Nueva Germania

Nueva Germania
Nueva Germania (Paraguay)
Nueva Germania (Paraguay)
Nueva Germania
Nueva Germania auf der Karte von Paraguay
Koordinaten 23° 54′ 24″ S, 56° 42′ 25″ WKoordinaten: 23° 54′ 24″ S, 56° 42′ 25″ W
Basisdaten
Staat Paraguay

Departamento

San Pedro
Stadtgründung 1886
Einwohner 4335 (2008)
Detaildaten
Fläche 20,002 km²
Höhe 132 m
Zeitzone UTC−4

Nueva Germania (Neugermanien/Neues Deutschland) ist ein Dorf im ländlichen Teil von Paraguay, circa 150 km nördlich von Asunción. Es wurde im März 1886 von Bernhard Förster sowie einer Handvoll deutscher Siedler gegründet, darunter seiner Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester von Friedrich Nietzsche.[1]

Geschichte

Förster, ein deutscher Schulmeister, plante mit der Gründung von Nueva Germania ein sozialistisches Reich von rein deutscher Rasse und Kultur, ein Germanenparadies in Südamerika aufzubauen. Der aus Jena stammende Förster war ein Vertreter völkischer Ideen und war wegen seines militanten Antisemitismus aus dem Schuldienst entlassen worden. Unter anderem machte er Juden für den „Verfall deutscher Tugenden“ verantwortlich.[2] Nach dem Suizid Försters, der die Vermischung der Siedler mit der indigenen Bevölkerung nicht verhindern konnte und bereits hochverschuldet war, setzte der Niedergang der Kolonie ein.

Die sächsischen Siedler waren auf die Bedingungen in Südamerika nicht vorbereitet gewesen und besaßen keine Erfahrung in tropischer Landwirtschaft. Zudem war Nueva Germania in der Trockenzeit vom Umland abgeschnitten. Die Kolonie verfiel in Hunger und Armut. Nachdem ihr Versuch scheiterte, ihren berühmten Bruder Friedrich nach Nueva Germania zu holen, verließ 1892 auch Elisabeth Paraguay. Fünfundzwanzig Familien, die sich eine Heimreise nicht leisten konnten, blieben zurück. Die Kolonie besteht noch heute, ist aber von Abwanderung betroffen. Im ahr 2002 lebten noch etwa 800 deutschsprachige Nachfahren der Siedler in Nueva Germania.[3]

Das Projekt erfuhr wieder propagandistische Bedeutung in der Zeit der Diktatur von Alfredo Stroessner, Sohn eines Deutschen und einer paraguayischen Kreolin.[4] Um das Jahr 2007 bemühte sich der amerikanische Dirigent David Woodard um Interesse für das als „rassisch reine Kolonie“ geplante Dorf. Unter anderem bietet er Führungen durch das Gebiet an. Geworben wird mit einem Haus, in dem angeblich Josef Mengele mehrere Jahre lang Zuflucht gefunden hätte und der Besichtigung der Lebensumstände der Nachfahren der deutschen Siedler. Das Haus, in dem sich Mengele angeblich aufgehalten hatte, brannte allerdings kurz vor dem Eintreffen eines britischen Kamerateams unter nicht geklärten Umständen 1991 nieder.

Die ursprüngliche Siedlung ist Gegenstand eines deutschen Forschungsprojektes, bei dem es um gesellschaftliche Dimensionen von Ressourcen geht. Dabei untersuchten im Jahr 2022 die Archäologen Natascha Mehler und Attila Dészi Bauten und Parzellen aus der Gründungsphase der Kolonie.[5]

Nach der Volkszählung von 2002 hatte Nueva Germania 4202 Einwohner, von denen 840 (20 %) angaben, Deutsch in irgendeiner Form zu sprechen. Unter den jüngeren Bewohnern waren deutsche Sprachkenntnisse noch ähnlich weit verbreitet, wie unter den Älteren.[6]

Heutzutage ist Nueva Germania eine ruhige und relativ arme Gemeinde im Bezirk San Pedro. Die drei hauptsächlich gesprochenen Sprachen sind Spanisch, Guaraní und Deutsch. Die Gründungsgeschichte der Stadt hat dazu geführt, dass die Mischung aus deutscher und paraguayischer Kultur als gemeinsames Erbe der Stadt gefeiert wird und die Einwohner bezeichnen sich selbst als Germanino. Wie Jonatan Kurzwelly in seinem Buch „People and Identities in Nueva Germania“ (Menschen und Identitäten in Nueva Germania), das auf einer langjährigen ethnografischen Untersuchung der Stadt basiert, beschreibt, identifizieren sich die Menschen in verschiedenen Situationen als Deutsche, Paraguayer oder Germaninos.[7]

Literatur

  • Ben Macintyre: Forgotten Fatherland – the search for Elisabeth Nietzsche. Macmillan, London 1992, ISBN 0-333-55914-2.
  • Ben Macintyre: The True Story of Nietzsche’s Sister and Her Lost Aryan Colony. Broadway Books / Random House, New York 2011, ISBN 978-0-307-88644-6.
  • Ben Macintyre: Elisabeth Nietzsche ou la folie aryenne : au Paraguay, en 1886, la soeur du célèbre philosophe fonde Nueva Germania, la première colonie aryenne de l’histoire. Laffont, Paris 1992, ISBN 2-221-07455-6.
  • Ben Macintyre: Vergessenes Vaterland. Die Spuren der Elisabeth Nietzsche. Reclam, Leipzig 1994, ISBN 3-379-01510-5.
  • Wolfgang Hindrichs: Nueva Germania – Eine Herausforderung in Paraguay. Hahne und Schloemer, Düren 2006, ISBN 978-3-927312-74-6.
  • Daniela Kraus: Bernhard und Elisabeth Försters Nueva Germania in Paraguay. Eine antisemitische Utopie. Doktorarbeit. Universität Wien, 1999.
  • Jonatan Kurzwelly: Being German and being Paraguayan in Nueva Germania: Arguing for “contextual epistemic permissibility” and “methodological complementarity.” Doktorarbeit. University of St Andrews, 2017.
  • Jonatan Kurzwelly: Being German, Paraguayan and Germanino: Exploring the Relation Between Social and Personal Identity. In: Identity, 19:2 (2019), S. 144–156. doi:10.1080/15283488.2019.1604348
  • Jonatan Kurzwelly: People and Identities in Nueva Germania. Universitätsverlag Göttingen, 2024, ISBN 978-3-86395-636-3
Commons: Nueva Germania – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Florian Zinnecker: Ich habe gemerkt, wie sehr ich mit dem Begriff ›deutsch sein‹ ringe. In: Süddeutsche Zeitung (sueddeutsche.de), 11. Mai 2016, abgerufen am 29. Mai 2016.
  2. Das Erbe von Nueva Germania. In: Der Spiegel (spiegel.de), 12. Juli 1993, abgerufen am 29. Mai 2016.
  3. Henning Kober: In, um und um Germanistan herum. In: Die Tageszeitung (taz.de), 18. Mai 2006, abgerufen am 29. Mai 2016.
  4. Peter Burghardt: Die Aussiedler. In: Süddeutsche Zeitung, 15./16. November 2014, S. 57.
  5. Nueva Germania und andere utopische Siedlungen bei Landschaftsverband Westfalen-Lippe vom 13. Mai 2024
  6. Dirección General de Estadística Encuestas y Censos: Censo Nacional de Población y Viviendas 2002 (Memento des Originals vom 9. Juli 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/celade.cepal.org (Ergebnisse der Volkszählung in Paraguay 2002). Auf: cepal.org, abgerufen am 29. Mai 2016.
  7. Jonatan Kurzwelly: People and Identities in Nueva Germania. Hrsg.: Universitätsverlag Göttingen. 2024, ISBN 978-3-86395-636-3 (uni-goettingen.de).