Osteodystrophia deformans
Die Osteodystrophia deformans, auch als Ost(e)itis deformans, Paget-Syndrom, Paget-Krankheit, Pagetsche Krankheit oder Morbus Paget bezeichnet, ist eine Krankheit des Skeletts mit in einem oder mehreren Arealen erhöhtem und unorganisiertem Knochenumbau, bei der es allmählich zu einer Verdickung der Knochen kommt. Betroffen sind meist Wirbelsäule, Becken, Extremitäten und Schädel. Es handelt sich um eine chronische, langsam fortschreitende Krankheit, an der hauptsächlich ältere Menschen leiden. Sie kann sich auf ein Knochenareal beschränken (monostotisch), oder zwei oder mehr Knochenareale betreffen (polyostotisch). Am Beginn der Krankheitsentwicklung steht eine gesteigerte Aktivität der Osteoklasten, welche Knochensubstanz abbauen. Reaktiv folgen dann ungeordnete Anbauvorgänge, wobei die neue Knochenmasse verformt und brüchig ist. Die Krankheitsursache ist unbekannt. Genetische, virale und Umwelteinflüsse werden diskutiert. Eine erste exakte Beschreibung des Morbus Paget formulierte 1876[1] der Namensgeber James Paget. EpidemiologieDie Osteodystrophia deformans tritt häufig in Europa, Amerika, Australien und Neuseeland auf – betroffen sind vorwiegend Menschen europäischer Herkunft. In Asien und Afrika (mit der Ausnahme von Südafrika) ist Osteodystrophia deformans sehr selten. Dieses Verteilungsmuster deute auf genetische Einflüsse und ist konsistent mit der Hypothese einer oder mehrerer Gründer-Mutationen in Nordwesteuropa. Erstbeschreiber und Namensgeber der Krankheit war 1877 der Pathologe und Chirurg James Paget aus England, wo die Krankheit am häufigsten ist. In Westeuropa sind bis zu 5 % der Männer und 8 % der Frauen im achten Lebensjahrzehnt betroffen, generell Männer häufiger als Frauen. Vor dem 55. Lebensjahr tritt die Erkrankung selten auf, die Prävalenz steigt danach jedoch stetig. Allerdings ist nur ein Bruchteil dieser Patienten klinisch auffällig und behandlungsbedürftig. Zuletzt wurde ein Rückgang der Inzidenz und der Schwere der Ausprägung des M. Paget beobachtet. ÄtiologieDer Entstehungsmechanismus der Osteodystrophia deformans ist unbekannt. Da man paramyxovirale RNA, Antigene und Nukleokapside (z. B. Masernviren und Hundestaupeviren)[2][3] in Osteoklasten, Osteoblasten und Osteozyten findet, geht man von einem viralen Einfluss aus. Die Identität der Einschlusskörperchen im Zellkern, die Paramyxovirus-Nukleokapsiden ähneln, konnte jedoch noch nicht zweifelsfrei geklärt werden. Bei etwa 15 % aller Patienten liegt eine positive Familienanamnese vor, und hierbei zeigt sich ein autosomal-dominanter Erbgang mit unvollständiger Penetranz. Von den Patienten mit positiver Familienanamnese weisen 40 bis 50 % eine Mutation des Gens SQSTM1 (Sequestosome 1, Lokalisation 5q35) auf, das das Protein p62 codiert, welches für die Regulierung der Funktion von Osteoklasten wichtig ist. Auch 5 bis 10 % der Patienten mit einem sporadischen, nicht-familiären M. Paget weisen eine SQSTM1-Mutation auf. Darüber hinaus gibt es Genmutationen in drei verschiedenen Genen, die fünf seltene klinische Syndrome mit Osteoklasten-Störungen verursachen, die dem Morbus Paget ähnlich sind:
PathogeneseDie Osteodystrophia deformans tritt in der Regel erst jenseits des 55. Lebensjahres auf, verläuft oft symptomlos und wird im Allgemeinen bei einer Untersuchung oder beim Röntgen wegen anderer Beschwerden festgestellt. Sie beginnt als entzündlicher Prozess in einem oder (meistens) mehreren Knochen und ist zu diesem Zeitpunkt schmerzhaft; die Szintigrafie ergibt eine erhöhte Knochenumbaurate. Röntgenbilder des Knochens zeigen unscharfe Aufhellungen. Im weiteren Verlauf geht die Entzündung zurück und hinterlässt eine dichte, aber unregelmäßige Sklerosierung (kalkreiche Verdichtung) des Knochens, oft auch Deformierungen, druckbedingte Verbiegungen und Auftreibungen der befallenen Skelettelemente, wie eine Wirbelsäulenverkrümmung, einen gewölbter Brustkorb und eine Krümmung der Beine. Bei einer Verdickung der Knochen der Lendenwirbelsäule können Ischiasschmerzen auftreten, die bis ins Bein ausstrahlen (Wurzelkompressionssyndrom). Die Krankheit kann durch lokale Knochenschmerzen auffallen, wobei man durch die Haut die Überwärmung aufgrund der Überaktivität spüren kann. Im fortgeschrittenen Stadium kann es zu einer Verdickung des Schädels mit Zunahme des Kopfumfangs kommen. Sind die Hirnnerven durch das Knochenwachstum geschädigt, kann dies zu Schwerhörigkeit (Versteifung der Gehörknöchelchen, Zuwachsen der Cochlea oder Quetschung des Hörnervs) und Erblindung führen. Feingeweblich ist zu diesem Zeitpunkt ein mosaikähnlich grobmaschiger, aber stabiler lamellärer Reparaturknochen charakteristisch. Die übermäßige Ausscheidung von Calcium kann zu Nierensteinen führen, die vermehrte Knochendurchblutung begünstigt eine Herzinsuffizienz. Durch die übermäßige Teilungsaktivität der Knochenzellen kommt es in etwa 1 % der Fälle zur Entwicklung eines bösartigen Knochentumors. Wenn derartige Komplikationen vermutet werden, ist eine Computertomografie oder Kernspintomografie sinnvoll. DiagnoseBildgebende VerfahrenWesentlich für die Diagnose ist das Röntgenbild, in dem schon im Frühstadium der Erkrankung die Osteolyse nachgewiesen werden kann. Der erhöhte Knochenumbau kann mittels Knochenszintigraphie nachgewiesen werden. LaboruntersuchungenDie Bestimmung der alkalischen Phosphatase (AP) im Serum steht an erster Stelle zur Diagnose und Verlaufsbeobachtung und ist in über 85 % der Fälle bei unbehandeltem Morbus Paget erhöht.[4] Als Ausdruck eines erhöhten Knochenabbaus sind freigesetzte Aminosäuren (vor allem Hydroxyprolin) im Urin nachweisbar. Bedingt durch die vermehrte Aktivität der Osteoklasten ist im Blut ein Anstieg der AP im Serum zu verzeichnen, während die Kalziumwerte daselbst normal bleiben. Marker, die eine erhöhte Knochenresorption (Abbau) des Typ-1-Kollagens beim Knochen anzeigen, wie das C-terminale Telopeptid (CTX), können auch erhöht sein. PathologieEine Biopsie ist allenfalls in zweifelhaften Frühstadien sinnvoll. TherapieDie Behandlung ist symptomatisch mit schmerzlindernden und entzündungshemmenden Medikamenten wie Nichtsteroidalen Antirheumatika, Entlastung des Knochens, Krankengymnastik und gegebenenfalls operativer Stabilisierung von Knochenbrüchen. Tritt keine Besserung der Symptome ein, können Medikamente den Verlust der Knochenmasse verhindern und Schmerzen lindern; Bisphosphonate und Calcitonin hemmen den Knochenabbau und können bei rechtzeitiger, regelmäßiger Einnahme Deformierungen verhindern. Neuerdings stehen auch Bisphosphonate (Zoledronat, Aclasta®; Pamidronat, Aredia®) zur intravenösen Infusion zur Verfügung. Sie ersetzen die tägliche Tabletteneinnahme. Die einmalige Infusion von Zoledronat hat eine Wirkungsdauer von über einem Jahr. Ergänzend werden Vitamin D und Calcium verschrieben. Bei einer besonders schweren Schädigung der Hüfte kann ein Hüftgelenkersatz erforderlich sein. Osteodystrophia deformans bei Tieren und im FossilberichtBisher ist diese Erkrankung nur bei wenigen Säugetieren beschrieben worden – so bei Orang-Utans und Lemuren. Die ältesten Menschenknochen, die Anzeichen dieser Erkrankung zeigen, stammen aus der Jungsteinzeit. Im Jahr 2011 wiesen deutsche Forscher die Erkrankung an einem Wirbel des jurassischen Dinosauriers Dysalotosaurus nach. Laut den Forschern handelte es sich dabei um den bis dato ältesten indirekten Nachweis einer Vireninfektion.[5] Im Jahr 2019 wiesen Autoren desselben Teams die Erkrankung bei einem frühen Amnioten nach, der vor ca. 289 Millionen Jahren im Perm lebte; wiederum der älteste fossile Nachweis der Krankheit.[6] Literatur
WeblinksCommons: Morbus Paget des Knochens – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
|