Das Gebiet ist zumeist einheitlich aus Gesteinsserien der alpinen Trias aufgebaut. Es enthält Muschelkalk, Partnachschichten und Hauptdolomit als Sockelgesteine und den bei weitem vorherrschenden Wettersteinkalk als Gipfelbildner. Punktuelle Vorkommen kreidezeitlicher und pleistozäner Ablagerungen ergänzen das Bild.[1] Der Wettersteinkalk wurde glazial stark zerschnitten, sodass Risse und Klüfte das Gebiet prägen, auch Karst ist ausgeprägt.[2] Im langjährigen Mittel (1951–2018) liegen die Lufttemperaturen bei etwa 5,8 Grad Celsius und der Niederschlag bei etwa 1907 Millimetern. An etwa 44 Tagen im Jahr liegt die nutzbare Feldkapazität der Böden unter 30 % und verursacht bei den Pflanzen daher Trockenstress.[3]
Durch die alpine und die subalpine Höhenstufe ist der Anteil an Schutt und Fels mit beinahe 50 % der Gesamtbiotopfläche sehr hoch und damit auch der dafür typische magere Bewuchs. Diese Schotterflure können von den höchsten Lagen bis zu Lagen in 1200 m ü. NN reichen. Alpine Rasen nehmen mit rund einem Viertel der Gesamtbiotopfläche einen beachtlichen Anteil ein.[1] Von den Waldgebieten entfällt etwa die Hälfte auf Latschengebüsch, die andere auf lichten Wald.
Die Waldteile von der Waldgrenze bis zur Steilstufe in das Reintal sind ein geschütztes Naturwaldreservat und umfassen 7,1 ha. Der Wald ist mehrschichtig, ungleichaltrig und mit lichtem Kronenschluss aufgebaut. Es gibt aber auch Wiesen und Freiflächen. An Standorten mit viel Steinschutt und Felsbrocken dominieren Fichten; Zirben und Bergahorn gibt es nur zu geringeren Anteilen. Der Bergahorn kommt in einer beidseitig offenen Mulde in der Mitte des Reservats vor, während Zirben die hochgelegenen Ränder bis zum Latschenkiefergürtel besiedeln.[4] Da keine Straßen ins Tal führen, ist es wenig erschlossen und noch sehr naturnah. Es zählt zu den wenigen großen, naturnahen Landschaften der Bayrischen Alpen.
Lage, Zugang, Beschreibung
Das Oberreintal liegt im mittleren Wettersteingebirge nördlich des Wettersteinkamms und ist ein nach Norden offenes, kesselförmiges Kar unterhalb der Dreitorspitz-Westflanke. Nach Osten ist das Tal durch die Dreitorspitze mit seinen Nebengipfeln Oberreintaldom, Unterer und Oberer Berggeistturm begrenzt. Im Süden des Tals liegt der Wettersteinkamm mit dem Gipfeln Schüsselkarspitze, Scharnitzspitze, Oberreintalschrofen und Hundstallkopf und die Zunderköpfe und der Zunderkamm bilden die Westseite des Tals.[5] Am Nordrand fällt der Karboden über eine Steilstufe zum (unteren) Reintal ab, von dieser Steilstufe reicht der Wald zungenförmig bis zum Karboden in eine Höhe von ca. 1500 m hinauf.[4]
Das Oberreintal ist nicht durch Straßen erschlossen und kann nur zu Fuß erreicht werden. Der Weg beginnt in Garmisch-Partenkirchen am Olympiastadion und führt durch die Partnachklamm und dann an der Partnach entlang ins Reintal. Kurz vor der Bockhütte zweigt der Weg links (nach Süden) ab und führt über eine Steilstufe zum Oberreintal hinauf. Insgesamt beträgt die Wanderzeit, um in das Oberreintal zu gelangen, ca. 5 Stunden.[6] Am Beginn des Oberreintals steht eine Pforte aus unbearbeiteten Latschenzweigen, die den Eingang symbolisiert, sie ist ein häufig photographiertes Objekt. Sie wird von Kletterern liebevoll „Pforte ins Paradies“ genannt.
Das Oberreintal ist ein fast kreisrunder Felskessel, der von hohen Bergen umschlossen ist und tief unter dem Grat des Wettersteinkamms liegt.[7] Die umgebenden Gipfel sind der gewaltige Oberreintaldom (2371 m) und dessen Nordwand, der Untere Berggeistturm (ca. 2000 m), der Obere Berggeistturm (2250 m), der Untere Schüsselkarturm (2200 m), der Obere Schüsselkarturm (2350 m), die Schüsselkarspitze (2555 m), die Oberreintalköpfe (der höchste misst 2260 m), der Hüttengipfel, der Oberreintalturm (2027 m) und die Zundernköpfe (der höchste misst 2264 m).[8][7] Der Oberreintaldom ist der im Tal dominante Berg, der seinen Namen den markanten, großen Pfeilern seiner Nordwand verdankt, die an eine Kathedrale erinnern. Der Untere Schüsselkarturm ist der zweite, sehr markante Berg des Tals. Bei den Oberreintalköpfen handelt es sich um mehrere Gipfel, die sich in Nord-Süd-Richtung zwischen Oberreintalturm und Oberreintalschrofen erheben.[7]
Oberreintal
Oberreintaldom
Oberreintaldom
Unterer Schüsselkarturm
Oberreintalturm mit Kletterroute „Brych“
Pforte ins Oberreintal
Schutzhütte
Im Karboden befindet sich die Oberreintalhütte, eine Selbstversorgerhütte der Sektion Garmisch-Partenkirchen des Deutschen Alpenvereins, die vor allem von Kletterern besucht wird. Sie besteht seit 1922 und ist einfach ausgestattet; so gibt es weder Telefon noch Internet und auch keine Bewirtung. Lebensmittel müssen selbst mitgebracht werden, aus denen die Hüttenwartin (Anja Härtl, Stand 2023[9]) ein gemeinsames Abendessen bereitet. Seit 1994 verfügt die Hütte über eine Solaranlage zur Stromerzeugung, eine kleine Wasserturbine mit Stromspeicher und seit 2000 über eine Komposttoilette.[10] Zähne geputzt wird an einer offenen Waschstelle, geduscht wird im Freien.[11] Auf dem Weg zu dieser vor allem von Kletterern frequentierten Hütte warnen Tafeln die Wanderer humoristisch vor einem Besuch am Wochenende, weil diese dann hauptsächlich von Kletterern besetzt ist.[12]
Die Hütte wird auch Franz-Fischer-Hütte genannt, zu Ehren des beliebten Hüttenwirts Franz Fischer, er führte die Hütte von 1934 bis 1939 und von 1948 bis 1953.[10] 1928 kletterte Fischer eine Tour am Oberreintalturm und tat am Ausstieg vor lauter Freude über die gelungene Begehung einen Schrei: „Hei, mi leckst am Arsch!“ Anderl Heckmair (Erstbegeher der Eiger-Nordwand), der an einem nahe gelegenen Gipfel des Zunderkopfes ebenfalls gerade ausstieg, rief zurück: „Und du mi aa!“. Damit, so will es die Legende, war der bis heute gültige Gruß und Schlachtruf des Oberreintals geboren: „Hei, mi leckst am Arsch!“, auf den man mit „und du mi aa“ antwortet. Der Oberreintalgruß ist in der Bank vor der Hütte verewigt.[10]
Klettergebiet
Das Oberreintal wird vor allem von Kletterern besucht, da die unzähligen Wände rund um das Tal über 300 Touren in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden bieten (Stand 2010). Ausgangspunkt für die Touren ist die Oberreintalhütte, die an schönen Sommertagen fast vollständig von Kletterern belegt ist. 1871 wurde der Talkessel das erste Mal von Herrmann von Barth erkundet.[11] Der Oberreintaldom wurde 1909 von Anton Schmid mit seinem Seilpartner Behrendt erstmals über den Westgrat bestiegen.[12]
Große Klassiker der Klettertouren aus der Vorkriegszeit sind:[11]
die Fahrradlkante (UIAA 5-, 290 m) am Oberreintalturm, 1920 erstbegangen von Emil Solleder und Georg Hausmann. Eine 100 Jahre alte Tour, die auch heute noch alpine Erfahrung und Können voraussetzt.[13] Damals hieß sie noch Südwestkante.[14] Nachdem 1965 ein Fahrrad neben der 5. Seillänge montiert wurde, wurde sie in Fahrradlkante umbenannt. Später wurde in der 1. Seillänge ein Straßenschild für Fahrradwege angebracht, mit diesen beiden Objekten wurde sie zur bekanntesten Tour des Tales.[15]
die Nordwestwand (UIAA 6, 370 m) am unteren Berggeistturm, auch „Gelbes U“ genannt, erstbegangen 1928 von Leo Rittler und Toni Schmid.[16] Toni Schmid ist einer der Erstbegeher der Matterhorn-Nordwand.[17]
der Nordgrat am Oberen Schüsselkarturm, erstbegangen von Willo Welzenbach und Kurt Wien.
die Nordwand (UIAA 6+, 300 m) des Unteren Schüsselkarturms, auch Schober genannt, erstbegangen 7. Oktober 1938 von Michl Schober und Karl Münch.[16] Auch diese Route hat eine Besonderheit: eine Bank in Wandmitte, das sogenannte Schoberbankerl. Schober ist zwei Jahre nach dieser Erstbesteigung noch jung im Krieg gestorben.[18]
die Nord-Westwand (UIAA 6-, 280 m) des Unteren Schüsselkarturms, auch Herbst/Teufel genannt, erstbegangen 1935 von A. Herbst und H. Teufel.[8]
Wesentliche Kletterrouten der Nachkriegszeit sind:
die Nordverschneidung am Oberreintaldom (UIAA 6+, 270 m), erstbegangen 20. Juli 1952 von dem Sachsen Karlheinz Gonda und Hans Hackel. Die selbst abzusichernde, auch Gonda genannte Tour ist ein Paradebeispiel sächsischer Kletterkunst in den Alpen.[19]
die Schließler (UIAA 6 A0, 260 m) am Oberreintaldom, erstbegangen 1947 von Martin Schliessler und W. Fischer. Frei geklettert ist die Schließler mit UIAA 8- die schwerste der drei Dom-Verschneidungen.[20]
die Direkte Westwand (UIAA 6+, 310 m), auch Brych genannt, am Oberreintalturm, erstbegangen 1947 von M. Brych und W. Fischer. Einer der viel begangenen Ultra-Klassiker im Oberreintal.[21]
Wesentliche und häufig begangene moderne Klettertouren in den oberen Schwierigkeitsgraden sind:
die Sonntagsarbeit (UIAA 7-, 300 m) am Oberreintalturm, erstbegangen am 15. August 1994 von Hans Bader und Wolfgang Henke.[22]
die Heidi (UIAA 7+, 245 m) am Oberreintalturm, erstbegangen 22. August 1993 von Hubert und Christian Hillmaier, zum Gedenken an Heidi Hillmaier, die am Montblanc durch einen Felssturz ums Leben kam.[21]
die Ois Tschikago (UIAA 7+/8-, 320 m) am Unteren Schüsselkarturm, erstbegangen am 20. August 1994 von Robert Heiland und Stephan Reindl. Der Routenname ist bairischer Dialekt und bedeutet „Alles in Ordnung“.[23]
die Himbeertoni (UIAA 8+, 275 m) am Oberreintalturm, erstbegangen am 4. August 2007 von Christian Pfanzelt und Tom Höck.[24]
die Take Five (UIAA 9-, 350 m) am Unteren Berggeistturm, erstbegangen am 7. September 2002 von Karin Port und Michael Hoffmann. Diese Route ist die zur Zeit schwierigste alpine Sportkletterroute mit klassischem Charakter im Tal.[25]
↑ abcAndi Dick, Christian Pfanzelt: Wo die wilden Kerle klettern. In: DAV Panorama 4/2010. Deutscher Alpenverein, April 2010, S. 41, abgerufen am 6. Oktober 2023.
↑ abWalter Pause, Jürgen Winkler: Im extremen Fels: 100 Kletterführen in den Alpen. 2., neubearb. Auflage. BLV-Verlagsgesellschaft, München Bern Wien 1977, ISBN 978-3-405-11742-9, S.78.
↑Thomas Bucher: Wetterstein - Fahrradlkante: Eine Genusstour für die, die es draufhaben. In: DAV (Hrsg.): DAV Panorama. Nr.6/2023, S.8.
↑Helmut Pfanzelt: Wettersteingebirge: ein Führer für Täler, Hütten und Berge (= Alpenvereinsführer Reihe Nördl. Kalkalpen). 2., durchges. u. erg. Auflage. Rother, München 1978, ISBN 978-3-7633-1113-2, S.190.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein Nord, Kletterführer Alpin. 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.234.
↑ abHelmut Pfanzelt: Wettersteingebirge: ein Führer für Täler, Hütten und Berge (= Alpenvereinsführer Reihe Nördl. Kalkalpen). 2., durchges. u. erg. Auflage. Rother, München 1978, ISBN 978-3-7633-1113-2, S.206.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.118.
↑Walter Pause, Jürgen Winkler: Im extremen Fels: 100 Kletterführen in den Alpen. 2., neubearb. Auflage. BLV-Verlagsgesellschaft, München Bern Wien 1977, ISBN 978-3-405-11742-9, S.80.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.90.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.96.
↑ abRolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.222.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.220.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.160.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.226.
↑Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt: Wetterstein-Kletterführer. Nord: Wetterstein Nord: Meilerhütte, Oberreintal, Reintal, Alpspitze, Waxensteinkamm / Rolf Gemza, Martin Oswald, Christian Pfanzelt (= Kletterführer Alpin). 5. Auflage. Panico Alpinverlag, Köngen 2021, ISBN 978-3-95611-146-4, S.124.