Patti Smith stammt aus einem ärmeren Elternhaus mit religiöser Nähe zu den Zeugen Jehovas.[3] Als Teenager trat sie jedoch aus der organisierten Religion aus, weil sie diese als einengend empfand.[4] Als Reaktion auf diese Erfahrung schrieb sie die Zeile „Jesus died for somebody's sins, but not mine“ in ihrer Coverversion von Gloria von Them.[4]
Smith verließ mit sechzehn Jahren die Schule und arbeitete danach in einer Fabrik. Im Alter von achtzehn Jahren brachte sie eine Tochter zur Welt, die sie zur Adoption freigab.[5] Sie zog nach New York City, lernte dort im Sommer 1967 den Künstler und später als Fotografen berühmt gewordenen Robert Mapplethorpe kennen und lebte mehrere Jahre mit ihm zusammen. Von ihm stammen zahlreiche Fotografien, die teilweise für ihre späteren Plattencover verwendet wurden. Smith hielt sich als Buchhändlerin in diversen Buchläden finanziell über Wasser, wo sie zeitweise im Badezimmer übernachtete und sich von den Resten der Mittagessen ihrer Kollegen ernährte.[6] Unter anderem arbeitete sie in der traditionsreichen, 1927 gegründeten Buchhandlung Strand.[7]
Ab 1969 veröffentlichte sie ihre von der Beat Generation beeinflussten Gedichte in Zeitschriften wie Rock und Creem. Mit ihrer Schwester reiste Smith nach Paris,[6] wo sie die Grabstätten ihrer Idole Jim Morrison und Arthur Rimbaud besuchte.[8] Über ein Konzert der Rockband The Doors im Musikclub Fillmore East, in dem ihr Freund Robert Mapplethorpe als Kartenabreißer arbeitete und mit dem sie dem dortigen Doors-Auftritt beiwohnte, hatte Smith die psychedelische Musik der Combo um Sänger Jim Morrison kennengelernt.[6] Ihre Freundschaft mit Lenny Kaye, Sam Shepard, Todd Rundgren und Tom Verlaine (damals bei der Proto-Punk-Gruppe Television) ermutigte sie 1974 zu ihrer ersten Single, Hey Joe, in der Patti Smith die damals gerade aktuelle Entführung von Patty Hearst, der Enkelin des Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst, verarbeitete. Nach eigenen Aussagen war für sie das Singen vor allem eine Möglichkeit, ihre Gedichte vorzutragen; sie sei „zufällig“ in der Musik gelandet.[9] Sie selber sieht sich in erster Linie als Lyrikerin und schreibt täglich diszipliniert.
Schon Ende der 1960er-Jahre hatte sie auch enge Verbindung zu Rockmusikern geknüpft, vor allem zur New Yorker Avant Garde-Hardrockband Blue Öyster Cult. Mit deren Keyboarder Allen Lanier war sie von 1971 bis 1978 liiert und wohnte mit ihm in Manhattan in der Fifth Avenue. Sie lieferte über Jahre Texte für Songs der Gruppe, darunter Baby Ice Dog, Career of Evil, The Revenge of Vera Gemini (bei dem sie rezitiert und singt), Debbie Denise, Fire of Unknown Origin und Shooting Shark.[10]
1975 erschien Horses, die erste LP der späteren Patti Smith Group mit Lenny Kaye, Ivan Král, Richard Sohl und Jay Dee Daugherty. Die Band wurde Vorläufer und Vorbild der englischen und amerikanischen Punk- und New-Wave-Bewegung. Patti Smith etablierte sich zudem als Ikone der neuen Frauenbewegung.
Die frei assoziierende Lyrik, die Smith halb atemlos, halb synkopisch über nur scheinbar primitive Rockakkorde legte, gab ihren Songs und auch den von ihr gewählten Coverversionen (Gloria von Them, My Generation von The Who) einen aufbegehrenden und nervösen Reiz.
1976 folgte das Album Radio Ethiopia. 1977 brach sich Smith bei einem schweren Unfall auf der Bühne zwei Rückenwirbel und musste einige Zeit aussetzen. Im Jahr darauf veröffentlichte sie mit Easter ihr einziges Album, das auch kommerziell ein Erfolg wurde. Die daraus ausgekoppelte Single Because the Night stammt aus einer Zusammenarbeit mit Bruce Springsteen und erreichte in Großbritannien Platz 5.[11][12] 1979 erschien mit Wave ihre für lange Zeit letzte LP.
In den 1980er-Jahren lebte sie mit ihrem Mann, dem Gitarristen Fred „Sonic“ Smith (MC5) und den zwei gemeinsamen Kindern zurückgezogen in Detroit und arbeitete dort als Buchhändlerin. Ein Comeback-Anlauf mit dem Album Dream of Life (1988) wurde durch den Tod Richard Sohls (1990) und ihres Mannes (1994) gebremst. Sie kehrte danach nach eigenen Angaben auf die Bühne zurück, „um Geld zu verdienen“. Nach 1996 und dem Album Gone Again lieferte Patti Smith regelmäßig neue Werke ab. 2002 veröffentlichte sie eine Coverversion des Prince-Songs When Doves Cry, und auf ihrer im April 2004 erschienenen CD Trampin’ ist die Horses-Besetzung mit Lenny Kaye und Jay Dee Daugherty zu hören. Im April 2007 erschien ihr Album Twelve mit zwölf Neuaufnahmen von Rockklassikern wie Smells Like Teen Spirit der Band Nirvana und Gimme Shelter der Rolling Stones.
Die Fotografien, die sie über Jahrzehnte mit ihrer Vintage Polaroid Land 250 Sofortbildkamera aufgenommen hat, werden auf Ausstellungen weltweit gezeigt,[13] unter anderem auch in einer Ausstellung mit Fotos von Christoph Schlingensief, mit dem sie befreundet war.[14]
Auf der Berlinale 2008 wurde der Doku-Spielfilm Dream of Life (2007) von Steven Sebring über Patti Smiths Leben uraufgeführt, mit dem sie sich mehr als zehn Jahre beschäftigt hatte. Das Sundance Film Festival zeichnete den Film 2008 mit dem „Excellence in Cinematography Award: Documentary“ aus.[15]
Smith begegnete Papst Franziskus im April 2013 am Rande einer Generalaudienz auf dem Petersplatz. Damit löste sie ein Versprechen ein, das sie bei der Wahl des Papstes gegeben hatte.[16] 2014 trat sie im Vatikan auf und antwortete auf die Frage, warum eine Sängerin, die ihre erste Platte mit Jesus died for someone’s sins, but not mine (Jesus ist nicht für meine Sünden gestorben) beginnen ließ, vor dem Papst singt:
“I had a strong religious upbringing, and the first word on my first LP is Jesus. I did a lot of thinking. I’m not against Jesus, but I was 20 and I wanted to make my own mistakes and I didn’t want anyone dying for me. I stand behind that 20-year-old girl, but I have evolved. I’ll sing to my enemy! I don’t like being pinned down and I’ll do what the fuck I want, especially at my age … oh, I hope there’s no small children here!”[17] – „Ich bin nicht gegen Jesus, aber ich war 20 und wollte meine eigenen Fehler machen und nicht, dass irgendjemand für mich stirbt. Ich stehe hinter diesem 20-jährigen Mädchen, aber ich habe mich weiterentwickelt. Ich singe meinem Feind entgegen! Ich werde nicht gern eingeengt und mache verfickt nochmal genau das, was ich will, vor allem in meinem Alter… Oh, ich hoffe, hier sind keine kleinen Kinder anwesend!“
Im Dezember 2016 nahm Patti Smith in Stockholm in Vertretung ihres Freunds Bob Dylan den ihm verliehenen Nobelpreis für Literatur entgegen, wobei sie unter anderem Dylans Song A Hard Rain’s a-Gonna Fall vortrug.[19] Sie veröffentlichte daraufhin den Essay How Does It Feel im New Yorker, in dem sie erzählt, wie sie das Stück unterbrechen musste, weil sie übervoll an Emotionen war.[20]
2017 kaufte sie das Haus des französischen Dichters Arthur Rimbaud in Roche, einem kleinen Dorf nahe der Grenze zu Belgien. Rimbaud ist in dem Ort aufgewachsen und hat dort 1873 sein Werk Eine Zeit in der Hölle verfasst. Patti Smith schreibt in ihrer Autobiographie Just Kids über Rimbaud: „Ich umarmte ihn als Landsmann … als Verwandten, ja als heimlichen Geliebten“.[21]
Der Schweizer Maler Franz Gertsch widmete Patti Smith einen fünfteiligen Bilderzyklus von großformatigen, fotorealistischen Porträts.[23] Gertsch begegnete Smith erstmals auf einer Vernissage seines Kölner Galeristen.[24]
Auszeichnungen
2007 wurde die Musikerin in die Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland (US-Bundesstaat Ohio) aufgenommen.
2010 erhielt Smith den National Book Award, den wichtigsten amerikanischen Buchpreis, in der Sparte Sachbuch. Ausgezeichnet wurde ihr Buch Just Kids.[25]
Film socialisme. Spielfilm, Schweiz/Frankreich, 2010, 141 Min., Regie: Jean-Luc Godard
Patti Smith: Poesie und Punk. Dokumentation, ARTE F, Frankreich, 54 Minuten, 2021, Regie: Sophie Peyrard und Anne Cutaia.
Literatur
Patti Smith – American Artist. Fotografien von Frank Stefanko, Vorwort von Patti Smith. Großformatiger Bildband, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-89602-729-0.
Nick Johnstone: Patti Smith. Palmyra, Heidelberg 1999, ISBN 3-930378-26-4.
Victor Bockris: Patti Smith. Krüger, Frankfurt 2000, ISBN 3-8105-0435-1.
Martin C. Strong: The Great Rock Discography. Canongate Books Ltd., Edinburgh, 6. Aufl. 2002.
Simon Reynolds, Joy Press: The Sex Revolts. 1995. (Standardwerk über Gender, Rebellion and Rock ‘n’ Roll).
Gero von Boehm: Patti Smith. 9. April 2010. Interview in: Begegnungen. Menschenbilder aus drei Jahrzehnten. Collection Rolf Heyne, München 2012, ISBN 978-3-89910-443-1, S. 712–721.
Henning E. Kuckuk: Patti Smiths kosmopolitische Stimme. Performances – Netzwerke – Autobiografie. transcript Verlag, Bielefeld, 2018; Print: ISBN 978-3-8376-4417-3, PDF: ISBN 978-3-8394-4417-7.
↑Kate Davy: Lady Dicks and Lesbian Brothers: Staging the Unimaginable at the WOW Café Theatre. University of Michigan Press, 2010, ISBN 978-0-472-07122-7 (google.com [abgerufen am 3. Oktober 2022]).
↑Patti Smith: Ich habe einen Traum. In: ZEIT ONLINE. (zeit.de [abgerufen am 21. August 2018]).
↑Patti Smith erklärt ihre Bob-Dylan-Panne bei Nobelpreis-Verleihung. In: Der Spiegel. 15. Dezember 2016, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 3. Oktober 2022]).
↑Der Titel bezieht sich auf die Freundschaft zwischen Smith und ihrem Lebensgefährten Robert Mapplethorpe und beschreibt darüber hinaus die frühen Jahre ihrer Karriere als bildende Künstlerin.