PhantasmaAls Phantasma (altgriechisch φἀντασμα ‚Erscheinung, Bild, Vorstellung, Gesicht‘ bzw. ein von der Gottheit gesandtes Vorzeichen, Wunder, Traumbild mit und ohne Traum, Gespenst, Geist[1]) wird allgemein eine mentale, innere Vorstellung bezeichnet, oft auch abwertend im Sinne eines Hirngespinstes oder Trugbildes. Im deutschen Sprachraum bezeichnet Phantasma eine wahrnehmungsähnliche szenische Gegebenheit, psychiatrisch so viel wie Illusion, Pseudohalluzination und Halluzination. Die Bezeichnung gilt als wenig gebraucht und altertümlich, vgl. Kap. Begriffsgeschichte.[2] Mario Erdheim betrachtet das Phantasma sowohl von seiner negativen Funktion aus als auch aus der Sicht der Selbstbehauptung und Auflehnung gegen unwürdige Verhältnisse.[3] In der französischen Psychiatrie bedeutet Phantasma allgemein so viel wie eine bildhafte Szene, in welcher der Betroffene einen Wunsch oder unbewussten Wunsch realisiert. Insofern besteht Gleichheit mit dem Tagtraum.[2] Der Begriff spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Psychoanalyse Jacques Lacans, wo er eine bestimmte Form der imaginären Phantasie bezeichnet. BegriffsgeschichteDer Begriff des Phantasmas hat insbesondere in der Philosophie eine lange Tradition und wird bereits von Aristoteles im Sinne eines mentalen „Vorstellungsbildes“ verwendet (De anima 428a). Er entspricht dort in etwa dem, was wir heute unter Phantasie oder Imagination verstehen. Dabei meint „Phantasie“ die Fähigkeit, mentale Bilder hervorzubringen, während Phantasma die von der Vorstellungskraft hervorgebrachten Bilder selbst bezeichnet. – Im Altertum beruhten die Techniken zum besseren Merken auf dem Prinzip der Versinnlichung (Mnemotechnik). Daher sah man Gedächtnisinhalte als Gedächtnisbilder an (altgriechisch phantasmata, lateinisch imagines). Der Gesichtssinn galt als der oberste und als der Vernunft am nächsten stehende.[2] - Arthur Schopenhauer definiert das Phantasma als „nicht unmittelbar durch Eindruck auf die Sinne hervorgerufene, daher auch nicht zum Komplex der Erfahrung gehörige Vorstellung“ (Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde 1813, § 28). Eine Form des Phantasmas ist auch die Halluzination, in der das Phantasma nicht als Phantasma erkannt, sondern mit einer äußeren Sinneswahrnehmung verwechselt wird. Verwendung bei ErdheimMario Erdheim betrachtet die zuerst vom Primärprozess erfassten, evtl. verdrängten, später aber vom Sekundärprozess notwendig (evtl. neu) elaborierten Produkte, die also (evtl. wieder) Inhalte des Bewusstseins geworden sind, als Phantasmen. Hinsichtlich der negativen Funktionen dieses Phantasmas, wie sie aus der vorstehenden Definition dieses Lemmas hervorgehen, betont Erdheim, dass bereits Anna Freud 1936 bestätigte, dass im Austausch zwischen dem Unbewussten und dem Bewusstsein, zu dem die verdrängten Inhalte wieder zurückstreben, „kein friedlicher Grenzverkehr“ stattfinde. Etwa am Beispiel des Namenvergessens werde diese negative Funktion zusätzlich deutlich. Wahrnehmungen verschwinden und Einsichten werden verunmöglicht. - Allerdings zeige Sigmund Freud am Beispiel des Witzes auch ein Erkenntnisse schaffendes positives Vermögen des Unbewussten. Im Gegensatz zur Traumarbeit glaubt Erdheim, dass die Leistung des Witzes mittels des Unbewussten dazu führen könne, eine gemeinsame Ebene der sozialen Opposition im Sinne eines aktiven sozialen Widerstands zu bilden. Das Eintauchen im Unbewussten und die kurzfristig wieder rückgängig gemachte Verdrängung gehörten zu einem kreativen Prozess.[3][4] Nach Freud entstehe der Witz dadurch, dass ein vorbewusster Gedanke für einen Moment der unbewussten Bearbeitung überlassen werde und deren Ergebnis alsbald von der bewussten Wahrnehmung erfasst werde.[5] Verwendung bei LacanNachdem bereits Sigmund Freud der „Phantasie“ eine entscheidende Rolle für die Konstitution der menschlichen Psyche zusprach, führt der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan ab 1957 (mit dem Seminar IV über die Objektbeziehung) das Phantasma als terminologischen Begriff in die psychoanalytische Theorie ein. Lacan bezeichnet damit die psychische Repräsentation eines Objekts oder einer Situation, an die sich das Subjekt bildhaft erinnert. Das Phantasma gehört somit dem Register des Imaginären an. Diese zunächst allgemeine Bestimmung spezifiziert Lacan, wenn er vom Phantasma als einer Form der Abwehr spricht. Oft liegen der Entwicklung eines Phantasmas traumatische Erlebnisse zugrunde, die jedoch im vorgestellten Bild abgewehrt und umgedeutet werden. Ein Beispiel dafür ist eine Pornografie, in welcher der Konsument sich ein Szenario entwirft (bzw. ein solches konsumiert), in dem reale Unterlegenheit und subjektiv empfundene Minderwertigkeit in sexuelle Unterwerfung der Frau und uneingeschränkte phallische Macht des Mannes umgedeutet wird. Aus der Niederlage der Kindheit macht das perverse Phantasma einen sexuellen Triumph. Insofern bezeichnet Lacan das Phantasma insbesondere als Abwehr gegen Kastrationsangst beziehungsweise allgemeiner auch als Abwehr gegen den Mangel im großen Anderen. Hinter dem einzelnen phantasmatischen Bild steht letztlich ein „fundamentales Phantasma“ (in der deutschen Übersetzung von Hans-Dieter Gondek: „grundlegende Phantasievorstellung“, Die Übertragung. Das Seminar, Buch VIII, S. 138), auf dem die Identität des Subjekts und die Formen seines Begehrens beruhen. Dieses Szenario gilt es in der psychoanalytischen Therapie zu „durchqueren“ und aufzuarbeiten. Am Umgang des Subjekts mit seinem fundamentalen Phantasma konstituiert sich die Subjektivität des Individuums selbst; es ist eine Weise, wie das Subjekt sein Genießen, seine Jouissance, reguliert und organisiert. Im Phantasma sind deshalb auch die Objekte des Begehrens, die Objekte klein a, zu finden. Die Macht der phantasmatischen Bilder sieht Lacan – anders als etwa Melanie Klein, die er in diesem Punkt explizit kritisiert – nicht in ihrer imaginären Dimension allein begründet, sondern vor allem in ihrer Einbettung in die symbolische Ordnung: Das Phantasma ist immer ein „Bild, das in der signifikanten Struktur in Funktion tritt“ (Die Ausrichtung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht. In: Schriften I. S. 230.), und nicht auf das Imaginäre reduzierbar ist. Literatur
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