13. Jahrhundert vor Christus (12).
Protomen wurden auch zur Verzierung von Kesseln mit Dreifußuntersatz verwendet. Die frühesten Exemplare stammen aus dem 8. Jahrhundert vor Christus, z. B. Kessel mit Stierprotomen aus Urartu, die die mit Greifen- und anderen Tierprotomen verzierten archaischen Kessel aus Olympia (14)[7] und Samos beeinflussten (ab dem 7. Jahrhundert vor Christus). In etruskischen Gräbern des 7. Jahrhunderts vor Christus wurden Kessel mit Schlangenprotomen (Tomba Bernardini in Palestrina) und mit Pantherprotomen (Tomba Regolini-Galassi in Cerveteri) gefunden.[8]
Aus der achämenidischen Zeit sind aus Susa und Persepolis Stier-, Löwen- und Greifenprotomen an Schmuck (9), Geräten (6), Gefäßen (15) und monumentalen Sattelkapitellen (10) bekannt sowie eine Ziegenkopfprotome als Teil eines Rhytons unbekannter Herkunft[9] im Reza-Abbasi-Museum. Im Iranischen Nationalmuseum Teheran befindet sich ein um 900 v. Chr. stammendes bemaltes kugeliges Tongefäß mit Rinderprotome aus Rudbar in der nordiranischen Provinz Gilan.[10]
Zur Verwendung der Protomen nach dem Altertum gibt es bisher keine zusammenfassende Darstellung.[11] Die Galerie zeigt einige Beispiele aus der Neuzeit (3, 7, 8, 11, 13).
Wortherkunft
Das Wort Protome leitet sich ab von altgriechisch προτομή (protomé) „der vordere oder obere Teil eines Tieres“, dem das Verb προτέμνω (protémno) „vorn abschneiden“ zugrunde liegt.[12] „Vorn abschneiden“ bezog sich ursprünglich auf einen Tierbalg, der noch mit seinem Kopf verbunden war. In der Ethnologie bezeichnet das Protom eine zu kultischen Zwecken, etwa bei Initiationszeremonien in Afrika, oder als Würdezeichen verwendete Tierverkleidung. Ein solches Protom kann aus einem Fellstreifen, Klauen oder Zähnen eines bestimmten Tiers bestehen.
P. W. Hartmann: Das grosse Kunstlexikon, ohne Ort 1996, Stichwort Protome[5].
Harald Olbrich (Hrsg.): Lexikon der Kunst, Band 5, Leipzig 2004, S. 771.
Wolf Stadler (Hrsg.); Ferdinand Anton (Mitarbeit): Lexikon der Kunst : Malerei, Architektur, Bildhauerkunst, Band 9, Freiburg 1989, S. 298.
Monographien
Marcella Barra Bagnasco: Protomi in terracotta da Locri Epizefiri. Contributo allo studio della scultura arcaica in Magna Grecia (= Ricerche. 1). Il Quadrante, Turin 1986, ISBN 88-391-0099-3.
Silvio Ferri: Archeologia della „pròtome“. In: Annali della R. Scuola Normale Superiore di Pisa. Classe di Lettere e Filosofia. Serie 2, Band 2, 1933, S. 147–158, JSTOR:24298340.
Werner Gauer: Die Bronzegefässe von Olympia. Mit Ausnahme der geometrischen Dreifüße und der Kessel des orientalisierenden Stils. Band 1: Kessel und Becken mit Untersätzen, Teller, Kratere, Hydrien, Eimer, Situlen und Cisten, Schöpfhumpen und verschiedenes Gerät (= Olympische Forschungen. 20). de Gruyter, Berlin u. a. 1991, ISBN 3-11-012737-7, S. 13–17.
Hans-Volkmar Herrmann: Die Kessel der orientalisierenden Zeit. Band 2: Kesselprotomen und Stabdreifüsse (= Olympische Forschungen. 11). de Gruyter, Berlin u. a. 1979, ISBN 3-11-007209-2.
Klaus Tuchelt: Tiergefässe in Kopf- und Protomengestalt. Untersuchungen zur Formengeschichte tierköpfiger Giessgefässe (= Istanbuler Forschungen. 22). Gebr. Mann, Berlin 1962.
↑Brockhaus 2006 kategorisiert – abweichend von seiner eigenen Definition – die ganzkörperlichen Löwenfiguren des Bronzekessels von Hochdorf als „Löwen-Protomen“.
↑Erika Bleibtreu: Achaimenidische Kunst. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 186–219, hier: S. 206 (Ziegenbockprotome).
↑Erika Bleibtreu: Iran in prähistorischer und frühgeschichtlicher Zeit. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 76–185, hier: S. 163 und 168 (Katalognummer 94).